Radio-Köpfe | Ulli Wenger (Bayern 3/SWF) – Kreativer Chef vom Dienst

Von der Redaktion „Aktuelles Zeitgeschehen“ des Südwestfunks (SWF) führte ihn sein beruflicher Werdegang zu Bayern 3: Von 1992 bis 2015 war er dort Chef vom Dienst. Aber nicht das Leiten von Konferenzen oder das Redigieren von Texten („Keiner redigiert strenger als Ulli Wenger.“) sorgte für nachhaltige Assoziationen mit seinem Namen, sondern eine seiner kreativen Nebenbeschäftigungen, die mit der Zeit 15 Doppel-CDs hervorbrachte: Ulli Wenger (66) gilt bei seinen Hörern und in der Branche als „Mr. One-Hit-Wonder“.

Ulli Wenger (Bild: ©BR/Markus Konvalin)
Ulli Wenger (Bild: ©BR/Markus Konvalin)

Unser Mitarbeiter Hendrik Leuker hat Ulli Wenger, der sich bereits im Ruhestand befindet, in seinem ehemaligen Büro im Bayerischen Rundfunk (BR) in München aufgesucht und stieß dabei auf weitere Facetten aus einem umtriebigen Berufsleben für das Radio.


Erste Erfahrungen mit dem Radio

Gefragt nach seinen ersten Erfahrungen mit dem Medium Radio gehen Wengers Erinnerungen zurück zum Sommer 1971. Seine Eltern seien damals bei den Salzburger Festspielen gewesen, so dass seine Großeltern das Haus gehütet hätten. Diese ließen den 13-jährigen Ulli am Radio im Elternhaus in Bonn drehen.

RTL Sticker AufkleberEr stieß sehr schnell auf Mittelwelle auf Radio Luxemburg, das damals auf 1439 KHz sendete: „Ich hörte samstags die ‚Großen Acht‘ mit Frank Elstner und Oliver Spiecker, aber auch Sendungen mit Jochen Pützenbacher. Der Empfang war verrauscht. Von Radio Luxemburg stammt auch meine Vorliebe für Instrumentals, die Radio-DJs dort als Erkennungsmelodien (Indikative) verwendet haben.“ Sein erster Berufswunsch sei es gewesen, Moderator bei Radio Luxemburg zu werden.

Als Jugendlicher steigerte sich sein Interesse am Radio und erweiterte sich um weitere Sendungen und Sender: Im Jahr 1974 eröffnete WDR 2 abends mit der Radiothek eine Jugendschiene: „Am Mittwochabend lief die ‚Diskothek im WDR‘ mit dem amerikanischen DJ Mal Sondock, der die neuesten Hits aus aller Welt spielte. Am Samstagabend kam die Schlagerrallye mit Wolfgang Neumann. Schlager wurden in der Sendung weniger gespielt. Es war eher eine Konkurrenz zur Sendung mit Mal Sondock“, merkt Wenger an.

Mit Neumann stand Wenger in regelmäßigen Austausch: Seine Idee, Hits über den Jahreswechsel hinaus statistisch zu erfassen, eine sog. ewige Bestenliste einzuführen, wurde von Neumann und WDR 2 übernommen. Auslöser dafür war der Titel „Der Ur-Ur-Enkel von Frankenstein“ von Frank Zander, der sich über den Jahreswechsel 1974/75 auf den oberen Plätzen aufhielt. „Ich erinnere mich auch noch an Sendungen mit Roger Handt und Achim Graul. Graul, der später wieder zu Radio Luxemburg zurückkehrte, hatte eine Rock’n‘Roll-Sendung am Freitagabend.“

Dave Colman Show
Dave Colman Show

Des Weiteren hörte Wenger am Nachmittag zwischen 15 und 16 Uhr noch die WDR 2-Sendungen „Sounds ‘74“ mit Wolfgang Neumann, „Platten nach der Penne“ mit Werner Schüssler sowie die Dave-Colman-Show. „Bei BFBS gab es zudem eine wöchentliche Chart-Show mit Tommy Vance“, fügt Wenger hinzu. Außerdem hörte er am Donnerstagabend Werner Reinke auf hr1 mit der „Hitparade International“. 

Ab Frühjahr 1975 habe ihn aber das Pop-Vollprogramm von SWF3 in Beschlag genommen: „Die Sendungen von SWF3 waren Gesprächsstoff auf dem Schulhof. Ich war fortan an Frank Laufenberg, Elke Heidenreich und Co. verloren. Englische Pop-Musik, eine Comedy-Schiene und knapp gehaltene, sich auf das Wesentliche beschränkende Moderation, und das zu jeder Tageszeit, das war neu. Wie auch die Namen der Sendungen wie ‚Litfaßwelle‘ (Frühsendung), ‚Funkboutique‘, ‚Rasthaus‘ oder Pop Shop, erinnert sich Wenger lebhaft zurück.

Radio 1 auf UKW 89.0 München Logo 1987

Während seines Studiums Anfang der 80er-Jahre in Freising bei München hörte er „fast ausschließlich Ö3“, vor allem den „Ö3-Wecker“ (6-8 Uhr), das „Hitpanorama“ (11-12 Uhr) und oft auch „Freizeichen“ (14-15 Uhr), eine damals neuartige Sendung mit Hörerbeteiligung. Abends hörte er den „Treffpunkt Ö3“ und besonders gerne am Samstagabend Casey Kasem mit der American Top 40 („Details coming up“), anmoderiert von Rudi Klausnitzer. Die Ö3-Sendung „Bitte recht freundlich!“ (8-9 Uhr) wurde übrigens seit dem Programmstart 1971 bis 1985 von Bayern 3 übernommen. An den Start der Münchner Privatsender Mitte der 80er-Jahre erinnert sich Wenger auch noch, wenn auch weniger als Hörer: „Radio 1 sendete damals aus einem gläsernen Studio in einem Kaufhaus mitten in der Münchner Fußgängerzone.“                              

Ulli Wenger: Sein Weg zum Radio 

Nach dem Abitur und einer zweijährigen Bundeswehrzeit nahm Wenger, dessen Vater Zeitungsjournalist war, ein Studium der Landwirtschaft auf, das er in Bonn und Freising absolvierte, mit Praktika in Düsseldorf und Trier. Er schloss es als Diplom-Agraringenieur ab, übte aber anschließend keinen einschlägigen Beruf aus: „Meine Vorstellung war nie, auf einem Traktor zu sitzen. Ich wollte schon etwas mit Journalismus machen. Mir schwebte eher eine Stelle in der Presseabteilung von BASF, Bayer oder Boehringer vor.“

Der Anfang der Geschichte, wie Wenger zum Radio kam, sollte aber mit seinem Studium zu tun haben: Er war im Oktober 1984 als Student auf einem viertägigen Kongress in Karlsruhe, der die Gefahren von Nitrat im Trinkwasser zum Thema hatte, um darüber in einer Fachzeitschrift zu berichten. Danach fuhr Wenger am Freitag ins benachbarte Baden-Baden, um beim Ausbildungsbeauftragten des SWF vorzusprechen. Dieser stellte fest, dass sich ein Bauer mit grünen Themen dort noch nicht beworben hätte: „Dann hat er zu mir gesagt, dass ich meine Unterlagen da lassen sollte. Anschließend habe ich monatelang nichts mehr gehört, bis im Mai 1985 ein Brief vom SWF bei mir eintraf. Darin bot man mir ein Praktikum im Bonner SWF-Studio an. Eigentlich wollte ich zwar eher zu Frank Laufenberg nach Baden-Baden, aber ich wollte das Angebot dann doch nicht ausschlagen“, lässt Wenger die Anfänge Revue passieren.

Die Arbeit als Parlamentsjournalist ab September 1985 machte ihm durchaus Spaß. Nach zehn Tagen war er auf einer Pressekonferenz kritischer Bayer-Aktionäre. Als darüber dann in „Heute Mittag“ von SWF1 sein erster Beitrag gesendet wurde, meldete sich anderntags die Presseabteilung des Bayer-Konzerns aus Leverkusen, um sich darüber zu beschweren: „Das hat mir zum einen eindrucksvoll gezeigt, dass der SWF doch sehr weit gehört wurde. Und zum anderen, dass Radio eine ordentliche Kraft hat und etwas bewirken kann“, merkt Wenger an.

Am Ende des zweimonatigen Praktikums bot ihm Studioleiter Wolfgang Wiedemeyer an, sich für ein Volontariat beim SWF stark zu machen. Diese Möglichkeit ließ sich Wenger nicht entgehen, weil er sich zuvor schon erfolglos beim WDR beworben hatte. Er fuhr in dieser Zeit zweigleisig, machte zunächst ein Praktikum im Bundeslandwirtschaftsministerium, danach trat er eine 60%-Redakteursstelle bei der ZMP an, ebenfalls in Bonn. 

Seine Zeit beim Südwestfunk

Im April 1986 fiel dem Moderator Klaus Schürholz bei einem Musik-Quiz von SWF3 rund um das Electric Light Orchestra das breitgefächerte Musikwissen von Wenger auf. Dieser regte an, dass sich Wenger mit seinem Wissen und seiner angenehmen Stimme zum Moderator im legendären Kellerstudio 110 ausbilden lassen sollte. Wengers dort aufgenommene Probesendung hielt dem Votum in der Abhörkonferenz stand.

SWF3 Schwarzwald-ElchAm 22. Mai 1986 um 18 Uhr war es dann so weit: Wenger moderierte die „Music-Hall“ auf SWF3. Hinter ihm stand Evi Seibert sicherheitshalber mit im Studio. Wegen seiner Tätigkeit bei der ZMP konnte Wenger nur von Donnerstag bis Sonntag moderieren, zu hören war er nicht nur in der „Music-Hall“, sondern auch im „Radioclub“ (21-23 Uhr), „Hitclub“ (22-23 Uhr) und der beliebten Wunschsendung „Musikbox“ (13-14 Uhr). Ende September 1986 endete seine Zeit als SWF3-Moderator, weil der strenge Peter Stockinger, der im Februar 1989 vom Leiter der Schlussredaktion zum Programmchef aufsteigen sollte, meinte, dass Wengers Platz doch eher hinter dem Mikrofon sei.

Trotzdem kehrte er im Rahmen seines SWF-Volontariats (Januar 1987 bis März 1988) noch einmal kurz zu SWF3 zurück: „Ich habe damals eine klassische Ausbildung gemacht, Radio und Fernsehen in Baden-Baden und Mainz.“ Direkt danach wurde er als Redakteur und Reporter in der Redaktion „Aktuelles Zeitgeschehen“ fest angestellt und war wieder im Radio zu hören, jetzt hauptsächlich in SWF1. „Dort habe ich vor allem Korrespondentenberichte anmoderiert oder Nachrichten vorgelesen.“ Als Redakteur war Wenger für SWF1-Sendungen wie „Heute Morgen“, „Heute Mittag“, „Heute um Fünf“ sowie „Heute Abend“, aber auch für die „Blickpunkt“-Ausgaben mittags und abends auf SWF2 verantwortlich. Sein Sprecherzieher war der ehemalige SWF-Chefsprecher Elmer Bantz, der einst auch Dagmar Berghoff fürs Radio entdeckt hatte. 

Ulli Wenger beim Messeradio (Bild: BR/privat)
Ulli Wenger beim Messeradio (Bild: BR/privat)

In dieser Zeit nahm Wenger zweimal im Rahmen der Internationalen Funkausstellung (IFA) am „Messeradio“ in Berlin teil, 1987 noch als Volontär, 1991 bereits als Ausbilder. Der Teamleiter in seiner Gruppe war Rüdiger Stolze vom BR. Als Ausbilder vermittelte Wenger dem ARD-Nachwuchs den Umgang mit Originaltönen in den Nachrichten, was im SWF bereits gang und gäbe war – nach dem Vorbild von France Info. Offenbar hinterließ Wenger bei Stolze einen bleibenden Eindruck, denn im März 1992 rief er ihn in Baden-Baden an und fragte, ob er sich vorstellen könne, Chef vom Dienst bei Bayern 3 zu werden. Seine Aufgabe wäre es dann, aus dem Kästchenprogramm Bayern 3 ein durchhörbares Formatradio zu machen. Stolze hielt Wenger für gut geeignet, da er Erfahrungen von SWF3, einem Programm, dem man in München nacheifern wollte, mit sich brachte.                                  

Chef vom Dienst

Wenger wechselte also zu Bayern 3 und im Juni 1992, Antenne Bayern hatte Bayern 3 inzwischen in der Hörergunst überholt, ging das neue, durchhörbare Bayern 3 auf Sendung. Was macht eigentlich ein Chef vom Dienst? Diese verantwortliche Tätigkeit, die einen oft anstrengenden Arbeitstag von 8-18 Uhr beinhaltet, geht in der Wahrnehmung des Durchschnittshörers meist unter.

Wenger war bei Bayern 3 nicht vor, sondern hinter dem Mikrofon tätig: „Als Chef vom Dienst ist man der Mann hinter den Kulissen, der die ganze Verantwortung trägt. Ich habe Wortbeiträge redigiert, bevor sie gesendet wurden, Konferenzen geleitet, und besonders in den ersten Jahren die einzelnen journalistischen Beiträge koordiniert.“ All das hatte auch mit der angestrebten Durchhörbarkeit von Bayern 3 zu tun: „Für das Sprechen schreibe ich anders als für eine Zeitung, die sich einer Agentursprache bedient. Wir wollten bei Bayern 3 damals weg von der Amtssprache. Es galt, eine moderne, allgemein verständliche Sprache zu finden.“  So habe man seinerzeit das Kästchenprogramm mit Programmteilen, die die einzelnen Fachredaktionen zulieferten, aufgelöst, um mit einer Zentralredaktion eine bessere Durchhörbarkeit zu gewährleisten. 

Die Moderatoren mussten fortan die Sendungen selbst fahren (ohne Techniker). Man habe auch auf Details geachtet, so sollten sich Korrespondenten on air mit Vor- und Nachnamen sowie Standortangabe (z. B. „Bayern 3 in Deggendorf“) abmelden. Zur Koordination der Beiträge diente in den ersten Jahren die sogenannte „Dödelwand“, die Wenger von SWF3 mitgebracht hatte. Bunte Magnetstreifen symbolisierten für drei Wochen verschiedene Themengebiete und erleichterten so eine abwechslungsreiche Programmgestaltung. Anfang der 2000er-Jahre hielt wie überall für diesen Zweck dann der Computer mit Excel-Tabellen Einzug.

Ulli Wenger (Bild: © Hendrik Leuker)
Ulli Wenger (Bild: © Hendrik Leuker)

Es wurde auch darauf geachtet, dass zwischen 5 Uhr und Mitternacht (nachts wurde „Luna“ von SWF3 übernommen) auf Bayern 3 der Moderationsstil einheitlich war: „Radio ist ein Produkt, von dem der Kunde erwarten kann, dass es immer gleich klingt.“  Des Weiteren, dass ein Musikformat (Hot AC) durchgehalten wurde: „In den ersten anderthalb Jahren gab es zwischen 14 und 16 Uhr ‚Super 3 – Die Erste‘ für Schüler und von 16-19 Uhr eine ‚Rush-Hour‘-Sendung für die Eltern. Das haben wir dann aber wieder gelassen, da damit auch zwei musikalische Welten und Generationen aufeinanderprallten“, erinnert sich Wenger. Die Redaktion machte sich auch Gedanken, wie man auf die vielen beliebten Gewinnspiele auf Antenne Bayern reagieren sollte, bei welchen z. B. Rechnungen der Hörer bezahlt wurden etc. „So etwas kam für uns nicht infrage, das hätte uns berechtigter Kritik ausgesetzt, dass wir Gebührengeld als Gewinn ausschütten würden.“ Manches ging dann doch: „Für unser Gewinnspiel ‚Lebenslänglich‘ haben wir Sponsoren besorgt und unsere Gewinner konnten sich dann über lebenslänglich Burger essen oder ‚farbigen‘ Strom beziehen freuen“, merkt Wenger an.

Einmal durfte er seinen Schreibtisch im Münchner Funkhaus sogar für längere Zeit räumen: „Im Sommer 1995 wurde ich sechs Wochen lang als Urlaubsvertretung für Hans Tschech, den Hörfunk-Korrespondenten des BR in Washington, eingesetzt. Eigentlich machten das die Kollegen vom Zeitfunk, aber der spätere Hörfunkdirektor Johannes Grotzky meinte zu mir, das sollen jetzt auch mal Leute von Bayern 3 machen“. Und was macht man als Chef vom Dienst an einem Tag wie „Nine-Eleven“ (2001), dem Flugzeug-Attentat auf die Twin Towers in New York und weiterer Folgeattentate? „Damals haben wir sofort die Musik gedrosselt und zwei Tage lang auch auf jegliche Werbung verzichtet. Wir spielten statt Pop sogar das klassische Adagio for Strings von Samuel Barber“, blickt Wenger zurück. 

Hitcycling und One-Hit-Wonder

Zu seinem Markenzeichen kam Wenger eher zufällig, gilt er bei Hörern und in der Branche doch als „Mr. One-Hit-Wonder“. Dieses hat eine Vorgeschichte: Vor der „One-Hit-Wonder“- Serie gab es ab dem Sommer 1994 die Serie Hitcycling: „Auslöser dafür war der Film Vier Hochzeiten und ein Todesfall und dessen Titelmusik Love Is All Around von der Gruppe  Wet Wet Wet. Daraufhin sprach ich bei Programmchef Rüdiger Stolze vor und habe ihn gefragt, ob ich den Hörern nicht einmal das Original des gecoverten Songs vorstellen könnte. Dieser meinte zu mir: ‚Mach‘ doch einfach mal!‘“ Im Original ist dieser Song übrigens von der britischen Beat-Band The Troggs, erschien im Oktober 1967 als Single und war sowohl in Großbritannien als auch in den USA ein Top-Ten-Hit. In den 90er-Jahren gab es viele solcher erfolgreicher Coverversionen, so dass Wenger immer genügend Stoff für seine Serie fand. Sie passte ganz gut zum Image eines öffentlich-rechtlichen Senders und lief mehr als 20 Jahre am Mittwochvormittag um 11.11 Uhr mit einem Wortanteil von bis zu drei Minuten.

Im Jahr 1997 gab es eine weitere Anfrage der Bayern 3- Redakteure Sandra Vogell und Franz Baumgartner, ob Wenger nicht noch eine weitere Idee für den Sonntag hätte: „Mir kam dann die Idee sog. One-Hit-Wonder (musikalische Eintagsfliegen) in einer Serie vorzustellen. 50 solcher One-Hit-Wonder fallen mir bestimmt ein, sagte ich damals zu meinen Kollegen. Damit könnt Ihr erst mal arbeiten.“ Am 26.01.1997, einem Sonntagvormittag um 8.15 Uhr, ging bereits die erste Folge (mit einem Wortanteil von maximal zwei Minuten) in den Äther.

Ulli Wenger mit One Hit Wonder (Bild: ©BR/Markus Konvalin)
Ulli Wenger mit One Hit Wonder (Bild: ©BR/Markus Konvalin)

Zum Kult wurde die „One-Hit-Wonder“-Serie drei Jahre später durch den Hamburger Musikverlag Ganser & Hanke, der daraus mit Wengers Texten im 28-seitigen Booklet eine Serie von Doppel-CDs herausgab. Aus dem „Bayern 3-One-Hit-Wonder“ wurde fortan aus rechtlichen Gründen „Ulli Wengers One-Hit-Wonder“: „Das klang gut. Das sind nämlich lauter Ws.“, fügt Wenger schmunzelnd hinzu. Bis zum August 2015 liefen genau 700 Folgen auf Bayern 3, 540 davon erschienen parallel dazu auf insgesamt 15 Doppel-CDs mit jeweils 36 Songs. Darauf sind auch Raritäten, Erkennungsmelodien von Radiosendungen und Filmmusiken zu hören, die teilweise auf Anregungen der Hörerinnen und Hörer zurückgehen.

Passend zum CD-Cover gab es dazu oft auch ein passendes Give-Away von Bayern 3 wie ein Fläschchen Seifenblasen, Streichhölzer, Glühbirnen, Wunderkerzen oder Teebeutel. Was ist aber eigentlich eine „musikalische Eintagsfliege“? „Was die One-Hit-Wonder angeht, so habe ich nicht nur die deutsche Hitparade im Blick gehabt, sondern stets auch die Charts in England und den USA. Was für einige Hörer auf den ersten Blick ein One-Hit-Wonder war, war für mich dann oft keines. So war Captain Sensible mit ‚Wot!‘ nur hierzulande erfolgreich, in England hatte er aber vorher bereits den Nummer-eins-Hit ‚Happy Talk‘. Dexys Midnight Runners und Come On Eileen halten auch viele für ein One-Hit-Wonder. Sie waren aber auch mit ‚Geno‘ Spitzenreiter in England. Außerdem habe ich mindestens fünf Jahre nach Veröffentlichung des ersten Erfolgs gewartet, bevor ich einen Titel als ‚One-Hit-Wonder‘ bezeichnet habe.“ Sein Bauchgefühl gab Wenger meistens Recht.

Ulli Wenger bei Rock im Park 2008 in Nürnberg (Bild: ©BR/Ralf Wilschewski)
Ulli Wenger bei Rock im Park 2008 in Nürnberg (Bild: ©BR/Ralf Wilschewski)

Von seinen Booklet-Texten profitierten viele Musikredaktionen in der ARD. WDR 2 übernahm die Serien „Hitcycling“ und „One-Hit-Wonder“ in seinem Programm, Radio Bremen 4 nur die „One-Hit-Wonder“. Zu Gehör gebracht wurde die Serie auch in der ARD Popnacht, wenn diese vom BR kam. Einmal im Jahr, meist am 15. August (in vielen Gemeinden Bayerns der Feiertag Mariä Himmelfahrt) feierte Bayern 3 seine Serie stundenlang mit einem „One-Hit-Wonder-Tag“. Diese Idee griff das Schwarzwaldradio auf und spielte am 3. Oktober 2024 zehn Stunden lang diese „einmaligen Hits“ mit Ulli Wenger live im Offenburger Studio, begleitet von zahlreichen Hörerwünschen. (Fortsetzung folgt…) Angesprochen auf das Erfolgsrezept seiner Serie verrät Ulli Wenger: „Die One-Hit-Wonder gehören bei den Hörern zum Soundtrack ihres Lebens. Diese Lieder versetzen sie in ihre Jugend zurück, sie erinnern sich dann an erste Küsse, Kassetten und Kinofilme“. 

BAYERN 3-Kultabend 2013 mit Ulli Wenger, Thomas Gottschalk, Walter Schmich, Fritz Egner und Jürgen Herrmann (Bild: Bayern 3)
BAYERN 3-Kultabend 2013 mit Ulli Wenger, Thomas Gottschalk, Walter Schmich, Fritz Egner und Jürgen Herrmann (Bild: Bayern 3)

Im Jahr 2011 erstellte Wenger eine Jubiläumsbox mit drei CDs und einer DVD zum Thema „40 Jahre Bayern 3“: „Dem ging eine halbjährige Recherche im Archiv des BR mit dem Studieren von Zeitungsausschnitten und O-Tönen voraus. Auch treue Hörer beteiligten sich mit Kassettenmitschnitten daran. Fürs 80-seitige Booklet führte ich Interviews mit ehemaligen Mitarbeitern wie Günther Jauch, Sandra Maischberger, Fritz Egner, Lotti Ohnesorge, Jürgen Herrmann, Lottofee Franziska Reichenbacher oder Klaus Reindl vom ADAC.“

Fritz Egner und Ulli Wenger 2023 (Bild: Privatarchiv Ulli Wenger)
Fritz Egner und Ulli Wenger 2023 (Bild: Privatarchiv Ulli Wenger)

Musikjournalismus im Radio

Sein breites Musikwissen, seine Kultserien „Hit-Cycling“ und „One-Hit-Wonder“ und seine Auftritte in der TV-Sendung Hit-Giganten (Sat 1) machen Wenger zu einem gefragten Musikexperten. Wie sieht er die Bedeutung des Musikjournalismus für das Radio? „Musikjournalismus braucht man, er zielt aber auf eine sehr spitze Klientel, ist ‚nice to have‘, aber nicht kriegsentscheidend. Die meisten Hörerinnen und Hörer wollen doch vor allem Musik hören. Musikjournalismus, das Reden über Musik, geht den meisten Leuten irgendwo vorbei“, macht sich Wenger keine Illusionen.

Lionel Richie und Ulli Wenger 2005 (Bild: Privatarchiv Ulli Wenger)
Lionel Richie und Ulli Wenger 2005 (Bild: Privatarchiv Ulli Wenger)

Als Musikjournalist hat Wenger bekannte Künstler getroffen: zweimal Paul McCartney, 2003 in Barcelona und 2005 in Köln, Wolfgang Niedecken von BAP, Herbert Grönemeyer, Joe Cocker, Lionel Richie, Sting, John Miles, Harold Faltermeyer u.v.a.m. 

 Radio-Erlebnisse

Mit der Zeit ranken sich lustige und eher peinliche Erlebnisse rund um eine Radio- Karriere: Seinen ersten Auftritt im Radio hatte Wenger im Herbst 1976 in der „Popshop-Party“ auf SWF3. Er dichtete einen Achtzeiler auf die Moderatorin Elke Heidenreich, rief im Studio an und kam sofort als „Ulli aus Bonn“ auf Sendung. Sein Gedicht endete mit den Worten „Und so wünschen wir Dir, liebe Elke, dass Dein Frohsinn niemals welke“. Als er Elke dann zehn Jahre später in Baden-Baden persönlich kennenlernte, lagen sich beide lachend in den Armen.

„Anfang der 2000er Jahre wurde ich im Urlaub auf der Insel Rügen (Mecklenburg-Vorpommern), als meine Frau und ich mit den Fahrrädern auf eine Fähre übersetzten, von einer fränkischen Urlauberin angesprochen, ob ich nicht der Ulli Wenger wäre. Sie hatte mich tatsächlich an der Stimme erkannt“, schildert Wenger das kuriose Erlebnis.

Sein peinlichstes Erlebnis im Berufsleben war zweifelsohne die von ihm verfasste „Ente“ über den Tod von Les Humphries: „Als im Herbst 1998 die letzte Derrick-Folge im ZDF lief, wollte ich wissen: Was macht eigentlich der Komponist der weltberühmten Titelmusik? Ich rief Les Humphries in seinem Haus in London an und er erzählte mir eine Räuberpistole, die ich ihm sehr naiv abgekauft habe. Er gab sich als sein Zwillingsbruder Brian aus und erklärte mir tränenreich, dass Les vor zwei Wochen bei einem Verkehrsunfall auf Mallorca ums Leben gekommen sei. Als ich seinen früheren Mitsänger Jürgen Drews damit konfrontierte, hielt er das für durchaus glaubwürdig und kondolierte spontan. Also habe ich die Exklusivmeldung von Les Humphries‘ Tod über Bayern 3 in die Welt gesetzt. Das war ein ‚Schwarzer Freitag‘ für mich, wir haben noch eine relativierende Meldung herausgegeben, aber es war schon in der Welt, und sämtliche Boulevardzeitungen und -magazine haben darüber berichtet: Von „Bild“ über „Bunte“ bis hin zu „Brisant“, schildert Wenger vielsagend. 

Beschwerdemanager beim BR

Im Jahr 2015, zu einer Zeit, in der Bayern 3 begann, sich an eine jüngere Zielgruppe zu wenden und sein langjähriges Publikum an Bayern 1 weiterreichte, wollte auch Wenger, damals 56, sich innerhalb des BR neu orientieren. Der Rundfunkrat suchte händeringend jemanden, der das neu eingerichtete Beschwerdemanagement übernehmen wollte, und fand ihn in Wenger. Zukünftig sollte man im Beschwerdefall nicht unterschiedliche Antworten von verschiedenen Stellen im BR erhalten: „Meine Aufgabe war es, sämtliche an die Intendanz gerichteten Beschwerden zu kanalisieren. Nach einiger Zeit klappte das ganz gut. Ich beantwortete Beschwerden übers Radio, Fernsehen oder unser Online-Angebot. Nach außen hin habe ich das Beschwerdemanagement als Publikumsdialog bezeichnet. Wir haben uns auch nicht gescheut, Fehler zuzugeben. 

Viele Hörerinnen und Hörer haben damals auf Bayern 1 den deutschen Schlager vermisst, diese wurden auf das digitale Angebot BR Schlager auf DAB+ verwiesen. Es ging auch um das plötzliche Duzen im Programm von Bayern 3 oder warum man alte Filme, Serien oder „Tatorte“ aus rechtlichen Gründen nur 30 Tage in der Mediathek nachschauen kann. Die meisten Hörer und Zuschauerinnen reagierten verständnisvoll“, resümiert Wenger. Nur einen Hörer konnte er nicht beruhigen: Dieser Rentner aus dem niederbayerischen Passau regte sich seit 2010 jedes Mal auf, wenn beim Wetterbericht im Radio vom „Passauer Land“ gesprochen wurde, was zwar unorthodox, aber nicht unüblich ist. Seine mehr als 120 Schreibmaschine-Briefe füllten bis zuletzt einen dicken Aktenorder. Insgesamt war Wenger neun Jahre der selbsternannte „Beschwerdeonkel“ des BR – bis zum Eintritt in den Ruhestand Ende März 2024.         

Buch über Gottschalk und CD-Serie

Kurz vor Thomas Gottschalks 70. Geburtstag schrieb Wenger ein Anekdotenbüchlein zu Thomas Gottschalk, das bisher unveröffentlichte kleine Geschichten über den großen BR-Star bereithält. Gottschalk selbst adelte es mit der persönlichen Widmung: „Alles wahr? Na klar!“ Es erschien 2020 unter dem Titel Thomas Gottschalk – Kleine Anekdoten eines großen Entertainers, Riva Verlag, München, 1. Auflage 2020, 7,99 € (ISBN 978-3-7423-1275-4).

Thomas Gottschalk und Ulli Wenger 2019 (Bild: Privatarchiv Ulli Wenger)
Thomas Gottschalk und Ulli Wenger 2019 (Bild: Privatarchiv Ulli Wenger)

Die Kultserie „Ulli Wengers One-Hit-Wonder“ umfasst 15 Doppel-CDs, die einzelnen CDs sind fast nur noch antiquarisch zu Liebhaberpreisen bei eBay oder Amazon erhältlich.     

Hobbys, Hör- und Sehgewohnheiten

Wenger ist nun im Ruhestand und pflegt mehr als früher seine Hobbys: „Popmusik bleibt mein großes Hobby: Ich habe ca. 5.000-8.000 CDs. Ich digitalisiere Musik und recherchiere dazu, archiviere Song für Song.“ Der „News-Junkie“ liest gern und hat zwei Tageszeitungen („Süddeutsche“ und „Münchner Merkur“) sowie den „Spiegel“ abonniert. Romane sind nicht so sein Ding, er verschlingt lieber Sachbücher, vornehmlich Musikerbiographien – und er reist gern. Bereits seit 1982 fährt er einmal im Jahr für eine Woche mit 14 Freunden aus der Freisinger Studienzeit zum Skifahren in die Alpen: „Abends muss immer ein Pärchen für alle anderen kochen. Und am Donnerstagabend wird immer getanzt, mit der Luftgitarre – so wie früher!“ 

Am Sonntagabend bügelt er zum Lagerfeuer-Tatort bzw. Polizeiruf 110 bevorzugt seine Hemden. An Nachrichtensendungen zieht er heute im ZDF der Tagesschau (ARD) der Präsentation halber vor. Bis zum endgültigen Aus war er auch Fan von Wetten,_dass..? Außerdem schaut er regelmäßig Polit-Talkshows im Fernsehen: Von seiner Ex-Kollegin Sandra Maischberger bis hin zu Markus Lanz und Maybrit Illner.

Morgens steht er mit der Welt am Morgen von Bayern 2 auf. Bis zuletzt hatte er dort jahrelang gegen 7.50 Uhr die „Presseschau“ live am Mikrofon präsentiert. Um 9.00 schaltet er auf Bayern 1 um, bevor er ab 10 Uhr die tägliche Talkshow Leute auf SWR 1 Baden-Württemberg verfolgt. Zur Mittagszeit ist das Bayern 2-Tagesgespräch Pflicht, und am Nachmittag schließlich auf DAB+ Schwarzwaldradio: „Dort höre ich bisweilen auch mir unbekannte Songs, und das will was heißen“, merkt Wenger an. Am Wochenende hört er Reinke am Samstag von 9-12 Uhr auf hr1 und sonntags auf Radio Gold die historischen „American Top 40“-Shows mit dem legendären Casey Kasem. Ulli Wenger ist seit 1992 verheiratet und lebt im Münchner Umland.