Die tägliche Morningshow zählt im deutschen Radio unbestritten zur Königsdisziplin. Gezielt konzentrieren die Sender einen guten Teil ihrer Programmetats und Ressourcen auf diese frühe Sendestrecke. Die Hörerschaft soll in diesen Stunden schließlich mit einem (möglichst) perfekt abgestimmten Angebot aus Service, Infotainment und Comedy bedient werden. Bewährte Konzepte, die den meisten Programmen über viele Jahre auch – mehr oder weniger – gut gelangen.
Mit den Krisen der letzten Jahre stehen zahlreiche Programme bei der Ausrichtung der Primetime des Tages heute allerdings vor enormen Herausforderungen. Als Gründe nennt die Medienforschung unter anderem verändertes Hör- und Nutzungsverhalten sowie eine sich grundlegend wandelnde Erwartungshaltung der Hörerinnen und Hörer an das Radio. Ernstzunehmende Motive, die bei manchen Programmen die Morningshow zu einer Dauerbaustelle werden ließen.
Top-Garanten für starke Hörerzahlen bleiben weiter die Moderatoren, die überdurchschnittliche Voraussetzungen wie Charisma, Intellekt, Erfahrung oder Schlagfertigkeit in ihre Morgensendungen einbringen. Also Persönlichkeiten wie Arno Müller (104.6 RTL), John Ment (Radio Hamburg) oder Wolfgang Leikermoser (Antenne Bayern) – die zu den Marathonläufern unter den Morningshow-Protagonisten zählen. Alle sind beim breiten Publikum in ihren Sendegebieten seit Jahrzehnten als feste Einschaltgarantien verankert.
Zu diesem Elitekreis zählten bis Ende 2023 auch die Programmgestalter Michael Wirbitzky und Sascha Zeus, die seit der Fusion von Südwestfunk und Süddeutschem Rundfunk zum Südwestrundfunk im Jahr 1998 die SWR3 Morningshow moderiert haben. Eine lange Zeit, in der das kongeniale Duo mit ihrem ganz eigenen Humor die Show mit durchschnittlich 1,5 Millionen Hörern zur beliebtesten Frühsendung in Deutschland machte. Für diese Leistung wurden der aus dem Rheinland stammende Wirbitzky und der in München geborene Zeus im Jahr 2011 mit dem Deutschen Radiopreis als “Beste Morgensendung“ ausgezeichnet.
Die Qualen des sehr frühen Aufstehens vor Arbeitsbeginn sind nun vorbei. Zeus und Wirbitzky haben bei SWR3 mit der Übernahme der „Drivetime“ im Januar 2024 eine nicht weniger anspruchsvolle Aufgabe übernommen. Im Interview sprechen die Moderatoren mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich über ihre neue Sendung und blicken zurück auf ihre Zeit am frühen Morgen.
RADIOSZENE: Seit Jahresbeginn 2024 sind Sie bei SWR3 nach 28 Jahren bei der Morningshow nun bei „SWR3 MOVE“ am späten Nachmittag zu hören. Welche Facette(n) der Morgensendung vermissen Sie am meisten?
Michael Wirbitzky und Sascha Zeus: Den Brötchenservice, den Whirlpool und die Beschneiungsanlage im Winter. Gibt´s ja nachmittags alles nicht.
„MOVE“ ist laut Vorgabe eine Feierabendsendung, der Titel verspricht viel Bewegung. Welche Inhalte präsentieren Sie den Hörerinnen und Hörern? Wie viel Zeus und Wirbitzky steckt in dieser Sendung?
Der Sendungstitel ist schlecht gewählt, denn Sascha Zeus bewegt sich kaum während der Sendung. Thematisch allerdings sind wir ziemlich beweglich. „Move“ ist eine Sendung in der sogenannten „Drivetime“. Auf dem Heimweg sollen die Menschen durchaus nochmal alle wichtigen Themen des Tages mitbekommen. Und wer bis 16 Uhr noch nichts zu lachen hatte, der kriegt dann eine Chance. Denn auch am Nachmittag ruft Peter Gedöns an, verwechselt Frau Vierthaler die Fremdwörter oder erklärt der Erklärbär die Welt. Auch „SWR 3 Move“ ist eine echte Wirby/Zeus-Show.
Wie hat sich das Wesen von Comedy verändert? Inzwischen sind – neben dem Hörfunk – unzählige alternative Ausprägungen von Humor entstanden. Auch, so merken viele Kollegen an, macht der sich immer schneller wandelnde Zeitgeist es den Machern schwerer, für Sendegebiet und Zielgruppe die passenden Angebote zu finden …
Das Wesen der Comedy verändert sich immer. Viele der teilweise zynischen und sarkastischen Gags, die wir in den 80ern und 90ern gemacht haben, machen wir heute nicht mehr. Und zwar nicht, weil es verboten wäre, sondern weil es sich einfach nicht richtig anfühlt. Es sei denn, es ist ein guter Gag, dann … pfeif drauf.
Die Haltbarkeitsdauer der weit überwiegenden Zahl der Morningshowpersonalities ist offenbar eher limitiert. Nur einige wenige Dauerbrenner wie John Ment, Arno Müller, Steffen Lukas, Jochen Trus oder Wolfgang Leikermoser sind nach Jahrzehnten noch dabei: Sie haben 28 Jahre durchgehalten. Gab es so etwas wie ein Patentrezept für Ihr langes Wirken?
Frühes Aufstehen war nicht unwichtig. Man sollte auch Bon Jovi mögen. Und zwar oft. Man sollte auch in der Lage sein, abends heimzugehen, wenn Freunde sagen: „Komm, eins geht noch!“ Für uns war es auch immer wichtig, die Show zu zweit zu machen. Jeder hat mal Kummer oder ist nicht ganz fit. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das bei beiden der Fall ist, ist eben doch geringer.
„Wir warten mal ab, welche Influencer in 28 Jahren noch eine Tagescreme in die Kamera halten“
Bei welchen Inhalten hat sich der Charakter der Morgensendung während Ihrer Zeit am spürbarsten verändert?
Insgesamt liegt der Fokus heute mehr auf Entertainment und kompakter Information. Für mehr Hintergrund gibt es ja die ganze Vielfalt der ARD-Programme.
Die gewachsene Zahl an Sidekicks und Verpackungselementen hat auch viel mehr Tempo und Dynamik in die Abläufe gebracht – was den Hörerinnen und Hörern auch ein Mehr an Aufmerksamkeit abverlangt. Gewollt? Oder wäre weniger – im einen oder anderen Fall – nicht mehr?
Nein. Weniger wäre weniger. Und der Unterschied beispielsweise zu Social-Media-Formaten wäre noch krasser. Denn die legen ja auch ein enormes Tempo vor. Ein Radio, das da nicht Schritt hält, würde altbacken wirken.
Die Hörerzahlen der Sendungen am Morgen bröckeln – was natürlich auch an der allgemeinen Mediennutzungsentwicklung liegt. Was muss das Radio tun, um die Morningshow noch möglichst lange attraktiv zu halten? Zuletzt wurde ja auch festgestellt, dass man den Anteil an „Bad News“ geringer halten müsse … Wie viel „harte Information“ kann den Hörerinnen einer Popwelle heute zugemutet werden?
Unsere Hörer und Hörerinnen erwarten harte Information, wenn sie für ihren Alltag wichtig ist. Dann findet sie auch statt. Wir neigen nicht dazu, die Menschen zu unterschätzen. Wir wollen einfach nah am Leben der Menschen vorm Radio sein, und das besteht ja auch nicht nur aus harten Informationen. Da wird auch mal gelacht und geweint.
Früher galt der Job des Radiomoderators als begehrte Berufung. Heute verwirklichen sich junge Menschen lieber als Influencer. Wirkliche Talente am Mikrofon werden rar. Geht dem Radio der Nachwuchs aus?
Den Eindruck haben wir nicht. Radio ist und bleibt ein spannendes Medium, und immer wieder kommt ein neues Talent durch die Tür. Wir warten mal ab, welche Influencer in 28 Jahren noch eine Tagescreme in die Kamera halten.
Ein eisernes Tabu beim Radio ist das Thema „Bezahlung“. Darüber wird selten geredet. Höchstens, wenn bekannt wird, dass der öffentlich-rechtliche Ö3-Morgenmann Robert Kratky jährlich über eine halbe Million Euro Jahressalär einstreicht. Brutto wohlgemerkt. Nun verbieten sich naturgemäß Vergleiche mit den Einkommensverhältnissen von Jungprofis beim Fußball oder koreanischen Boygroups. Dennoch – und ganz allgemein gefragt -, wird die Funktion von erfolgreichen Radio-Personalities adäquat honoriert?
Ja.
Der bewegendste und peinlichste Moment während Ihrer Zeit am Morgen?
Sascha hat mal den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Il, Kim Jong der Zweite genannt. Das war schon sehr weit unten. Und uns wurde mal in der laufenden Sendung eine Abmahnung angekündigt. Das war schon recht bewegend.
Der Segen der sog. Künstlichen Intelligenz beim Radio wird aktuell kontrovers diskutiert. Kann diese „Automatisierung intelligenten Verhaltens“ irgendwann eine Morningshow ersetzen?
Das kommt immer darauf an, was die Menschen von einer Morningshow in Zukunft erwarten. Irgendeine Radiosendung würde schon dabei herauskommen. Und für kleinere Sender ist das vielleicht auch finanziell reizvoll. Aber welche künstliche Intelligenz wird schon Kim Jong der Zweite sagen, wenn es um Kim Jong Il geht?