Die Verfolgung der Musikprogramme deutscher Radiosender signalisierte im ersten Quartal 2025 ein überwiegend einheitliches Bild: die starke Dominanz der „European Dance Music“ (EDM), die seit den 2010er-Jahren eine prominente Größe auf den Playlisten eingenommen hatte, scheint gebrochen – fürs Erste zumindest. Monitorings attestieren dem Genre seit 2024 bundesweit rückläufige Tendenzen, trotz einiger starker Spielungen erfolgreicher Remakes á la Cyril oder David Guetta. Offensichtlich hat EDM den obersten Scheitelpunkt an Sendeanteilen inzwischen hinter sich. Die Tendenz – gerade bei trend-orientierten Programmen – schwächt sich auch im bisherigen Verlauf 2025 weiter ab. Teilweise sogar deutlich sichtbar.
Frank Siebenhaar, Geschäftsführer und Analyst beim Erlanger Monitoringspezialisten MusicTrace, hat die gesamte Szenerie im Blick. Sein Unternehmen beobachtet flächendeckend den hiesigen Hörfunkmarkt und ermittelt unter anderem im Auftrag des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI) die wöchentlichen „Offiziellen Deutschen Airplaycharts“. Sein Fazit: „In den Jahre 2021 bis 2023 gab es bei EDM-Titeln einen Boom im Radio. 2024 ist man in etwa auf das Niveau von 2020 zurückgekehrt und 2025 spielt EDM bislang eine noch geringere Rolle.“ Frank Siebenhaar registriert zwar weiterhin Einsätze für das Genre, die Häufigkeit der Plays hat sich jedoch zuletzt soweit abgeschwächt, dass viele Songs nun vermehrt auf den hinteren Rängen innerhalb der Top 300-Airplaycharts zu finden sind.
Prozentualer Anteil von EDM-Songs innerhalb der Top 100 der Jahrescharts*
*Angaben in Prozent. Quelle: MusicTrace
Während gut testende Hits aus den Vorjahren – als feste Bestandteile der Rotationen – weiter gespielt werden, fehlt es vor allem an Nachschub! In der vergangenen Woche hielten sich unter den Top 100 der „Offiziellen Deutschen Charts“ gerade noch 12 Titel, die als EDM einzuordnen sind – und überwiegend aus 2024 stammen. Die neuen Produktionen der bekannten Protagonisten früherer Jahre wie Felix Jaehn, Robin Schulz, Ofenbach oder Purple Disco Machine tun sich derzeit in der Tat schwerer, vordere Chart-Positionen zu erreichen. Und die Strategie der zeitlich versetzten Wiederverwertung bekannter Tophits früherer Jahre scheint nicht beliebig erfolgreich reproduzierbar.
Spannend wird es für Konsumenten und Radiomacher ab Frühsommer, wenn erfahrungsgemäß größere Schübe neuer einschlägiger Veröffentlichungen den Markt fluten. Aber auch, welche Sounds die offenen EDM-Lücken künftig ersetzen werden. Per Blitzumfrage haben wir uns bei Musikverantwortlichen großer Radiosender zum Thema umgehört:
David Banks, Musikchef, Audiotainment Südwest und RPR1.
Der große Hype scheint vorerst vorbei, klassische PopDance-Tracks spielen in der Breitenrotation eine deutlich geringere Rolle als noch vor ein, zwei Jahren
„Auch wir bei der Audiotainment Südwest stellen über alle Formate hinweg fest, dass EDM Sounds seit circa Mitte/Ende 2023 stagnieren beziehungsweise einen leichten Rückgang im Bereich der Neubeschlüsse für die Playliste erfahren. Das gilt insbesondere für unsere AC Stationen RADIO REGENBOGEN und RPR1. Auch in unserem jungen Format bigFM nehmen wir zumindest eine Stagnation an EDM-Titeln im Current Bereich wahr. Pop-Country und gitarrenlastige, folkige Singer-Songwriter Songs stehen, neben der üblichen Popsounds, [dagegen] hoch im Kurs.“
Niklas Gruse, Leiter Musikredaktion, radio ffn
Den rückläufigen Airplay-Trend bei PopDance können wir bei radio ffn derzeit bestätigen.
„Den rückläufigen Airplay-Trend bei PopDance können wir bei radio ffn derzeit bestätigen. Der große Hype scheint vorerst vorbei, klassische PopDance-Tracks spielen in der Breitenrotation eine deutlich geringere Rolle als noch vor ein, zwei Jahren. Gleichzeitig beobachten wir eine stärkere Hinwendung zu melodischem Pop mit organischeren Arrangements. Spannend ist auch, dass vermehrt Songs mit Country-Einflüssen funktionieren – Beyoncé und Dasha haben dafür den Weg in den Mainstream bereitet.
Ob der Zenit von elektronischer Dance Musik tatsächlich überschritten ist, wird sich allerdings erst im Sommer zeigen – traditionell die Saison für melodische Tracks mit Dance-Elementen. Erst dann wird klar, ob sich die Entwicklung verstetigt oder nur eine temporäre Verschiebung stattgefunden hat.“
Christian Brost, Musikchef, hr3
Die hr3-Hörer*innen haben eben einen sehr lebendigen Musikgeschmack, der sich ständig verändert.
„EDM im weitesten Sinne spielt nach wie vor eine große Rolle in der hr3-Playlist. Allerdings sehen wir, dass es nicht mehr ganz so viele extrem beliebte Hits aus diesem Genre gibt, wie es noch vor einigen Jahren der Fall war. Das ist übrigens eine ganz typische Bewegung: Musikstile kommen und gehen – mal ist der eine beliebter, mal der andere. Die hr3-Hörer*innen haben eben einen sehr lebendigen Musikgeschmack, der sich ständig verändert. Und nach dieser Abwechslung richten wir unser Programm aus.“
Alexander Schmitz, Musikchef, MDR JUMP
EDM bleibt weiterhin ein Teil der Klangfarbe von MDR JUMP.
„Wir haben diesen Trend ebenfalls wahrgenommen. Tatsächlich setzen sich in letzter Zeit weniger aktuelle EDM-Produktionen nachhaltig bei uns durch. Gleichwohl bleibt EDM weiterhin ein Teil der Klangfarbe von MDR JUMP.“
Sue Deckwerth, Leitung Musikteam, FFH-Mediengruppe
„Es kann nicht am mangelnden Angebot liegen, sondern wahrscheinlich an der Tatsache, dass man inzwischen von dem Genre etwas übersättigt ist und nach Alternativen sucht. Diese bieten sich aktuell in Form von dem bereits häufig erwähnten Country-Pop, Afro-House und Singer/ Songwritern, wie Teddy Swims, Myles Smith und Lola Young.“
Torsten König, Leiter Musikredaktion, Radio Gong 96,3 München
Ich stelle […] einen zunehmenden Einfluss von verschiedensten ‚alternativen‘ Klangfarben fest.
„Ob ein Scheitelpunkt für EDM & Dance-Music im Radio erreicht ist, wird sich die nächsten 1 bis 2 Jahre erst noch zeigen, denn dafür müsste ja der (ehemals hohe) Anteil vollständig durch eindeutig andere Stile und Klangfarben ausgefüllt werden.
Elektronische Beats und EDM haben sich in den letzten 10 Jahren aber ganz klar in der aktuellen Popmusik festgesetzt. Was wir vor gut 10 Jahren noch als „Dance“ bezeichnet hätten, gilt nun fast schon standard-mäßig als ‚Pop‘ – daher wird der Anteil auch in Zukunft dauerhaft hoch bleiben.
Ich bin mir jedoch sicher, dass das Genre mittlerweile ausgereizt ist und jetzt schon nicht mehr alles bedingungslos funktioniert, wo ‚David Guetta‘, ‚Robin Schulz‘ oder ‚Felix Jaehn‘ draufsteht. Die Musikwissenschaftler warten jetzt natürlich auf den nächsten großen Trend, den ich aber so eindeutig (zumindest im Moment) noch nicht kommen sehe.
Vielmehr stelle ich schon in den letzten 5 bis 6 Jahre einen zunehmenden Einfluss von verschiedensten ‚alternativen‘ Klangfarben fest: Ob das nun Melodic/Urban Sounds sind wie 24K Gldn und ‚Mood‘, oder Artemas mit seinem High-Speed-Synthiepop Hit ‚I Like The Way You Kiss Me‘. Und von der vielzitierten, neuen ‚Countrywelle‘ mit Dasha oder Shaboozey, bis hin zu ganz aktuell ‚APT.‘ von Rosé und Bruno Mars… So unterschiedlich all diese unterschiedlichen Sounds klingen, so haben sie in meinen Augen vor allem Eines gemeinsam: Sie erfüllen den Wunsch der Hörer nach musikalischer Diversität. Und das ist sicher eine unmittelbare Reaktion auf die zuletzt immer eintönigere Inflation an EDM & Dance Songs der letzten Jahre.
Thorsten Sutter, Leiter Musikstrategie und -planung, Radio NRW
Die Qualität des vom Markt angebotenen EDM-Materials war in den vergangenen Monaten eher schwach.
„In der Tat haben auch unsere Beobachtungen Ende letzten und zu Beginn dieses Jahres eine durchaus programmrelevante ‚Fehlstellung‘ an EDM-Themen aufgezeigt. Diese Problematik fußt aus unserer Sicht allerdings auf mehreren Effekten:
1. Die Qualität des vom Markt angebotenen EDM-Materials war in den vergangenen Monaten eher schwach.
2. Der Pool an Künstlern, die für den entsprechenden Sound stehen, ist ohnehin mehr als überschaubar. Und durch die – angetrieben durch die Streamingdienste – extrem enge Veröffentlichungstaktung, die teils im krassen Widerspruch zu den Lebenszyklen von Radiosongs steht, kannibalisieren sich die Künstler zunehmend selbst.
Gleichzeitig hat sich diese Situation in den letzten Wochen aber durchaus wieder entspannt.“