MA-SPEZIAL: Overselling abgestraft

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Es sind nicht die tollsten Nachrichten für das öffentlich-rechtliche System. Da ist zum einen der jahrzehntelange Versuch, private Sender unter die Fittiche der hauseigenen Werbevermarktung zu nehmen, endlich schiefgegangen. Darin steckte ohnehin ein Systembruch, den man einem Außenstehenden kaum hätte erklären können. Ausgerechnet das ach so antikapitalistisch-unkommerzielle ARD-System besorgte die kommerzielle Verwertung privater Sender, namentlich die der RTL-Gruppe.

Und dann verlieren die öffentlich-rechtlichen Sender auch noch insgesamt an Gewicht gegenüber den privaten Radios. Vergleichen wir die Zahlen des Vorjahres mit den aktuellen Werten, dann verlieren die ARD-Stationen in der sogenannten Zielgruppe (14 bis 49 Jahre) 171.000 Hörer pro Stunde, während die privaten 140.000 dazugewinnen. Über alle Altersgruppen hinweg gewinnen die Öffentlich-rechtlichen 34.000 Hörer, die privaten allerdings satte 399.000.

Für die ARD-Vermarkter ist das doppelt schlecht. Die AS&S-Kombis haben eh schon überwiegend verloren, jedenfalls im nationalen Maßstab. Die RMS konnte im Vorjahresvergleich dagegen ihre Reichweiten halten oder ausbauen. Mit dem Wechsel der RTL-Stationen ins RMS-Lager verstärkt sich der Trend. Radio ist ab sofort privat dominiert.

Woran liegt‘s?

Arg gefläddert wurden MDR Jump, die populären Wellen des Bayerischen Rundfunks oder das hessische HR 3. Ausgerechnet diese Programme klingen kommerzieller als das kommerziellste Kommerzradio. Musikauswahl, Promotions, Moderationsstil – der Sound der Gebührenfunker ist der streckenweise der Sound von Heizdeckenverkäufern auf Kaffeefahrt. Offenbar haben die Kollegen in den Funkhaus-Türmen nicht bemerkt, dass die private Konkurrenz schon seit einigen Jahren sensiblere Töne pflegt und ihren Markenstil an die Lebenswirklichkeit der Menschen anpasst. Ein Wort wie „Overselling“ scheint bei den Öffis noch nicht angekommen zu sein.

Damit sind die Privaten ein weiteres Mal die Trendsetter, denn die öffentlich-rechtlichen Anstalten werden ihnen das jetzt, wo die Zahlen auf dem Tisch liegen, nachmachen wie sie zuvor die Trends zum Formatradio nachmachten. Kurios ist nur, dass es diesmal ausgerechnet die Kommerziellen sind, die die mit Bildungs- und Erziehungsauftrag bedachten Gebührenfunker an Diskursbereitschaft übertreffen.

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Zwecks Transparenz: Ich hätte liebend gern mehr über die spezielle Lage in Bayern geschrieben, aber als Mitarbeiter von Antenne Bayern fühle ich mich befangen. Der Erfolg, den meine Kollegen erzielt haben, ist der schiere Überhammer.
 

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist.

E-Mail: christoph@radioszene.de