Wo hakt es in der Beziehung zwischen Programm und Verkauf? Woran liegt es, dass das Verhältnis zwischen den beiden Bereichen so angespannt ist? Und wo gibt es Anknüpfungspunkte, wie man diesen ewigen Konflikt aus der Welt schaffen kann? Broadcast-Future hat Vertriebsveteran Alexander Zeitelhack und Programmberaterin Yvonne Malak zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch gebeten.
Was beeinträchtigt das Verhältnis zwischen Programm und Verkauf?
Alexander Zeitelhack: Ich möchte folgendes Paradigma aufmachen: Das eigentliche Ziel eines Radiosenders ist es ja, Umsatz zu generieren und das Programm gehört bei dieser Rechnung zu den Fixkosten. Das heißt: Musik wird in einem Radiosender nur gespielt, damit es eine Unterbrechung zwischen zwei Werbeblöcken gibt. Wir haben uns mit dem Formatradio in eine Situation gebracht, in der wir ausschließlich gefallen wollen und lediglich Mainstream produzieren. Damit sind wir eine Werbeplattform der Industrie. Das ist das ausgemachte Ziel. Den Programmleuten erzählt man aber immer, dass sie so toll sind und dass ihr Ego groß sein darf, damit sie ihre Extrovertiertheit am Mikrofon reproduzieren können. Damit nimmt man aber billigend in Kauf, dass Moderatoren gegen Werbung sind.
Yvonne Malak: Meine Erfahrung ist nicht, dass die Programmleitungen per se gegen Werbung sind. Sie sind bei manchen Sachen empfindlich -was Sponsorings betrifft- und sehr empfindlich sind sie -zu Recht- bei gewissen Sonderwerbeformen, die letztendlich dem Programm schaden. Da hab ich selbst schon Sachen erlebt, wo ich sage: „Hey lieber Verkauf, was habt Ihr euch dabei gedacht? Warum habt Ihr uns nicht gefragt?“ Meine Erfahrung ist, dass wenn ich mit meinem Verkäufer bei großen Kunden mitgehe, weil es mir als Programmchef wichtig genug ist, da mitzugehen, oder vorher mit dem Verkauf spreche, bzw. vernünftige Regeln einführe, gibt es am Ende des Tages immer eine Lösung mit der beide Seiten gut leben können.
Klare Kriterien
Alexander Zeitelhack: Die Programmleute haben da tatsächlich ein Problem: Beim Vertrieb kann ich immer beziffern, worum es genau geht. Ich kann sagen: „Diese Sonderwerbeform steht für 40.000 Euro!“ Ihr Programmkollegen könnt jedoch lediglich sagen: „Aber mein Gefühl sagt mir…“ oder: „Wahrscheinlich ist das schlecht für die Hörer…“. Damit zwingt man den Geschäftsführer dazu, im Zweifel auf eine quantifizierbare Größe und nicht auf eine subjektive Einschätzung zu vertrauen. Ihr habt doch viele Daten über Marktforschung und Hörerakzeptanz und Ahnliches. Alle Format-Research-Ergebnisse werden aber von den Programm-Direktoren geheim gehalten und werden nicht genutzt um klare Kriterien zu schaffen. Was ist denn gut oder schlecht? Wenn es dann Meinung gegen Meinung geht, muss der Verkauf deswegen immer gewinnen. Da hat das Programm keine Chance.
Yvonne Malak: Leider ist das ja auch meistens leider so. Mein Credo ist, sei es mit dem Programm oder mit dem Verkauf, immer transparent zu arbeiten. Du hast völlig Recht. Es ist total wichtig, dass wir nicht nur sagen: „Mein Gefühl sagt…“, sondern auch, dass wir diese Kriterien nachvollziehbar und bewertbar machen. Und das können wir ja auch! Ich kann Dir nicht nur aus Erfahrung, sondern auch durch Marktforschung gestützt ganz genau sagen: Wenn Du morgens ein Quizz machst, wo Du die Historie des hiesigen Stromversorgers abfragst, dann wird das die Hörer nicht unterhalten, weil das allen Kriterien guter Radiounterhaltung widerspricht. Und deswegen finde ich den Informationsfluß zwischen Programm und Verkauf über die Geschäftsführung teilweise wirklich mies. Es würde dem Programm sehr viel helfen, wenn eine bessere Aufklärung stattfinden würde, die Daten transparenter gehandelt werden und vor allem alle mehr miteinander sprechen würden.
Alexander Zeitelhack: Also ich würde mir wünschen, dass von Seiten des Programms viel aktiver Schulungen und Konzepte für Verkäufer, aber auch für Werbekunden entwickelt werden. Also Briefings, ganz klare Markenhandbücher und die Markencodes des jeweiligen Radioformats, die man dann auch dem Produktionsstudio geben kann. Das hätte zur Folge, dass die Spots, die dann produziert werden, auch passender zum Format sind. Der Grund, warum das in Deutschland nicht funktioniert ist der, dass wir hier zu wenige Radiosender und zu wenig Wettbewerb haben. Alle tummeln sich in den gleichen Mainstreamformaten. Damit entsteht eine Situation, in der wir keine spezifischen Formate für Werbeformate anbieten können. Da, wo es Jazz-, Rock-, Classic- oder womöglich Talkformate gibt, passt sich der Werbespot sofort dem Programm stärker an. Aber das „Wir wollen für alle Alles sein“-Motto des breiten Mainstreamformats führt dazu, dass es viele Inhalte von der Webekundschaft gibt, die nicht um spezifischen Format passen.
Die Rolle des Managements
Alexander Zeitelhack: Wir haben tatsächlich ein Qualifikationsproblem im Management. Denn wenn sich Programmchefs und Verkaufsleiter mit ihrer Fachsprache in eine Debatte begeben und der Geschäftsführer nicht bei beiden Bereichen gleich fit ist, dann muss er mit engen Regeln antworten. Dann stellt er irgendwelche kleinlichen Regeln auf, die dann nach Sekunden, Minuten, Branchenbeschränkungen oder Ähnlichem gehen. Wir haben also auch ein Qualitätsproblem in der Geschäftsleitung.
Yvonne Malak: Das stimmt und ich finde klare Regeln wie auch diese Stylebooks für den Verkauf eine gute Sache. Du hast Recht, das erlebe ich oft, dass sich der Geschäftsführer an dieser Stelle nicht durchsetzt und auch nicht konsequent genug ist, vielleicht weil man auch zu faul ist um konsequent zu sagen: „ Liebes Programm und lieber Verkauf, wir setzen uns jetzt zusammen und erarbeiten das jetzt!“
Meine Erfahrung ist, dass Menschen klare Regeln lieben. Mit klaren Regeln kann man gut agieren. Als Beispiel gäbe es gerade bei Sonderwerbeformen, die massiv ins Programm eingreifen zwei Möglichkeiten:
Möglichkeit Nr. 1: Der Programmchef, On-Air-Promotion-Chef und der Morgenshow-Verantwortliche gehen mit zum Kunden, hören sich an, was der Kunde eigentlich möchte und haben vielleicht sogar schon vor Ort ein bis zwei Ideen.
Möglichkeit Nr. 2 halte ich für die Bessere: Der Verkäufer geht zum Kunden und kommt dann zu uns ins Programm zurück und sagt: „Hier ist das Bedürfnis von meinem Kunden, kuck mal ob du vielleicht zwei oder drei Ideen dazu anbieten kannst, die für dich ok sind und die die Ziele des Kunden erfüllen.“ Dann findet man eigentlich immer eine Kompromiss und macht keinen Umsatz kaputt.
Kommunikation als Ausweg
Alexander Zeitelhack: Eine Sache, die mir immer wieder auffällt ist, dass es als Führungskraft, ob als Geschäftsführer, Verkaufsleiter oder Programmchef, natürlich immer einfacher und praktischer ist, nach dem Motto „Gemeinsamer Feind vereint“ vorzugehen.
Yvonne Malak: …also „Programm gegen Verkauf, Verkauf gegen Programm“?
Alexander Zeitelhack: …ganz genau. Und dann hat man auf der einen Seite die Leute vom Programm, auf der anderen Seite die Verkäufer, setzt sie noch in unterschiedliche Etagen und baut so eine künstliche Feindschaft auf. Und das ist eigentlich auch ein Versagen des Managements. Ich würde eine Großraumredaktion vorschlagen, wo neben jedem Redakteur ein Verkäufer sitzt.
Yvonne Malak: Das gab es schon. Das habe ich schon bei einem Kunden mit einer ganz tollen Geschäftsführerin erlebt. Die hat das genauso gemacht und den Verkauf mitten ins Programm reingesetzt, damit alle voneinander lernen und profitieren und damit das Miteinander besser funktioniert. Das ist auch ein Sender, der wirtschaftlich sehr erfolgreich ist. Also das ist ein gutes Modell.
Alexander Zeitelhack: Und da kommen von den Mitarbeitern, also DJs, Moderatoren, Redakteure oder Verkäufer, auch Fragen ans Management auf, die dann beantwortet werden müssen. Damit zwingen wir uns auch selber dazu, eine gemeinsame Linie zu finden.
Yvonne Malak: Weil du jetzt gerade die Geschäftsführung ansprichst, die ja eine Organisations- und Führungspflicht hat: Die gibt es auch noch eine Ebene tiefer. Es ist sicherlich auch Pflicht des Programmchefs, und das wird auch oft vernachlässigt, dem Programm den Sinn einer Verkaufsgeschichte kommunizieren und gegebenenfalls dem Programm zu sagen: „Hey jetzt haltet mal die Füße still, das was euch auf dem ersten Blick vielleicht etwas unsexy erscheint, macht der Verkauf aus folgenden Gründen.“ Also da ist insgesamt eine transparentere Kommunikation eine Sache, die auf allen Ebenen sehr hilfreich sein könnte.
„Audience Management“
Alexander Zeitelhack: Ich würde vorschlagen, einen neuen Begriff einzuführen, nämlich den Fachbegriff des „Audience Managements“. Radio als Musikprogramm zu konsumieren und das Leben des Konsumenten, so wie es der Social Media-Bereich immer transparenter abbildet, stellen heutzutage eine Einheit dar.
Wir sind nicht mehr in der Kommunikationsbranche! Wir sind mitten im Leben der Konsumenten und die Hörer leben mit Marken genauso wie mit Entertainment-Content. Aber die Radiosender als Medienanbieter sind noch nicht in der Lage, dieses „Audience Management“ professionell anzusetzen. Das heißt: Wir müssen die Verbindung, die unsere Hörer mit Marken haben, ins Programm hinein bringen. Gute Moderatoren machen so etwas ja bereits, indem sie Testberichte von Autos, eigene Erlebnisse aus ihrer Freizeit, dem Urlaub usw. als ganzheitliche Kommunikation vermitteln. Dabei finden auch immer Marken statt, aber nicht in einer gemeinsam von Verkauf und Programm geplanten Form.
Ein konkretes Beispiel:
Die Premiere eines neuen Kinofilms, z.B. Django Unchained, ist talk of the town. So etwas muss im Programm und in der Moderation stattfinden. Die Moderatoren machen das jedoch nach eigenem Gutdünken und genießen dabei völlige Freiheit. Dadurch schafft es das Film-Label, die Verkaufsabteilung mit kluger PR-Politik, Freikarten und Premierenfeiern zu umgehen. Genau das ist der Punkt: Wir verlieren beide die Kontrolle, weil es ein anderer Kommunikator schafft, unsere Differenzen für sich zu nutzen. Am Ende spart sich der Kunde das Geld und kriegt trotzdem kostenlose PR fürs Programm.
Yvonne Malak: Also in den großen Sendern, in denen ich bin, passiert so etwas nicht. Da schützen schon die Regeln davor, dass der Verkauf umgangen wird. So etwas darf aber auch nicht passieren.
Alexander Zeitelhack: Aber gibt es denn da einmal die Woche Meetings zwischen Programmdirektion und Vertrieb, in denen das nächste Vierteljahr strategisch geplant wird? Also: Wie hat sich die Zuhörerschaft entwickelt? Welche Lifestyles stehen dahinter?
Das Ganze müsste dann mit den Ideen und Markenzielen der Werbekunden verbunden werden, damit man diesen eine gemeinsame Strategie vorschlagen kann, bevor der Kunde überhaupt selbst auf die Idee kommt.
Yvonne Malak: Ich war in einem Sender Programmdirektorin, da haben wir das so gemacht und ich glaube, dass die das heute immer noch so machen. Aber Du hast völlig Recht, dass so etwas in kleineren Sendern, wo man einfach auch weniger Personal hat, oft vernachlässigt wird und dass das eine wichtige und gute Sache wäre. Das ist eigentlich eine super Anregung, über die es sich lohnt nachzudenken.
Ein Treffen einmal in der Woche ist vielleicht etwas viel, weil es am Ende an der Abstimmung mit den engen Terminkalendern scheitert. Aber zweimal im Monat ist wahrscheinlich eine realistische Größenordnung. Und wenn man es nur für ein halbes Jahr macht, um das dann hinterher mal zu evaluieren und zu sagen: „Das hat etwas gebracht. A, B und C sind so und so umgesetzt worden.“ Oder: „Das hat nichts gebracht, wir lassen das wieder bleiben.“ Finde ich einen super Vorschlag.
Verhindert die Medienaufsichtsbehörde kreative Werbeformen?
Alexander Zeitelhack: Ein Nebenfaktor, der dann noch mit reinspielt, sind evtl. unsere Medienaufsichtsbehörden, die dann, wenn wir kreative gemeinsame Sonderwerbeformen oder Promotions machen, immer mit Werberichtlinien und Ähnlichem drohen. Das ist so ein Störfaktor am Rande, der dazu führt, dass viele Geschäftsführer dann in einer Art vorauseilendem Gehorsam agieren und dann vom Mut verlassen werden, etwas Neues zu machen.
Yvonne Malak: Diese Erfahrung kann ich nicht ganz so teilen. Allerdings haben wir hier in Berlin auch eine andere Marktsituation mit fast 30 Sendern on air. Die Medienaufsichtsbehörde würde das hier wahrscheinlich gar nicht so hinkriegen, alle die ganze Zeit zu überwachen. Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder andere gelegentlich knapp an den Auflagen vorbeischrammt. Allerdings kenn ich keinen Fall, wo ein Sender einen anderen wegen einer Sonderwerbeform angezeigt hätte. Natürlich kann man massiv Ärger bekommen, wenn man sich nicht an die Auflagen der Medienbehörden hält. In meiner Erfahrung gibt es aber eher Ärger, wenn man sich nicht an die vereinbarten Zeiten und Mengen für Wortbeiträge hält, als wenn man mal eine etwas kreativere Sonderwerbeform on air bringt. Ich wüsste jedenfalls nicht, dass wegen einer kreativen Sonderwerbeform schon mal ein Sender seine Lizenz verloren hätte. Vielleicht muss man manchmal einfach mal mutig sein und schauen, was wirklich passiert.
Alexander Zeitelhack: Also Mut braucht es. Ich muss sagen, dass ich sehr viele Verkaufsleiter kenne, die sich nicht trauen, diese Art von Mut bei den Kollegen in der Programmdirektion oder der Geschäftsführung einzufordern. Da wird dann resigniert und man geht zurück zum Üblichen.
Der Radiopionier Alexander Zeitelhack war maßgeblich am Aufbau der bayerischen Radiolandschaft beteiligt. Er war u.a. als Dozent und Geschäftsführer am Georg-Simon Ohm-Hochschule Nürnberg aktiv. Neben seiner Tätigkeit als Unternehmer-Berater betreute er in den letzten 15 Jahren in seinem Zitronenseminar hunderte von Mediaberatern.
Yvonne Malak durchlief in ihrer Karriere beinahe alle Positionen der Radiobranche. In den Jahren 2000-2006 war sie als Programmdirektorin für Rekordeinschaltquoten dreier Sender verantwortlich. Seitdem berät die Buchautorin und Inhaberin der Firma „my radio“ Gund Radiosender in allen Fragen der Gesamtstrategie und des Tagesgeschäfts.