Rund 1,8 Millionen Haushalte verfügen zwei Jahre nach dem Neustart des Digitalradios in Deutschland über entsprechende Empfangsgeräte. Langsam aber sicher steigt die DAB-Nutzung an, doch in den Nachbarländern hat Digitalradio schon einen anderen Stellenwert. „Um uns herum fliegt diese Kuh!“ kommentiert Intendant Dr. Willi Steul die Entwicklung des „Radios der Zukunft“ im Interview mit RADIOSZENE.
Glaubt man den am Montag auf der IFA in Berlin veröffentlichten Zahlen von TNS Infratest, so erlebt das häufig kritisierte Digitalradio gerade in vielen Bundesländern einen Aufschwung – wenn auch einen zaghaften (RADIOSZENE berichtete). Am Rand der Messe für Unterhaltungselektronik glaubt DRadio-Intendant Willi Steul sogar an deutlich mehr Geräte in den deutschen Haushalten: „Es müssten sogar signifikant mehr als 2,7 Millionen sein. Schließlich sind Online-Einkäufe in diesen Zahlen nicht berücksichtigt“.
Man gehe von zusätzlich einem Drittel mehr Digitalradios aus und erwarte nun mit Spannung das Weihnachtsgeschäft. Zusammen mit Partnern wie der BBC versuche man zudem durchzusetzen, dass in alle Smartphones ein Chip implementiert wird, der den Empfang von Radiostationen via UKW und DAB+ ermöglicht. Zusammen mit der mobilen Internetverbindung ergebe sich dann ein mobiler Hybridempfänger.
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Olaf Korte vom Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen ergänzt: „So langsam wird auch verstanden, dass man mit Streamingdiensten bei mobiler Nutzung die Qualität der Netze insgesamt belastet, egal wie breitbandig diese sind“. Das Datenpaket müsse unmittelbar versendet werden und könne, anders als bei einem E-Mail oder Webseiten-Abruf, nicht beliebig lange warten. „Die Kombination zwischen DAB+ und IP macht’s – und ich denke, dass das so auch bei den Smartphone-Herstellern ankommen wird“, zeigt Korte sich zuversichtlich.
„Es gibt bei der Frage ‚Digitalradio oder Internetradio‘ kein Gegeneinander, keine Ausschließlichkeit“, meint Willi Steul. „Der einzige vernünftige Ansatz ist meiner Ansicht nach als Rückgrat des ‚Radios der Zukunft‘ das terrestrische DAB+ in Verbindung mit dem Internet“.
„Kann mich gut in die Rolle von Herrn Hillmoth versetzen“
Doch nicht alle Radiomarken sind über DAB+ verfügbar. Gerade viele private Radiosender scheuen das Engagement. Willi Steul: „Ich kann mich gut in die Rolle von Herrn Hillmoth von Radio FFH oder den VPRT-Vorsitzenden Klaus Schunk hineinversetzen. Wer als Privater ein ausreichend großes UKW-Sendegebiet hat, der muss am Jahresende schwarze Zahlen schreiben und ich habe Verständnis dafür, dass man dann zögert, wenn man in eine Technologie einsteigt, bei der man die Kosten einer Parallelausstrahlung hat“. Für kleinere private Veranstalter müssten Modelle zur Verfügung stehen, bei denen die Landesmedienanstalten das Netz stützen. „Das muss alles noch entwickelt werden, aber wir sind in einer Phase, in der ich ganz hoffnungsvoll bin“.
Senden, was der Gesellschaft dienlich ist
Seit 2010 auf Sendung ist das digitale Angebot DRadio Wissen, das ebenfalls über den nationalen Digitalradio-Multiplex verbreitet wird. Ins Gespräch gebracht wurden zudem zwei weitere DRadio-Sender: „Wir haben den Keller voll mit Musikaufnahmen in einem Ausmaß, dass wir gar nicht alles anbieten könnten“, so Steul, der über einen digitalen Musikkanal mit seltenen Archivaufnahmen nachdenkt. Zunächst müsse es aber eine entsprechende Forderung der Medienpolitik geben, bevor diese Idee konkretisiert würde. Im Kontext der aktuellen Diskussion um die Umstellung des Finanzierungsmodells der öffentlich-rechtlichen Sender und eine Begrenzung des Anstiegs der Kosten gäbe es keine Entscheidung, ein solches Programm zu starten – aber es sei in der Diskussion und wird für wichtig gehalten. „Das klingt ein wenig pathetisch, aber wir müssen uns als öffentlich-rechtliche Sender Gedanken darüber machen, welche Programme der Gesellschaft dienlich sind. Also nicht das 101. Musikformat, sondern etwas, das originär öffentlich-rechtlich ist.“
Ein entsprechendes Angebot wäre, so Willi Steul, ein bundesweites Kinderradio in Zusammenarbeit mit dem Fernsehprogramm KiKa und den ARD-Landesrundfunkanstalten. „Wir haben alle Kinderfunk im Angebot, das könnte man dann bündeln und im Digitalradio verbreiten“. Angedacht seien ca. sechs Stunden Programm täglich, die einmal wiederholt würden. Ein ähnliches Konzept verfolge das KiRaKa des WDR, bundesweit sei es jedoch nur unter Federführung des Deutschlandradio zu realisieren.
AM zu Ende, „de facto“ UKW-Ausbaustopp
In der vergangenen Woche wurde der erste Mittelwellensender des Deutschlandradio zugunsten von moderneren Übertragungswegen abgeschaltet. Die übrigen AM-Wellen würden bis 2016 aus dem Äther verschwinden, dann sei auch ein flächendeckender DAB-Ausbau abgeschlossen. „Als Brückenfunktion zwischen den einzelnen DAB-Inseln brauchen wir die übrigen Mittel- und Langwellensender derzeit noch – aber diese Technik ist zu Ende“.
Die über 320 UKW-Frequenzen von Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur würden jedoch weiterhin on air bleiben, neue Wellen seien aber zunächst nicht mehr geplant. „Deutschlandradio hat de facto einen UKW-Ausbaustopp, schließlich stehen uns kaum noch Frequenzen zur Verfügung“, so der Intendant. In der Anfangszeit des Deutschlandradios sei es durchaus sinnvoll gewesen, auch Kleinstfrequenzen „aufzugabeln“, was sich heute nicht mehr lohne. Wenn aber eine Frequenz wie die vom britischen Soldatensender BFBS übernommene 96,5 MHz (Langenberg) andernorts zur Verfügung stehe „bemühen wir uns sicherlich darum“.
„Was noch fehlt ist eine ganz klare medienpolitische Aussage, die besagt, dass DAB+ das Radio der Zukunft ist. Die Zeit der analogen terrestrischen Verbreitung wird irgendwann zu Ende gehen“, so Steul auch in Bezug auf die Planungssicherheit für private Veranstalter. Spannend werde es jedoch bei einem Blick auf andere europäische Länder. DAB-Vorzeigeinsel Großbritannien werde sich Ende dieses Jahres entscheiden, ob und wenn ja wann man sich von UKW verabschiedet, in Norwegen sei diese Entscheidung schon für 2017 gefallen, Dänemark peile 2019 an. „Um uns herum fliegt diese Kuh – in Deutschland ist es wie oft bei technischen Neuerungen: Das warme Wasser ist bei uns erfunden worden, aber die anderen setzen es ein!“.
Mit DAB+ Unfälle vorbeugen
Schließlich setzt Willi Steul auch auf die Möglichkeit, Datendienste via DAB+ zu übertragen. „Ich war mit dem Auto unterwegs und hörte von einem schrecklichen Verkehrsunfall, der durch einen Falschfahrer hervorgerufen wurde. Heute dauert es bis zu 25 Minuten, bis eine entsprechende Warnmeldung bei den Hörern ankommt“. Mit DAB+ und dem Verkehrsleitdienst TPEG könne man dies deutlich schneller lösen. Induktionsschleifen an den Autobahnauffahrten könnten registrieren, wenn ein Fahrzeug falschherum die Autobahn befährt und automatisch Alarm geben. „Ich rief unseren Techniker Herrn Dr. Weck an, schilderte ihm meine Idee. Wenig später rief er mich zurück und bestätigte mir: Das geht.” Einige Automobilhersteller wie BMW würden eindeutig auf DAB+ setzen und verfolgten wie Deutschlandradio und ARD einen hybriden Ansatz. Konkrete Planungen für Projekte wie diese gibt es jedoch gegenwärtig noch nicht.
Die „industriellen- und wirtschaftspolitischen Implikationen“, die im Digitalradio über die Zusatzdienste drinnenstecken seien häufig noch gar nicht „in ihrer ganzen Fülle“ klar. „Es gibt unendlich viele Möglichkeiten – und das macht es so spannend, gerade wenn wir DAB+ nicht nur unter der Möglichkeit der Radioübertragung betrachten.“