Von Ulrich Müller
Alle Jahre wieder. Es ist Mittwochmittag, Deutschland steht im Schweiß und röchelt auf dem Grillrost der Erderwärmung. Auf den Straßen brennt der Asphalt, dass selbst der Teer überlegt zu kündigen. Die Sonne steht nicht mehr am Himmel, sie sitzt auf meinem Gesicht und frittiert gerade meine Epidermis. In der Bahn tropft Schweiß von den Haltegriffen wie Fleisch-Sirup von einem alten Dönerspieß. Die Sitze kleben, Gedanken verdampfen.
Die Luft besteht aus 70% Körpergeruch und 30% Verzweiflung. Die Fenster der 2. Klasse schmelzen und die Menschen dahinter haben den Glauben an einen bewohnbaren Planeten verloren. Die Straßenbauer am Autobahnkreuz der A72 / A38 schreiben verzweifelte Abschieds-SMS an ihre Familien und gießen sich Bitumen über den Kopf, weil das kühler ist als die Atmosphäre. Im Stau daneben ein Mann in Leinenhose, der schneller schmilzt als die Fair-Trade-Schokolade auf der Rückbank seines SUV. Sein Hemd ist eine Landkarte menschlicher Erschöpfung, seine Augen zwei verspätete Gewitterwarnungen nach dem Blitzeinschlag. Das Einzige, was hier noch halbwegs frisch ist, ist das Tankstellen-Mettbrötchen auf dem Nebensitz. Noch genau 21 Sekunden lang.
Und aus dem Radio tönt – nein, nicht Trost, nicht Mitgefühl, nicht eine einzige launige Solidaritätsminute mit den sterbenden Geranien auf meinem Balkon. Sondern:
„Heyy Leute. Es ist suuuuperheiß heut, endlich! Perfekte Zeit für nen coolen Absacker am See nach Büroschluss. Herrlich, so ein Aperöööölchen, hm? Was will man mehr?“
Mehr? Ich will euch ansatzweise Verstand zurückschenken!
Wir schreiben 2025 und noch immer diese synthetische Impulsplauderei? Wirklich?
Diese euphorisch grinsenden Floskelfabriken klingen, als würden sie aus einer Tupperdose mit Endorphin-Inhalation senden. Als hätte man einem Glückskeks Vodka-Red-Bull eingeflößt und ihn dann auf Repeat gestellt. Als sei die Welt eine einzige Ibiza-Werbung mit Sprachstörung.
RadiomoderatorInnen, die so weit vom echten Leben entfernt sind wie Elon Musk vom Mindestlohn. Mit einem „Wooohooo! Endlich Sommääää!“ feiern sie Hitze, als sei sie ein Instagram-Filter für das eigene, gescheiterte Leben. Kein Wort zu Dürre, Waldbrandstufe, zu Ernteschäden oder zu hohen Ozonwerten und deren gesundheitlichen Folgen – oder zu den Leuten, die für Zwölf Fuffzig ihr Gehirn unter Bauhelmen grillen. Während das Land langsam im eigenen Schweiß auf einen sauberen Garpunkt zuläuft, senden bräunungsölgetränkte Tropenhirne direkt aus ihrer akustischen Parallelwelt: Aus dem klimatisierten Studio, in dem der härteste Gegner der Sommerhitze ein schlecht kalibrierter Ventilator ist, der gelegentlich das Haarspray verunsichert.
Und wenn draußen die Thermometer aus den Latschen kippen, dann wird im Radio die „Sommeroffensive“ gestartet mit „noch mehr Feel-Good-Songs von Jason Deruuuulo und gleich mehr heiße Beats zum Abkühlen…“ oder Hitze-Tipps wie „bleibt im Schatten, trinkt mal was und cremt euch ein!“ – ach was!? Ich dachte, ich soll mich um vier Uhr nachmittags in Alufolie wickeln und auf dem Mittelstreifen tanzen! Und welcher Sender wird wohl in diesem Jahr „Last Christmas“ im Juli spielen und sich für den Gipfel der Sommerironie halten?
Ich erwarte ja gar keinen tiefschürfenden Journalismus, aber ist euch überhaupt bewusst, für wen ihr da sendet und wie es denen grad geht? Handwerkern aufm Gerüst oder Dach, den Pflegekräften, Landwirten, Busfahrern, Schweißern, Menschen in Großküchen oder Gastro generell oder den Paketboten, die in Flipflops und leeren Augen durch die Hitzewüsten der Großstadt irren?
Und jetzt kommt etwas wahnsinnig Überraschendes: Für genau die sendet ihr!
Dass ihr damit die schändliche Definition vom „Dudelfunk“ selbst mit jedem weiteren DJ-Break in Grund und Boden manifestiert, ist das allen klar?
Jetzt mit der rechten Hand während der Autofahrt im Radio panisch umschalten zu wollen auf der verzweifelten Suche nach etwas weniger Volontariats-Diarrhö ist, als wolle man mit voller Absicht in eine laufende Kreissäge fassen. Es macht alles einfach nur viel schlimmer.
Was für eine Beleidigung des gesunden Menschenverstands. Radio war einst Infotainment, ganz nah dran, wahrhaftig und immer etwas zu hibbelig, na klar. Aber es war eine Bühne, ein Echo, ein „Wir“. Es war die Stimme der Gesellschaft und ist heute viel zu oft nur noch die Stimme aus dem Bällebad für Erwachsene. Dabei könnte gutes Radio so viel mehr. Es könnte reflektieren, einordnen, mitfühlen.
Liebe Radiomoderatoren, kleine Bitte: Bevor ihr das nächste Mal „Hitzefrei für alle!“ ruft, fragt doch vorher mal einen Gärtner, eine Erntehelferin oder jemanden, der wirklich arbeitet, was sie davon halten, wenn die Böden zu Staub werden und sich der eigene Kreislauf verabschiedet wie ein Politiker nach der Wahl.
Kommt zu euch, bitte. Unseretwegen! Der Hörer wegen. Und euretwegen. Denn je austauschbarer ihr als dauergrinsende Audio-Barbies und Happy-Talk-Zombies agiert, um so schneller seid ihr weg vom Fenster, ersetzt durch das Schreckgespenst namens KI. Und womit? Mit Recht!
Ihr alle wollt, dass Radio nicht stirbt. Dann hört auf, es selbst zu frittieren. Egal, wie heiß es draußen ist.
Danke.
Wir hören uns.

Ulrich Müller ist Radiomanager, Medienunternehmer und Kommunikationsexperte. Er war u.a. Programmchef von RADIO PSR, Geschäftsführer von Sendern wie Sportradio Deutschland, DRIVERS RADIO oder FEMOTION RADIO und Managing Partner bei namhaften Agenturen. Heute ist er u.a. STRATICS-Geschäftsführer und entwickelt bundesweite Audio- und Industriemarken, leitet Programminnovationen und berät Unternehmen in Strategie, Content und Brand. Ulrich lebt bei Leipzig.