Die Werbeerlöse des NRW-Lokalfunks werden noch stärker einbrechen, prognostiziert eine neue Goldmedia Consulting Studie. Prof. Dr. Klaus Goldhammer stellte am 24. März 2023 die Studie „Wirtschaftliche Potenziale einer DAB+ Regio-Verbreitung in NRW“ der Medienkommission der Landesmedienanstalt NRW (LfM NRW) vor. Die Hörfunkumsätze könnten weniger drastisch sinken, wenn der Lokalfunk über DAB+ verbreitet würde, erläutert Goldhammer. Im Zeitraum von 10 Jahren halbieren sich die Werbeumsätze auf UKW und verlagern sich zu DAB+. – „Uns rennt die Zeit davon“, warnt daher Dr. Tobias Schmid, Direktor der LfM NRW.
Am 25. September 2018 stellte Prof. Dr. Goldhammer sein erstes Gutachten zur „Zukunft des Hörfunks in Nordrhein-Westfalen“ vor. Die Gesamterträge für den UKW-Markt sollten bis 2022 auf 108 Mio. Euro wachsen und erst dann fallen, vorausgesetzt die äußeren Faktoren werden nicht geändert.
Die Wettbewerbssituation in NRW änderte sich bereits am 29. Oktober 2021 mit dem Start des landesweiten DAB+ Multiplexes und am 4. Oktober 2022 mit dem Start das landesweiten Hörfunkprogramms „nrw1“. Die Corona-Pandemie und die Folgen des Ukraine-Krieges wirken sich zusätzlich negativ auf den Lokalfunk aus, deshalb regte die LfM NRW Gespräche über die Struktur des Lokalfunks an. Ein Baustein dieses Strukturprozesses ist die Beteiligung des Lokalfunks an der DAB+ Regio Ausschreibung Ende 2023/Anfang 2024 und der Aufbau von Funkhäusern mit mehreren Lokalradios unter einem Dach.
Der Druck auf die Lokalfunkbeteiligten steigt, die Landesmedienanstalt NRW stellt die Beteiligung an DAB+ als alternativlos dar. Im Rahmen des Strukturprozesses bekundeten die Lokalfunkbeteiligten zuerst ihr Interesse an DAB+, seit Anfang März fragt die Anstalt das Interesse weiterer potentieller Marktteilnehmer ab, selbstverständlich unverbindlich und ohne jegliche Verpflichtung.
Am 15. März 2019 beschloss die Medienkommission die Beantragung von Übertragungskapazitäten für eine landesweite und eine landesweite regionalisierte DAB+ Verbreitung bei des Staatskanzlei NRW. Im November 2020 schrieb die LfM NRW die landesweiten Übertragungskapazitäten aus, ein Jahr später war der Multiplex on Air.
Die landesweiten regionalisierten Übertragungskapazitäten stehen vier Jahre nach Beantragung der LfM NRW weiterhin nicht zur Verfügung. Weiterhin gäbe es Koordinierungsprobleme mit Belgien, sagte Schmid. Im Text zum Call for Interest heißt es hierzu: Eine zeitnahe, flächendeckenden DAB+ Versorgung wäre u.U. nicht am Niederrhein und dem östlichen Ruhrgebiet realisierbar. Im Münsterland wäre diese mit einem späteren Frequenzwechsel verbunden. Die Niedersächsische Landesmedienanstalt schrieb DAB+ Übertragungskapazitäten ohne Angaben über mögliche Kanäle aus und prompt wurden diese koordiniert. Der erste landesweite Multiplex in NRW wurde mit verringerter Strahlungsleistung in Grenznähe zur Niederlande aufgeschaltet. Bei aufmerksamen Beobachtern entsteht der Eindruck, dass Belgien hier als Prügelknabe herhalten muss.
„Der Lokalfunk wird in seinem Aufbau nicht überleben“
Dr. Tobias Schmid, Direktor der LfM NRW
Zu lange verweilten die Lokalfunkbeteiligten im Dornröschenschlaf, ohne wirksame Digitalisierungskonzepte vorzulegen. Der Tausenderkontaktpreis im Internet ist zu gering, um nur auf das Internet allein zu setzen, sagt Goldhammer. Die UKW-Nutzung sinkt. DAB+ ist eine Brückentechnologie, bis alle Medien komplett ins Internet transformiert sind. Schmid hinterfragte, ob die Länge der Brücke ausreicht und zitiert in dem Zusammenhang die GEMA-Studie zur Musikstreaming-Nutzung: „84 Prozent der 14- bis 29-Jährigen nutzen Musikstreaming.“ Denken Sie 20 Jahre voraus, die jungen Leute werden keinen Radio-Knopf in ihrem Auto suchen, sondern ihren Streamingdienst, warnt Schmid.
Das Gutachten
Die Gesamtkosten für den DAB+ Regio-Sendebetrieb inkl. Programmzuführung werden auf ca. 3,2 Mio. Euro geschätzt. Die Werbeerlöse der Lokalradios sollen bei einem DAB+ Simulcast von 94 Mio. Euro im Jahr 2022 auf 89 Mio. Euro bis 2034 fallen, ohne DAB+ auf 64 Mio. EUR im gleichen Zeitraum. Das Gutachten geht von einer wachsenden DAB+ Nutzung aus. Die werberelevanten Wettbewerber werden bereits alle über DAB+ verbreitet, auch das neue Hörfunkprogramm „nrw1“. Nur die Lokalradios sind nicht über DAB+ empfangbar.
Mit dem Start des neuen Multiplexes will die LfM NRW die Angebots-Vielfalt steigern, eine 80-90 prozentige Inhouse- und 90-95 prozentige Outdoor-Versorgung erreichen und dem Lokalfunk die Möglichkeit der Transformation ermöglichen.
Alle regionalen Verbreitungsgebiete beinhalten zugleich einen Ballungsraum und ländliche Gebiete. Sie orientieren sich an den Verbreitungsgebieten der lokalen UKW-Hörfunksender und ihrer Servicegesellschaften, sowie im Fall Ostwestfalen exakt und den Reg.-Bez. Arnsberg, Münster und Köln weitestgehend an den Regierungsbezirksgrenzen.
Auffällig ist bei dem Kartenmaterial im Gutachten und dem Call for Interest die Verschiebung der Fläche der Stadt Herne in unterschiedliche Allotments, die für einfacheren Sprachgebrauch „Kacheln“ genannt werden. Bereits während der Medienkommissionsitzung am 15. März 2019 bemängelte Kommissionsmitglied Kirsten Eink (Europa-Union NRW) die Verschiebung der Stadt Herne in das Allotment für den Niederrhein. In den Unterlagen zum Call for Interest wird die Stadt Herne dem Allotment Südwestfalen zugeordnet. Herne gehört zum Reg.-Bez. Arnsberg, folglich zu Südwestfalen aber Vermarktungstechnisch zur Servicegesellschaft Westfunk der Funke Mediengruppe mit Sitz in Essen und somit zum westlichen Ruhrgebiet und Niederrhein. Im Gutachten werden je nach Region 6 bis 10 Lokalradios einer Kachel zugeordnet. Die restlichen Übertragungskapazitäten stehen den Wettbewerbern zur Verfügung.
Der Pendler-Bonus
Die höheren Verbreitungskosten (UKW und DAB+) könnten die Lokalradio-Betreiber durch eine höhere Verweildauer der Pendler wieder einspielen, rechnet Goldmedia vor. Der Lokalfunkempfang auf UKW wird häufig hinter der Stadtgrenze schwächer, die wesentlich größer zugeschnittenen DAB+ Kacheln könnten 22 Prozent der Auspendler zum längeren Verweilen an ihrem Lokalradio bewegen. Als Beispiel führt die Studie die Auspendler aus Düsseldorf an. Über 6.000 Pendelnde aus Düsseldorf würden demnach nach Essen reisen. Essen befindet sich in einer anderen Kachel. Ob der Empfang dort noch störungsfrei möglich wäre, werden die Lokalfunkbetreiber erst erfahren, wenn das DAB+ Regio-Netz in Betrieb genommen wurde.
Herne befindet sich an der Grenze zu drei Kacheln. Je nach Wahl der richtigen Kachel werden nur die Hörer erreicht, die entweder nach Westen, Osten oder Norden pendeln. Die Landesmedienanstalt ist offen für die Verbreitung der Lokalradios in mehreren Kacheln. Bewerber die das ganze Ruhrgebiet abdecken wollen, sind gezwungen ihr Programm in drei Kacheln zu verbreiten. Das Ruhrgebiet ist das einzige regionale Territorium in Deutschland mit Recht auf Selbstverwaltung und einem eigenen Parlament aber ohne einem eigenen Allotment für DAB+.
Handlungsoptionen
Die Studie visualisiert auch Handlungsoptionen für Entscheidungsträger. Die Optionen lauten: Nur UKW, Simulcast (DAB+ und UKW) in einer oder mehreren Kacheln, neues Programm in einem anderen Format, gemeinsame Regionalsender in einer oder in mehreren Kacheln und landesweiter Sender und zeigt damit verbundene Chancen und Risiken auf. Auch die Verbreitungskosten und der geplante Netzausbau werden detailliert dargestellt.
Förderung durch die LfM NRW
Die Medienanstalt erreichen häufig auch Anfragen nach Förderung der DAB+ Ausstrahlung. „Wir fördern diese Infrastruktur nicht,“ sagt Schmid. Eine rechtlich abschließende Frage stellt die Anstalt bis zur Veröffentlichung der Ausschreibung in Aussicht. Das Interesse an DAB+ nimmt zu und somit auch die Frage, warum der Lokalfunk gefördert werden sollte und nicht andere Sender.
„Unterstützen könnten wir nur den, der das Ende der Brücke im Blick hat“
Dr. Tobias Schmid, Direktor der LfM NRW
Sollte es eine Förderung geben, wäre diese auf 2 – 3 Jahre beschränkt und degressiv. Für reinen Simulcast wird es keine Förderung geben, anders sieht es bei einem Digitalisierungskonzept aus.
Strukturprozess
Die erste Stufe des von der LfM NRW angestoßenen Strukturprozesses Lokalfunk wurde abgeschlossen. Die Anstalt begleitet nun nur noch den Prozess, den die am Lokalfunkbeteiligten weiterführen. Schmid bezeichnet den Prozess als super schwierig. Der Lokalfunk wird in seinen heutigen Strukturen nicht überleben. Das Zwei-Säulen-Modell aus gemeinwohlorientierten Veranstaltergemeinschaften und gewinnorientierten Betriebsgesellschaften soll überleben. In den Prozess wurden nun auch alle Chefredakteure und die Veranstaltergemeinschaften eingebunden, die nicht in Verbänden organisiert sind. Mehrere Lokalradios sollen in ein gemeinsames Funkhaus ziehen und für ein achtstündiges Lokalprogramm sollte ein Budget von 700.000 Euro im Jahr definiert werden. Nun soll dieser Betrag dynamisiert werden. Ob diese und weitere Maßnahmen reichen, um alle NRW-Lokalradio zu retten, wird die Zeit zeigen. Die LfM NRW drängt auf mehr Tempo bei der Umsetzung des Strukturprozesses.
Download:
GOLDMEDIA-Studie Wirtschaftliche Potenziale einer DAB+ Regio-Verbreitung in NRW (PDF)