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GEZ-Republik Deutschland?

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Von Debatte kann man bisher nicht reden, und das ist wohl auch so gewollt. Das Thema wird hinter hohlen Floskeln versteckt. “Es geht um nicht weniger als einen kompletten Systemwechsel”, behauptete der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), letzte Woche vor seinem Landtag. Systemwechsel? “Weg von der Gebühr, hin zum Beitrag”, erklärte Sellering seinen Satz und ergänzte: “Der Staatsvertrag schafft mehr Beitragsgerechtigkeit für alle ehrlichen Zahler”. Übersetzen wir’s mal auf hochdeutsch: Künftig soll niemand mehr ungeschoren davonkommen. Auch der Nichtbesitz von Empfangsgeräten aller Art befreit nicht mehr davon, die Staatssender zu alimentieren. Und die, die bisher gezahlt haben, müssen nicht mehr neidisch sein auf die, die es nicht tun.

Solche Zumutungen werden sich in den nächsten Wochen wiederholen, wenn die Ministerpräsidenten der anderen Bundesländer ihren Landtagen ähnlichen oder identischen Mist erzählen. Erdacht wurde diese altdeutsche Argumentationslinie in der Staatskanzlei des gerupften rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), die in Mediensachen immer ganz vorn dabei ist. Still durchtauchen, hinter sedierenden Floskeln verstecken, lautet offenbar die Linie.

Denn die Ministerpräsidenten, die den Entwurf für den “15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag” allesamt gebilligt haben und jetzt zur Ratifizierung den Parlamenten vorlegen, wissen genau, dass eine breite Debatte ihren schönen Plan stören könnte. Die Staatssender sind ähnlich unbeliebt wie die Politiker (wen wundert’s, bei der Nähe). Das Reizwort GEZ ist ein Zünder, der den Bravsten zum Wutbürger macht.

Dabei ist schon jetzt klar, dass diverse Zusicherungen, mit denen den Bürgern die schamlose Ausweitung der Abkassiererei schmackhaft gemacht werden sollte, dreiste Lügen sind. Etwa die, die GEZ werde ihre amtlichen Haustürdrücker zurückpfeifen. Der Spiegel enthüllte am Wochenende, dass das Gegenteil geschehen werde. Die Eintreibertruppe soll um 400 Mann verstärkt werden. Erst langfristig sei geplant, die GEZ zu verkleinern. Auf diese Zusicherung freilich kann man pfeifen. Es wird sich schon etwas finden, sie zurückzunehmen.

Tatsächlich geht es beim neuen Rundfunkstaatsvertrag um die weitere Zementierung eines staatlich gelenkten Mediensystems, dessen Auftrag und Sinn niemand mehr versteht. Weiß irgendjemand aus dem Kopf, wie viele TV-Kanäle und Radioprogramme ARD und ZDF eigentlich bespielen? Wie viele Webseiten zu welchen Themen sie inzwischen im Netz haben? Dieses System ist außer Kontrolle geraten. Es kickt kommerzielle Anbieter dank unbegrenzter Geldmittel aus Sportrechteauktionen, wird in Hollywood dafür geliebt, dass es Rechte für A-Klasse-Blockbuster en masse zu nicht mehr konkurrenzfähigen Preisen erwirbt, so zahlreich, dass manche nur zu nächtlichen Randzeiten laufen können. Da werden Kitsch-Schmonzetten in Serie gedreht, da missbraucht der staatliche Fernsehsender seine Macht für lukrative Nebengeschäfte, etwa die Vermarktung der ZDF-Erfindung Inga Lindström auch im Buchmarkt.

Statt sich widerspruchslos mit inhaltsleeren Ansprachen wie der von Sellering abspeisen zu lassen, könnten sich die Angehörigen der ersten staatlichen Ländergewalten in den nächsten Wochen auch Meriten verdienen. Denn sie sind es, die die letzte Entscheidung treffen. Der Staatsvertrag tritt nur in Kraft, wenn er in den Rang eines Gesetzes erhoben wird. Diese Macht haben nicht die Ministerpräsidenten, sondern nur die Parlamente.

Eigentlich haben die Abgeordneten nichts zu fürchten. Ihre Wähler würden sie mögen, wenn sie den Mut hätten, endlich die Grundsatzdebatte über das öffentlich-rechtliche System zu führen. Sie würden sie auch dann mögen, wenn, wie zu erwarten, kritische Abgeordnete in den Landessendern mit massiver Schmäh-Propaganda überzogen würden. Ein einziger der 16 Landtage, der nein sagt, würde reichen, um den Staatsvertrag platzen zu lassen.

Es wäre ein guter Tag für die Demokratie. Einerseits, weil dem Machtstreben des staatlichen Mediensystem eine Grenze gesetzt würde, andererseits, weil ein Landesparlament seine originäre Aufgabe wieder ernst genommen und nicht einfach eine Vorlage der Exekutive durchgewinkt hätte.

 

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de

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