Digitaler Radiodschungel: Wo ist das Plus?

DAB-DRMIm August 2011 fand der offizielle Neustart des digital-terrestrischen Rundfunks in Deutschland statt. Der verwendete Standard ist wohlbekannt: DAB+, wobei das Plus unter anderem für die Verwendung eines neuen Audio-Codecs namens AAC+ steht, der künftig in den Radios werkeln und mehr Radioprogramme bei unverändert großer Bandbreite im Frequenzspektrum übertragen soll. Die erfolgreiche Etablierung von DAB+ verlangt viel Geduld, finanzielle Mittel und Überzeugungskraft – und kommt nun langsam ins Rollen, wie kürzlich von der Gesellschaft für Konsumforschung angedeutet wurde. Doch eine gemeinsame Presseaussendung der TU Kaiserslautern und der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz ruft einen anderen Standard zurück ins Gedächnis: DRM+.

DRM-Testsender
DRM+-Testsender auf der IFA 2009.

Wer sich nicht intensiv mit Rundfunktechnik beschäftigt, den dürfte diese Bezeichnung höchstens an einen Kopierschutz namens Digital Rights Management erinnern. Tatsächlich steckt in diesem Zusammenhang aber ein anderer Begriff dahinter: Digital Radio Mondiale. 1997 gründete sich das DRM-Konsortium zur Verbreitung dieses Rundfunkstandards, der zunächst nur den Lang-, Mittel- und Kurzwellenbereich revolutionieren, d.h. digitalisieren sollte. Die Vision klang schmackhaft: Diese Frequenzbereiche, die leicht mit einem einzigen Sendemast ein ganzes Land versorgen können, sollten durch die digitale Übertragung mit kristallklarem Klang wieder für nationale und internationale Rundfunksender interessant werden. Große Namen wie die Deutsche Welle, die BBC, RTL, Deutschlandradio, NHK aus Japan, die russische Rundfunkgesellschaft, All India Radio oder Radio France einigten sich darauf, diesen Standard zu erproben und durch attraktive Inhalte zum Erfolg zu führen. RTL wollte sogar an seine glorreichen Anfangstage anknüpfen und mit einem englischen „Radio Luxembourg“ wieder auf dem britischen Markt Fuß fassen, die Deutsche Welle begann ein Mischprogramm aus Information und Musik. Ein spannendes Unterfangen.

All diese Vorhaben waren alles andere als erfolgreich, sodass die Deutsche Welle kürzlich ihre erst vor 10 Jahren für Millionen von Euros renovierte DRM-Sendestation in Portugal, die den gesamten europäischen Kontinent mit Digitalradio versorgen konnte, abreißen ließ. RTL baute seine Sendeanlage im luxemburgischen Junglinster ebenfalls wieder zurück, für DRM scheinen sich ernsthaft nur noch Brasilien, die Stimme Russlands und All India Radio zu interessieren. In Europa dürften die wenigen verbliebenen DRM-Sendungen zu keiner Revolution im Kurz-, Lang- und Mittelwellenäther mehr führen. Es ließ sich kein gemeinsames Marketingkonzept finden – und keine ausreichende Anzahl an gut funktionierenden DRM-Empfängern. Andere Schönheitsfehler wie bei vielen Sendern schlecht optimierte Audiosignale, die bei Datenraten von maximal 26-30 kbps (AAC+) zu blechernem Klang führten, taten ihr übriges.

Übersicht über DRM auf den Rundfunkbändern
grobe Übersicht über die Rundfunkbereiche und ihre Verwendung. Quelle: DRM-Konsortium (drm.org)

Doch das DRM-Konsortium ließ weiter entwickeln – und das „alte“ DRM in „DRM30“ umbenennen, da es bis 30 MHz verwendet werden kann. Für alle Frequenzen darüber wurde DRM+ entwickelt. Im Gegensatz zu DAB+ weißt das Plus auf keinen anderen Audiocodec hin (bekanntlich setzt DAB im Vergleich zu DAB+ noch auf MP2 und nicht auf das neue AAC+), sondern auf andere technische Paramenter wie eine veränderte Bandbreite des Digitalsignals und selbstverständlich den unterschiedlichen Frequenzbereich. Der Vorteil von DRM+: Auf UKW etablierte Sender können theoretisch ihre alten, längst zugewiesenen UKW-Frequenzen für Digitalradio nutzen oder neben dem analogen Signal einen digitalen Datenstrom (etwa bestehend aus einem oder zwei Radioprogrammen oder programmbegleitenden Daten) aufbauen. Das ist praktisch. Anders als beim gegenwärtigen Status von DAB+ hat man zudem den eigenen Multiplex nicht zwingend mit anderen Sendeanstalten zu teilen und kann ihn verwalten, wie man möchte. Im Gegensatz zum amerikanischen HD-Radio soll sich DRM+ außerdem besser in das europäische, dichtbesiedelte Frequenzband eingliedern.

Die Probleme, die vor DRM+ stehen sind riesig: Es gibt bisher keinen einzigen Sender, der dieses Format regulär nutzt und keinen einzigen serienfertigen Empfänger für DRM+. Dass zumindest letzteres Problem nicht unlösbar sein muss, bewiesen nun die Studenten der TU Kaiserslautern, die mit oben genannter Presseaussendung auf ihre Arbeit aufmerksam machten. Sie bauten in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut Software und Erscheinungsbild des bekannten NOXON DAB+-Sticks so um, dass dieser neben UKW, DAB+ und DVB-T auch den neuen Standard DRM+ empfangen und dekodieren und in Form eines Kofferradios für weitere Versuche genutzt werden kann. Die Projektpartner erhoffen sich nun, dass diese Entwicklung auch andere Hersteller dazu anregt, über Multinormgeräte mit DRM+-Empfang nachzudenken und auch das DRM-Konsortium mit Sitz in London von ihrer Arbeit inspiriert wird.

vE6aFeD2eMw

 

Offen bleibt jedoch die Frage, ob ein weiteres System wie DRM+ wirklich noch für den deutschen Markt interessant sein kann. Schließlich würde dies bedeuten, dass man mit den bisher bekannten Digitalradios zwar überregionale DAB-Sender, aber keine in DRM+ sendende Lokalstationen empfangen kann. Eine Verwirrung durch ein zusätzliches System wäre zumindest in den kommenden Jahren für die Entwicklung des digitalen Hörfunks eher hinderlich als hilfreich. Zudem bieten sich auch für kleine Lokalsender Möglichkeiten, mit einem eigenen DAB-Multiplex auf Sendung zu gehen. Ein kleiner Lokalfunker in Dänemark beweist dies anschaulich. In einem eigenen, relativ einfach zu realisierenden DAB-Bouquet können auch kleine Lokalsender von den Marketingoffensiven der „großen“ profitieren und zudem eigene Zusatzdienste bzw. Sonderprogramme on air bringen. Das ist eine Win-Win-Situation – und da ist das Plus.

Jedes System hat seine Vorteile – und auch die Verbreitung von Radioprogrammen über das Internet bzw. LTE und UMTS und die Verwendung von Multinormgeräten hat ihren Reiz. Doch fast schon wichtiger als das bessere System ist ein fester Standpunkt und ein klares Konzept, das entweder aus einem der beiden Systeme oder einem Mischbetrieb besteht – falls es nicht für einen „neuen“ Standard wie DRM+ schon zu spät ist. Entscheidend ist, sowohl Hörern, Sendern und Geräteherstellern einen klaren Weg in der digitalen Radiozukunft weisen zu können und keinen unübersichtlichen, aus Versuchsbetrieben und immer neuen Modifikationen bestehenden Trampelpfad durch den Dschungel der Digitalradiostandards zu kredenzen.

Weiterführende Informationen:
Open Digital Radio (Informationen und Links für kleine DAB-Multiplexe)
Details zu den DRM-Tests an der TU Kaiserslautern
DRM-Testempfänger integriert in einem Tablet (Video)
DRM-Testfahrt in Edinburgh (Video)