Nach seinen beiden autobiografischen Werken „Herbstblond“ und „Herbstbunt“ legte Thomas Gottschalk Mitte Oktober 2024 sein neues Buch „Ungefiltert“ vor. Er selbst deklariert es als Sachbuch, das mit seiner Expertise aus den Zeiten von Dampfradio und linearem Fernsehen Denkanstöße zum digitalen Zeitalter liefern möchte. Auf der anderen Seite hat sich bereits eine Reihe von Kritikern formiert, die Äußerungen eines alten weißen Mannes hören wollen, dessen Zeit endgültig abgelaufen sei.
Gottschalk fühlt sich dem Vernehmen nach in ersten Reaktionen auf seiner Leserreise unverstanden, und so geht es hin und her. Der hiesige Rezensent hat das Buch komplett gelesen, um sich selbst ein Bild zu machen. Um es vorwegzunehmen: Er kann die Gedanken Gottschalks oft nachvollziehen. An keiner Stelle steht übrigens, dass man heute nichts mehr sagen dürfe. Gottschalk bekennt sich mittlerweile als Konservativer im besten Sinne des Wortes, das sich vom Lateinischen „conservare“ (= bewahren) ableitet. Weder sei er jetzt rechts(populistisch), noch lasse er sich parteipolitisch zuordnen.
Das mit dem „alten weißen Mann“, dem es angeblich am Anstand gegenüber der Damenwelt fehle, kommt wohl vom anzüglichen Herrenwitz und dem öffentlichen „Antatschen“ diverser weiblicher Gäste auf der „Wetten, dass..?“–Couch. Beim Herrenwitz bekennt sich Gottschalk zwar „einiger Ausrutscher schuldig, die ihm heute nicht mehr so rausrutschen würden“ (S. 25); bezüglich des „Antatschens“ wendet er hilfsweise Verjährung ein und beruft sich auf fehlinterpretierte Szenen diverser Bildreihen im Netz, z. B. von Spiegel Online. Gottschalk leidet an den sozialen Medien und auch am öffentlich-rechtlichen System, aus dem er hervorging. Schon in den Siebzigerjahren sah er als Kolumnist der Münchner „Abendzeitung“ die Servicewelle Bayern 3 kritisch und schreibt rückblickend dazu: „Die Leitung des Bayernradios aber lebte in den Siebzigerjahren zu meinem Verdruss und im Widerspruch zu meiner persönlichen Meinung in der festen Überzeugung, einen Sender für die wichtige Zielgruppe der Autofahrer betreiben zu müssen, bei dem keinesfalls englische Popmusik gespielt werden dürfe, weil sonst ein Blutbad auf deutschen Autobahnen die unweigerliche Folge wäre.“ (S. 38). Allein mit dem heutigen Programm von Bayern 3 sei diese These eindrucksvoll widerlegt worden.
Mit „Pop nach Acht“ von 20–21 Uhr unterhielt Gottschalk sein zumeist jugendliches Publikum in den damals wenigen Pop-Inseln des Senders. Dass er in der letzten Ausgabe von „Wetten, dass..?“ 2023 erklärte, er rede mittlerweile zu Hause anders als im Fernsehen, führt er vor allem auf die sozialen Medien und die sich dort leicht ausbreitenden Shitstorms zurück: „Aber wer es, wie ich, gewohnt ist, niemandem mit dem, was er sagt, auf die Füße zu treten, und der sich nie mit jemandem anlegen wollte, kommt in einer Zeit, in der jeder sich spontan mit seiner Entrüstung im Netz zu Wort meldet, nicht mehr ungeschoren davon.“ (S. 78). Dabei konnte „dem Thommy“, wie er im Intimjargon seiner Stammhörer heißt, lange keiner etwas: Er legte bei SWR3, wo er zuletzt „radio-aktiv“ war, mal den „Summertime Blues“ in der Hardrockfassung von Blue Cheer auf, „weil er es kann“. Ein Hörer schilderte ihm in der Live-Sendung daraufhin, dass er die ungeliebte Arbeit in der Kfz-Werkstatt seines Vaters deswegen aufgegeben habe, weil er es auch könne. Gottschalk dazu trocken in seinem Buch: „Alles richtig gemacht! Er und ich.“ (S. 95).
Dem öffentlich-rechtlichen System konnte lange auch keiner etwas, bis Antenne Bayern z. B. Bayern 3 ernsthafte Konkurrenz machte: „Kommerziellen Gegenwind hielten die Verantwortlichen damals für ausgeschlossen. Solcherlei Attacken auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk würde schon das Grundgesetz verhindern.“ (S. 145). Gottschalk, für dessen Wirken im Radioprogramm des BR von Dresden bis Rosenheim es seinerzeit keine Konkurrenz gegeben hat, sah es damals schon anders und sollte recht behalten. Man hat Gottschalk zudem eher noch Steine für seinen heiteren Moderationsstil in den Weg gelegt: „Der Abteilungsleiter wies mich schriftlich an, ich solle ‚moderieren, aber nicht plaudern‘, ein ausgesprochen wertvoller Hinweis, den ich nicht ernst nehmen konnte.“ (S. 145).
Gottschalk, der hinter der öffentlich-rechtlichen Idee mit der Trias aus Information, Bildung und Unterhaltung durchaus steht, bemängelt am aktuellen Zustand dieses Sendetypus: „Nur hat die Wirklichkeit, in der sie sich derzeit präsentiert, wenig mit den hehren Ansprüchen zu tun, denen sich diese Institution einst verpflichtet hat. Schuld daran ist meiner Meinung nach die Einschaltquote, die den Erfolg oder Misserfolg beim Publikum anzeigt.“ (S. 146). Die Mediennutzung der nachgewachsenen Generation Z, zwischen 1996 und 2010 geboren, hat sich vom linearen Fernsehen hin zu den Streams bewegt. Das Smartphone nimmt einen großen Raum ein, und ein über 300 Seiten starkes Buch, und sei es das hier besprochene, stellt oft eine unüberwindliche geistige Hürde dar. Generationenforscher Dr. Rüdiger Maas, Gründer des Generationenforschungsinstituts in Augsburg, klärt den Boomer Gottschalk, geb. 1950, über die Gen Z auf (S. 185–217). Die Gen Z stellt sich, angefangen vom Spielplatzalter, als analog überbehütet mit den Eltern als Freunden dar, während sie im Digitalen sich oft allein überlassen wird. Gottschalk zitiert seinen Gesprächspartner wie folgt: „… die Kinder werden analog im Grunde gepampert, aber digital versaut…“ (S. 207).
Kapitel über das Älterwerden und darüber, was gewesen wäre, wenn er im heimischen Kulmbach geblieben wäre, runden das Buch ab. Man erfährt, dass er mit so manchem Star und Sternchen gut bekannt ist, aber die ihm tatsächlich angebotene Hollywoodkarriere ausschlug.
Rezension von Hendrik Leuker
Thomas Gottschalk – „Ungefiltert“ – Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann – ca. 319 Seiten, Penguin Random House/Heyne-Verlag, München- ISBN 978-3-453-21889-5, 24,00 € (D), 24,70 € (A) und 33,50 € CHF, bestellbar z.B. über Amazon. (Bezahlter Link)
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