Mehr Programmchecks: Eine Notwendigkeit für die Radiozukunft

Modernes Radiogerät mit Kreisdiagramm als Lautsprecher (KI-generiert)

Wie messt ihr denn, liebe Leute? Programmanalysen und ihre Bedeutung

Übergreifende, systematische Programmanalysen, von manchen offensichtlich weniger genutzt, zumindest wenn es um die Mitbewerber geht, stellen wichtige Werkzeuge dar, um die Qualität und den Inhalt von Radiosendungen zu bewerten. Solche Analysen dienen allerdings nicht nur der Programmplanung oder sind nützlich für die Werbeindustrie – damit sind Agenturen, nationale Kunden, aber auch lokale Werbungtreibende gemeint –, sondern sie dienen auch dazu, sicherzustellen, dass Spots tatsächlich und effektiv platziert werden.

Weitere Nutznießer sind Rechteinhaber, Lizenzgeber, Medienanstalten und die Sender selbst. Was diese davon haben, zum Beispiel beim sogenannten Inventory Management, wird weiter im Text erläutert.

Musik- und Wortanteile am Gesamtprogramm (Bild: ARD-Hörfunkstatistik 01.2024)

Eine erhebliche Zeiteinsparung wäre mit einem neuen Verfahren ebenfalls verbunden. Denn eine Ratio von 1 zu 4 – eine Stunde Programmcheck benötigt bisher durchaus vier Stunden Zeitaufwand – kann es zukünftig nicht mehr sein.

Herausforderungen der digitalen Messung

Eine Kritik richtet sich an manche „Digitalexperten“, die vorwiegend Streams analysieren, aber die UKW-Ausstrahlung vernachlässigen. Es ist nicht immer gewährleistet, dass im Simulcast-Verfahren übertragene UKW-Programme identisch sind. Zum Einsatz sollen proprietäre Tools kommen, deren Anwendung nicht nur komplex ist, sondern typische digitale Leistungskriterien ausweist, wie CTR, CPC, Ad Impressions, Retention Rate, Device Distribution und möglicherweise eine „Engagement Rate“. Solche Werte sind zwar nützlich und wertvoll, allerdings ist eine ganzheitliche Analyse notwendig, um ein Gesamtbild wesentlicher Programmelemente zu erhalten. Diese sollte für den ‚Alltagsgebrauch‘ schnell verfügbar und lesbar sein. Vollständig heißt: eine Ex-post-Auswertung von Programmelementen wie Nachrichten (national und lokal), Verpackungselementen wie Jingles, Trennern und dergleichen, von Serviceelementen, Musik und Werbung.

Ein Vorteil digitaler Monitoring-Verfahren, dies sei nicht verschwiegen, ist die Möglichkeit von crossmedialen Analysen. Nämlich: Wer kommunizierte in welchem Digitalkanal und zugleich oder eben nicht im Radio?

Praktische Ansätze

Ein Beispiel ist die SWRMedia, welche eine Audio-Matching-Software des Fraunhofer-Instituts (IDMT) nutzt, um die Ausstrahlung von Werbespots zu evaluieren. Diese Methode, ergänzt durch manuelle Überprüfungen, zeigt nach Auskunft des Vermarkters nur marginale Abweichungen, was die Effizienz und Genauigkeit der Technologie unterstreicht. Solche Verfahren setzen ein Audio-Watermark ein, wie es NeuroMedia oder Soundaware tun. Interessanterweise bestehen bei einem dieser Akteure Know-how-Überschneidungen mit sogenannter Audio Forensic, einem hochaktuellen Thema.

Public Value und seine Messung

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die mögliche Ermittlung des „Public Value“: standardisierte Dokumente zur Senderbewertung, die qualitativ und quantitativ messen, wie Sender zu einem Nutzen für die Öffentlichkeit beitragen. Ein automatisiertes Verfahren kann hier rasch und einfach nachweisen, welche Programmelemente zu solch einem Nutzen beitragen. Man höre und staune: Offensichtlich werden in der Praxis downloadbare PDFs heruntergeladen und von den Sendern ausgefüllt. Da soll noch einer deutsche Behörden kritisieren. Digitale Transformation im Hörfunk sollte anders aussehen. Ebenfalls können für eine Bewertung des öffentlichen Nutzens durchaus die Hörer mit eingebunden werden. Denn die MA oder Nielsen allein reichen nicht.

Werbe-Monitoring

Eigentlich müsste es für jeden Werbeverkäufer (und deren Vorgesetzte) notwendig und spannend sein, zu erfahren, welche Werbekunden beim direkten Wettbewerb zu hören sind oder welche Strategien bestimmte Branchen in anderen Regionen verfolgen. Jeder professionell organisierte Anbieter wird auch detaillierte Kunden- und Auslastungslisten führen. Ein Blick in Sender allerdings zeigte, dass hierfür systematisierte Verfahren in den wenigsten Fällen zum Einsatz kommen.

Änderungen in der Programmstrategie anderer

Auch hier lässt sich feststellen, dass solch ein Monitoring zum Standard eines Radioanbieters gehört. Aber Hand aufs Herz: Geschieht dies zeitnah und in engen Zeitabständen? Schaut man sich ähnlich positionierte Anbieter 500 Kilometer weiter entfernt tatsächlich systematisch an? Dies könnte sehr hilfreich sein, gerade bei einer Analyse der Zeitverläufe.

Innovation und Zukunftsperspektiven

Das Fehlen eines Audio-Webcrawlers ist augenfällig, der nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Daten erfasst, wie Stimmung und Sprechgeschwindigkeit. Hier besteht ein großes Potenzial in der Verbindung von Programm, Mediaplanung und Inventory Management durch automatisierte, digital gesteuerte Verfahren. Natürlich wird das Programm durch die einzelnen Radiosender bereits erfasst. Was aber eine systematische Erfassung der Mitbewerber betrifft oder eine gezielte Planung ex post von einzelnen Programmelementen, bestehen mit Sicherheit Lücken.

Programmanalyse (Bild: H. Poppe)

Interessanterweise gehen manche Forschungsunternehmen im politischen Bereich weiter: Sie bringen Ordnung in die Flut politischer Informationen, indem sie ein Monitoring von Tendenzen durch eine automatische Webanalyse vornehmen. Dies erlaubt übrigens auch Vorhersagen. Im Radiobereich bedeutet dies Prognosen zur Resonanz, Auslastung und den Zahlen für Kosten/Leistung.

Klar, welcher Anbieter analysiert nicht?

Ob dies aber systematisch, konstant, kostengünstig und rasch erfolgt, ist zweifelhaft. Es gehört zum Alltag eines jeden Radiosenders, im Nachhinein und für die Zukunft die Auslastung einzelner Slots zu prüfen und zu planen. Automatisierte Verfahren können hierbei enorm helfen – mit Massenrecordings, Natural Language Processing, Machine Learning, neuronalen Netzen und Transkriptionsverfahren.
Es dürfte ein Leichtes für digitale Plattformen sein, dafür geeignete Verfahren herzustellen und somit den Markt zu bestimmen. Wer reagiert nun rascher? Verzögerer spielen den Tech-Plattformen in die Hände. Wie sehr diese den Hörfunkern Aufmerksamkeit des Publikums und Erlöse abgenommen haben, ist bekannt. Radio droht angesichts dessen bestenfalls ein Stillstand in der Zukunft.

Was die gewisse Seichtheit mancher deutscher Radioprogramme betrifft: Eigentlich ist es erschreckend, wie formatiert und allzeit gute Laune versprühend sehr viele Sender ihre Programme gestalten. Hier geben Soundchecks quer durch unser Land Bestätigung. Es fehlen eindeutig interaktive Formate, Live-Interaktionen mit den Hörern durch Anrufsendungen, Umfragen und Social-Media-Integration. Diese machen das Hörerlebnis persönlicher und engagierender. Wichtig hierbei ist, dass ganz nebenbei First-Party-Daten gewonnen werden, die eine Währung im Mediengeschäft darstellen. Bewegtbildkanäle als Kanalerweiterung sind teuer, führen aber zu einer höheren Sendermarkenbindung.

Ein Blick nach Frankreich zeigt, wie dort solche Strategien den Sendern mit einem hohen Anteil an Wort und Diskussionen Erfolg bringen. Dazu gehören RMC BFM, Europe 1 und Les Indés.

Erfolgsgeschichten aus der Praxis

Und da gibt es noch die Geschichte einer ex-Gastronomin aus Kronberg im Taunus, deren Restaurant nach einer Radiovorstellung voll war, was die Wirksamkeit von Radio bei Hörern und Werbekunden verdeutlicht. Hier kann man sich das spontan erstellte Interview anhören:

„Radio funktioniert“. Es löst Glücksgefühle aus – sowohl bei den Hörern als auch bei den Werbekunden. Daher sind die ständige Verbesserung und Anpassung der Programmanalysen unerlässlich für die Zukunft des Radios. Diese sollten automatisiert vonstatten gehen … bevor Tech-Plattformen diesen für sie eher leichten Job übernehmen und zukünftige Parameter bestimmen.

Das komplette Interview zu dem Themenbereich findet man unter #RadioSalesWeekly.

Quellen: Deutsches Musikinformationszentrum, Media Perspektiven Basisdaten, Éditions HF, MediaticConseils, ma IP Audio, Eigenrecherche und Monitoring RadioSalesWeekly


cropped helmut poppe rundDieser Artikel wurde für die Leser von RADIOSZENE verfasst und reflektiert die Ansichten und Empfehlungen von Helmut Poppe hinsichtlich der Zukunft des Radiomarketings und von Programmanalysen. Poppe gehört zu den Privatradiopionieren in Deutschland und hat früh den Blick über den Tellerrand gewagt. Er war in der RTL-Gruppe (seinerzeit IPA) und bei Studio Gong für Vertrieb und Marketing leitend für den Vertrieb des Werbeinventars verantwortlich und kenn auch das Lokalgeschäft durch seine Vertriebstätigkeit u.a. bei Radio RPR.

Mit seinem Mediaforschungs- und Marketinghintergrund berät er Agenturen, Start-Ups und Audioanbieter in Fragen der Strategie und Markenbekanntheit sowohl in Deutschland und benachbarten Ausland, insbesondere in Frankreich. Als Experte für Radiomarketing und Medienstrategie setzt er sich intensiv mit der Rolle der künstlichen Intelligenz in der Medienbranche auseinander.