Der interkulturelle Radiosender COSMO steht offenbar vor einschneidenden Veränderungen. Im Zuge geplanter Sparmaßnahmen innerhalb der ARD könnte das einzigartige Programm eingestellt oder in rein digitale Formate überführt werden. Dies hat eine Welle der Unterstützung ausgelöst: Fast 300 prominente Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Gesellschaft setzen sich mit einer Petition für den Erhalt von COSMO ein.
COSMO, ehemals Funkhaus Europa, wird gemeinsam vom Westdeutschen Rundfunk (WDR), Radio Bremen und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) betrieben. Der Sender zeichnet sich durch seine mehrsprachigen Inhalte und die Fokussierung auf migrantische sowie queere Perspektiven aus. Mit einem vielfältigen Musikangebot und redaktionellen Beiträgen erreicht COSMO Communitys, die sich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oft nicht repräsentiert fühlen.
Die Petition, die unter anderem von Herbert Grönemeyer, Fatih Akin, Luisa Neubauer und Claudia Roth unterstützt wird, hebt hervor, dass COSMO das einzige ARD-weite Radioprojekt ist, das konsequent mehrsprachig arbeitet und kulturelle Vielfalt fördert. Rapper Trettmann betont: “Für mich ist dieser Sender einer der wichtigsten Bausteine in der hiesigen Radiolandschaft und einer, der es schafft, die kulturelle Vielfalt zu wahren.”
Update vom 5. Juni 2025
Stellungnahme des WDR zur COSMO-Petition:
Im Moment prüfen alle Landesrundfunkanstalten in der ARD ihre Optionen, wie sie den Anforderungen des Reformstaatsvertrages nachkommen können. Eine Entscheidung darüber, wie der WDR seine Hörfunkwellen im Detail aufstellen möchte, gibt es erst nach diesem Prüfprozess.
Mit Blick auf COSMO können wir sagen: Wir wollen COSMO nicht abschalten, sondern weiterentwickeln. Denn wir sehen bei der Reichweite, dass wir das Potenzial des Programms noch nicht ausgeschöpft haben. Gleichzeitig ist es uns wichtig, Menschen mit Einwanderungsgeschichte weiter anzusprechen – immerhin ein Drittel der Bevölkerung in NRW.
COSMO-Aus: Entscheidung am 24./25. Juni 2025
Hintergrund der Diskussion sind ARD-interne Überlegungen, Radiowellen zu reduzieren und Programme stärker zu digitalisieren. In einer Sitzung des WDR-Rundfunkrats am 28. Mai wurde angedeutet, dass COSMO künftig vor allem in digitalen Formaten weitergeführt werden soll. Offizielle Entscheidungen hierzu sollen bei der ARD-Intendantenkonferenz am 24. und 25. Juni getroffen werden.
Für die Radiobranche in Deutschland stellt sich die Frage, wie mit spezialisierten Programmen wie COSMO umgegangen wird. Die Debatte berührt zentrale Themen wie kulturelle Vielfalt, Integration und die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer pluralistischen Gesellschaft. Die Petition kann unter innn.it/savecosmoradio unterstützt werden.
Die Unterschriften-Liste entwickelt sich sehr rasant. Innerhalb einer Stunde wuchs die Anzahl um einige Tausend Unterschriften auf derzeit knapp 21.500 (Stand 4. Juni 18:00 Uhr).
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Ein Blick zurück: Gastarbeiter-Sendungen – Funkhaus Europa – COSMO
Bereits seit den 1960er Jahren produzieren ARD-Sender spezielle Angebote für sogenannte „Gastarbeiter“. Damals fehlte es an Informationen in den Muttersprachen der neu angekommenen Migrantinnen und Migranten. Der Bayerische Rundfunk startete am 1. November 1964 mit Fremdsprachensendungen – ein Wunschkonzert bildete den Auftakt. Es folgten Nachrichten, Hörspiele, Sport und Reportagen in Italienisch, Spanisch und Griechisch. Der WDR übernahm Türkisch, später auch Jugoslawisch.
Mit der Jahrtausendwende änderte sich die Medienlandschaft. Migrantische Communities konnten zunehmend auf Inhalte aus der Heimat per Satellit und Internet zugreifen. Teile der ARD stellten ihre fremdsprachigen Programme ein. Doch nicht alle: 1998 beauftragten die Länder Nordrhein-Westfalen und Bremen den WDR sowie Radio Bremen mit einem neuen, explizit interkulturellen Programm: Funkhaus Europa. In Berlin sendete bereits seit 1994 SFB 4 Multi Kulti – 2009 abgelöst durch COSMO.
Heute ist COSMO ein einzigartiges Format: Musik, Reportagen, Podcasts und Nachrichten auf Türkisch, Kurdisch, Arabisch, Italienisch, Englisch, Serbisch/Kroatisch/Bosnisch und weiteren Sprachen. Es spiegelt das vielfältige Deutschland und erreicht laut aktueller Media-Analyse über 175.000 Hörerinnen und Hörer täglich – insbesondere im Rheinland, Ruhrgebiet und in Berlin.
Doch das Programm steht unter Druck. Grund ist der neue ARD-Reformstaatsvertrag, der den Sendern vorschreibt, die Zahl ihrer Radiowellen bundesweit von derzeit 70 auf 53 zu reduzieren. Jede Landesrundfunkanstalt muss dafür eigene Einschnitte prüfen.
Ein Newsletter des WDR-Rundfunkrats vom 28. Mai 2025 goss Öl ins Feuer. Darin heißt es: Man habe sich „über die Perspektiven des multikulturellen Radioprogramms COSMO informiert“. Die Geschäftsleitung betonte, man wolle weiterhin „Menschen mit internationaler Geschichte“ auf digitalen wie klassischen Wegen erreichen. COSMO solle sich stärker an den „tatsächlichen Bedürfnissen“ des Publikums orientieren. Inhalte würden verstärkt in Podcasts integriert. COSMO sei das erste WDR-Angebot gewesen, bei dem die Hälfte des Budgets in digitale Inhalte floss.
Die Kritiker:innen werten dies als Vorbereitung auf eine mögliche Einstellung. Die Petition fordert den Erhalt des linearen Angebots. Die Angst: Bei einer bloßen Verlagerung in digitale Formate gehe die niedrigschwellige Zugänglichkeit verloren – vor allem für ältere Hörer:innen, die weniger digitalaffin sind.
Besonders betroffen von den Reformvorgaben sind drei ARD-Sender: Radio Bremen, der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) und der Westdeutsche Rundfunk (WDR). Sie müssen entscheiden, welche Programme gestrichen, zusammengelegt oder digitalisiert werden.
In Bremen erlaubt der neue Staatsvertrag ab 2027 nur noch vier Programme. Sollten Kooperationen bestehen – wie derzeit bei COSMO und dem Kinderradio „Die Maus“ mit dem WDR – dürfen fünf Programme erhalten bleiben. Doch klar ist: Auf eine Welle muss Radio Bremen künftig verzichten.
Im Sendegebiet des rbb – also Berlin und Brandenburg – sind derzeit sieben Radioprogramme aktiv, darunter COSMO. Der Staatsvertrag genehmigt jedoch nur fünf eigene und maximal sechs durch Kooperation. Eine Streichung droht – insbesondere, da das Programm kulturelle Vielfalt laut Vertrag nur für Berlin, nicht für Brandenburg abdecken muss. Eine Ausstrahlung über DAB+ wäre technisch machbar, politisch jedoch nicht abgesichert.
Ganz anders die Lage in Nordrhein-Westfalen: Der WDR darf mit über 18 Millionen Einwohnern insgesamt acht Programme betreiben. Das Gesetz sieht für je sechs Millionen Einwohner ein zusätzliches Programm vor. COSMO wird auf der starken UKW-Frequenz 103,3 MHz mit 100 kW ausgestrahlt – es erreicht so große Teile des Rheinlands und des Ruhrgebiets. Ein Austausch gegen ein anderes Programm ist gesetzlich ausgeschlossen. Auch deshalb gilt COSMO in NRW als relativ sicher.
Gefährdeter sind hier andere Programme: Der digitale Jugendsender 1LIVE diGGi und der Ereigniskanal WDR Event stehen zur Disposition. Paradox: Obwohl 1LIVE diGGi laut Media-Analyse täglich 320.000 Hörer erreicht – fast doppelt so viele wie COSMO – wurde bisher keine Petition zu seinem Erhalt gestartet.
Den Hörern in Nordrhein-Westfalen ist schwer zu vermitteln, dass der WDR von 2025 bis 2028 Finanzausgleichszahlungen in Höhe von 142,63 Mio. Euro an andere ARD-Anstalten leistet – davon 49,81 Mio. Euro überproportionale Ausgleichszahlungen – und selbst am Programm spart und ganze Hörfunkwellen einstellt.
Ob COSMO bleibt oder nicht, wird maßgeblich von den Entscheidungen auf der nächsten ARD-Intendantenkonferenz am 24. und 25. Juni abhängen. Dort suchen die Senderchefinnen und -chefs nach Kooperationsmodellen, um das Programmspektrum bei reduziertem Budget aufrechtzuerhalten.
Eines steht fest: Der mögliche Verlust von COSMO wäre nicht nur das Ende eines Radiosenders, sondern ein Signal – an Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte, dass ihre Sprachen und Geschichten keinen Platz mehr im öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben.
Doch der Protest formiert sich. Und COSMO sendet weiter – vorerst.