Die Zukunft des NRW-Lokalfunks steht auf der Kippe. Ein aktuelles medienökonomisches Gutachten im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) zeigt klar: Die bisherigen Strukturen der Lokalradios sind wirtschaftlich gefährdet. Dr. Tobias Schmid, Direktor der LfM, spricht über notwendige Reformen, mögliche Kooperationen und die Verantwortung der Sendergemeinschaften (vgl. auch NRW: Lokalfunk auf dem Weg zum Regionalradio). Wie viele der aktuell 44 Lokalradios langfristig überleben, hängt davon ab, ob sie ihre wirtschaftlichen Hausaufgaben machen.
RADIOSZENE hat mit Dr. Schmid am 13. Dezember darüber gesprochen, was jetzt passieren muss, um den Lokalfunk zukunftssicher zu machen.
RADIOSZENE: Sie haben ein Gutachten nach § 54 des Landesmediengesetzes in Auftrag gegeben, um zu überprüfen, ob die Lokalradios in der heutigen Form so erhalten bleiben können. Gibt es ein Ergebnis?
Dr. Schmid: Ja, das gibt es. Das Gutachten weist aus, dass die Struktur der Lokalstationen, die wir für unbedingt erhaltenswert halten, wirtschaftlich so aufgestellt werden muss, dass sie auch weiterhin funktioniert. Das können sie aus eigener Kraft schaffen, aber dafür müssen sie eben einige Maßnahmen einleiten, was sie teilweise getan haben und teilweise noch tun müssen. Das Gutachten skizziert ungefähr den Korridor dieser Maßnahmen. Das hat viele Überschneidungen mit den Ergebnissen des Strukturprozesses. Also, wenn dieser Strukturprozess und der Überlagerungsvertrag gelebt werden, dann sind wir schon einen Schritt weiter. Allerdings – und das macht das Gutachten auch klar – wird es erforderlich sein, dass sich die Veranstalter insgesamt auf einen Kostenkorridor zubewegen, der sie auch über das Jahr 2027 hinaus überlebensfähig macht.
RADIOSZENE: Sie haben irgendwann mal in einer Sitzung der Medienkommission – gefühlt vor einem Jahr – gesagt, dass ungefähr 20 Lokalradios vielleicht übrig bleiben. Gibt es heute eine neue Zahl, die Sie verkünden könnten? Gibt es da „von“ „bis“?
Dr. Schmid: Nein. Ich glaube, ich habe damals gesagt, dass, wenn alle unverändert weitermachen würden, nur 20 übrig blieben. Nun haben viele der Sender inzwischen angefangen, ihre Strukturen zu bearbeiten, und das Ziel unserer Arbeit ist, dass es so viele wie möglich bleiben – im Idealfall 44. Ob sie das schaffen oder nicht, liegt in ihrer eigenen Hand. Das Gutachten und die darin ausgesprochenen Empfehlungen sowie die Entschließung der Medienkommission sollen dabei helfen, dass das gelingen kann. Am Ende liegt die Verantwortung bei den VG-en und BG-en.
RADIOSZENE: Wir haben heute gehört, es gibt mehrere Szenarien im Gutachten. Was wäre dann die Zahl – nach dem Gutachten – die gesund wäre für den Lokalfunk?
Dr. Schmid: Das hängt davon ab, ob sich die Stationen wirtschaftlich aufstellen. Wenn jede Station ihre Hausaufgaben macht, dann können es 44 sein.
RADIOSZENE: Und wenn nicht?
Dr. Schmid: Dann werden die nicht überleben, die es nicht richtig machen.
RADIOSZENE: Und eine Zahl möchten Sie nicht herausgeben?
Dr. Schmid: Da ich ja nicht weiß, was sie machen werden, wäre es Unsinn, wenn ich jetzt eine Zahl nennen würde.
RADIOSZENE: Es ist heute gesagt worden, dass die Maßnahmen wahrscheinlich nicht zum Ziel führen. Das heißt, es werden Funkhäuser gebildet, es werden Kooperationen gebildet, aber hilft es tatsächlich, die Kosten einzusparen?
Dr. Schmid: Es ist heute nicht gesagt worden, dass die Maßnahmen, die zu ergreifen sind, nicht ausreichen würden. Es ist gesagt worden, dass die Maßnahmen aus dem Strukturprozess und dem Überlagerungsvertrag jedenfalls das Minimum sind und dass man darüber hinaus – insbesondere auf der Kostenseite – schauen muss, wie man auf einen Kostenkorridor kommt, der auf Dauer stabil ist. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Ansätze. Das ist aber nicht die Aufgabe der LfM NRW – diese Ansätze zu entwerfen – sondern die Aufgabe von VG-en und BG-en.
RADIOSZENE: Es gab eine Situation in der Sitzung der Medienkommission heute, wo Sie die Rolle von sich gewiesen haben und gesagt haben, die Verantwortung liegt eigentlich bei den Verantwortlichen des Lokalfunks. Agieren die zu langsam?
Dr. Schmid: Der Hintergrund war, dass ein Vertreter aus dem System sozusagen die Verantwortung an die Medienkommission adressiert hat. Da muss man sagen: Die Medienkommission ist für den wirtschaftlichen Zustand der Stationen natürlich nicht verantwortlich, sondern diese Verantwortung liegt bei den VG-en und BG-en. Würde ich sagen, sie sind zu langsam? Naja, also übermäßig schnell haben sie das Problem jedenfalls in der Vergangenheit nicht erkannt. Ich finde schon, dass sich das Bemühen in den letzten zwei Jahren deutlich verbessert hat, aber das ist ein sehr heterogenes Bemühen.
RADIOSZENE: Also Sie stehen nicht gegenüber einer Mauer – was früher die LfM beklagt hat. Gibt es auch Schattierungen bei dem, was der Lokalfunk sagt?
Dr. Schmid: Absolut. Ich glaube, die Situation ist inzwischen von den meisten verstanden worden, und die Reaktionsszenarien darauf sind unterschiedlich. Das liegt auch daran, dass die Stationen unterschiedlich sind. Insgesamt erlebe ich das System als kooperationsbereit, aber was wir natürlich einfordern müssen, ist, dass wir das jetzt auch ernsthaft angehen, und zwar alle. Es liegt in der Natur des Systems: Wenn einige wenige nicht mitmachen, dann kann das dem ganzen System schaden.
RADIOSZENE: Was ist der nächste Schritt? Wie geht’s weiter?
Dr. Schmid: Wir werden jetzt erst sehen, wer sich dem Überlagerungsvertrag noch anschließt. Da sind noch sieben Stationen ausstehend. Bei denen, die beschließen, nicht mitzumachen, müssen – so hat die Medienkommission entschieden – wir überprüfen, inwieweit es zu zwangsweisen Zusammenlegungen kommt – über die Verbreitungsgebiete. Das sieht Paragraph 54 des Landesmediengesetzes vor. Im Übrigen werden wir uns anschauen, was perspektivisch solche Verbreitungsgebiete sein könnten, die allerdings nur scharf geschaltet werden, wenn die jeweiligen Konsolidierungsmaßnahmen der Stationen nicht an und für sich greifen.
RADIOSZENE: Vielen Dank für das Interview.