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Immer mehr Menschen hören Radio und Chuck Norris wird der nächste Papst

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Von Michael Praetorius

Am Mittwoch werden die neuen Reichweitenzahlen für die Radiosender in Deutschland bekannt gegeben. Ich halte diese Umfragen inzwischen für einen Witz. Ich rechne damit, dass sich alle Sender wieder als Gewinner feiern:

„Noch mehr Hörer, die nach 19.00 Uhr per Festnetz erreichbar waren, geben in der halbjährlichen Umfrage an, sich an einen Radiosender zu erinnern, den sie gehört, beziehungsweise von dessen Plakat oder Gewinnspiel sie Notiz genommen haben. Die Sender werden dies als Votum für das Radio interpretieren und sich freuen, dass sie bei Alt und Jung als Tagesbegleiter Nummer 1 nicht mehr wegzudenken sind. “ (Ende der Realsatire).

Manipulation & Inszenierung ein Teil des Systems?

Heute hat mich die Redakteurin eines öffentlich-rechtlichen Senders für eine Hintergrundrecherche angerufen: Ob ich belegen könnte, dass Sender bei ihren Gewinnspielen Skandale inszenieren, um sich mit Sensationen in die Presse zu bringen. Ich bin in das Tagesschäft der Sender zu wenig eingebunden, um dies bestätigen oder verneinen zu können. Aber eines kann ich sagen: Einige Sender begehen in der heißen Phase der Umfragen Verbrechen an meinen Ohren, um mir im Gedächtnis zu bleiben.

Das mag aber an mir liegen: Ich persönlich mag die Lautstärke der Sender nicht, mit der sie sich in der heißen Umfragezeit überschlagen. Radiogewinnspiele sind aber bei vielen Hörern äußerst beliebt, wie Wettbewerbe eben überall sonst so eben auch.

Ich halte es aber für doppelzüngig, wenn der brave Öffentlich-Rechtliche hier die Privaten an den Pranger stellt und ihnen Manipulation bei den Umfragen durch PR-Aktionen vorwirft. Wenn es um die Erhebung der Quote geht, sind private wie öffentlich-rechtliche Sender Teil des Systems. Und dieses System strotzt vor Intransparenz und der Gefahr der Manipulation.

Die Einschaltquoten beim Radio strotzen vor Intrasparenz und der Gefahr der Manipulation

Die Umfragemethode der Medienanalyse macht die Sender erfolgreich, die den Hörern am besten im Gedächtnis bleiben. Die Quoten werden halbjährlich per Telefonumfrage erhoben. Während dieser Umfragezeit plakatieren öffentlich-rechtliche wie private Sender die halbe Republik zu und sind mit den spektakulärsten Gewinnspielen oder Programmaktionen am Start. Mit einer Antwort auf die Frage, „Welchen Sender haben sie heute morgen beim Aufstehen gehört“, hat das nichts zu zun. Mit dieser Quotenerhebung wiegen sich Sender in trügerischer Sicherheit.

Mit der Medienanalyse wiegen sich Sender in trügerische Sicherheit

Es ist gerade zu lächerlich, wie sich Sender ihre so zweifelhaft erhobene Reichweite neiden und darüber hinaus voller Verachtung zu Plattformen wie YouTube oder Spotify sehen. Diese Plattformen kennen den Musikgeschmack und die Verweildauer ihrer Nutzer in Echtzeit. Mit einer besseren Reichweitenerhebung könnten viele Sender das bessere Musikprogramm machen. Bislang profitieren Radiosender auch nicht vom wachsenden Markt für Online-Werbung. Wie auch, das Digitalste was Radiosender mit medienpolitischer Kraft nach vorne gebracht haben ist DAB+. Die Einschaltquoten der Radiosender interessieren Werbekunden schon lange nicht mehr. Der Marktanteil von Radio liegt bei 6% des Werbekuchens.

Werbekunden sind von den klassischen Werbemedien wie Radio oder TV unabhängiger geworden. Marken werden selbst zu Publishern, sie entwicklen eigene Contentstrategien und nutzen soziale Netzwerke und Plattformen zur Verbreitung ihrer Inhalte. Dazu kommt ein immer besseres Targeting, wenn es darum geht, Zielgruppen auf dem direkten Weg mit Werbung zu erreichen.

Wie gut Marketing in sozialen Netzweken funktioniert, können die Radiosender ihren Werbekunden selbst erklären: Die Facebook-Seiten von Radiomoderatoren oder Sendern zählen zu den Aktivsten. Ein Drittel der Bevölkerung erreichen Marken inzwischen über Facebook – da könnten sich Sender sogar ihre Plakatkampagne sparen und lieber online investieren, um Hörer gezielt zu erreichen.

Performance statt Reichweite

Auf den ersten Blick stagniert die Online-Werbung gerade, Online-Vermarkter wachsen weniger. Betrachtet man es genauer, fließt mehr Geld in Google- und Facebook-Anzeigen, die ein noch genaueres Ausliefern der Werbemittel an granuliert kleine Zielgruppen ermöglichen. Zudem verstehen immer mehr Werbetreibende die Effekte dieser Werbemaßnahmen genauer zu planen und zu analysieren: Erst lenke ich eine möglichst gezielt angesprochene Zielgruppe auf mein Website und überprüfe direkt, welche Ansprache, welche Zielgruppe oder welches Werbemittel wieviele Käufe erzielt hat. Wenn ich heute eine Facebook-Anzeige schalte, kann ich beispielsweise festlegen, dass nur xjährige Frauen aus der Region XY, die Marke XY mögen, die Anzeige eingeblendet bekommen sollen. Im Anschluss kann ich tracken, wie viele von den Angesprochenen tatsächlich durch die Anzeige auf meine Webseite und in meinen Webshop gekommen sind. Dem können Radiosender heute nichts entgegensetzen. Das Argument Reichweite ist schwerer verkaufbar.

Ein positv zu erwähnendes Beispiel ist hier der Sender Absolute Radio in Großbritannien: Dessen Hörer können ein breites und dennoch auf sie zugeschnittenes Angebot wahrnehmen, wenn sie im Webradio eingeloggt sind. Auch die BBC verwendet für ihren iPlayer ein Login, das sogar mit Facebook verknüpft werden kann. Daraus ergibt sich ein enormes Wissen über Hörer, deren Interessen, Hörgewohnheit und draus resultierende Targetingmöglichkeiten.

Was dem Verleger sein Papier, ist dem Radio sein UKW

Ich kenne kaum Radiomacher, die an Personalisierung oder Targeting im Radio glauben. In vielen Gesprächen habe ich die Angst herausgehört, die Medienanalyse in Frage zu stellen. Zudem sei so etwas ja ohnehin nur online möglich. So what! Die Zukunft des Radios ist auf dem Handy und im Netz, und damit meine ich nicht die nächste App, sondern eine breite Palette von Angeboten, die online unterwegs verfügbar und nutzbar sein sollten. Hier gäbe es für die Sender eine große Chance, ihre überladenen Websites aufzuräumen und sich auf das zu konzentrieren, was dem Hörer unterwegs den größten Mehrwert liefert. Außerden sollten sich Sender massiv in die Debatte um die Netzneutralität einschalten und versuchen, ihre Programme bestmöglich zu streamen.

Nahezu jede Stereoanlage oder jeder Fernseher hat einen Online-Zugang. Viele Autos haben den USB-Anschluss für das Smartphone und können den Sound von Apps wie Spotify oder Radiosendern wiedergeben. Da fällt uns doch was Schlaueres ein, als alle sechs Monate Menschen nach 19.00 Uhr via Festnetz zu fragen, welchen Sender sie gehört haben.

 

Michael Praetorius
Michael Praetorius

Der Autor Michael Praetorius, geboren 1978 in München, lebt heute als Publizist und Medienberater in München und Berlin. Dort leitet er die Geschäfte der NOEO GmbH. Michael Praetorius ist langjähriger TV- und Hörfunkjournalist. Zudem ist er Dozent für Journalismus, Medienmanagement und Social Media. Privat agiert er als Video-Blogger in der Münchner Isarrunde und Berliner Spreerunde.

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