„Radio ist nicht tot, sondern entwickelt sich im Netz weiter“

radio.netAudio bleibt angesagt. Eine Erkenntnis, die durch die Corona-Krise weiter befeuert – und durch Untersuchungen in den vergangenen Monaten belegt wurde. Wie etwa durch die ma 2020 IP Audio II, als für fast alle Radiosender zum Teil deutliche digitale Zuwächse zu Buche standen. Gegenüber dem vierten Quartal 2019 konnte ein Anstieg von 10 Prozent verzeichnet werden – die Simulcast-Streams, also die klassischen UKW-Programme, legen im Netz sogar um 20 Prozent zu.

Auch bei der Nutzung von Podcasts signalisieren gleich mehrere Marktbefragungen ein kräftiges Wachstum, das inzwischen durch die Radiosender mit einer erkennbar gewachsenen Angebotsbreite nachhaltig angetrieben wird.

Bernhard Bahners gilt als aufmerksamer Beobachter der digitalen Audioszene. Der 43-Jährige ist seit 2019 Chief Digital Officer der MADSACK Mediengruppe. Zudem Geschäftsführer der RND RedaktionsNetzwerk Deutschland GmbH und Geschäftsführer der radio.de GmbH, wo er bereits 2006 zum Gründungsteam gehörte.

Bernhard Bahners (Bild: ©Tim Schaarschmidt)
Bernhard Bahners (Bild: ©Tim Schaarschmidt)

Bahners verknüpft in seinen drei Positionen die Verlags- und Audiowelt und gestaltet die digitale Transformation in der deutschen Medienbranche mit seiner einmaligen Perspektive. 

Neben seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten Berlin und Hamburg engagierte er sich in diversen Unternehmen, unter anderem ECC KohtesKlewes (heute Ketchum PLEON) und Beiersdorf AG/tesa AG. Ende 2006 wechselte er von der Werbeagentur Scholz & Friends ins damalige MADSACK MediaLab, um das Projekt radio.de zu entwickeln.

Die radio.de GmbH ist der Betreiber des internationalen Service radio.net, sowie der nationalen Services radio.de, radio.at, radio.fr, radio.es, radio.pt, radio.it, radio.pl, radio.se und radio.dk, sowie des Service GetPodcast.com. Die Dienste bieten mit nur einem Klick Zugriff auf mehr als 30.000 internationale  Radiosender und über 900.000 Podcasts.


RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich sprach mit Bernhard Bahners über erfolgreiche Formate, Podcats sowie über Gegenwart und Zukunft des Webradio- und Audiomarktes.

 

„Die derzeitige Situation um Podcasts erinnert an die Boomjahre im Internet“

 

RADIOSZENE: Herr Bahners, erst kürzlich hat radio.de seinen neuen Service GetPodcast.de gestartet. Welchen Mehrwert dürfen Nutzer vom neuen Dienst erwarten? 

Bernhard Bahners: Mit GetPodcast bieten wir einen übersichtlichen Service an, der den Nutzern Zugang zu mehr als 900.000 Podcast bietet. Die Nutzer können hier immer wieder neue spannende Inhalte finden, so dass die Podcastwelt übersichtlich und einfach zugänglich für jeden wird.

Bernhard Bahners (Bild: ©Tim Schaarschmidt)
Bernhard Bahners (Bild: ©Tim Schaarschmidt)

RADIOSZENE: Wie navigieren Sie die Anwender durch den Dschungel dieses riesigen Angebotes, nach welchen Kategorien ordnen Sie die Podcasts redaktionell ein?

Bernhard Bahners: Es gibt klassische Kategorien die Inhalte nach Themen sortieren, so dass jeder schnell sein Interessengebiet finden kann. In der bereits seit langem bestehenden radio.de App haben wir GetPodcast ebenfalls integriert. Hier haben wir redaktionelle Playlisten, die einen schnellen Überblick über die unterschiedlichen Highlights in verschiedenen Themenwelten bieten. Mit diesen Playlisten kann man sehr einfach die neusten Episoden zu seinen Interessen entdecken und auch verfolgen. Mit diesem Feature wollen wir auch den klassischen Radiohörern den Einstieg in die Podcastwelt vereinfachen.

radio.de-Podcast-App-Screenshot
radio.de-Podcast-App (Screenshot)

Auch die Suche ist ein besonders wichtiges Feature. Hier bieten wir durch praktische Filterfunktionen die Möglichkeit schnell die passenden Inhalte zu finden.

RADIOSZENE: Ihr Unternehmen hat sich bereits früh auf die Medien-Dateien konzentriert. Wie dynamisch entwickelt sich derzeit der deutsche und internationale Podcast-Markt?

Bernhard Bahners: Tatsächlich hatten wir schon vom Start an, also seit 2008, Podcasts in unserer Datenbank. Der Podcastmarkt boomt in Deutschland und dem Rest der Welt. Überall entschließen sich Verlage dazu das Thema Audio in den Fokus für die weitere Unternehmensentwicklung zu nehmen. Auch Radiosender stehen nicht still. Denn wer jetzt einfach stehen bleibt und alte Modelle verwalten will, der wird irgendwann überholt und abgehängt sein.

radio.de. auf Chromecast-TV
radio.de. auf Chromecast-TV

Die Situation erinnert an die Boomjahre im Internet, speziell an die Zeit in der die Blogosphäre entstanden ist. Es ist wichtig die Mediengattung Podcast zu verstehen und damit zu experimentieren, was man innerhalb dieser Gattung für einen Mehrwert bieten kann. Wir werden auch ein Phase der Konsolidierung erleben. Nicht jedes Experiment wird zu einer etablierten Marke, nicht jedes Format wird am Ende erfolgreich vermarktet werden.

Aber das schöne ist ja auch, dass die Einstiegshürden nicht so hoch sind. Eine gute Audioqualität ist tatsächlich wichtig für die Hörerbindung. Aber heutzutage können auch neue Medienschaffende mit guter Technik in diesem Bereich eigene Formate entwickeln und sehr erfolgreich sein. Wir sehen bei der Podcast Nutzung ein konstantes Wachstum, dass unsere These bestätigt, dass wir unseren Nutzern spannende On-Demand-Inhalte näher bringen können.

 

„Wir sehen, dass tägliche Podcast-Formate und -Nachrichten echte Nutzungstreiber sind. In Deutschland war der Lockdown tatsächlich förderlich für die Podcast Nutzung“

 

RADIOSZENE: Welche Genres werden bei radio.de beziehungsweise GetPodcast.de bevorzugt abgerufen?

Bernhard Bahners: Wissenschaft, Crime und Comedy sind die meist gehörten Themen. Dieses Bild wird natürlich auch durch Corona geprägt, da Podcasts zu wissenschaftlichen Themen in dieser Zeit sehr gefragt sind. Wir sehen aber auch, dass tägliche Formate und Nachrichten echte Nutzungstreiber sind.

Als Teil des RedaktionsNetzwerk Deutschland haben wir gemeinsam mit den Kollegen das RND-Update gestartet. Bei diesem stündlichen Format gibt es in 120 Sekunden die wichtigsten Meldungen aus dem Newsroom als Podcast – also Nachrichten-On-Demand.

Allgemein ist zu beobachten, dass regelmäßige Veröffentlichungen eine wichtige Säule für den Reichweitenaufbau eines Podcasts sind.

RADIOSZENE: Wie haben sich die Nutzungszahlen bei Webradios und Podcasts seit Beginn der Coronakrise entwickelt?

Bernhard Bahners: Es ist kein Geheimnis, dass der veränderte Alltag sich auch in der Mediennutzung niedergeschlagen hat. “Das Coronavirus-Update mit Christian Drosten”, das Norbert Grundei und das NDR Digital Audio Lab gestartet haben war ein enorm wichtiger Nutzungstreiber für Podcasts in Deutschland. Das Format hat das gesteigerte Interesse der Menschen an Nachrichten und Informationen sehr gut bedient. Und jeder kann schnell die Stärken von Podcasts begreifen. Das Medium bietet die Fläche, um mehr Hintergründe zu beleuchten, Wissenschaftskommunikation zu betreiben und auch dynamische Entwicklungen abzubilden.

RADIO.de Bahners 2020 radiode CarPlay Favoriten

Auch die Nachrichten hatten gerade zu Beginn der Pandemie einen großen Einfluss auf den Alltag der Menschen. Wie ist die Lage? Welche Maßnahmen gibt es? Was muss jeder einzelne tun?

Aber wir konnten auch große Veränderungen bei der Nutzung von Inhalten für Kinder beobachten. Vor Corona war diese Art von Content besonders am Wochenende gefragt. Durch die Schließung der Kitas und Schulen hat sich die Nutzung nicht nur merklich gesteigert, sondern auch vom Wochenende in die Woche verschoben.

In den USA hat sich die Podcast Nutzung durch den Lockdown teilweise verringert, weil die Mediengattung da schon komplett im Alltag der breiten Bevölkerung angekommen ist. Da gehört der Podcast schon zum Arbeitsweg. In Deutschland war der Lockdown tatsächlich förderlich für die Podcast Nutzung.

RADIOSZENE: Während Audio generell und Podcasts boomen scheint der Markt der Web Only Radios zu stagnieren. Zumindest schrumpft die Zahl der Anbieter. Wie erklären Sie diese Entwicklung?

Bernhard Bahners: Unsere weltweite Senderdatenbank wächst immer noch stetig. Unsere Perspektive ist seit einigen Jahren ein internationaler Blick auf den Markt.

Durch Streaming und die Allgegenwärtigkeit von Smartphones ist Musik leichter zugänglich als jemals zuvor, ein Webradio muss also schon ein besonderes Konzept verfolgen, damit es im großen Gesamtangebot Aufmerksamkeit und Hörer gewinnen kann. Das wird nicht leichter. Und das Thema Podcast bietet Menschen, die gerne etwas senden wollen einen weiteren Kanal, den man nutzen kann, auch wenn hier Musik natürlich nur als Gesprächsthema eine Rolle spielt.

 

„Das Thema Party in all seinen Facetten erfreut sich großer Beliebtheit“

 

RADIOSZENE: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der digitalen Spartenbeiboote bei den terrestrischen UKW-Programmen erneut massiv gestiegen. Hier wurden zuletzt ja nahezu täglich neue Streams auf den Weg gebracht…

Bernhard Bahners: Wie wichtig digitale Reichweite ist, muss man zum Glück in der Radiowelt nicht mehr erklären. Die Sender haben die digitialen Portfolios entsprechend ausgebaut und den Markt mit vielen Angeboten bedient.

RADIOSZENE: Welche Genres werden bei den Webradios vergleichsweise stark genutzt? Gibt es Formate, die sich zuletzt besonders hervorgetan haben?

Bernhard Bahners: Das Thema Party in all seinen Facetten erfreut sich großer Beliebtheit. Vor dem Hintergrund, dass die Corona Regelungen die Kulturbranche noch immer in vielen Bereichen lahm legen, ist das auch nicht besonders überraschend. Das Segment der DJ-Mixe ist auch immer noch eine Stärke des Webradios.

RADIOSZENE: Wie sehr tangieren Streaming-Dienste wie Spotify oder Lautsprecher wie Amazons Alexa den Webradio/Audio-Markt?

Bernhard Bahners: Der Audiomarkt boomt, weil die Menschen immer mehr technische Möglichkeiten haben, um genau das Programm zu hören, was sie hören wollen. Das reicht vom gesprochenen Wort beim Podcast, über ganz individuelle Playlisten beim Musikstreaming bis zur kuratierten Musikauswahl, die das Webradio bietet. In dieser Fülle an Angeboten ist das Radio immer noch der einfachste Zugangsweg zu guter Unterhaltung. Die Musikredakteure und Programmmacher sorgen dafür, dass der Hörer nicht viel tun muss, ausser einzuschalten. Und wir helfen den Menschen bei der Entscheidung für das richtige Programm.

Unser Ziel ist es auch für den Podcast Bereich den Zugang so einfach wie möglich zu machen. Die Inhalte sind schon da, der Zugang muss nur noch einfacher und übersichtlicher werden, damit mehr Menschen das Medium nutzen. 

Neue, vernetzte Empfangsgeräte, bringen den Markt an neue Orte. Das ist für die gesamte Branche positiv. Egal ob für das Webradio oder für Streaming. SONOS hat zum Beispiel im Frühjahr seinen eigenen Radioservice gestartet. Dort gibt es exklusive auch Künstlerradios und weitere exklusive Webchannels, vergleichbar mit der Ausrichtung von Beats1 von Apple. Radio ist also nicht tot, sondern entwickelt sich im Netz weiter. 

RADIOSZENE: Wie hoch ist derzeit der Anteil an mobiler Nutzung von Webradioangeboten?

Bernhard Bahners: In Deutschland sehen wir mehr als 70 Prozent der Nutzung Mobil. Auch Podcasts sind vor allem ein Thema für Smartphones und native Apps.

RADIOSZENE: Und wie schnell und mit welchen technischen Innovationen wird die Nutzung weiter auf das Hören in Fahrzeugen übergreifen?

Bernhard Bahners: Wir haben vor kurzem unsere Apple CarPlay Integration ausgerollt. Android Auto wird auch schon bald folgen. Damit bauen wir die Möglichkeiten, mit denen unsere Nutzer uns auch einfach im Auto hören können, zusätzlich zu unseren Partnerschaften mit Automobilherstellern, weiter aus.

Radio.de Carplay: radioNET im Audi A8
Radio.de Carplay: radioNET im Audi A8

Entscheidend ist dabei natürlich die Netzabdeckung und die Preise der Datentarife. Und hier ist Deutschland leider kein Vorreiter. Das haben viele Menschen auch in Bezug auf digitale Bildung in Zeiten von Corona spüren können. Deutschland braucht immer noch eine bessere digitale Infrastruktur. Deutschland muss dringend digitaler werden.

 

„Das gesprochene Wort gewinnt weiter an Bedeutung und wir werden viele kurze Podcast Formate sehen“

 

RADIOSZENE: Wagen Sie einmal einen mittelfristigen Ausblick … wie wird sich die digitale Audiolandschaft international sowie in Deutschland im Besonderen entwickeln?

Bernhard Bahners: Das gesprochene Wort gewinnt weiter an Bedeutung und wir werden viele kurze Podcast Formate sehen. So wird das Audioprogramm modular, Podcasts werden Bausteine, die die Hörer für ihr eigenes Programm nutzen können. Die Verlagswelt wird sich weiter in Richtung Audio bewegen und die Auswahl wird noch weiter wachsen.

Entscheidend werden also Orientierung und Empfehlung sein. Also wie einfach und abwechslungsreich wird das Programm für jeden einzelnen Hörer. Wie verbinden wir die Einfachheit des Radios mit der Themenvielfalt der Podcast Welt.

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