Musikschaffende als Moderatoren und Programmmacher im Radiostudio … viele haben es in der Vergangenheit getan, immer mehr tun es heute. Namentlich bei Spartenangeboten für Rock, Schlager oder elektronischer Musik, wo sich namhafte MusikerInnen wie Doro Pesch, Sammy Hagar, Chad Kroeger, Alice Cooper, Till Brönner, Tiesto, Robin Schulz oder Paul van Dyk als regelmäßige Fixpunkte auf den Programmplänen finden.
Im öffentlich-rechtlichen Lager sind beispielsweise Wolfgang Niedecken, Götz Alsmann oder Purple Schulz beim WDR aktiv, bei den rbb-Programmen Fritz und radioeins tummelt sich gar ein kleines Heer an moderierenden MusikerInnen. Nicht zu vergessen: Peter Urban. Der in diesen Tagen 50jährige Zugehörigkeit bei NDR 2 feiernde Kultmoderator, war lange Zeit Mitglied der bekannten Hamburger Formation Bad News Reunion.
Neben einem beachtlichen Schub an Imagegewinn (für beide Seiten), geben die Sender den HörerInnen und Usern die Möglichkeit, die Musikwelt durch die Augen von prominenten Protagonisten mit großer Glaubwürdigkeit zu entdecken.
Mut zeigte damals auch das rheinland-pfälzische Privatprogramm RPR1., als es 2012 die neue Sendeserie „Liedergut“ aus der Taufe hob. Das Format sollte über die deutsche Popszene berichten und wurde von der ehemaligen Sängerin Miriam Audrey Hannah moderiert. Ein Experiment, das mit einer – für Privatfunkverhältnisse – unfassbar langen Lebensdauer bis heute aufgeht. „Liedergut“ – inzwischen in „Music Made In Germany“ umfirmiert – war eines der ersten Deutschpopmagazine im deutschen Radio. Und noch immer gestaltet und präsentiert von Miriam Audrey Hannah, die die Sendung – mehr denn je – mit viel Herzblut und Expertise begleitet.
Bereits als 17-Jährige landete Hannah mit ihrer Debütsingle „It’s December (And I’ll Be Missing You)“ einen Hit in den „Offiziellen Deutschen Musikcharts“. Der auf Weihnachten abzielende Song der Newcomerin erreichte Platz 27 und hielt sich 11 Wochen unter den Top 100. Der Titel gehört seither während der Vorweihnachtszeit zum Standardrepertoire vieler Radiostationen. Nach einem Musikstudium und Ballettausbildung, entschied sich die gebürtige Saarbrückerin dennoch für eine Laufbahn beim Radio. Seit 2017 moderiert sie zudem die Ziehung der Lottozahlen im Saarland.
Im Interview mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich spricht Miriam Audrey Hannah über ihre Sendung sowie die aktuelle Lage der deutschen Popmusik.
Mir wird die Zeit geboten, überhaupt zuhören zu dürfen
(Miriam Audrey Hannah, RPR1.)
RADIOSZENE: Frau Hannah, wie sind Sie zu Radio gekommen?
Miriam Audrey Hannah: Mit 13 Jahren konnte ich schon eine Sendung beim offenen Kanal senden und hatte – ich spüre es wie heute – null (!) Verständnis dafür, dass mein Co-Moderator es nicht so ernst genommen hat ☺. Die Erlösung für mich kam mit 16 Jahren, das war 1999. Da startete vom Saarländischen Rundfunk das Jugendradio UNSERDING. Wir waren eine kleine Truppe radioverrückter junger Menschen, die man abends zwingen musste, nach Hause zu gehen. Niemand von uns wollte etwas anderes machen. Eine Zeit, die sehr geprägt hat. Mit vielen habe ich heute noch Kontakt. Es bleibt eine Liebe, die nie endet.
RADIOSZENE: Sie gestalten bei RPR1. die Sendung „Music Made In Germany“. Seit wann existiert die Show?
Miriam Audrey Hannah: Ich wurde vom verstorbenen Radiomacher und Visionär Kristian Kropp 2012 für seine Idee der Künstlerszene in Deutschland eine verlässliche Heimat zu geben gecastet. Er wollte stets das Radio revolutionieren und war seiner Zeit immer voraus. „Liedergut, Music made in Germany“ war seine Idee einer White Label-Künstlerinitiative, einer Plattform, eines multimedialen Fundaments, das Jahrzehnte überstehen sollte – selbst das Privatradio. Im November werden es 12 Jahre und seit 2012 gehe ich nun meiner Leidenschaft nach, Gespräche mit den Künstler:innen aus dem deutschsprachigen Raum zu führen. Nicht deutsche Musik, sondern eben „Music made in Germany.“
Die Initiative steht für Wort, sogar länger als 1:30 und bietet Platz für Musikgeschichten, die man nicht so oft zu hören bekommt. Ich werde öfter gefragt: Wie bekommst du diese krassen Interviews hin? Schlichtweg, weil ich hören will, was mein Gegenüber zu sagen hat. Ich habe wirkliches Interesse an dem, was erzählt wird. Und mir wird die Zeit geboten, überhaupt zuhören zu dürfen. Ich denke, das ist das größte Geheimnis.
Music Made in Germany (MMIG) sollte von Beginn an auch Grenzen, die gerade in der Radiolandschaft gegeben sind, überwinden. Senderübergreifend zusammenzuarbeiten und der Musikshow für die Künstler:innen „Made in Germany“, eine Chance zu geben. Deshalb planen wir auch für dieses Jahr einen Relaunch und eine Erweiterung der Plattform „mmig.de“, den digitalen Dreh- und Angelpunkt der Bewegung.
RADIOSZENE: Welche Rolle spielt der Nachwuchs innerhalb der Musikszene bei der Auswahl für Ihre Show?
Miriam Audrey Hannah: Das ist jede Woche neu ein kleines Highlight. Ich liebe es, neue Musik zu entdecken und das mit unserer MMIG-Community zu teilen. Ich weiß noch, als Nico Santos mein Newcomer der Woche war, oder Mark Forster. Und ich liebe es, wenn der Plan aufgeht und man sie viele Jahre auf ihrem Weg begleiten kann.
RADIOSZENE: Nach welchen Kriterien wählen Sie generell die Musik für Ihre Sendung aus?
Miriam Audrey Hannah: Gemeinsam mit David Banks, selbst Musikproduzent, DJ und Musikredakteur, stellen wir die Künstler so zusammen, dass es passt, mit der Tour, den Interviews, Podcasts, mit den Konzerten und wirklich neuer, frischer Musik. Die Vorschläge werden in einer wöchentlichen Konferenz besprochen. Wir finden immer einen Konsens.
RADIOSZENE: Begleitend zur Sendung erscheint ein Podcast, der auch über die Programme BigFM und Radio Regenbogen lanciert wird…
Miriam Audrey Hannah: Neben der Radioshow einmal pro Woche bei RPR1., bieten mir bigFM und Radio Regenbogen unter der Woche Platz für Interviewhighlights und neue Musik. Die Radioshow bei RPR1. findet konstant jetzt im dreizehnten Jahr statt. Keine Ahnung, wie Rolf Vogl, der Produzent der Show, und ich das hinbekommen, aber die Radioshow ist noch nie ausgefallen. Wir haben schon vom Strand, im Flieger, unter der Decke und aus einer Abstellkammer gesendet.
Dieses kompromisslose Arbeiten hat uns immer verbunden, wir kennen uns nun seit 20 Jahren. Er gehört zu denjenigen, die beim Jugendradio nie nach Hause gehen wollten ☺. Und wir haben uns in der Künstlerszene, und in der Musikindustrie echt etwas aufgebaut. Trotz aller Widrigkeiten, die so ein Projekt mit sich bringt.
Ich sehe auch die Radiomacher in der Verpflichtung nicht nur auf Hypes aufzuspringen, wenn sie da sind, sondern selbst Teil einer Bewegung zu sein
(Miriam Audrey Hannah, RPR1.)
RADIOSZENE: Welchen Eindruck haben Sie von der aktuellen deutschen Popmusikszene?
Miriam Audrey Hannah: Es ist so, so schwer. Auch über TikTok und Spotify verbreitet sich neue Musik nur unter bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Ich sehe natürlich, wie viele andere auch die Vielfalt und Freiheit in Gefahr. Es hat einen Grund, warum alles ähnlich klingt, weil es eben, wenn es nicht nach Mainstream klingt, oft nicht stattfindet. Musik, die nicht den genormten Richtlinien entspricht – das ist zum Luxusgut geworden und Kunst sollte kein Luxus sein. Kunst ist auch ein großes Stück Freiheit und etwas, das inspiriert. Darauf muss man achten und da sehe ich auch die Radiomacher in der Verpflichtung nicht nur auf Hypes aufzuspringen, wenn sie da sind, sondern selbst Teil einer Bewegung zu sein.
RADIOSZENE: Nationale Musik wird im Radio sehr unterschiedlich eingesetzt. Englischsprachige Popmusik „Made in Germany“ läuft recht passabel, deutschsprachige Songs eher verhalten. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Miriam Audrey Hannah: Ich diskutiere viel mit den verschiedenen Radio- und Programmleitern, Musikredakteuren, Künstler:innen, die mittlerweile dann doch lieber englischsprachige Musik machen (müssen) und versuche es selbst zu ergründen. Einige sagen: Es war einfach zu viel und Vieles klang zu gleich. Jede Bewegung hat nun mal eine Gegenbewegung. Das ist der Tenor, der mir im Ohr nachklingt. Zu viele zu gleichklingende Singer-Songwriter, die in der Summe dann zu ähnlich und zu schwermütig klingen.
Warum aber ein Udo Lindenberg außer mit Apache nicht sendbar ist, warum Philipp Poisel, Sarah Connor und Joris gerne im TV, auf Streamingdiensten und live stattfinden, aber eben nicht mehr im Radio und warum Joy Denalane oder ein Herbert Grönemeyer kaum noch auf Radioplaylisten stattfinden können, mag mein Künstlerherz einfach nicht verstehen. Die Konzerte jedenfalls sind voll und regelmäßig quillen die Mail-Postfächer über und die Telefonleitung bersten, wenn es um Plätze geht. Die Fans lieben die Musik von den Held:innen, die einfach mit ihrer Kunst begeistern.
RADIOSZENE: In der Konsequenz bedeutet diese Entwicklung ja, MusikerInnen davon abzuraten, in deutscher Sprache zu produzieren…
Miriam Audrey Hannah: Ja und nein. Da sind wir wieder beim Teufelskreis aus künstlerischer Freiheit vs. Erfolgschancen. Man muss sich entscheiden: Mache ich Kunst, die aus mir heraus entsteht, oder werde ich erfolgreich. Ich ziehe meinen Hut vor allen, die es durchziehen – und ich freue mich über jedes Airplay, das wir anbieten können.
RADIOSZENE: Wie sehr hilft Ihnen die Karriere als frühere Sängerin bei Ihrer Arbeit beim Radio?
Miriam Audrey Hannah: Schon sehr. Jahrelang war ich mir dessen nicht bewusst, aber es ist einfach so. Die andere Seite zu kennen, ist in den Gesprächen und Interviews sehr viel wert. Das schafft eine schöne Vertrauensbasis. Ebenso die langjährige Beständigkeit des Formats.
RADIOSZENE: Sie sind mit „Music Made In Germany“ im Sendegebiet auch über eine Roadshow unterwegs. Events, die Ihrem Sender offenkundig sehr wichtig sind – und die von RPR1. intensiv promotet werden. Wie präsentieren Sie das Konzept?
Miriam Audrey Hannah: Es ist wundervoll und magisch. Und es wird immer schöner. Durch langjährige Partner haben wir die Möglichkeit, so etwas Schönes den Hörer:innen und den Künster:innen anzubieten. Karten gibt es nicht zu kaufen, es sind Glücksmomente, in denen man die Zeit vergisst. Eine Stunde Live-Interview, eine Stunde Unplugged-Konzert. Maximal 150 Leute, also ein sehr kleiner Kreis, Wohnzimmeratmosphäre, Drinks, die Fragen der Fans und Gäste und viel Gefühl. Den Podcast kann man sich natürlich anhören. Ist gerade frisch online gegangen ☺.
RADIOSZENE: Wie ist es eigentlich um Ihre eigene Musikkarriere bestellt? Wird man von Ihnen nochmals aktuelle Musik hören?
Miriam Audrey Hannah: Also ich sage wirklich niemals nie, denn alles entsteht durch die Menschen, die einen umgeben; oft sind es Begegnungen, Zufälle und dann passt es plötzlich. Die richtige Zeit, die richtigen Menschen, dann ist alles möglich. Allerdings weiß ich schon seit den frühen Anfängen meiner weihnachtlichen Musikkarriere, dass ich auf die die ‚andere Seite‘ gehöre.
Ich weiß noch eine Schlüsselszene: Das Management hatte mir einen Gig bei „Top Of The Pops“ vermittelt. Ich war auf den Moderator der Show so neidisch, und ich dachte mir: Das würde ich so viel lieber tun, als hier jetzt zu singen. Eine Verbindung durch Worte zum Publikum, zu den Fans, zu den Künstler:innen aufzubauen, ist absolut mein Ding. Man erfährt so viel, man kann so viel lernen – Ich liebe es zuzuhören und hinzufühlen und fast jedes Mal erlebe ich Unerwartetes, das es zu entdecken gilt.