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Das Radio will sich feiern und versteckt sich. Hinter Bildern

Deutscher Radiopreis 2010
Deutscher Radiopreis 2010

Laudator Hans Dietrich Genscher war voll des Lobes über das Radio. Er sei selbst 50 Jahre lang freier Mitarbeiter zahlreicher öffentlich-rechtlicher und privater Sender gewesen, sagte der ehemalige Außenminister, der zu seinen aktiven Zeiten als Politiker gefragter Interviewpartner aktueller Hörfunksendungen war. Genscher zeichnete beim Deutschen Radiopreis die beste Reportage aus und lobte das Stück „Letzte Fahrt ins Spielzeugland“ von Jens Schellhass als „Symphonie aus Musik und Sprache, eine wunderbare Komposition, die zeigt, was Radio kann“.

Doch die Ausrichter des Preises schienen nicht ganz so überzeugt zu sein von dem, was Radio kann. Statt die Stimmen und Töne der Reportage über einen traditionsreichen Spielzeugladen in Bremen-Vegesack, der die Türen für immer schließt, für sich wirken zu lassen, statt den Saal abzudunkeln, um den Höreindruck besser wirken zu lassen, unterschnitten sie den kurzen Einspieler mit Bildern, die auf den zahlreichen Bildschirmen im Saal gezeigt wurden. Das Medium Radio, das sich an diesem Abend doch selbstbewusst feiern wollte, versteckte sich schon wieder hinter dem Fernsehen.

Wochenlang hatten die Organisatoren die Trommel für die Preisgala gerührt – und warben vor allem mit dem „großen Staraufgebot beim Deutschen Radiopreis“: Lena, Stefan Aust, Reiner Calmund, Wladimir Klitschko… All das zeugte nicht gerade von Selbstbewusstsein, eher von einem ausgeprägten Minderwertigkeitskomplex. Die „Bild“-Kolumnistin befand, es sei doch schön, wenn „alle Sinne angesprochen werden“. Das Ergebnis: In der „Bild“-Berichterstattung kamen am Ende nur die Prominenten vor, aber nicht ein Radiopreisträger.

So konnte das Bonmot von Stefan Aust, der sagte, der Unterschied zwischen Fernsehen und Radio bestehe bekanntlich darin, „dass man beim Radio die besseren Bilder sieht“, nur verpuffen. Und es war auch nicht weiter verwunderlich, dass von Reiner Calmund bis Reinhold Beckmann fast alle Laudatoren das Medium Radio zwar über die Maßen lobten, sich aber zugleich ständig versprachen. Statt vom Radiopreis war vom „Deutschen Fernsehpreis“, statt von „Frühstücksradio“ von „Frühstücksfernsehen“ die Rede.

Der Radiopreis kann und muss sich noch entwickeln – und hoffentlich wird er auch selbstbewusster. Immerhin haben sich öffentlich-rechtliche und private Radiomacher endlich zusammengerauft und den Preis gemeinsam ausgelobt. Es wird über vieles zu reden sein, nicht zuletzt über die Kriterien der Preisvergabe, die in diesem ersten Durchgang reichlich intransparent blieben. Da tauchten aus dem Nichts plötzlich vier Preise auf, die der Beirat vergab, zusätzlich zu den elf Auszeichnungen, die von einer unabhängigen Jury ausgewählt wurden. Da es keine Nominierungen gab, konnte am Abend der Preisverleihung auch keine Spannung entstehen, wer denn nun den Preis erhält. Es gab nur Sieger, man wusste nicht, wer um diesen Preis überhaupt konkurriert hatte.

Auch dass Feature und Hörspiel, zwei künstlerisch und journalistisch wichtige Radioformen, nicht ausgezeichnet wurden, kann nicht befriedigen. Gewiss, es gibt das Problem, dass Privatsender keine Hörspiele und keine Features machen. Doch wenn man diese Genres im Deutschen Radiopreis überhaupt nicht berücksichtigt, wächst die Gefahr, dass auch die öffentlich-rechtlichen Sender sie irgendwann für überflüssig erachten. Die Jury hat in einer klugen Entscheidung den Preis für die beste Recherche einem kunstvoll gebauten Feature zugedacht, das zugleich auf einer großen Rechercheleistung beruhte. Doch diesen Trick wird sie nicht alle Jahre wieder anwenden können.

Das Fernsehen dominierte den Abend. Es fing damit an, dass eine Frau die Gala moderierte, die – auch wenn sie einst im Radio gelernt hat – vor allem aus dem Fernsehen bekannt ist: Katrin Müller-Hohenstein. Radiomoderatoren, das wissen alle Radiohörer, sind fix, schlagfertig und – im Schutz der Unsichtbarkeit – häufig viel respektloser als Fernsehmoderatoren. Zu gern wüsste man, wie die Gewinner des Radiopreises für die beste Morgensendung, Marco Seiffert und Stefan Rupp, den Abend moderiert hätten. Ein Medium, das sich selbst feiern will, sollte auch den Mut haben, seine Moderatoren in den Vordergrund zu stellen.

Von Diemut Roether

aus epd medien Nr. 74 vom 22. September 2010

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