Mit Superlativen ist man im Musikgeschäft immer gerne schnell bei der Hand. Beim derzeitigen Hype um den Party-Schlager „Layla“ wurden jedoch einige tatsächlich nicht alltägliche Rekorde gebrochen. Und dies bei einem Genre, das zuletzt eher selten in Erscheinung trat – den Stimmungshits. Weit über 60 Millionen Streaming-Abrufe, GOLD-Status locker geholt, seit 7 Wochen nonstop auf Platz eins der “Offiziellen Deutschen Single-Charts“ und gerade zum “Sommerhit 2022“ ausgerufen. An dem von manchen als „sexistisch“ eingestuften Gassenauer führt in diesem Sommer eben kein Weg vorbei. Die Nominierung für den potentiellen „Hit des Jahres 2022“ scheint ebenfalls bereits gesichert.
Unverhofften Anschub erhielt der Song durch eine teils hysterisch geführte, öffentliche Diskussion über den Textinhalt um „Puffmutter Layla“ – die letztlich die uralte Branchenweisheit bestätigte: „Any promotion, is good promotion“. Die Interpreten DJ Robin & Schürze werden über jedes ausgesprochene Aufführungsverbot bei Events – und die damit weiter angefachte Neugier – aufs Neue begeistert gewesen sein. Wetten, dass sich zur Stunde in den Studios zahlreiche Musikschaffenden an vermeintlich noch überdrehteren Folgehits abwerkeln? Frei nach dem Motto: (noch) „schärfer, schlüpfriger, geiler“!
Nach zwei restriktiven Corona-Jahren dürfte der (in dieser Größenordnung) kaum erwartbare Erfolg jedoch vor allem dem endlich ungebremsten Dauersommer geschuldet sein. Endlich keine Masken und Lockdowns mehr, endlich wieder Party! Und dazu passt der Song wie die viel zitierte Faust aufs Auge. Nicht für alle zu ertragen, offenbar aber dennoch ein Muss für sehr viele ausgezehrte Feierbiester.
„Layla“ ist im Supersommer 2022 allerdings beileibe keine Eintagsfliege. Die von GfK Entertainment ermittelten “Offiziellen Deutschen Single Charts“ zeigen klar auf: die Party-Hits alter Schule melden sich in großer Zahl zurück in den Hitparaden. Befeuert durch die Dauerbeschallung auf den Bühnen der Volksfeste und in den Partytempeln der Urlaubsregionen belegen in der 31. Woche – neben „Layla“ auf Platz 1 – die Zipfelbuben mit „Olivia“ (Platz 2), Julian Sommer „Dicht im Flieger“ (Platz 12) sowie Mia Julia nebst Konsorten mit „Der Zug hat keine Bremse“ (Platz 36) allesamt Top 40-Platzierungen innerhalb der deutschen Bestenliste. Diese Momentaufnahme ist mehr als eine Randnotiz: wann hat es das schon gegeben … Rang 1 und 2 der Charts sind besetzt von „Ballermann-Schlagern“?
Im terrestrischen Radio kommen „Layla“ und vergleichbare Party-Mucke erwartungsgemäß nur sehr punktuell zum Einsatz. Wenn überhaupt, um „wegen des außergewöhnlichen Erfolgs aus gegebenem Anlass der Chronistenpflicht gerecht zu werden“ – wie oft als Erläuterung begleitend eher distanziert anmoderiert wurde. Oder man spielt das Stück (ebenfalls mit Warnhinweisen versehen) hin und wieder auf ausdrückliches Verlangen der Hörer im Wunschprogramm. Unter den Top-Positionen der “Offiziellen Airplay Charts“ läuft die Suche nach Format-Crashern dieses Kalibers derzeit jedenfalls ins Leere.
Die Autoren der Werke wird dies kaum anfechten: die Einnahmen aus Tantiemen für öffentliche Aufführungen, in der Gastronomie, Discotheken, durch Streaming oder Tonträgerverkauf und so weiter dürften die mäßigen Radio-Gelder aus GEMA und GVL sehr weit übertreffen.
Weltkulturerbe-Stadt Baden-Baden als Keimzelle der Ballermann-Musik
Die Geschichte der Ballermann-Musik beginnt keineswegs (wie immer wieder angenommen) mit Jürgen Drews und den 1980er-Jahren. Die Spur führt ausgerechnet ins mondäne Baden-Baden der frühen 1970er-Jahre. Die Stadt, damals eher bekannt durch Heilbäder, Galopprennen, Casino und seine engen russischen Verwurzelungen, pflegte in jenen Jahren musikalisch eher ihren Ruf als Hort der Hochkultur. Als erster (und deutschlandweit bekanntester) Protagonist von Stimmungsmusik positionierte sich der Ur-Baden-Badner Tony Marshall. Der als Herbert Anton Blöth geborene Sänger kreierte seit Anfang der 1970er-Jahre bereits Mitklatschnummern wie „Schöne Maid“, „Junge die Welt ist schön“ oder „Heute haun wir auf die Pauke“. Allesamt bundesweit bekannte Klassiker, die aber in ihren Texten eine Grenze des guten Geschmacks nie unterschritten.
Als Pioniere schlüpfriger Stimmungshits gelten die Musiker der – ebenfalls aus der noblen Kurstadt stammenden – Schlagertruppe Die 3 Besoffskis. Hinter diesem unmissverständlichen Bandnamen standen wohl die wahren „Ballermann-Hits-Erfinder“ Joe Raphael, Horsti Stinkstiefel und Schorsch Manning. Ihr erster Hit „Scheißegal“ verkaufte sich 1974 über 50.000 Mal. Ein Phänomen, denn wie heute verweigerten zahlreiche Medien dem fragwürdigen Treiben um Sex und Suff jede Unterstützung. Und ihrer Heimatstadt, heute ist Baden-Baden Teil des Weltkulturerbes, waren die Erfolge des Trios mehr als peinlich.
Die Formation bediente einen (offenkundig vorhandenen) einschlägigen Markt indes unbeirrt weiter mit immer obszöner anmutenden Texten über Alkohol und sexuellen Anzüglichkeiten. Als Vorlagen dienten gelegentlich auch aufgepeppte Volksweisen im rhythmischen Schlager-Gewand. Werke wie „Impotent ist schön“, „Die Weiber und der Suff“, „Hosenladen Boogie“ „Gruppensex im Altersheim“, „Bums mal hier und bums mal da“, „Ein schöner weisser Arsch“, „Klosett-Tango“ oder „Leck mich am …“ würden heute sicher eine Flut empörter Aufschreie von Bedenkenträgern gleich aus mehreren Lagern auslösen. Die Album-Reihe „Die große Wildsau-Fete“ mit Trinkliedern (teils aus der untersten Schublade) verkaufte sich in sechsstelligen Absatzzahlen. Viele Stücke wurden vom Musiker Pete Tex arrangiert und meist von Joy Flemings damaliger Band Hitkids sowie Bläsern des Süddeutschen Rundfunks eingespielt.
Großen Einfluss bei der erfolgreichen Durchsetzung des frivolen Trios hatten die seinerzeit hochpopulären Jukeboxen, die ab den 1950er- bis Ende der 1990er-Jahre für die – vom Konsumenten vor Ort individuell bestimmte – Beschallung in allen deutschen Kneipen sorgten. Zu vorgerückter Stunde und mit steigendem Alkoholpegel waren dann traditionell vielerorts die dauergedrückten „Klassiker“ der Besoffskis beste Granaten für gute Stimmung und Umsatz.
Und bereits damals stand das Bordell im Mittelpunkt des Geschehens: „Wir fahr’n ins Puff von Barcelona“, „In Hollywood ist der Puff kaputt“ oder „Wir kaufen uns ’nen winzig kleinen Puff“ zeigen, dass sich die Relevanz des Themas für manchen Zeitgenossen über die Jahre kaum verändert hat. Möglicherweise waren/sind diese alten Werke sogar noch immer Blaupausen für die Produzenten heutiger Ballermann-Songs.
In Mallorca sind die feierfreudigen 3 Besoffskis dem Vernehmen nach übrigens nie aufgetreten. Ihre Livekonzerte beschränkten sich auf schummrige Lokalitäten oder regionale Events entlang des Rheins, wo das Trio für ausgelassene Laune unter den Arbeitern der seinerzeit sich in Bau befindlichen Staustufen sorgte.