Ein Glück für einen Sender, wenn er zu Beginn des Ukrainekriegs Mitarbeiter mit russischem und ukrainischem Migrationshintergrund hatte. Ausgerechnet beim kleinen Ausbildungsradio max neo in Nürnberg hatte Programmchef Konni Winkler dieses Glück: „Es gab Emotionen“, beschreibt Winkler auf dem Panel zu mehr Vielfalt in den Redaktionen auf den Lokalrundfunktagen die Lage seinerzeit, immerhin habe man in der Redaktion über Tote gesprochen. Aber die jungen Redaktionsmitglieder haben Perspektiven geliefert, die man sonst nicht hätte. „Und da kann man so einen Krieg in Europa ganz anders abbilden.“
Winklers Radio muss keine Quote machen, keine Werbekunden anlocken, da kann man sich einiges an Experimenten erlauben. Andere Redaktionen tun sich schon wesentlich schwerer dabei, Vielfalt in die Redaktion zu holen – sei es, weil sie sich nicht trauen, oder weil sie einfach keine Menschen mit ungewöhnlicheren Biographien rekrutieren. Somit landen dann eben doch viele weiße Mitteleuropäer aus der Bildungshaushalten im Journalismus, die aus ihrer eingeschränkten Perspektive berichten.
„Helikopterjournalismus“ nennt Ella Schindler vom Verlag Nürnberger Presse das, wenn etwas passiert und dann schnell schnell ein Journalist vor den russischen Supermarkt geschickt wird, um die Menschen dort nach ihrer Meinung zu einem Thema zu fragen. Ein tiefer Einblick in die jeweilige Community ist das sicher nicht. „89 Prozent aller Fernsehbeiträge über muslimische Menschen handeln von Krieg, Krise und Kiminalität“, sagt Schindler, um ihre Position zu unterstreichen, ein so begrenzter Ausschnitt entspreche aber wohl nicht der Realität.
Die Gründe für fehlende Diversität sind vielfältig. Harald Stocker, Vorsitzender des Bayerischen Journalistenverbands (BJV), weist darauf hin, dass perfektes Beherrschen der deutschen Sprache immer noch häufig eine Einstellungsvoraussetzung in den Medienhäusern sei. Aber abgesehen davon, dass man damit die Auswahl an Kandidaten für Volontariate, Praktika und Moderationsstellen einschränkt, erreiche man mit so einer Strategie auch weniger Publikum, so Stocker. Menschen, die mit komplizierter Sprache nicht klarkommen, Menschen, die sich von Moderatoren mit Akzent besser verstanden fühlen, weil sie selber einen Migrationshintergrund haben, sie alle sind ebenfalls Teil unserer Gesellschaft und damit ein Potential als Hörer und Leser.
Dass nicht nur Akzent, sondern auch Dialekt ein Hindernis sein können, hat Konni Winkler festgestellt. Er selber „fränkelt“, das kriegt er wohl auch nicht mehr raus aus seiner Sprache – sieht das aber als Potential, um beim Publikum glaubwürdig zu klingen. Sportmoderator Günther Koch habe das vorgemacht, da sei Lokalkolorit schon immer Teil des Konzepts gewesen. „Warum soll Radio so anders klingen, als wenn man in der Stadt ist und mit Menschen kommuniziert?“, fragt sich Winkler. Ausgerechnet die öffentlich-rechtlichen Sender hebt der privatradioerfahrene Winkler dabei positiv hervor, die in ihren Programmen immer wieder auf Regionalfenster oder ganze Wellen mit hörbar dialektgeprägten Menschen am Mikrofon setzen.
Die Medienvertreter auf dem Panel haben selbst sehr diverse Biographien, sind damit aber eher die Ausnahme. Printjournalistin Schindler hat Wurzeln in der Ukraine, Stocker hat zuerst eine Ausbildung zum Industriemechaniker gemacht, bevor er sich im Journalismus hochgearbeitet hat. Und Winkler vereint Migrationshintergrund mit untypischer Bildungshistorie: Er hat es ohne Abitur zum Programmchef geschafft. Das ist nicht selbstverständlich, denn abseits von Sprachbarrieren und Stigmatisierungen sind die bürokratischen Hürden in den Redaktionen hoch.
„Was sagt es aus, wenn jemand vier Wochen bei der Süddeutschen Zeitung ein Praktikum gemacht hat oder beim BR?“, fragt Ella Schindler und beantwortet die Frage gleich selbst: „Das ist der Beweis, dass die Eltern genug Kohle haben, um einen Monat in München zu finanzieren.“ Ob Winklers, Schindlers und Stockers Eltern so etwas finanzieren hätten können? Schindler bringt es auf den Punkt, dass viel mehr Menschen eine Chance verdienen, abseits ihres Bildungs- und Finanzhintergrundes: „Wenn jemand seit 8 Jahren kellnert, ist es jemand, der belastbar ist, der auf Menschen zugehen kann und der zu unangenehmen Zeiten arbeiten kann“, sagt sie, seien das Tugenden, die auch im Journalismus wichtig sind. Mehr Kellner mit Akzent ins Radio also, einen Versuch wäre das doch wert.