Radio ohne Eier

In diesen Tagen sind Stundenuhren und die trillionste Ausstrahlung von „Black or White“ und „Sunshine Reggae“ das mutlose und blutleerste was ich je in einer Kreativbranche gesehen und gehört habe.

In diesen Zeiten gewinnt man mit Empathie, Storytelling und Authentizität. Deswegen, Mikro auf, den Musikcomputer in den Lockdown schicken. 24/7 raus auf die Straße, ran an die Menschen. Lasst sie erzählen, von Ängsten, Nöten, Freuden. Von Geschichten aus dem Leben. Verpackung ist Nebensache. Weg mit der Musik. Lasst Moderatoren und Reporter, sofern es noch welche gibt, die 10 Minuten zusammenhängend und spannend berichten können, bis zum Runner’s High reden und senden. Radio verschenkt in einer historischen Zeit seine Chance, das echte soziale Netzwerk zu sein an die digitalen und asozialen Netzwerke.

Dort tauschen sich die Menschen mit Ihren Gefühlen aus. Das Radio guckt zu, genauer gesagt hört zu und klaut von Facebook Postings oder ermuntert ebenda zu posten. Wie jämmerlich ist das denn bitte? Die eigene Antenne nicht maximal ausfahren, sondern mit Praktikanten rumfummeln ist ein jämmerliches Bild.

„Ja, aber wir haben doch kein Geld!“ – Nun, wen wundert es? In der Seefahrt gibt es das Kommando „Alle Mann an Deck“, wenn der Kahn vollläuft. Beim Radio laufen die Lenzpumpen schon seit Jahren.

Macht mal großes Kino! Überrascht mich mit Gänsehaut statt mit Plastikverpackung! Enteiert die Stundenuhrstalinisten, brecht Formate! Die interessieren nun wirklich niemanden. Wenn ihr die nächsten vierzehn Tage dazu nutzt, schalte ich in diesen historischen Tagen, die für stundenlange Hörerlebnisse gemacht sind, auch wieder ein. Ihr habt verlernt, out of the box zu denken und zu handeln und beklatscht Euch selbst beim Radio-Sackhüpfen. Ja, Radio lebt vom Sprechen! Wahrscheinlich gibt es deswegen in den Stationen auch mehr Menschen mit Sprech- als mit Denkblasen.

Herrjehhh! Freunde, gebt mal endlich Gas! Ihr verkackt eine historische Chance, das Dudelfunk-Image abzulegen und dem Radio wieder eine echte Relevanz zu geben. Musikradio war gestern, Spotify macht es doch sowieso viel besser als ihr. Hängt nicht alten Zeiten nach, sonst werdet ihr mal rückblickend sagen müssen, nur wenn man nach vorn schaut, sieht man den Laternenmast.

Und bevor ihr mir Frustration unterstellt, nein, weit gefehlt. Es ist auch nicht Arroganz! Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz. Es ist ein kick-in-the-ass für eine Mediengattung die mal relevant war und die ich sehr lieb(t)e, die aber vor Jahren schon begann Mut und Niveau auszufaden.

Ahoi, Radio Gaga!


Markus Langemann (Bild: ©Langemann Medien GmbH)
Markus Langemann

Die Entwicklung von Fernsehshows und Radioformaten im In- und Ausland, die Gründung von TV- und Radiosendern, die Programmdirektion und Geschäftsführung von Musiklabeln, Medienunternehmen, wie Radio – und TV-Sendern, sowie die Lehrtätigkeit an Medienakademien, gehört zur Biografie von Langemann.

Ebenso das Turnaroundmanagment von landesweiten Sendern, die Arbeit als Morningshow-Host oder die Nominierung als Radiopersonality für den Deutschen Radiopreis.