Podcasts haben in vergangenen Jahren das Leben der Menschen bereichert. Die Mediendienste befeuern zweifellos eine „neue Lust auf das Hören“ – von der übrigens das Radio nachhaltig profitiert. Diverse Studien attestieren der Sparte weitere Steigerungsraten, 43,9 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung haben laut Media Analyse 2024 die abonnierbaren Audiodateien schon einmal genutzt. Was vor allem an einem stetig wachsenden Angebot liegt, das heute an inhaltlicher Breite kaum mehr Wünsche offen lässt. Namentlich der Crime-Bereich boomt mit immer neu aufgelegten Formaten.
Als Gregor Glöckner, Chef vom Dienst bei SWR3, vor einigen Monaten aufwachte, hatte er keine Verbrechen im Sinn. Wie aber wäre es, die Geschichte des Vorgängerprogramms SWF3 in Form von Gesprächen mit ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Podcast-Serie aufzuarbeiten? Zweifel an der Durchführbarkeit des Projekts waren rasch vom Tisch, nahezu alle angefragten ehemaligen Zeitzeugen signalisierten ihre Bereitschaft zur Teilnahme. Vorneweg Peter Stockinger, dessen Name als Programmchef unweigerlich mit der damaligen Vorzeigewelle verbunden ist.
Die am 1. Januar 1975 entstandene Servicewelle SWF3 integrierte gleichzeitig die bislang stundenweise sendende Programmschiene „Pop Shop“. Das junge Angebot „Pop Shop“ bestand seit 1970 genau genommen aus einer Programmfolge von Sendungen mit diversen Einzelnamen (wie „Openhouse“, „Facts und Platten“ oder „Antihits aus Deutschland“). Gründer war der visionäre Radiomacher Walther Krause.
Peter Stockinger baute SWF3 über die Jahre konsequent zu einem Radioformat modernster Prägung und mit hoher Strahlkraft bei der Hörerschaft aus. Das Programm dominierte in den 1980er- und 1990er-Jahren die Hörfunklandschaft im Südwesten – mancherorts sogar darüber hinaus. Sehr zum Leidwesen vieler benachbarter öffentlich-rechtlicher und privater Sender.
Mit der Fusion von Südwestfunk und Süddeutschem Rundfunk wurde SWF3 im August 1998 in das Nachfolgeprogramm SWR3 überführt. Mit dieser Zäsur endet am letzten Sendetag auch die Zeit von Peter Stockinger.
Über „Das Phänomen SWF3“ sprach Gregor Glöckner mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich.
RADIOSZENE: Herr Glöckner, Sie sind Mitarbeiter bei SWR3 und haben vor einigen Wochen eine Podcast-Serie der besonderen Art ins Leben gerufen. Frühere SWF3-Kolleginnen und Kollegen berichten über ihre besonderen Erlebnisse beim Sender. Mit welcher Vorstellungen haben Sie dieses Projekt gestartet?
Gregor Glöckner: Die Idee kam zu mir. Im Mai wurde ich eines Morgens wach und hatte geträumt, dass ich mit allen möglichen Ex-Kollegen aus der SWF3-Zeit gesprochen hätte. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los – vermutlich steckte der schon länger in mir. Dann habe ich dem früheren SWF3-Chef Peter Stockinger von der Idee geschrieben, und ob er dabei ist, wenn ich ein Gespräch aufzeichne. Ohne ihn hätte nichts einen Sinn ergeben. Aber er hat gleich zugesagt und mich sehr ermutigt, das Projekt anzugehen. Zwei Tage später hatte ich das technische Equipment zusammen (Mikros, Recorder), weitere zwei Tage später habe ich das erste Gespräch geführt: Im Wohnzimmer von SWF3-Comedychef Michel Bollinger.
„Bei den Gesprächen selbst war mir wichtig, dass wir die Erlebnisse, Erinnerungen und die persönliche Sicht auf besondere Geschichten zu hören bekommen“
RADIOSZENE: Bei SWF3 arbeitete ja eine illustre Schar von Mitarbeitern, die heute über prominenten Status verfügen – wie etwa Frank Plasberg, Anke Engelke, Elke Heidenreich, Frank Laufenberg, Christian Sievers oder Christoph Lanz. War es schwierig, die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen für eine Teilnahme zu gewinnen?
Gregor Glöckner: Gar nicht. Die Antworten kamen schnell, die meisten haben fix zugesagt und waren von der Idee begeistert. Inzwischen sind die meisten Talks ja veröffentlicht, bei einigen sind wir noch dran, einen Termin zu finden. Bei den Gesprächen selbst war mir wichtig, dass wir die Erlebnisse, Erinnerungen und die persönliche Sicht auf besondere Geschichten zu hören bekommen, das funktioniert nur in einer guten Atmosphäre. Dass wir uns von früher kannten, hat da sicher sehr geholfen. Für mich war es aber kein Unterschied, ob Promi oder früherer Redaktionsassistent. Alle haben ihre Perspektive, ihre Geschichte, und ich fand alles spannend, vieles war auch für mich neu.
RADIOSZENE: Wie viele Ehemaligen – und noch Aktive – konnten Sie für die Aktion gewinnen?
Gregor Glöckner: Bis jetzt habe ich knapp 30 dieser Gespräche geführt, und es werden noch ein paar dazukommen. Leider ist es mir unmöglich, mit allen zu sprechen, zumal das ja ein Freizeit-Projekt ist. Also konzentriere ich mich auf die, die in den späten 70ern und in den 80ern das Phänomen SWF3 so erfolgreich gemacht haben. Deswegen habe ich auch mit Wolfgang Niedecken von BAP als special guest gesprochen darüber, was SWF3 mit dem damaligen Riesenerfolg von BAP zu tun hat.
RADIOSZENE: Darf man sich unter dem Projekt eine Art virtuelles Klassentreffen vorstellen, bei dem die Kolleginnen und Kollegen über ihre Erinnerungen sprechen?
Gregor Glöckner: Ich sehe das Projekt eher als Einladung zu einem Klassentreffen. Denn tatsächlich konnten mit der Veröffentlichung nicht nur alle Beteiligten ihr eigenes Audio nochmal anhören, sondern auch die der früheren Kolleginnen und Kollegen. Das wiederum führte, wie ich mitbekomme, zu einem regen Austausch vieler Beteiligter untereinander. Alte Kontakte und Gespräche wurden aufgefrischt. Insbesondere bei SWF3-Programmchef Peter Stockinger haben sich viele gemeldet. Die Folge mit ihm war nicht nur die erste, die veröffentlicht wurde, sondern auch die mit Abstand meistgehörte.
RADIOSZENE: Auf welche Themen und Geschichten darf man sich einstellen?
Gregor Glöckner: Immer wieder gibt es ein Thema, das zur Sprache kommt: die berühmt-berüchtigte Abhörkonferenz. Das Motto war: Was wir unseren Hörern zumuten, müssen wir selbst aushalten. Das war dann auch schon mal robust und hat sich tief in manche Erinnerung eingegraben. Auch hier gilt: Jeder hat seine Version.
Ein anderes Thema ist der große Teamgeist. Die Idee, ein ganz besonderes Radio zu machen, hat doch sehr zusammengeschweißt.
RADIOSZENE: Mit wie vielen Folgen rechnen Sie?
Gregor Glöckner: Am Ende werden es sicher mehr als 30 sein. Wann und wie das Projekt ein Ende finden wird, ist noch völlig unklar. Da lasse ich mich selbst überraschen.
RADIOSZENE: Nun haben nicht alle ehemaligen SWF3-Kollegen den Sender im allerbesten Einvernehmen verlassen. Werden auch diese Moderatoren zu Wort kommen?
Gregor Glöckner: Die Geschichte von Elmar Hörig und SWF3 ist ja eine besondere. Er war in den 80er Jahren ein echter Kult-Moderator, viele haben auf seine Sendungen damals gewartet und bewusst eingeschaltet. Kurz nach der Fusion zum SWR Ende der 90er gab es Streit um einige seiner Moderationen, insgesamt veränderte sich sein Stil, und Elmi musste gehen. Bei anderen Radiosendern war er nicht mehr sehr erfolgreich, seine späteren Projekte in den Sozialen Medien haben viele Menschen abgestoßen. Sein früherer Chef und Mentor Stockinger distanzierte sich vor ein paar Jahren von ihm in aller Öffentlichkeit.
Für mich war klar, dass ich mit Elmi sprechen möchte. Über gute und schlechte Zeiten. Er war bereit, und wir haben über all das gesprochen. Ich fand Elmar in diesem Gespräch sehr zugewandt und offen. Für mich ist das in mehrerlei Hinsicht eine besondere Folge geworden.
„Ich fand Elmar Hörig in diesem Gespräch sehr zugewandt und offen“
RADIOSZENE: Üblicherweise produzieren Radiosender ihre Podcasts für die große Öffentlichkeit. Wen wollen Sie mit Ihrer Initiative erreichen? Wir können uns vorstellen, dass die Geschichten vertrauter Stimmen auch für viele Hörerinnen und Hörer von Interesse sind …
Gregor Glöckner: Das Ganze ist ja ein privates Projekt, ich wollte eine Sammlung von Wissen und Erinnerung über ein Phänomen seiner Zeit zusammenstellen. Wen das, über die Beteiligten hinaus, interessieren könnte, darüber habe ich mir wenig Gedanken gemacht.
Ich muss zugeben: ich habe das Interesse vieler an diesem Thema gewaltig unterschätzt.
Als ich endlich eine Idee hatte, auf welcher Plattform (Spotify) und auf welche Weise (eine Folge täglich) ich das veröffentlichen werde, habe ich den Beteiligten den Link geschickt. Von da an ging das Ding viral. Viele haben den Link gerne und als Tipp im Freundeskreis weitergegeben. Dass es einen Bericht in der ARD-Audiothek über das Projekt gibt, war sicher ebenso hilfreich, wie der Umstand, dass Wolfgang Niedecken auf seinen Kanälen sehr sympathisch Werbung gemacht hat. Ich staune gerade immer noch über das anhaltende Interesse. Und freue mich gewaltig.