Radio als Lebensretter im Katastrophenschutz

Flutkatastrophe bigVon Georg Rose

Das Juli-Hochwasser in Deutschland hat gezeigt: Das Radio ist elementarer Bestandteil im sogenannten „Warn-Mix“. Das Radio kann Lebensretter sein: Über das Radio konnten die Menschen schnell informiert und gewarnt werden; zumindest dort, wo die Redaktionen beherzt reagiert haben und außerdem die Technik funktioniert hat.

Auf Empfängerseite ist terrestrisches Radio immer verfügbar; auch wenn Strom, Internet oder Mobilfunk ausfallen. Dazu brauchen die Menschen allerdings mobile Radiogeräte, die im Notfall auch mit Batterien betrieben werden können. In vielen Haushalten existieren solche Geräte. In vielen fehlen sie aber auch.

Lokale Sender werden in lokalen Krisensituationen reflexartig eingeschaltet

Auf Senderseite verfügen große Stationen, also die meisten öffentlich-rechtlichen Anstalten und viele landesweite Privatsender, über starke, meist per Kraftstoff betriebene Notstrom- Aggregate. Sie sind also weitgehend unabhängig vom öffentlichen Stromnetz und können in Krisensituationen über lange Zeiträume weitersenden. Kleinere Radiostationen dagegen haben meist nur deutlich geringere Überbrückungskapazitäten.

Das akkugespeiste Notstrom-Gerät bei Radio Wuppertal zum Beispiel reicht für ca. 180 Minuten; und das auch nur, wenn sich das Team auf ganz wenige Stromverbraucher beschränkt. Radio Wuppertal hat seinen Sitz unmittelbar am Ufer der Wupper. In der Flutnacht wurde in diesem Teil der Stadt gegen 2.30 Uhr aus Sicherheitsgründen auf Anordnung der Feuerwehr der Strom abgeschaltet. Es konnten dann nur noch das Mischpult und zwei Studiorechner weiter per Akku betrieben werden, bis um ca. 05.00 Uhr der Akku leer war. Zum Glück war die Gefahrensituation zu diesem Zeitpunkt schon vorbei.

In der Flutnacht haben wir bei Radio Wuppertal festgestellt, dass ungewöhnlich viele Menschen unser Programm geradezu reflexartig eingeschaltet haben. Sicher zum einen, weil wir ohnehin Marktführer sind und auch in normalen Zeiten eine hohe Einschaltquote haben. Aber natürlich auch, weil sich viele von ihrem lokalen Radiosender in dieser Lage alle wichtigen Informationen erhofft haben. Große Sender können überregional allgemeine Warnungen verbreiten. Lokale Radios jedoch können zielgenau über die konkrete Lage in ihrem lokalen Verbreitungsgebiet informieren – bis hin zu exakten Warnungen für bestimmte Stadtteile oder sogar für einzelne Straßen.

Radio Wuppertal als lokales Radio steht wirtschaftlich gut da. Wir sind aber nicht in der Lage, die enormen Kosten für eine krisenfeste Notstrom-Versorgung allein zu tragen. Denn es geht dabei nicht nur um die Stromversorgung der Studios und der Redaktion. Es geht ebenfalls um die Standorte der Sendeanlagen, die in der Regel räumlich weit entfernt sind. Diese Sendeanlagen sind meistens auf Telekom-Türmen installiert, die ebenfalls keine Notstrom- Versorgung besitzen. Außerdem muss eine Funk- oder Satellitenverbindung zwischen Studiostandort und Sendemast gewährleistet sein, damit das Signal aus dem Studio auch die Sendeanlagen erreicht.

Notstrom für Lokalradios muss öffentlich gefördert werden

Ein Experte schätzt, dass allein für Radio Wuppertal Investitionen in Höhe von etwa 250.000 Euro nötig sind, um eine Stromversorgung in Krisensituationen zumindest für 24 Stunden zu gewährleisten. Um genaue Zahlen zu haben, hat die Betriebsgesellschaft von Radio Wuppertal jetzt ein Gutachten in Auftrag geben, um an diesem Beispiel die genauen technischen Anforderungen und die exakten Kosten zu kennen. Die Begehung hat Mitte August stattgefunden. Das Gutachten wird Ende September vorliegen.

Die Forderung an dieser Stelle lautet: Die Infrastruktur kleiner Radiosender sollte mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, um im Katastrophenfall die Bevölkerung durchgehend warnen und informieren zu können. 250.000 Euro pro Radiostation klingen nach viel Geld. Auf der anderen Seite reden wir im Vergleich von sehr geringen Investitionen – wenn wir erstens an die große Zahl von Menschen denken, die bei dieser Katastrophe ihr Leben verloren haben, und wenn wir zweitens die durch das Hochwasser verursachten Milliardenschäden an privatem und öffentlichem Eigentum berücksichtigen.
Ausstattung für mobiles Arbeiten und Senden ist zwingend

Die Redaktionen benötigen die technische Ausstattung, um direkt und mobil von überall Erstmeldungen ins Programm nehmen können. Denn Krisen halten sich oft nicht an die üblichen Arbeitszeiten. Außerdem kann es in einer Krisensituation sein, dass die Mitarbeitenden der Sender gar keine Möglichkeit mehr haben, die Redaktionsräume zu erreichen.

DAB+ kann Vorteile bieten, ist aber für kleine Radios oft nicht finanzierbar

Differenziert werden muss zwischen UKW und DAB+. UKW ist der bisherige Standard. Bei UKW sprechen wir über eine Vollversorgung. Auch im letzten Winkel Deutschlands ist UKW- Empfang jederzeit möglich. DAB+ kann als digitale Variante künftig technische Vorteile ausspielen. Dabei geht es um das sogenannte EWF-System. EWF steht für “Emergency Warning Functionality“. Das bedeutet: Über diese Geräte können die Behörden im Notfall eine Weckfunktion auslösen. Sie können außerdem Warnmeldungen zwangsauslösen sowie Warnbilder und kurze Texte auf die Displays spielen. Längst nicht alle heute verfügbaren DAB+-Geräte sind schon dafür geeignet. Aber die Technik existiert und könnte genutzt werden. Gravierender Nachteil: Noch ist unklar, wann DAB+ in Deutschland flächendeckend empfangbar sein wird. Das könnte noch etliche Jahre dauern. Außerdem ist die Zahl der UKW- Empfänger in Deutschland immer noch dramatisch größer als die der DAB-fähigen Geräte.

Auch beim Thema DAB+ gibt es im Radiomarkt eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die öffentlich- rechtlichen Anstalten können sich dank der Rundfunkgebühren DAB+ leisten und senden fast alle parallel über UKW und über DAB+. Viele private Radiostationen, vor allem wieder die kleineren, sehen sich nicht in der Lage, den Einstieg in DAB+ zu finanzieren. Dabei gibt es allerdings unterschiedliche Ausgangssituationen in den Bundesländern. Teilweise werden der Umstieg und der Simultanbetrieb über die Landesmedienanstalten gefördert, teilweise nicht. Die Forderung muss also lauten: Gerade den kleinen Stationen muss bundesweit finanziell geholfen werden, neben UKW auch über DAB+ zu senden zu können.

Nationale Marketingkampagne starten: „Lebensretter Batterie-Radio“

Radio muss aber nicht nur theoretisch integraler Bestandteil des deutschen Katastrophenschutzes sein. Es muss auch eine gewaltige Marketingkampagne angeschoben werden. Den Menschen muss klar werden: Jeder Haushalt muss ein Radiogerät besitzen, dass auch mit Batterien betrieben werden kann. Es muss auch kommuniziert werden, dass ein solches Gerät nicht in irgendeiner Kiste im Keller verschwinden darf, sondern an zentraler Stelle jederzeit auffindbar ist. Wichtiger Teil der Kampagne muss es außerdem sein, dass jeder Haushalt über eine genügende Zahl passender Batterien verfügt, die zudem in gewissen Abständen gegen frische getauscht werden müssen. Am besten könnte eine solche Kampagne regelmäßig aus Anlass nationaler Warntage aufgefrischt werden, parallel zum Beispiel zum Test von Sirenen. Für eine solche Kampagne samt jährlichem Reminder müssen öffentliche Mittel bereitgestellt werden.
Diese Forderungen zum Thema Radio sprechen keineswegs gegen die vieldiskutierte Einführung eines mobilfunk-basierten Warnsystems, mit dessen Hilfe Warn-SMS automatisch auf Mobiltelefone geschickt werden können. Dieses System eignet sich gut als erster Warnimpuls und als Hinweis, sich weitere Informationen aus dem Radio zu holen.

Wichtige Fragen zur Barrierefreiheit offen

Gelöst werden muss im Sinne der nötigen Barrierefreiheit die Frage, in welchen Sprachen neben Deutsch gewarnt werden sollte. Diese Frage muss möglicherweise von Sendegebiet zu Sendegebiet differenziert betrachtet werden. Klar ist aber: Nicht überall und jederzeit sind Personen mit den nötigen Fremdsprachenkenntnissen verfügbar. Deshalb muss zudem überlegt werden, in welcher Form den Redaktionen Texte und Audios für bestimmte Standard-Situationen zur Verfügung gestellt werden könnten.

Übrigens kann DAB+ hier über die schon erwähnte EWF-Funktion auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Warnungen barrierefrei zu machen – Warnbilder oder -piktogramme auf den Displays könnten nicht-deutschsprachige Menschen sowie Menschen mit beeinträchtigtem Hörvermögen zumindest in knapper Form warnen.

Redaktionen müssen zu sofortiger Reaktion verpflichtet werden

Allerdings müssen auch die Radio-Redaktionen auf eine sofortige Reaktion in Krisensituationen eingeschworen und dazu verbindlich verpflichtet werden. Es muss geklärt werden, auf welchem Weg künftig die Programmverantwortlichen unverzüglich informiert werden können, um entsprechende Warnmeldungen zu verbreiten. In diesem Zusammenhang muss das modulare Warnsystem MoWas des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe komplett überarbeitet werden.

„MoWas“ Warnsystem hat versagt

Radio Wuppertal ist direkt an das MoWas-Warnsystem angeschlossen. Unsere Erfahrung aus der Flutnacht zeigt: Dieses System muss dringend neu aufgesetzt werden. Die Warnungen kamen wiederholt erheblich zu spät. Außerdem hinkten sie wiederholt der tatsächlichen Entwicklung der Katastrophe hinterher – Erfahrungen, die nicht nur unsere Redaktion gemacht hat.

Beispiel: Die Nachbarstädte Wuppertal und Solingen betreiben eine gemeinsame Feuerwehrleitstelle. Für die Stadt Solingen gab diese Feuerwehrleitstelle am 14.Juli 2021 schon um 12.58 Uhr eine erste MoWas-Warnung heraus. Die lief allerdings in Leere, weil der dortige Lokalsender Radio RSG bisher nicht direkt an MoWas angeschlossen ist. Radio Wuppertal ist an MoWas angeschlossen, wurde aber erst acht Stunden später auf diesem Weg informiert. Denn für Wuppertal gab die gemeinsame Feuerwehrleitstelle die erste MoWas- Warnung erst um 21.00 Uhr heraus. In beiden Fällen handelte es sich trotz der Ereignisse außerdem nur um die Warnstufe 2. Der Wuppertaler Stadtteil Kohlfurth wurde um 19.30 Uhr von einer ersten Flutwelle der Wupper hart getroffen. Mehrere Menschen konnten sich nach unseren Recherchen nur noch in letzter Sekunde in Sicherheit bringen. Wir hätten mit unserem Programm die Menschen dort lange vorher warnen können, wenn wir selbst rechtzeitig eine Warnmeldung erhalten hätten.

MoWas-Meldungen: unübersichtliches Behörden-Design

Unsere Schlussfolgerung: Das System arbeitet unzuverlässig. Außerdem orientiert es sich starr an Kreis- und Kommunalgrenzen, was Umwelt- und Unwetterkatastrophen nicht zu tun pflegen. Darüber hinaus sind die MoWas-Meldungen in einem sehr unübersichtlichen Behörden-Design gestaltet. Weder die Warnstufe noch die betroffene Region sind auf den ersten Blick ablesbar. In solchen Situationen ist es aber zwingend erforderlich, dass Ort und Dimension der Katastrophe von Journalistinnen und Journalisten sofort und auf den ersten Blick erfasst werden können.

Ruf doch mal an!

Es drängt sich aber noch ein weiterer Eindruck auf, und da geht es möglicherweise um einen sehr bedeutsamen Aspekt: Wird in Katastrophenfällen die direkte Kommunikation zwischen den in den Katastrophenschutz involvierten Behörden und Institutionen, z.B. der Feuerwehr, auf der einen Seite und uns Medien als Warnmultiplikatoren auf der anderen Seite unterschätzt und vernachlässigt? Wird lieber eine standardisierte E-Mail geschickt, von der nicht bekannt ist, ob sie die Adressaten in den Redaktionen überhaupt erreicht, zumal außerhalb üblicher Arbeitszeiten? Wäre es nicht besser, gezielt vorab definierte Vertreterinnen und Vertreter der wichtigsten Warnmultiplikatoren auf dem kleinen Dienstweg per Anruf auf dem Mobiltelefon zu informieren und zu alarmieren? Auch dieser Punkt muss in den Diskussionen um die dringend nötige Optimierung des Katastrophenschutzes in Deutschland eine zentrale Rolle spielen.
Informationskette klar definieren!

Das deutsche Warnsystem braucht unabhängig von den Kommunikationswegen eine klar definierte Informationskette: Die Radioredaktionen müssen informiert werden, bevor automatische SMS verschickt werden oder Sirenen heulen. Denn die Menschen werden damit als Erst-Warnung zugleich aufgefordert, das Radio einzuschalten. Dann müssen in den Programmen aber auch schon die ersten Meldungen laufen.

Fazit

Radio kann bei Umwelt- und Unwetterkatastrophen Leben retten und helfen, Sachwerte zu schützen. Radio muss deshalb als elementarer und integraler Bestandteil des deutschen Katastrophenschutzes begriffen und – wo nötig – gefördert werden.

Radio als Lebensretter im Katastrophenschutz: der 10-Punkte-Plan von Radio Wuppertal
  1. Radio muss als integraler Bestandteil des Deutschen Katastrophenschutzes begriffen werden
  2. Lokale Radiostationen benötigen eine leistungsfähige Notstrom-Versorgung für Redaktionen und Senderstandorte sowie eine sichere Funk- oder Satellitenverbindung zwischen beiden
  3. Lokale Radiostationen benötigen Unterstützung beim Umstieg auf DAB+ bzw. für den Simulcast-Betrieb
  4. Die Redaktionen benötigen mobile Technik, um 24/7 auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten sofort mobil ins Programm gehen zu können
  5. Eine nationale Kampagne muss die Menschen über „Radio als Lebensretter“ aufklären
  6. Fragen der Barrierefreiheit von Warnmeldungen müssen beantwortet werden
  7. Radio-Redaktionen müssen sich für Krisensituationen verbindlich zu sofortiger umfassender Reaktion in ihren Programmen verpflichten
  8. Das MoWas-System ist oft zu langsam, zu zögerlich, zu unzuverlässig, zu ungenau – es muss dringend reformiert werden; die MoWas-Meldungen bedürfen eines auf den ersten Blick verständlichen Designs
  9. Die direkte Kommunikation mit den Medien als Warnmultiplikatoren wird von am Katastrophenschutz Beteiligten zunehmend unterschätzt und vernachlässigt – das muss sich dringend ändern
  10. Es muss verbindlich eine klar definierte Informationskette eingeführt werden, damit die Redaktionen schon on air sind, wenn Warn-SMS herausgehen und Sirenen heulen

Georg RoseÜber den Autor: Georg Rose ist seit 1997 Chefredakteur von Radio Wuppertal, dem privaten Sender für die Stadt Wuppertal. Beginn seiner beruflichen Laufbahn war 1979 als freier Mitarbeiter der Münsterschen Zeitung. Er studierte in Freiburg im Breisgau und an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster Geographie, Politik und Anglistik. Parallel dazu erhielt er eine studienbegleitende journalistische Ausbildung als Stipendiat beim Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses e.V. (ifp, München). Nebenher arbeitete er als freier Mitarbeiter unter anderem für die Tageszeitung „Südkurier“ (Konstanz) und den Südwestfunk. 1984 bis 1988 war er fester freier Mitarbeiter im WDR-Landesstudio Münster (Hörfunk und TV). 1988 wurde Georg Rose Programmchef des Lokalsenders RMB-Radio in Waiblingen. Weitere Stationen: Programmchef beim Regionalsender Radio RT4 in Reutlingen, Chefredakteur bei Antenne Thüringen in Weimar und bei Radio Kiepenkerl im Kreis Coesfeld.