Die fünfte Kolonne der Staatsfunker

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Es ist wohl ein weiteres Symptom für die viel beschworene Konvergenz der Medien, dass jetzt eine Szene von Bloggern die Regulierung von Rundfunkmedien diskutiert. Auslöser ist eine Kontroverse zwischen den Bloggern Mario Sixtus und Markus Hündgen einerseits und Springer-Öffentlichkeitsarbeiter Christoph Keese andererseits. Hündgen hatte mit der Feststellung vorgelegt, bild.de betreibe mit seinem Video-Angebot Rundfunk im medienrechtlichen Sinn, ohne dafür lizenziert zu sein. Es gab eine gewisse Emotionswelle, auch, weil Hündgens Beitrag auf einem Blog des ZDF und unter dem ZDF-Logo erschien. Blogger Sixtus spießte sodann einen Stockfehler Keeses auf, der ein von Sixtus geschossenes Foto in seinem Blog verwendete und vergaß, die Fotoquelle anzugeben. Das freute die Szene, u.a. den Münchner Blogger Richard Gutjahr, der die Ereignisse seinen Anhängern weitertwitterte. Gutjahr lobte in einem Tweet auch schon mal, dass das Magazin Panorama sein Archiv online stellte mit der Bemerkung: “Dafür zahl ich gern”.

Wissen sollte man, dass Gutjahr seine GEZ-Gebühr aus seinem GEZ-Einkommen bezahlt, denn er ist hauptberuflich Moderator des Nachtmagazins des Bayerischen Rundfunks. Sixtus wiederum ist der Elektronische Reporter des ZDF, unter desses Label Hündgen bloggt. Folglich wundert es nicht, wenn Hündgen – diesmal auf seinem Privatblog – schreibt, das Angebot von bild.de sei “problematisch”, weil es “rundfunkähnlich” sei und dann folgert, die Rundfunkregulierung in Deutschland bedürfe dringend einer “Anpassung an das Heute”. Kurioserweise fragt Hündgen dann den Springer-Mann Keese: “Was gedenken Sie zu tun, um den Rundfunkstaatsvertrag endlich ins 21. Jahrhundert zu bringen?” – als wünsche er sich, der Springer-Verlag könne einfach mal so ein Rundfunkregulierungsgesetz verfassen. Möglicherweise gehört Hündgen zu denen, die meinen, Gesetze sollten von Fachleuten und nicht von Volksvertretern verabschiedet werden, so, wie es in der Praxis inzwischen auch üblich ist. Etwa, wenn der Bundestag Formulierungen von Lobbygruppen in Gesetze gießt oder die Landesparlamente die Wünsche der Staatskanzleien und Intendanten durchwinken, wenn mal wieder eine Änderung des Rundfunkstaatsvertrags fällig ist. Öffentlich und kontrovers wird so etwas nicht diskutiert, jedenfalls bisher nicht. Aber vielleicht ändert sich das ja gerade.

Vielleicht kommen dann auch ein paar Fragen auf den Tisch, deren Beantwortung Szene und Politik bisher hartnäckig verweigern. Etwa die nach der Berechtigung einer rundfunkmäßigen Lizenzregelung für Audio- und Videostreams im Netz. Es sind im wesentlichen drei Gründe, die dafür immer wieder genannt werden:

  1. Das war schon immer so.
  2. Eine Grundversorgung muss es auch im Netz geben.
  3. Auswüchse müssen verhindert werden.

Der erste Grund ist schlicht lächerlich, so lächerlich wie die bestehende Regel. Die besagt, dass “rundfunkähnliche Angebote” bei einer beliebigen Medienbehörde angemeldet werden müssen. Lizenzpflichtig sind sie nicht, auch, wenn Behörden und Politik das gern hätten, aber vorerst nicht für durchsetzungsfähig halten. Wer die Diskussion mit Hinweis auf “Das war schon immer so” abwürgt, will keinen Diskurs, sondern ein Machtwort. Leider ist die Fraktion, die so denkt, in Kreisen von Politik und Szene sehr stark.

Wer mit der Grundversorgung argumentiert, unterstellt, dass eine wie auch immer geartete mediale Grundversorgung ohne staatlichen Eingriff nicht möglich wäre. Da wird dann gern auf Privatfernsehen oder Bild verwiesen, und das Privatfernsehen besteht dann nur aus Bauer-sucht-Frau-Shows und Bild nur aus Blut und Sex. Dahinter steckt ein handfestes Ressentiment gegen das Publikum, das Bauern, Frauen und Sex konsumiert. Dieses Ressentiment tritt noch deutlicher hervor, wenn man einwendet, dass die öffentlich-rechtlichen Sender mit Inga Lindström und Florian Silbereisen zu ähnlichem Schwachsinn fähig sind. Bei denen sei er berechtigt, ja: nötig, um die Leute abzuholen, um sie dann mit niveauvollen Informations- und Bildungsinhalten versorgen zu können. Im Klartext bedeutet das den Anspruch, das Volk zu erziehen. Eine Legitimation gibt es dafür nicht. Tatsächlich dient das Argument wohl eher zur Distinktion der Schicht der Medienmacher. Wir, die Schlauen, gegen die doofen Hörer und Zuschauer. Im Netz fürchtet die Kollegenschaft offenbar nichts mehr als den Einsturz der Pforten, die sie als Türsteher zu Information und Unterhaltung verwaltet und die sie gern auch im Netz sähe. Umso ärgerlicher für die Staatsfunker und -blogger, dass faz.net oder zeit.de ganz ohne staatlichen Auftrag weit niveauvoller sind als die Flut der öffentlich-rechtlichen Angebote und damit das Grundversorgungsargument endgültig bloßstellen. Vom Vergleich der Tagesschau mit der gedruckten FAZ wollen wir lieber gleich gar nicht reden.

Die Warnung vor Auswüchsen ist ähnlich motiviert. Da wird mit gewundenen Worten die Angst vor Hetze, Nazitum, Gewalt und sonstigem beschworen, als sei die Freigabe allen Medienhandelns gleichbedeutend mit dem Untergang des Abendlandes. Ähnlich redeten die Staatssender und ihre Unterstützer in den 80er Jahren, als es um die Einführung privaten Radios und Fernsehens ging. Die Welt ist dennoch nicht untergegangen, und die deutsche Gesellschaft ertrinkt auch nicht in Nazipropaganda und Gewaltpornographie. Die Warner ähneln konservativen Politikern, die jeden Zwischenfall ungeachtet seiner Relevanz für die Forderung nach freiheitseinschränkenden Gesetzen missbrauchen. Dass im Übrigen für jeden Medienschaffenden die Zivil- und Strafgesetze gelten, auch ohne besondere Medienregulierung, ignorieren die Freunde der Medien-Planwirtschaft.

Fatalerweise tragen die Verlage wenig bis nichts dazu bei, die Debatte voranzutreiben. Statt die Fronten zu klären und endlich die offene Debatte zu beginnen, kooperieren sie mit den Öffentlich-rechtlichen. Springer und Bild arbeiten bei der Gala “Ein Herz für Kinder” mit dem ZDF zusammen, Burda beim Bambi mit der ARD. Die WAZ ließ sich vom WDR die Videos für ihr Web-Portal liefern, bis der WDR die Zulieferung stoppte – aus Verärgerung darüber, dass die WAZ-Gruppe sich der Klage gegen die Tagesschau-App anschloss. Noch immer leisten sich die meisten Zeitungen sogenannte Fernsehseiten, die nichts anderes sind als redaktionelle Reklame für die andere Seite. Die Zeitungen fallen auch nicht dadurch auf, dass sie, wie es die Aufgabe von Journalismus wäre, die Mauscheleien der Länder-Staatskanzleien bei den periodischen Änderungen des Rundfunkstaatsvertrags aufdecken und die Landtagsabgeordneten mit Fragen traktieren, warum sie die stets unauffällig abnicken statt offen und grundsätzlich zu debattieren.

Dass die Öffentlich-rechtlichen das auch nicht tun, ist eh klar, denn für die geht es ja um die Geschäftsgrundlage. Bis in die Tagesschau hinein präsentieren die Staatssender ihrem Publikum in eigener Sache nur Propaganda und Selbstverkaufe. Unvergessen ist der Hetzfilm des SWR-Chefreporters Thomas Leif mit dem Titel Quoten, Klicks und Kohle. Der markierte so etwas wie den Angriff von ARD und ZDF im Web. Inzwischen sind sie deutlich in der Offensive und legen die letzten Skrupel ab. Dass das ZDF ein eigenes Blog betreibt ist clever, hat aber mit seinem Sendeauftrag nichts zu tun. In der Szene der staatstragenden Blogger haben sich die Anstalten ein loyales Vorfeld aufgebaut. Dem haben die Verleger – freilich aus eigenem Verschulden – nichts entgegenzusetzen. Das rächt sich jetzt.

 

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de