BR Heimat feiert heute den zehnten Geburtstag. Das digital-terrestrische Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks ist seit dem 2. Februar 2015 auf Sendung und schreibt seither mit einem engen Bezug zum Freistaat sowie alpenländischer Volksmusik eine wahre Erfolgsgeschichte.

Volksmusik ist im deutschen Radio seit längerer Zeit kaum mehr ein großes Thema. Schon gar nicht als durchgängiges Programmangebot.
Dabei gab es mit dem 1991 bundesweit über Kabel und Satellit (sowie in einigen Ballungsräumen Bayerns über UKW) gestarteten Volksmusiksender Radio Melodie tatsächlich einmal einen einschlägigen Spartenkanal. 2008 wurde das Programm, das auch wegen dubioser Call-In-Gewinnspielaktionen in die Kritik geriet, wegen wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit eingestellt. Die lokalen UKW-Frequenzen in Bayern gingen anschließend an das Musikradio egoFM.
Und sonst? Sicher, es gibt und gab noch einige terrestrische Inselangebote bei ARD-Wellen wie SWR4, NDR 1, hr4 oder SR 3 Saarlandwelle. Auch Volksweisen oder das volkstümliche Chorwesen hat/hatte bei einigen öffentlich-rechtlichen Kulturprogrammen noch punktuelle Sendeplätze. Diese Sendungen wurden jedoch im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen über die Jahre zurückgefahren oder sind eingestellt.
Traditionell am meisten tat sich beim Bayerischen Rundfunk. Dort waren über Jahrzehnte diverse Volks- und Heimatmusiksendungen auf BAYERN 1 gerne gehörte Reichweitengaranten. Auch das DAB+ Programm Bayern plus sendete verschiedene Volksmusik-, Blas- und Laienmusiksendungen.
Vor 10 Jahren: Volksmusik wanderte von Bayern 1 zu BR Heimat auf DAB+
Mitte des letzten Jahrzehnts dann der große Wurf: ab 2015 bündelte der BR die gesamten Volksmusikaktivitäten in seinem neu gegründeten Spartenformat BR Heimat, das seinen Schwerpunkt konsequent auf alpenländischer Volksmusik legte und im Tagesverlauf das Genre in einer Vielzahl an Spezialsendungen beleuchtete. Die Umsiedelung der Volksmusik und die Aufgabe liebgewonnener Hörgewohnheiten verliefen in der Anfangsphase zunächst wenig harmonisch. Eine Allianz aus Stars der Szene wie Hansi Hinterseer oder Heino sowie verschiedene Politiker wie die Freien Wähler und der damalige Heimatminister Markus Söder (CSU) protestierten vehement gegen die Abwanderung der Volksmusik aus BAYERN 1.

Aber gut, dass der BR damals so entschieden hat! Das neue Konzept von BAYERN 1 hat bis heute auch ohne die Volksmusikinhalte gegriffen – und BR Heimat entwickelte sich über die Jahre zum Vorzeigemodell.
Der Erfolg von BR Heimat ist eng mit dem Gründungswellenchef Stefan Frühbeis verbunden. Der bekennende „Radiomensch“ und Musiker hat das Angebot mit viel Leidenschaft zu einem inhaltsreichen Vollprogramm ausgebaut, das auch in den benachbarten Ländern im Alpenraum reichliche Beachtung findet.

Frühbeis verabschiedet sich nun Ende Februar, nach 43 Jahren im BR, aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand. Ihm folgt Corbinian Lippl, der die neue crossmediale Redaktion Heimat leitet, in der BR Heimat künftig angesiedelt ist.
Im Gespräch mit RADIOSZENE berichtet Stefan Frühbeis unter anderem über 10 Jahre BR Heimat, die heutigen Programminhalte und seine Erfahrungen mit dem digitalen Sendestandard DAB+.
„DAB+ nicht nur eine ideale Sendetechnik für Spartenprogramme, sondern für jedes Radioprogramm“
RADIOSZENE: Herr Frühbeis, Ihr in 2015 gestartetes Programm wurde zuletzt nicht nur durch sehr respektable ma-Zahlen belohnt, sondern erhielt mit dem „Radiokulturpreis“ der GEMA sowie – aktuell – auch mit dem „Bayerischen Dialektpreis“ weitere Auszeichnungen. Ehrungen als Belege, dass Sie mit BR Heimat vieles richtig gemacht haben?
Stefan Frühbeis: Auszeichnungen und Ehrungen aller Art freuen uns natürlich sehr. Nicht zuletzt, weil Volksmusik im Allgemeinen und Volksmusik auf einem Digitalkanal im Speziellen doch gern ein wenig unterschätzt wurde.

Was uns aber noch mehr freut, das ist die hohe Wertschätzung, die uns von unseren Hörerinnen und Hörern erreicht und die sich auch in der media analyse zeigt, zuletzt mit 1,5 Prozent Tagesreichweite beziehungsweise 210.000 Menschen, die uns in ganz Deutschland zuhören. Auf der ganzen Welt wird BR Heimat geschätzt – und beileibe nicht nur von Exil-Bayern! Da sagt ich als Wellen-Gründer und als Radio-Bayer nach zehn Programmjahren dann gern: Bassd scho!
RADIOSZENE: Mit BR Heimat haben Sie ein ausschließlich digital-terrestrisch verbreitetes Spartenprogramm entwickelt, das in Bayern seinen festen Platz in der Lebenswelt der Menschen gefunden hat. Ist Ihr Format der sendende Beweis dafür, dass DAB+ die ideale Verbreitungstechnik für Special-Interest-Angebote darstellt?
Stefan Frühbeis: DAB+ war vor zehn Jahren eine gute Möglichkeit, den zutiefst bajuwarischen Sender BR Heimat an den Start zu bringen. Die Menschen in Bayern haben das Angebot innerhalb kürzester Zeit mit Interesse und großer Begeisterung angenommen. Allerdings ist DAB+ nicht nur eine ideale Sendetechnik für Spartenprogramme, sondern für jedes Radioprogramm. DAB+ nutzt Sendefrequenzen effizient und bietet dadurch die Möglichkeit, eine größere Programmvielfalt anzubieten. Über das digitale Antennenradio empfängt man die Programme außerdem in einer hervorragenden, kristallklaren Klangqualität.

RADIOSZENE: Wie viel Zeit war notwendig, um den Sender im Bewusstsein der Menschen zu verankern? Mit welchen Maßnahmen – abseits der Programminhalte – konnten Sie die Hörer:innen auf BR Heimat aufmerksam gemacht?
Stefan Frühbeis: BR Heimat war in kürzester Zeit Top-Thema bei den Volksmusik-Freunden in Bayern, wenn auch anfangs deshalb, weil plötzlich auf den UKW-Wellen des Bayerischen Rundfunks keine Volks- und Blasmusik mehr zu hören war. Wir lernten: Auch Negativ-Werbung ist gute Werbung, und der bayerische „Grant“ hat sich dann doch schnell zum Guten gewendet. Wir haben dann konsequent Kontakte in die Szene gesucht und gepflegt. Wir begleiten Veranstaltungen in ganz Bayern und sind auch selbst Volksmusik-Veranstalter, etwa mit der Reihe „Huraxdax – Kinder machen Volksmusik“. Bei vielen Sendungen oder Veranstaltungen tun wir uns mit den Volksmusik-Kolleginnen und Kollegen im BR Fernsehen zusammen, davon profitieren wir alle.
RADIOSZENE: Digitalradio entwickelt sich zwar kontinuierlich nach vorne, dennoch dürfte es keine leichte Aufgabe gewesen sein, das anvisierte – mutmaßlich ältere und traditionellere – Hörerpotential zum technischen Umstieg auf DAB+ zu überzeugen …

Stefan Frühbeis: Die notwendige Überzeugungsarbeit hatte nichts mit dem Alter zu tun. Warum sollten ältere Menschen, die gekonnt mit Smartphones und Tablets hantieren, nicht imstande sein, ein Digitalradio einzuschalten? Wir haben DAB+ Radios bauen lassen, auf denen BR Heimat mit einem einzigen Knopfdruck zu empfangen ist. Die schenken die Enkel ihren Omas und Opas, die begeistert sind. Und: BR Heimat spricht selbstverständlich auch jüngere Hörerinnen und Hörer an. Volks- und Blasmusik sind bei den Jungen sehr beliebt – und das nicht nur in Bayern.
„Wir lernten: Auch Negativ-Werbung ist gute Werbung“
RADIOSZENE: Viele Ihrer Hörer mit einer Affinität zur Volksmusik dürften ursprünglich zuvor andere BR-Angebote gehört haben, schließlich sind nun alle Volksmusikaktivitäten auf BR Heimat gebündelt. Aus welchen Bevölkerungsgruppen setzt sich Ihr Publikum im Kern zusammen?
Stefan Frühbeis: Die Antwort mit konkretem Zahlenmaterial zu belegen, ist schwierig. Da müssen wir uns auf die Hörer-Reaktionen verlassen. Unsere Kundschaft ist bunt gemischt und kommt aus allen Alters- und Bevölkerungsschichten. Sie hört BR Heimat über unterschiedliche Quellen, wie wir den Hörer-Mails entnehmen: DAB+ in Bayern, in Südtirol, in Teilen Österreichs und, neu, in Berlin. Via Satellit in Deutschland. Per Internet weltweit, Exil-Bayern freuen sich von Neuseeland bis zur Elfenbeinküste und von Südamerika bis Finnland über eine „Grundversorgung“ mit Themen und Musik aus ihrer ehemaligen bayerischen Heimat.
RADIOSZENE: Einschaltmotiv No. 1 ist mutmaßlich die Musik. Welche Facetten der Volksmusik bilden Sie bei BR Heimat?
Stefan Frühbeis: Wir senden Volks- und Blasmusik aus allen Landesteilen des Freistaats und gern auch aus den benachbarten Alpenländern. Wir orientieren uns bei der traditionellen Volksmusik an den Quellen des Singens und Musizierens in Bayern und verfolgen den Weg von Musik und Gesang durch die Jahrzehnte bis in die Gegenwart. Wir haben aktuelle Strömungen aufgenommen (Stichwort „Tradimix“) und auch Oberkrainer Klänge oder Schrammelmusik sind mit dem Musik-Angebot von BR Heimat kompatibel.

RADIOSZENE: Berücksichtigen Sie auch Formen des volkstümlichen Schlagers?
Stefan Frühbeis: Volkstümlichen Schlager senden wir nicht.
RADIOSZENE: Auf den Programmplänen finden sich auch die Begrifflichkeiten „Tradimix & Liedermacher“? Erläutern Sie unseren Lesern was genau sich dahinter versteckt?
Stefan Frühbeis: Das Wort „Tradimix“ ist eine „Wort-Schöpfung“ einer BR-Kollegin und steht für Musik, in der traditionelle Volksmusik mit modernen Musik-Elementen gemischt wird. Der Begriff „Liedermacher“ ist selbsterklärend; wir senden aber auch Titel des „Widersachers aller Liedermacher“ (Anmerkung: eine Würzburger Heimatsound-Band).
RADIOSZENE: Eine sehr wichtige Basis Ihrer Hörerschaft dürften hunderttausende aktiver Musiker:innen im Sendegebiet sein? Inwieweit binden Sie das Repertoire dieser Kapellen und Interpreten*innen in die Musikplanung ein?
Stefan Frühbeis: Wir nehmen gute Neuerscheinungen, die ins Programm passen, mit Freude in unseren Musikpool auf. Zahlreiche Gruppen und Formationen aus Volks- und Blasmusik beliefern das BR-Schallarchiv mit ihren neuen CDs. Alte Stücke werden aber nicht unmodern oder ausgesondert, nur weil sie das Haltbarkeitsdatum überschritten haben. Der Bayerische Rundfunk verfügt über ein großes Volksmusikarchiv, und dieses Archiv mit seinen Schätzen ist für das Programm-Angebot und die Programm-Vielfalt auf BR Heimat ein unschätzbarer Grundstock, ohne den es BR Heimat nicht gäbe.
RADIOSZENE: Eine Basis jeder Musikform ist der Nachwuchs, der ein Genre langfristig mitgestalten und weiterentwickeln soll. Mit welchen Aktionen binden Sie das junge Klientel ein?
Stefan Frühbeis: Da können wir uns sehr entspannt zurücklehnen. Musikanten-Nachwuchs wird in Bayern vielfältig von Vereinen und Institutionen gefördert. Die Dichte an Musik-Schulen, die auch Unterricht an Volksmusik-Instrumenten anbieten, ist gewaltig. Die schon erwähnte BR Heimat-Live-Veranstaltung „Huraxdax – Kinder machen Volksmusik“ mit Kindergruppen im BR-Funkhaus in München ist für viele junge Gruppen schon der Start ins „Musikantenleben“ gewesen.

Bei sämtlichen wichtigen Auslobungen von Volksmusik-Preisen für Jugendliche sitzt BR Heimat in der Jury.
„Der Begriff ‚Heimat‘ tümelt nicht (mehr) und hat auch die historische Belastung der Zeitgeschichte abgelegt“
RADIOSZENE: Wie viel Live-Musik steckt heute in BR Heimat?
Stefan Frühbeis: Wir besuchen mit unseren Übertragungswagen passende Veranstaltungen in allen Landesteilen, und wir bieten sehr erfolgreich monatlich eigene Volksmusik-Veranstaltungen an, die wir natürlich auch auf BR Heimat senden. Schwerpunkt in unserem Programm sind aber trotzdem aufgezeichnete Musiken.
RADIOSZENE: Über die Jahre entstand – neben der Musik – ein beachtliches redaktionelles Angebot. Im Grunde bieten Sie ein Vollprogramm mit Service, Kultur, Brauchtum, Regionalem, Gesprächen und so weiter. Wie wichtig sind diese Inhalte für den Gesamterfolg Ihres Senders?
Stefan Frühbeis: Ohne ein begleitendes und sorgfältig kuratiertes Wort-Angebot wäre BR Heimat nicht mehr als eine „Jukebox“. Wir wollten Bayern nie auf seine Musik reduzieren – das war auch von vornherein bei der Entwicklung der Welle vor zehn Jahren klar. Dialekt, Brauchtum, Regional-Kultur – bis hin zu einem umfangreichen Veranstaltungs-Service – sind zwingend notwendig, um die Hörerschaft emotional zu erreichen. Daher haben wir zum Beispiel mit dem „Heimatspiegel“ ein eigenes Magazinformat und mit „Habe die Ehre“ ein eigenes Talk-Format. Außerdem übernehmen wir Sendungen und Beiträge mit Bayernbezug aus dem Haus.

RADIOSZENE: Ist diese komplexe Außendarstellung auch ein Faktor, dass bislang noch keine ernstzunehmende Mitbewerber in den Markt eingetreten sind?
Stefan Frühbeis: Ich weiß natürlich nicht, welche Gründe Mitbewerber daran hindern, BR Heimat zu imitieren. Naheliegend sind da aber zum einen die Herstellungskosten für ein Vollprogramm wie BR Heimat, aber auch die Ressourcen, aus denen BR Heimat sich bedienen kann, aus einem Volksmusikarchiv, das seines gleichen sucht, das der BR seit Jahrzehnten pflegt und regelmäßig mit eigenen Aufnahmen bereichert, bis hin zu den wertvollen redaktionellen Beiträgen, die BR Heimat aus den Angeboten der BR-Fachredaktionen und dem BR-Korrespondentennetz bezieht. Bleibt noch das fundierte musikalische, volkskundliche und journalistische Fachwissen des Redaktionsteams zu erwähnen, dann wird leicht klar, dass es für BR Heimat keine Blaupause „aus dem Hut“ gibt.
RADIOSZENE: Hat sich Ihre Definition des im Sendertitel verankerten Begriffs „Heimat“ seit Sendestart verändert? Wie modern besetzt ist er?
Stefan Frühbeis: Für BR Heimat ist seit dem Sendestart vor zehn Jahren Bayern die Heimat – mit all seinen Themen und Facetten. Bayern ist bunt und beliebt, Bayern ist traditionsbewusst und modern, Bayern ist frisch und lebendig. Heimat ist vielfältig – wie die Menschen, die in unserm Land wohnen. Der Begriff „Heimat“ tümelt nicht (mehr) und hat auch die historische Belastung der Zeitgeschichte abgelegt. All diesen Aspekten versucht BR Heimat gerecht zu werden und sie abzubilden.

Und: Wir haben schnell gelernt, dass jeder Mensch mit dem Begriff „Heimat“ individuelle Erfahrungen verbindet. Es gibt vermutlich keine zwei identischen „Heimat“-Definitionen. Insofern ist der Begriff nicht statisch, sondern dynamisch und dadurch immer modern.