Webradio hat im Alltag der Menschen weiter stark an Bedeutung gewonnen. Die Web-Streaming-Angebote etablierter UKW-Wellen wuchsen zuletzt nicht nur numerisch weiter sprunghaft an, auch ihre Nutzung steigt. Im ersten Quartal 2022 um 13 Prozent gegenüber dem 4. Quartal 2021, wie die gerade erschienene ma 2022 IP Audio bestätigt. Auch bei der Nutzung von Podcasts signalisieren gleich mehrere Marktbefragungen ein kräftiges Wachstum, das inzwischen nachhaltig durch die Radiosender mit einer erkennbar gewachsenen Angebotsbreite befeuert wird.
Bernhard Bahners gilt als aufmerksamer Beobachter der digitalen Audioszene. Der 45-Jährige ist seit 2019 Chief Digital Officer der MADSACK Mediengruppe. Zudem Geschäftsführer der RND RedaktionsNetzwerk Deutschland GmbH und Geschäftsführer der radio.de GmbH, wo er bereits 2006 zum Gründungsteam gehörte. Bahners verknüpft in seinen drei Positionen die Verlags- und Audiowelt und gestaltet die digitale Transformation in der deutschen Medienbranche mit seiner Perspektive.
Die radio.de GmbH ist der Betreiber des internationalen Service radio.net, sowie der nationalenServices radio.de, radio.at, radio.fr, radio.es, radio.pt, radio.it, radio.pl, radio.se und radio.dk, sowie des Service GetPodcast. Die Dienste bieten mit nur einem Klick Zugriff auf mehr als 40.000 internationale Radiosender und über 2 Millionen Podcasts.
RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich sprach mit Bernhard Bahners über erfolgreiche Formate, Podcats sowie über Gegenwart und Zukunft des Webradio- und Audiomarktes.
„Die Radiosender haben erkannt, dass ein erfolgreicher Webchannel sehr wertvoll sein kann und nach anderen Spielregeln funktioniert“
RADIOSZENE: Wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung des Webradiomarktes? Die UKW-Nutzung geht weiter zurück, die Zahl digitaler Angebote steigt…
Bernhard Bahners: Wir sehen, dass sich Webradio weiter im Alltag der Nutzer etabliert hat. Die Simulcasts liegen in der Nutzung an der Spitze und werden von den Webonly Channels ergänzt. Vor einigen Jahren sah diese Verteilung noch anders aus, heute ist Webradio für viele ein ganz einfacher Empfangsweg für Radio.
Die Radiosender haben erkannt, dass ein erfolgreicher Webchannel sehr wertvoll sein kann und nach anderen Spielregeln funktioniert. Das terrestrische Sendegebiet spielt im Web nicht die gleiche Rolle.
RADIOSZENE: Was tut sich heute bei den Webradio Only-Programmen – einem der radio.de-Kerngebiete? Zuletzt war hier ja eine gewisse Stagnation festzustellen…
Bernhard Bahners: Das Wachstum an neuen Radiosendern hat sich verlangsamt. Das sehen wir auch international. Das Engagement der professionellen Sender lässt aber nicht nach. Es gibt also weniger Hobby-Projekte und einen höheren Anteil an professionellen Angeboten. Wir erweitern unser internationales Senderangebot stetig.
RADIOSZENE: Die inhaltliche Vielfalt bei der Gründung neuer digitaler Beiboote durch die terrestrische Senderwelt scheint sich weiter zu verbreitern. Stützen Sie diese Beobachtung?
Bernhard Bahners: Ja diese Entwicklung ist seit einigen Jahren ungebrochen. Die Radiosender haben die Expertise und alle technischen Voraussetzungen, um weitere Beiboote vom Stapel laufen zu lassen und hier zu experimentieren. Einige dieser Experimente werden zu wichtigen Säulen in der digitalen Reichweite, andere Experimente werden wieder abgeschaltet.
Bei der musikalischen Ausrichtung werden die aktuellen Trends natürlich berücksichtigt. So gibt es heute zum Beispiel einige Streams für die Themen Lo-Fi und Beats to Study. Ein Trend der auf YouTube gestartet ist und mittlerweile auch für die Musikindustrie sehr interessant geworden ist und sich natürlich auch im Webradio wieder findet. Auch DJ Mixe sind eine Stärke des Webradios. Hier tut sich Musikstreaming aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen noch immer schwer. Und das Thema Workout und Fitness erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit.
Die Sender bieten den Hörern also noch mehr Anknüpfungspunkte, gerade auch in Situationen, in denen der Simulcast vielleicht nicht die Wünsche des Hörers erfüllt. Gleichzeitig bietet es auch andersrum die Möglichkeit neue Hörer zum Simulcast zu bringen. Wenn der Webstream für eine musikalische Nische überzeugt, dann ist auch der Simulcast interessant, wenn es darum geht ein Vollprogramm mit Unterhaltung und Informationen zu finden.
RADIOSZENE: Verfügen Sie über harte Zahlen, welche Bevölkerungsschichten besonders intensiv Webradios nutzt?
Bernhard Bahners: Wir sind besonders stark in den Altersgruppen zwischen 25 und 55 Jahren. Aber auch in den Altersgruppen über 55 haben wir noch viele Nutzer. Wir erreichen im digitalen Audiobereich also eine etwas ältere Zielgruppe als im Musikstreaming.
„Wenn der Webstream für eine musikalische Nische überzeugt, dann ist auch der Simulcast interessant, wenn es darum geht ein Vollprogramm mit Unterhaltung und Informationen zu finden“
RADIOSZENE: Wie sehr tangieren Streaming-Dienste wie Spotify oder Smartspeaker den Webradio/Audio-Markt?
Bernhard Bahners: Musikstreaming ist heute ein großer Bestandteil des Audio-Markt. Das wird auch deutlich wenn man die Entwicklung des Musikmarktes betrachtet, der sich seit der Etablierung von Musikstreaming wieder erholt hat und wächst oder wenn man sich die Ergebnisse der ma-IP anschaut.
Für die Radiowelt ist es schwieriger geworden junge Menschen zu erreichen. Es gibt mehr Audio-Angebote als jemals zuvor. Was man aber auch sieht, ist das Bedürfnis der Menschen nach schnellen und verlässlichen Informationen, die sie im Radio erhalten. Das hat man in der Hochphase der Corona Pandemie deutlich gemerkt und auch am Anfang des Krieges in der Ukraine. Wenn die Menschen Informationen brauchen, dann ist das Radio eine wichtige Quelle. Und starke Radiomarken funktionieren dann auch in der Podcastwelt als Anker. Wie man am Coronavirus-Update von NDR Info gesehen hat.
Die Smartspeaker sind ein Zugangsweg in die Audiowelt. In einigen Haushalten haben sie das alte Küchenradio ersetzt, auch hier verschiebt sich die Radionutzung von UKW ins Webradio. Die Dynamik im Markt hat sich aber etwas gelegt. Es wird spannend zu sehen sein, welche nächsten Schritte beim Thema Voice und Connected Devices für Begeisterung sorgen.
RADIOSZENE: Ihr Unternehmen hat sich schon früh auch auf Medien-Dateien konzentriert. Wie dynamisch entwickelt sich derzeit der deutsche und internationale Podcast-Markt?
Bernhard Bahners: Wir haben bereits von Anfang an auch Podcasts in unserem Angebot aufgenommen. Eine vollumfängliche Podcast Integration haben wir allerdings erst Anfang 2020 umgesetzt. Der Markt wächst in der Tat sehr dynamisch. Sowohl in Deutschland als auch international. Die derzeit wichtigsten Sprachen in der Podcastwelt sind Englisch, Spanisch, Portugisisch, Indonesisch und Deutsch. Da fällt zum Beispiel auf, dass die französischsprachigen Märkte noch mehr Wachstumspotenzial haben.
RADIOSZENE: Vor etwas über zwei Jahren hat radio.de den Service GetPodcast gestartet. Erläutern Sie uns nochmals den Mehrwert des Dienstes für die User?
Bernhard Bahners: In der Verbindung von Radio und Podcast liegt ein riesiges Potential, denn viele Menschen, gerade in etwas älteren Zielgruppen, haben Podcasts noch nicht für sich entdeckt. Aber sie schätzen das Radio und können genau an diesem Punkt auch für Podcasts begeistert werden. Diese Verbindung stellen wir in der radio.de App her.
Gleichzeitig entwickelt sich der Podcast Markt auch unabhängig vom Radio Markt. Mit GetPodcast bieten wir einen Service, der sich komplett auf Podcasts konzentriert und den einfachen Zugang zur nächsten hörenswerten Episode für Menschen bietet, die sich nicht für Radio interessieren.
RADIOSZENE: Wie viele Podcasts sind über GetPodcast verfügbar? Welche Genres werden von den Nutzern besonders nachgefragt?
Bernhard Bahners: Wir bieten mittlerweile Zugang zu mehr als 2,2 Millionen Podcasts aus der ganzen Welt. Wenn man die Nutzung in Deutschland betrachtet, dann sind True Crime Formate, Sport, Comedy und Nachrichten Podcasts die gefragtesten.
„In der Verbindung von Radio und Podcast liegt ein riesiges Potential“
RADIOSZENE: Der Boom um Podcasts schien in 2021 ungebremst. Viele Produzenten fühlten sich berufen hier mitzumischen. Täglich erscheint auch in diesem Jahr eine große Zahl neuer Formate, bei denen sich oft die Frage stellt: wer soll das alles hören? Sehen Sie hier früher oder später einen Konzentrationsprozess, der die Spreu vom Weizen trennt?
Bernhard Bahners: Diese Kritik könnte man an die meisten Mediengattungen richten. Wer soll alles lesen? Wer soll alle Videos oder Filme schauen? Wer soll all den Content konsumieren, der jeden Tag produziert wird?
Schon jetzt wird die Spreu vom Weizen getrennt, auch im Podcast-Bereich. Es gibt erfolgreiche Formate und Projekte und Ideen, die ausprobiert werden, aber nicht genügend Publikum finden. Wir sind immer noch am Anfang der Entwicklung des Marktes, auch wenn schon einige Meilensteine erreicht wurden.
Es gibt auch nicht nur ein sinnvolles Geschäftsmodell für Podcasts. Für die Reichweitenvermarktung braucht man natürlich Erfolg beim Publikum. Aber auch kleine Podcasts können wirtschaftlich sinnvoll sein, wenn sie die jeweils gesteckten Ziele erreichen. Abo-Modelle oder die Unterstützung durch eine eigene Community können funktionieren und einen Podcast refinanzieren. Aber auch als Marketing-Kanal können Podcasts funktionieren, weil die Produktionskosten gering gehalten werden können – die Bindung und das Vertrauen der Hörer aber sehr groß sein kann.
Es ist weiterhin ein spannendes Feld für Verlage, Radiosender und unabhängige Produzenten. Die Infrastruktur ist vorhanden. Die Zahl der Hörer steigt und es lassen sich viele Synergien nutzen. Deshalb sind wir auch als RedaktionsNetzwerk Deutschland als Podcast Publisher aktiv.
RADIOSZENE: Welche Strategie verfolgen sie mit den Podcasts des RedaktionsNetzwerk Deutschland?
Bernhard Bahners: Wir setzen im News-Bereich stark auf inhaltliche Synergien, die wir mit unseren Journalisten und Redakteuren nutzen können. Mit dem täglichen Podcast “Der Tag” bieten wir eine kompakte Einordnung der Nachrichten und einen Ausblick auf den anstehenden Tag. Mit dem “RND-Update” haben wir einen stündlichen News Podcast etabliert.
Darüber hinaus haben wir aber auch RND-Formate wie Geyer & Niesmann, in dem die beiden Redakteure aus dem Berliner Büro des RND mit spannenden Gästen über die aktuelle Politik streiten und diskutieren. Aber auch die lokalen Redaktionen, wie zum Beispiel die Neue Presse arbeiten erfolgreich mit dem Medium Audio. So zum Beispiel mit dem Format True Crime Hannover oder mit dem Format Unsere Story von der LVZ.
RADIOSZENE: Was ist der nächste Meilenstein für den Podcast Markt?
Bernhard Bahners: Die große Herausforderung bleibt derzeit das Thema Discovery. Und das für beide Seiten. Die Produzenten und die Hörer. Wie kann ich mit meinen Inhalten die Aufmerksamkeit der Hörer erreichen und wie finde ich die nächste Episode die mich als Hörer interessiert und begeistert.
RADIOSZENE: Welche technischen Innovationen beflügeln den Audiomarkt aktuell besonders stark?
Bernhard Bahners: Synthetische Stimmen sind ein sehr spannendes Thema, das uns dieses Jahr vermehrt begegnen wird. Dabei stellt sich nicht die Frage, ob ein echter Mensch der bessere Moderator ist, sondern in welchen Fällen die künstlichen Stimmen auf genügend Akzeptanz stoßen. Eine komplette Morningshow oder einen Personality Podcast werden wir nicht hören, aber Elemente, die tatsächlich gut funktionieren, können weitere Experimente ermöglichen.
Axel Springer hat mit aravoices eine eigene Stimme entwickelt, die Artikel der WELT vorliest. Noch spannender ist das Projekt von Bertelsmann und Microsoft, die einige Stimmen ihrer Sprecher und Moderatoren synthetisiert haben und jetzt ausprobieren, in welchen Fällen sich die künstliche Stimme einsetzen lässt und wie die Resonanz bei den Hörern ist.
„Wir sehen in Deutschland einen starken Trend, dass immer mehr Radiomarken über die klassischen Sendegebiete hinauswachsen“
RADIOSZENE: Wagen Sie einmal einen mittelfristigen Ausblick … wie wird sich die digitale Audiolandschaft international sowie in Deutschland im Besonderen entwickeln?
Bernhard Bahners: Wir sehen in Deutschland einen starken Trend, dass immer mehr Radiomarken über die klassischen Sendegebiete hinauswachsen. Das liegt daran, dass die UKW Frequenz nicht mehr das unerlässliche Rückgrat eines Radiosenders ist. Die alternativen Verbreitungswege haben an Relevanz gewonnen und jetzt ist es an der Zeit die Grundlagen für neue Reichweiten für die Radiomarken zu schaffen.
Mit dem Start von 80s80s auf UKW in Mecklenburg Vorpommern wurde ein erfolgreiches Webradio bis in die analoge Welt gebracht. Dabei hat man die deutschlandweite Marke 80s80s, die im Web aufgebaut wurde, für die Umstellung von Antenne MV regionalisiert. Ein spannendes Beispiel für den Radiomarkt in ganz Deutschland.
Auch der Podcast Markt wird weiter wachsen und auch die Verlage werden mehr im Audiobereich ausprobieren. Hier gibt es den gegenläufigen Trend zum Radiomarkt, mit einer Entwicklung zu mehr regionalen Audio Angeboten aus den Redaktionen.