Im Zuge eines fortschreitenden Transformationsprozesses innerhalb des Südwestrundfunks intensivieren die Musikredaktionen der SWR3 PopUnit ihre Zusammenarbeit. So liegt die Gesamtverantwortung für die Musik von SWR3 und der jungen Welle DASDING künftig alleine in Händen von SWR3-Musikchef Gregor Friedel . Die bisherige Musikchefin von DASDING, Stefanie Schäfer, wechselte zum 1. Oktober 2022 mit neuen Aufgaben in die Musikredaktion von SWR3. Ihre vorherige Tätigkeit übernahm Alexander Koubik als “Teamleiter Musikredaktion DASDING“. Stefanie Schäfer trug seit 2009 die Verantwortung für die Musikinhalte des SWR-Jugendradios.
Im Interview mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich sprach Stefanie Schäfer über ihr Berufsbild sowie aktuelle Entwicklung innerhalb der Musikszene.
„Es ist immer wieder spannend zu beobachten, wie gut gemachte Songs – zum Teil auch von etablierten internationalen Interpretinnen und Interpreten – im Streaming nicht nach vorne kommen, im Radio aber sehr erfolgreich laufen und von den Hörerinnen und Hörern gut angenommen werden“
RADIOSZENE: Frau Schäfer, Sie wechseln nach vielen Jahren als Musikchefin beim Jugendradio DASDING nun in die Musikredaktion von SWR3. Ein logischer Schritt?
Stefanie Schäfer: Natürlich leuchtet es ein, wenn jemand, der sehr lange für ein junges oder jüngeres Programm gearbeitet hat, zum nächstälteren wechselt, noch dazu wenn sich dieser Wechsel innerhalb eines Senders vollzieht. Solche Prozesse sollten aus vielerlei Gründen unterstützt und gefördert werden. „Irgendwas mit Medien zu machen“, ist 2022 für junge Menschen nicht mehr so attraktiv wie vielleicht noch vor zehn Jahren. Allein schon deshalb sollte jeder Sender bestrebt sein, den Nachwuchs im eigenen Haus zu halten und Perspektiven zu bieten.
Letztlich wird es aber wenig konstruktiv sein, wenn es bei solchen Vorgängen nur um die Erfüllung von Quoten geht. Im besten Fall passt es sowohl individuell für die Mitarbeitenden als auch strukturell für die beteiligten Bereiche. Meinen Wechsel zu SWR3 empfinde ich so. Ich schätze mich sehr glücklich, so lange ein Teil von DASDING gewesen zu sein und freue mich nicht weniger auf meine neuen Aufgaben bei SWR3.
RADIOSZENE: Welche Aufgaben werden Sie an Ihrer neuen Wirkungsstätte übernehmen?
Stefanie Schäfer: In der Musikredaktion von SWR3 werde ich die Bereiche Musikprogrammierung und Booking unterstützen.
RADIOSZENE: Wie haben Sie den Weg zum Radio gefunden?
Stefanie Schäfer: Ziemlich klassisch: Nach meinem Studium habe ich volontiert. In dieser Zeit habe ich mehrere Praktika bei verschiedenen Medien, Sendern und Programmen absolviert und fand Radio schon immer am spannendsten. Während des Studiums habe ich beim WDR Fernsehen gejobbt. Aus dieser Zeit ist mir ein Satz eines Reporters hängen geblieben, der (ebenso ziemlich klassisch) abwechselnd für den WDR Hörfunk und das Fernsehen gearbeitet hat: „TV macht man für die Kohle, Radio fürs Herz“. Als ich kurze Zeit später meinen ersten Praktikumstag bei einem privaten Radiosender hatte, wusste ich sofort, was er gemeint hat – auch wenn das Praktikum im Ganzen eher mittelcool war. Heute könnte man diese Aussage aufgrund veränderter und multimedialer Arbeitsweisen gar nicht mehr so allgemein treffen.
RADIOSZENE: MusikredakteurIn bei einem Radiosender galt ja immer als eine Art Traumberuf. In wie weit hat sich das Tätigkeitsfeld während Ihrer Laufbahn verändert?
Stefanie Schäfer: Der gesamte Aufgabenbereich ist viel komplexer geworden. Als ich Mitte der 2000er mit diesem Job begonnen habe, habe ich vor allem Playlisten erstellt, musikredaktionelle Beiträge produziert sowie Interviews organisiert und geführt. Das war schon recht tagesfüllend, zumal ja auch Radiokonzerte oder andere Aktionen mit Künstlerinnen und Künstlern obendrauf kamen, aber – und das ist für mich der signifikanteste Unterschied zu heute – es war alles nah an der Musik. Durch die Digitalisierung der Medien- und Musikbranche und hier vor allem durch das Auftauchen neuer Player und Plattformen am Markt, müssen sich Musikredakteur:innen inzwischen in vielen verschiedenen Bereichen auskennen, die manchmal gar nicht mehr so viel mit Musik zu tun haben. Besonders das riesige Themenfeld rund um Verwertungsrechte, vor allem Online- und Social Media-Rechte schluckt inzwischen viele Ressourcen.
Daneben ist gerade für junge Programme die strategische Positionierung zwischen all diesen Plattformen und Anbietern essenziell. Solche Gespräche, die viel häufiger stattfinden (müssen) als früher und die oftmals auch Auswirkungen auf die Musikpositionierung eines Programms haben, beanspruchen ebenfalls viel Wissen aus und Zeit in den Musikredaktionen.
„Die Gestaltungsfreiheit heute ist eine gewachsene Herausforderung“
RADIOSZENE: Über wie viel persönliche Gestaltungsfreiheit verfügen Musikredakteure heute noch bei der Musikauswahl? Kritiker sehen ja die Musiktests der Medienforschung und externe Einflüsse wie die Bestenlisten von Spotify, Airplay Charts oder TikTok als die wahren Programmentscheider …
Stefanie Schäfer: Ja, diese Kritik ist bekannt. Tatsächlich kommt sie aber viel seltener von den Menschen, für die wir Programm machen, sondern eher von Leuten, die selbst in den Medien arbeiten und es eigentlich besser wissen sollten. Das Feedback unserer Hörerinnen und Hörer nehmen wir sehr ernst, durch den Austausch mit ihnen bleiben wir nah dran. Bei der Kritik von Medienseite habe ich offen gesprochen manchmal den Eindruck, dass unterschiedliche Argumente recht undifferenziert zusammen gerührt werden. Wäre es so einfach, würden viele der oben angesprochenen strategischen Überlegungen und Anstrengungen wegfallen, und alle (jüngeren) Programme würden einfach nur noch die Top 20 der Streaming Charts in ihre Playlisten packen. Das würde sehr viel Zeit und damit auch sehr viel Geld sparen und alle sollten happy sein. Trotzdem findet das so bei DASDING und SWR3 nicht statt. Warum nicht? Weil es eben nicht so einfach ist. Bleiben wir mal bei den ganz jungen Programmen: Wenn persönliche Gestaltungsfreiheit bedeutet, dass Musikredakteur:innen weniger Spielraum haben, ihre Lieblingssongs abseits des jeweiligen Formats ins Programm zu schmuggeln, dann kann ich sagen: Ja, das war vor 20 Jahren sicherlich einfacher. Da konnte man allerdings auch raushören, welche Redakteurin oder welcher Redakteur die jeweilige Liste geplant hat.
An dieser Stelle möchte ich nicht missverstanden werden: Es gibt tolle Radioprogramme, deren Erfolg genau darauf zurückzuführen ist, dass ihre Musikredaktionen eben noch diese Art von Gestaltungsfreiheit haben und sie sich musikalisch von sämtlichen Trends freimachen (können). Das ist aber auch die Stelle, an der zu wenig differenziert wird: Unterschiedliche Programme haben unterschiedliche Aufträge und unterschiedliche Zielgruppen. So banal dieser Satz ist, er kommt mir in der Diskussion oftmals zu kurz. Ein Programm wie DASDING hat den Auftrag, junge Menschen (im Kern von 19 bis 24 Jahren) zu erreichen. Der große Teil dieser Menschen verbringt sehr viel Zeit mit Songs auf den Toplisten von Streaminganbietern oder auf TikTok. Es wäre doch geradezu ignorant, sich als Musikredaktion nicht damit zu beschäftigen und diese Vorlieben nicht ernst zu nehmen – und das bedeutet auch, sie im eigenen Programm abzubilden. Die Gestaltungsfreiheit heute ist zugleich eine gewachsene Herausforderung: Aus all den oben genannten Einflüssen, die deutlich mehr sind als früher, ein Musikprogramm zu gestalten, das sämtliche für die jeweilige Zielgruppe relevanten und zum Format passenden Trends abbildet und dabei nicht einfach nur irgendeine Hitliste kopiert, sondern sich ausreichend Platz für Überraschungen und Entdeckungen bewahrt.
RADIOSZENE: Die Digitalisierung im Musikgeschäft hat alle früher bekannten Mechanismen nahezu grundlegend außer Kraft gesetzt. Welchen Einfluss haben die Umwälzungen auf Ihre Zusammenarbeit mit den Musiklabels und Künstlern?
Stefanie Schäfer: Labels und Künstler:innen können viele Märkte und Plattformen heute direkt, flexibel und oftmals auch vollkommen zeitsouverän selbst bespielen. Radio als Medium im buchstäblichen Sinn wird in dieser Funktion nicht mehr so gebraucht. Gerade im jungen Bereich gibt es zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, die im Streaming besser funktionieren als am Radio, zum Beispiel weil eine bestimmte Zielgruppe eher streamt als Radio hört, oder weil die Songs musikalisch und textlich für viele Programme schlicht nicht spielbar sind. Andererseits haben oftmals genau diese Acts überhaupt kein Interesse daran, im Radio abgebildet zu werden. Hier fallen abhängig vom Genre also schonmal Kooperationen weg. Nach wie vor gibt es aber immer noch sehr viele Künstlerinnen und Künstler – und hier sind wir vor allem beim großen Feld Pop – die klassisches Radio Airplay brauchen, um überhaupt bekannt und gehört zu werden.
Es ist immer wieder spannend zu beobachten, wie gut gemachte Songs (zum Teil auch von etablierten internationalen Interpretinnen und Interpreten) im Streaming nicht nach vorne kommen, im Radio aber sehr erfolgreich laufen und von den Hörerinnen und Hörern gut angenommen werden. Emotionen und gemeinsame (exklusive) Events transportieren sich durchs Radio immer noch besser als mit Algorithmen. Die meisten Labels und Promotion Agenturen schätzen diesen Wert, insofern hat sich die Zusammenarbeit vielfach gar nicht so sehr verändert. Es gibt aber auch Unternehmen in der Musikindustrie, die inzwischen einen ganz klaren Fokus auf das Digitale haben. Hier ist es recht zäh geworden, beispielsweise ein Interview mit bestimmten Künstler:innen zu bekommen oder gemeinsame Aktionen zu starten. Das finde ich nicht nur persönlich schade, ich halte es auch aus professioneller Sicht für recht kurz gedacht. Wir alle stehen vor der Herausforderung, stabile Konzepte für neue Plattformen zu entwickeln – das geht den Labels ja nicht anders als uns. Da wäre es doch für beide Seiten konstruktiver, man würde durch alle Phasen hindurch weiterhin auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
„Emotionen und gemeinsame (exklusive) Events transportieren sich durchs Radio immer noch besser als mit Algorithmen“
RADIOSZENE: Hat die starke Hinwendung zum „track-basierten“ Geschäftsmodel die Musik insgesamt interessanter und kreativer gemacht? Wie behält eine Musikredaktion bei der Flut an Veröffentlichungen und neuen Talenten überhaupt noch die Übersicht?
Stefanie Schäfer: Es wäre nicht fair und auch nicht zutreffend, wenn man behaupten würde, dass das Track Business nur noch langweilige und uninspirierte Songs hervorbringt. Durch die veränderten Strukturen können erfolgreiche Songs und Produktionen allerdings viel schneller und häufiger kopiert und distribuiert werden. Und ja, das kann die ganze Geschichte schon etwas fade machen, wenn nach einem großen Erfolg erstmal drei Monate lang fast nur noch Songs veröffentlicht werden, die von der Produktion oder vom Charakter der Interpret:innen nahezu identisch sind. Dann kann es wirklich mühsam sein, diese Eintönigkeit aus den eigenen Playlisten rauszuhalten.
RADIOSZENE: Wie behält eine Musikredaktion bei der Flut an Veröffentlichungen und neuen Talenten heute überhaupt noch die Übersicht?
Stefanie Schäfer: Mal davon abgesehen, dass durch ein massives Überangebot der Aufbau von neuen Talenten leidet. Dabei den Überblick zu behalten, ist in der Tat nicht mehr so leicht. Oftmals lässt sich nicht so einfach filtern, ob eine Newcomerin oder ein Newcomer organisch gewachsen ist oder einfach nur sehr viel Social Media-Push seitens des Labels oder Managements dahintersteckt. Letztlich muss man sich hier auf das eigene Bauchgefühl verlassen. Das gilt auch für die Musik selbst: so viele Faktoren heute zum Erfolg eines Songs beitragen, so viele gilt es theoretisch auch zu berücksichtigen. In der Praxis ist das schlicht nicht möglich. Deshalb hilft es, sich bei der Auswahl auf die Qualität, die Relevanz fürs Programm und die eigene Erfahrung zu fokussieren.
RADIOSZENE: Sind die hinter der Musik stehenden neuen Künstler für die Hörer heute überhaupt noch von Relevanz?
Stefanie Schäfer: Auch heute gibt es immer noch junge Künstlerinnen und Künstler, die abseits ihrer Musik eine Marke und Role Models sind, vorneweg Leute wie Billie Eilish oder Harry Styles. Auch Lil Nas X, natürlich das ganze K-Pop Universum oder einzelne Vertreter:innen aus dem Deutschrap zählen in unterschiedlichen Dimensionen sicherlich dazu. Ein großer Teil der Musik ist inzwischen aber recht anonym. Da bin ich vor allem bei den Produzenten und DJs, die zum Teil sehr erfolgreich veröffentlichen, von denen viele aber nicht mal wissen, wie sie aussehen. Diese Entwicklung wurde vor allem durch TikTok wieder etwas gestoppt. Mehr noch als früher Instagram bringt TikTok Künstlerinnen und Künstler wieder näher an die Zielgruppe und gibt ihnen so auch wieder mehr Gesicht. Ebenso wirken Acts dagegen, die mit einer ganz klaren Message (beispielsweise für die Body Positivity Bewegung) antreten. Nichtsdestotrotz fehlt aktuell ein nachhaltiger Aufbau von jungen Künstlerinnen und Künstlern, da der Fokus (nicht immer, aber oft) auf einzelnen Tracks liegt.
„Vor einigen Jahren wurde Musik so produziert, dass sie im Streaming gut funktioniert. Heute hört man sehr schnell, wenn ein Song eigentlich nur rausgejagt wurde, um auf TikTok erfolgreich zu werden“
RADIOSZENE: Wie sehr beeinflussen Streaminganbieter oder Dienste wie TikTok derzeit die neuen Trends?
Stefanie Schäfer: Sehr. Vor einigen Jahren wurde Musik so produziert, dass sie im Streaming gut funktioniert. Heute hört man sehr schnell, wenn ein Song eigentlich nur rausgejagt wurde, um auf TikTok erfolgreich zu werden. Mal davon abgesehen, dass dieser Plan natürlich gar nicht jedes Mal aufgehen kann, hat man so zig Songs auf dem Tisch, die zwar einen super eingängigen, vielleicht sogar super witzigen Part über meinetwegen zehn Sekunden haben – der Rest vom Song ist aber oft ziemlich unspektakulär und dümpelt vor sich hin. Spannend finde ich dagegen, wenn ältere Titel bei TikTok nach oben gespült werden. Meistens steckt dahinter dann tatsächlich eine (authentische) Geschichte.
RADIOSZENE: Und das Radio? Sind die heutigen Programme für die Hörer – wie über lange Jahre als Institution verankert – noch ein Empfehlungsmedium für neue Musik und Künstler?
Stefanie Schäfer: Ja, das erlebe ich so. Wie oben beschrieben gibt es immer noch viele Künstlerinnen und Künstler, die aus unterschiedlichen Gründen, digital nicht so gut oder gar nicht funktionieren. Aber auch denjenigen, die gut im Streaming performen, kann Radio eine ganze andere Kontur geben als Streamingdienste. Wir können vorstellen und einordnen, indem wir musikjournalistische Hintergründe liefern und diese – und das vor allem – emotional verknüpfen. Radio erzählt Geschichten zu Songs und den Menschen, die dahinterstehen, und macht sie so erlebbar. Das kann Streaming nicht leisten. Und wenn sich zum beim Beispiel jährlich beim New Music Award neun junge ARD Programme zusammen mit Deutschlandfunk Nova auf zehn Nachwuchskünstler:innen einigen, diese über einen längeren Zeitraum immer wieder im Radio vorstellen und zeitgleich eine Awardshow senden, die in ganz Deutschland ausgestrahlt wird, dann ist das in jeglicher Hinsicht eine gleichermaßen große wie druckvolle Empfehlung für diese Acts.
Ein weiteres wichtiges und etabliertes Beispiel ist das SWR3 New Pop Festival. Seit sehr vielen Jahren betreibt SWR3 damit den Aufbau von Künstlerinnen und Künstlern, indem ihnen eine breite Plattform auf sämtlichen zum Sender gehörigen Kanälen geboten wird.
RADIOSZENE: Bestimmte Musikgenres finden im Radio – trotz großen kommerziellen Erfolgs auf den Bestenlisten – nur begrenzt statt. Beispiel Rap oder bestimmte Formen von Rock. Passen diese Genres in ihrer Anmutung einfach nicht ins Radio?
Stefanie Schäfer: Das würde ich so pauschal nicht sagen. Die Eigenheiten von Rap beziehungsweise Deutschrap wurden ja schon kurz skizziert. Das ist eine Musikrichtung, die sehr polarisiert. Du kannst viele damit glücklich machen, du kannst allerdings noch mehr damit vergraulen. Aus diesem Genre kommen zum Teil musikalisch sehr anstrengende oder aggressive Songs. Es macht einen großen Unterschied, ob ich diese Songs bewusst streame, oder ob ich beispielsweise morgens im Bad Radio höre, mich unterhaltend auf den Tag einstellen möchte und auf einmal mit so einem Brett konfrontiert werde. Obendrauf kommen hier oftmals Texte, die ein öffentlich-rechtliches Programm nicht abbilden kann und ich persönlich auch gar nicht abbilden möchte. Ganz grundsätzlich wird aber auch in der Diskussion, welche Genres warum im Radio stattfinden oder nicht, zu wenig differenziert und sich zu unbestimmt mit den unterschiedlichen Zielgruppen auseinandergesetzt.
Klar, Hiphop und Rap sind bei den Jüngeren sehr beliebt. Im Unterschied zu vielen anderen Genres finden hier Identifikation und Fantum noch recht breit statt, daher ja auch der kommerzielle Erfolg. Wenn man aber mal ganz genau hinschaut und fragt, was die meisten davon gerne hören, dann landet man häufig bei sehr poppigem HipHop und seltener bei straightem Rap. Das Musikprogramm von DASDING zum Beispiel bildet dieses Verhältnis entsprechend ab. Verschiedene Formate am Abend bieten zusätzlich Möglichkeiten, den musikalischen Rahmen auszuweiten. Insofern findet HipHop mehr als nur begrenzt statt. Zum Rock gibt es einen großen Unterschied: Während HipHop im jungen Segment das vorherrschende Genre der letzten Jahre war, tun sich die Gitarren dort immer noch schwer. Witzigerweise hatten sie im letzten Jahr vor allem in einigen sehr erfolgreichen HipHop-Produktionen ein Mini-Comeback am Radio. Gute Rockalben oder spannende neue Gitarrenacts sollten genauso wie Produktionen aus anderen Genres vorgestellt werden. Was die angesprochenen Bestenlisten angeht, gilt aber auch hier als Kriterium: Welche Veröffentlichung zielt nicht nur auf bestimmte Bubbles, sondern hat für eine (breitere) Zielgruppe in welchem Programm wirklich so eine Relevanz, dass ein Song dreimal am Tag auf Rotation laufen sollte?
„Das reduzierte Airplay für deutschsprachige Musik lag nicht nur an der Akzeptanz bei den Hörer:innen, sondern schlicht auch am Markt“
RADIOSZENE: Auch deutschsprachige Musik hat es heute immer schwerer. Einige Sender verzichten komplett darauf. Kennen Sie die Gründe?
Stefanie Schäfer: Bei DASDING haben wir bemerkt, dass deutschsprachige Musik nicht mehr so populär ist wie vielleicht noch vor zwei Jahren. Allerdings hat das hier vor allem den Bereich Deutschrap betroffen. Nach dem großen Hype wurde es etwas ruhiger, es kamen weniger neue Acts und die Schlagzahl an (relevanten) Neuveröffentlichungen war geringer, meint: Das reduzierte Airplay lag nicht nur an der Akzeptanz bei den Hörer:innen, sondern schlicht auch am Markt.
RADIOSZENE: Wie wichtig ist im Radio heute ein hörbarer Anteil an musikredaktionellen Elementen? Eigentlich müssten diese doch – wie gerade erwähnt – den Unterschied zur Streamingkonkurrenz ausmachen …
Stefanie Schäfer: Musikredaktionelle Inhalte sind immer noch wichtig, sie sollten allerdings kein Selbstzweck sein, heißt: Nur weil hier klar die Stärke von Radio im Vergleich zu Streaminganbietern liegt, hat man inhaltlich noch keinen echten Mehrwert geschaffen. Hier spielt auch mit rein, dass sich Fans, Hörer:innen und User:innen schon lange viele Informationen über die Social Media-Kanäle der Künstler:innen selbst besorgen können. Viel intensiver als früher sollte also überlegt werden, was noch nicht überall verbreitet wurde und wie man welchen musikjournalistischen Service anbieten kann. Wenn eine Künstlerin zum Beispiel über Wochen den Entstehungsprozess ihres neuen Albums auf ihren Socials dokumentiert, dann kann ich das in meine Berichterstattung zwar mit aufnehmen, sollte aber schon überlegen, was es darüber hinaus zu erzählen gibt.
RADIOSZENE: Radio feiert hierzulande in 2023 stolzen 100sten Geburtstag. Was macht das Medium heute gut, wo sehen Sie Nachholbedarf? Wohin wird sich der Hörfunk in den kommenden Jahren entwickeln?
Stefanie Schäfer: Radio ist trotz seiner Linearität sehr nah an seinen Hörerinnen und Hörern und dadurch nicht so anonym wie andere Plattformen oder Kanäle. Gerade die letzten beiden Jahre haben gezeigt, dass sehr viele Menschen, auch ganz junge, das immer noch schätzen und diese Nähe suchen. Somit gibt es aktuell auch keinen Grund, in Selbstmitleid zu verfallen oder anzunehmen, dass Radio bald überflüssig wird. Wohin sich Radio entwickeln wird, lässt sich nur schwer genau vorhersagen, aber ich bin davon überzeugt, dass es sich nicht auf dieser Nähe ausruhen und einfach mal abwarten darf. Vielmehr sehe ich die kommenden Jahre als stetig abwägenden Prozess zwischen den Stärken des Radios (Menschlichkeit und Emotionalität sowie qualitativ hochwertiger Content) und deren Anpassung an den sich verändernden Markt.
Im Grunde passiert das schon die ganzen letzten Jahre, allerdings empfinde ich viele Entscheidungen als zu hektisch und aktionistisch. Der Fokus sollte weniger darauf liegen, was andere Player leisten können und man selbst nicht. Das hat manchmal schon etwas von Hinterherhecheln, und in diesem Zustand entstehen selten erfolgreiche Produkte. Keine Radioplaylist kann mit dem musikalischen Spektrum eines Streaminganbieters mithalten. Nur aus wenigen Onlineredaktionen von Radioprogrammen wird ein viraler Trend kommen. All das muss kein Manko sein. Statt immer noch mehr Angebote werden Filter- und Orientierungsfunktionen wichtiger werden. Genau das kann Radio leisten und sollte dabei wach und regelmäßig hinterfragen, was die Menschen, die das jeweilige Programm als Zielgruppe hat, gerade umtreibt, wo ihre Interessen liegen und welches Informationsbedürfnis sie haben. Es sollte viel wichtiger werden, welche Gadgets und Plattformen Radio für sich nutzen kann als so sein zu wollen wie diese.