liquid.radio: „Ein Demokratieexperiment“

liquid radio bigDaniela Reinking absolvierte ein Journalistikstudium, schrieb ihre Bachelorarbeit über den NDR und arbeitete als Werbetexterin. Nach dem sie sich in einem Blogeintrag über die Charakterlosigkeit von Morningshows im deutschen Radio äußerte, entstand eine neue Idee: Radio muss demokratischer werden. Innerhalb weniger Monate wurde aus dem ersten Einfall ein konkretes Projekt. liquid.radio soll am 21. Dezember erstmals senden. RADIOSZENE sprach mit der Gründerin, Daniela Reinking, über das Konzept des Internetsenders, das demokratische Auswahlverfahren und auf welcher Weise sich liquid.radio von anderen Internetsendern abheben will.

RADIOSZENE: Was sollen wir uns unter liquid.radio vorstellen?

Fachjournalistin Daniela Reinking
Fachjournalistin Daniela Reinking

Reinking: Jeder Radiosender spielt auf die eigene Zielgruppe angepasste Musik. Allerdings gibt es unzählige Hörer, die einen vollkommen anderen Musikgeschmack haben als der sogenannte Durchschnittshörer. Wer bei den kommerziellen Radiosendern seine Lieblingssongs nicht hört, benutzt häufig Streamingdienste wie Spotify. Diese Entwicklung spielt seit kurzer Zeit eine wichtige Rolle. liquid.radio ist ein Nicht-Radiosender nach dem Prinzip des Liquid Feedback. Es gibt keine starre Zielgruppe, sondern die Hörer sind selbst die Chefredakteure, die über das Programm entscheiden.

RADIOSZENE: Wie soll das umgesetzt werden?

Reinking: Über unsere Website und auch bei Facebook haben wir vor einigen Wochen erstmals aufgerufen, uns Songs oder Künstler vorzuschlagen. Aus allen Empfehlungen stellen wir anschließend eine Umfrage zusammen. Die Künstler bzw. Songs mit den meisten Stimmen werden in das aktuelle Programm von liquid.radio aufgenommen.

RADIOSZENE: Das hört sich nach einem rein musikalischen Programm an.

Reinking: Ja, zunächst. In der Anfangszeit spielen wir ausschließlich die gewählten Songs – ohne Wortbeiträge. Somit spricht liquid.radio nicht nur deutschsprachige Hörer an. Es haben zum Beispiel auch Menschen aus Spanien und Tschechien an der ersten Abstimmung teilgenommen.

RADIOSZENE: Bleibt das auch zukünftig so?

Reinking: Nein, liquid.radio soll 2013 auch durch Wortbeiträge erweitert werden. Auch bei den Inhalten gilt das demokratische Prinzip. Themenvorschläge werden gesammelt und zum Schluss wählen die Hörer, welchen Beitrag wir realisieren sollen. Natürlich sind journalistische Beiträge auch im kommerziellen Radio auf die jeweilige Zielgruppe ausgerichtet. Allerdings entscheidet der Redakteur schon bei der Auswahl der Themen mehr subjektiv als auf den eigentlichen Wunsch der Hörer zu achten.

RADIOSZENE: Wie bist du auf diese Idee gekommen?

Reinking: Vor einigen Monaten habe ich auf meinem Blog einen Eintrag gemacht, in dem ich mich über die Qualität des Hörfunks geärgert habe (vgl. Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Radiomoderatoren zur besten Sendezeit). Ich finde, dass Morningshows im Radio heutzutage kein Wiedererkennungswert mehr besitzen. Ich wundere mich, warum die kommerziellen Sender alle im Gleichschritt marschieren. Man kann als Hörer weder den individuellen Charakter der Moderatoren noch der Musik wahrnehmen. Danach bin ich zum Entschluss gekommen, dass es eigentlich auch anders funktioniert: der Hörer muss die Wahl haben, das komplette Programm mitzugestalten. Diese Idee habe ich dann bei der „Gründer Garage“ vorgeschlagen und wurde zur Teilnahme nominiert. Voraussetzung sind innovative Unternehmensideen.

RADIOSZENE: Das Wort „liquid“ ist durch die Piratenpartei in aller Munde. Gibt es mit der Partei einen Zusammenhang?

Reinking: Nein, hier besteht überhaupt kein direkter Zusammenhang. Diese Frage wurde mir in den letzten Wochen aber schon häufiger gestellt. Ich habe mich mit dem Sendernamen auch nicht an der Piratenpartei orientiert. Es geht hierbei vorrangig um direkte Hörerbeteiligung. Wir sind ein vollständig demokratisches Radio. Das schließt ja nicht nur die Auswahl der Künstler ein sondern auch Reaktionen. Damit scheint mir der Begriff perfekt für meine Idee geeignet zu sein.

Bandinterview von Daniela Reinking mit The Used für Kultra-fm
Bandinterview von Daniela Reinking mit The Used für Kultra-fm

RADIOSZENE: Wann startet der Stream?

Reinking: Wir werden ab dem 21. Dezember für jeweils zwei Stunden auf der Frequenz von Kultra FM senden. Aus finanziellen Gründen müssen wir erst einmal auf den vorhandenen Stream meines Kooperationspartner Jens Hecker zurückgreifen. In Zukunft wird es aber auch einen eigenen Stream für liquid.radio geben.

RADIOSZENE: Es gibt unzählige Internetradios. Glaubst du, dass liquid.radio trotz starker Konkurrenz bestehen kann?

Reinking: Viele Projekte scheitern. Das weiß ich auch aus eigener Erfahrung. Es gibt keinen platz für mehr Sender, die sich auf eine bestimmte Musikrichtung spezialisieren. Der Markt ist gesättigt. Heutzutage können sich nur noch innovative Sender behaupten. liquid.radio wird sich allein schon durch das demokratische Prinzip aus der breiten Masse abheben.

RADIOSZENE: Ein neues Radioprojekt zu realisieren, kostet Geld. Wie finanziert sich liquid.radio?

Reinking: Noch finanziere ich liquid.radio aus meiner eigenen Tasche. Aber diese Tatsache soll sich in Zukunft natürlich ändern. Das Radioprojekt benötigt in erster Linie Aufmerksamkeit. Danach werden wir hoffentlich auch Sponsoren finden.

RADIOSZENE: Vielen Dank für das Gespräch.

Reinking: Sehr gerne.

 

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