Zwei erwachsene Menschen lernen sich kennen. Sie siezen sich. Siezend reden sie miteinander. Nach einer Weile finden sie sich nett. Das Gespräch wird persönlicher. Irgendwie passt das Siezen nicht mehr. Sie siezen noch ein Weilchen herum, bis sich einer traut und fragt, ob man nicht zum Du wechseln könne. Der andere sollte sich gut überlegen, ob er einwilligt. Denn der Vorgang funktioniert nur in eine Richtung: Vom Sie zum Du. Umgekehrt geht nicht. Zurück vom Du zum Sie wäre ein Affront.
Den leistet sich gerade das einstige Jugendprogramm des MDR namens Jump gegenüber seinen Hörern. Mit der Programmreform, die letzten Montag on Air ging, wechselten die Moderatoren vom Du zum Sie. Die Überlegungen dahinter mögen unter technokratischen Marktgesichtspunkten sinnvoll sein. Jump erreicht pro Stunde 312.000 Hörer in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zusammen. Das private SAW hat allein in Sachsen-Anhalt 370.000 Hörer. Das Durchschnittsalter der Jump-Hörer beträgt 29 Jahre. Vor allem für den kinderlosen und rapide wegalternden Osten ist das blöd. Reichweitenführer müssen hier die Älteren erreichen. Von wegen Jugendwahn – der übrigens tatsächlich nie existierte, sondern schon immer nur eine Erfindung der meinungsführenden Alten war.
Aber die Umsetzung war derart unüberlegt, dass es den Machern schon am ersten Tag die Laune verdarb. Vom frühen Morgen an lasen sie mit, wie empörte Hörer auf der Facebook-Pinwand von Jump ihre Wut über den Entzug des Du abließen. Ihre Reaktionen waren so hilflos wie die Rechtfertigungsaggressionen von Guido Westerwelle wegen seiner vergeigten Libyen-Politik. „Ach Leute“, stöhnt „Miriam_MDR Jump“. Das Team sei sich natürlich bewusst gewesen, dass Veränderungen „eher als störend oder ,falsch‘ wahrgenommen werden“ könnten. Aber man habe „nichts dem Zufall“ überlassen.
Wie solches planmäßige Vorgehen unter Ausschluss des Zufalls aussehen könnte, kann man sich leicht vorstellen. Vor lauter Tabellen mit Research-Daten haben die Staatsfunker und ihre Berater offenbar den Faktor Mensch übersehen. In den 80er und 90er Jahren wurde von selbst ernannten Radiogurus noch halbwegs zutreffend als Neuigkeit verkündet, das Radio sei dem Hörer wie ein guter Freund. Er nehme es überall mit sich, weil es mit ihm spreche. Aber manches, was die Planer in den Sendern heute veranstalten, wirkt ein bisschen wie die von Bäumen verstellte Sicht auf den Wald.
Auch die MDR-Marken-Experten scheinen gespürt zu haben, dass das, was Miriam_MDR Jump eine veränderte „Ansprechhaltung“ nennt, eine heikle Sache ist. Immerhin wechselte der MDR das Morgen-Team aus. Hätten dieselben Moderatoren ihre Hörer gesiezt, die sie vorher jahrelang duzten, wäre das Glaubwürdigkeitsproblem noch rabiater ins Ohr gesprungen.
Man wolle „erwachsener“ klingen, schreibt Miriam_MDR Jump auf ihrer Facebook-Seite – und macht das Dilemma damit auch noch les- und sichtbar. Denn so missglückt die „Ansprechhaltung“ on Air ist, so missglückt ist sie auch online. In ihrem Trägertop und den Hot Pants sieht Miriam_MDR Jump so gar nicht nach Siezen aus. Und ehrlich gesagt: Ich glaube noch nicht mal, dass sie wirklich Miriam_MDR Jump heißt.
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.
E-Mail: christoph@radioszene.de