„Wir konzentrieren uns erst einmal auf UKW“

Von Inge Seibel-Müller

Nach mehr als zwei Jahrzehnten des Experimentierens ist in Deutschland die Zukunft des Digitalradios weiterhin ungewiss.

Es war 1987, als die neue digitale Sendetechnik DAB (Digital Audio Broadcasting) zum ersten Mal auf der Funkausstellung in Berlin vorgestellt wurde. Gut 10 Jahre später folgten die Bundesländer dem Wunsch aus Brüssel und empfahlen die Abschaltung der terrestrischen UKW-Frequenzen spätestens im Jahr 2015. Doch daran glaubt heute kaum noch jemand, die Radiomacher setzen mittlerweile eher auf neue technische Verbreitungswege im Internet.

Allerdings mit großer Gelassenheit, wie im August – auf einer Tagung der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) unter dem Titel „Radio 2020“ – die Senderchefs von Antenne Thüringen, LandesWelle Thüringen und dem MDR-Landesfunkhaus Thüringen betonten. „Wir sehen das Ganze heute sehr viel differenzierter als vor einem Jahr“, sagte beispielsweise Lars Gerdau, Geschäftsführer der LandesWelle Thüringen, „wir haben Zeit und konzentrieren uns erst einmal auf UKW!“ Im Übrigen sollten sich die Sender nach Einschätzung der Macher noch mehr auf die Stärken des Radios wie Regionalität und Aktualität besinnen.

Zur Gelassenheit trägt auch die Prognose von Dr. Klaus Goldhammer bei, der seit zwei Jahren im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) einen Webradiomonitor erstellt, eine Gesamtübersicht der Nutzung deutscher Webradioangebote. Die Nutzung der Webradios, gemessen an den Steigerungsraten bei Bandbreiten und Sendern, wachse bislang nur sehr langsam, beruhigte er die Radiomacher. Goldhammers Prognose in Erfurt: „Wer heute über 40 Jahre alt ist, wird auch in den nächsten 40 Jahren noch UKW hören.“ Das ist allerdings nicht im Sinne der Landesmedienanstalten, die, wie beispielsweise die Medienanstalt Sachsen-Anhalt (MA), in ihren Landesmediengesetzen verankert haben, dass spätestens zum 1. Januar 2015 die terrestrische Übertragung von Rundfunkprogrammen ausschließlich in digitaler Technik zu erfolgen habe.

Während öffentlich-rechtliche Anstalten weiterhin mit digitalen Programmangeboten experimentieren, sehen die meisten privaten Hörfunkanbieter die vermeintliche digitale (DAB-)Zukunft bereits als Vergangenheit an. Vor einem Jahr sprachen sich die Mitglieder des größten privaten Rundfunkverbands VPRT gegen die für ehemals mit einem „Big Bang“ im Herbst 2009 geplante Einführung des digitalen Übertragungsstandards DAB plus aus. Den verbliebenen Interessenten gab die Rundfunkkommission der Länder 2009 grünes Licht für die Einführung eines neuen bundesweiten Digitalradio Plus. Die neue Technik soll zu einem Drittel vom Deutschlandradio und zu zwei Dritteln von privaten Hörfunkveranstaltern genutzt werden. Eine erste Frist im Juli 2010, in der sich die Radiosender mit dem Sendenetzbetreiber Media Broadcast vertraglich über bundesweite Sendekapazitäten im Rahmen des geplanten Digitalradios DAB plus einigen sollten, ist bereits verstrichen.

Doch selbst in Großbritannien, dem vermeintlichen Vorzeigeland des Digitalradios, geraten DAB und Co. ins Stocken. Wenn deutschen Digitalradio-Befürwortern und Lobbyisten die Argumente ausgingen, verwiesen sie bislang gern auf Großbritannien als Paradebeispiel für die Digitalisierung der Hörfunkwellen. Noch Mitte Mai dieses Jahres lobte der Lobbyverband „Digitalradio Plattform“ per Pressemitteilung eine „Umtauschaktion“, mit der britische Radiohörer zum Umstieg von UKW-Geräten auf digitale Empfänger ermutigt werden sollten. Bei der Aktion „Radio Amnesty“ gewährten teilnehmende Händler bei Rückgabe eines analogen Radios und gleichzeitigem Kauf eines Digital Radio Empfängers Preisnachlässe zwischen 10 und 20 Prozent.

Das Ergebnis der nunmehr seit 20 Jahren andauernden digitalen Offensive auf den britischen Inseln ist bislang eher ernüchternd. Trotz staatlicher Subventionen für Sendenetze und Empfangsgeräte sowie Millionen schweren Investitionen der BBC und privaten Radioveranstaltern, begleitet von unzähligen aufwändigen Werbekampagnen, erreichen nach den Augustzahlen der britischen „Radio Joint Audience Research“ (RAJAR) alle digitalen Plattformen nur einen Marktanteil von 24,7 Prozent, wobei die Internethörer bereits mitgezählt wurden.

Mit anderen Worten – im vermeintlichen Vorzeigeland des Digitalradios empfangen immer noch drei von vier Hörern ihre Programme analog, die allermeisten über UKW. Daran wird sich wohl auch in absehbarer Zeit nichts ändern, folgt man den Ankündigungen des britischen Kultusministers Ed Vaizey, die er nach einem Bericht des „Guardian“ vor führenden Radiomanagern machte. Der konservative Politiker, den Premierminister David Cameron bei Bildung seines konservativ-liberalen Kabinetts im Mai 2010 mit den Bereichen Kultur und Medien beauftragte, will sich mit der Abschaltung der analogen Sender viel mehr Zeit lassen, als seine Vorgänger geplant hatten. Der sogenannten „Switchover“ im Jahr 2015 auf ausschließlich digitale Hörfunkverbreitung in Großbritannien war noch von der inzwischen abgewählten Labour-Regierung beschlossen worden. Dem Bericht des „Guardian“ zufolge kündigte Vaizey an, dass britische Radioprogramme noch so lange per Ultrakurzwelle verbreitet würden, wie das notwendig sei. Über einen konkreten Umstellungszeitpunkt könne erst ernsthaft nachgedacht werden, wenn über 50 Prozent der Briten tatsächlich auch Digitalradio empfangen würden.

Wann DAB und Co. tatsächlich den Radiomarkt in Großbritannien mehrheitlich beherrschen werden, ist derzeit überhaupt nicht abzusehen, zumal private Radiounternehmen kaum noch bereit sind, in spezielle Digitalprogramme zu investieren. Sogar die öffentlich-rechtliche BBC, die sich selbst viele Jahre als Vorreiter bei der digitalen Hörfunkentwicklung in ganz Europa wähnte, stand aus Kostengründen kurz davor, das gleichfalls anerkannte wie populäre Digitalprogramm „6 Music“ einzustellen. Nach heftigen Hörerprotesten und vernichtendem Presseecho, ließ das BBC-Management den Plan wieder fallen.