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Sabine Sauer: „Radio ist einfach die beste Schule“

Der Hörfunk ist seit den 1970er-Jahren eine verlässliche Nachschubbasis für das Fernsehen. Hunderte talentierter Radiomoderatoren wechselten inzwischen Seiten: Elstner, Heck, Gottschalk, Plasberg, Hofer, Koschwitz, Laufenberg, Jauch, Koschwitz. Und ganz viele mehr. Was wäre die deutsche Medienlandschaft ohne die schier unerschöpfliche Kreativquelle Radio? Natürlich sehen sich die TV-Scouts bei der Nachwuchsfindung heute auch verstärkt auf YouTube-Kanälen um, fahnden nach angesagten Influencern – dennoch bleiben Radiomoderatoren mit Strahlkraft ein bevorzugtes Ziel auf den Radarschirmen der Headhunter.

Sabine Sauer (Bild: ©Ulrich Späth
Sabine Sauer (Bild: ©Ulrich Späth

Vor allem ab Mitte/Ende der 1980er ging es (mit Aufkommen des Privat- und Musikfernsehen) oftmals recht zügig mit dem Wechsel vom Radiomikrofon ins TV-Studio. Wie etwa bei Sabine Sauer. Die gebürtige Freiburgerin kam eigentlich Ende der 1970er-Jahre für ein Kunststudium nach München – fand aber rasch Gefallen an einer Tätigkeit beim Hörfunk. Ihrem ersten Sender, dem Bayerischen Rundfunk, blieb sie bis heute treu. Rekordverdächtige 22 Jahre moderiert die vielseitige Radiomacherin bei BR-KLASSIK die sonntägliche Wunschmusik.
Bundesweit bekannt wurde Sabine im März 1984 mit der Moderation des nationalen Vorentscheids des Eurovision Song Contests „Ein Lied für Luxemburg“. Im selben Jahr startete im ZDF auch ihre erste eigene Sendung „Kino-Hitparade“, die bis 1991 lief. 1986 übernahm sie im ZDF zusätzlich die Sendung „Showfenster“, die Nachfolgesendung der „V.I.P.-Schaukel“. Im NDR Fernsehen moderierte Sauer von 1994 bis 1995 die „NDR-Talkshow“.

Sabine Sauer ist heute zudem Dozentin an der „Deutschen Journalistenschule“ in  München


Im Interview mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich spricht Sabine Sauer über ihre lange Karriere beim Radio.

RADIOSZENE: Frau Sauer, Sie kamen Ende der 1970er-Jahre zum Bayerischen Rundfunk. Wie wurden Sie für das Radio entdeckt? Wer war Ihr Mentor beim Sender?

Sabine Sauer in den 1980er Jahren als sie bei BAYERN 3 arbeitete (Bild: privat)
Sabine Sauer in den 1980er Jahren als sie bei BAYERN 3 arbeitete (Bild: privat)

Sabine Sauer: Mentor? Gab’s damals nicht. Ich bin ganz einfach zu einem Casting gegangen. Damals studierte ich an der Münchner Uni im Hauptfach Kunstgeschichte mit dem Ziel, Restauratorin zu werden. In der Mensa entdeckte ich eines Tages einen Aushang des BR, der besagte, dass der Sender Nachwuchssprecher suchte. Studierende, die Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Bayrisch (!) beherrschten, könnten sich bewerben. Sollte man genommen werden, würde man ein halbes Jahr lang in einem Seminar ausgebildet und während dieser Zeit 300 D-Mark Studienbeihilfe bekommen. Diese 300 Mark wollte ich haben – der Rest war mir nicht so wichtig. Ich sah mich ja als zukünftige Restauratorin.

Ich also, mit meiner Schwester als moralischer Stütze, zum ersten Vorsprechen in den BR und auch gleich durch die Drehtür wieder raus: Das Foyer des Funkhauses war brechend voll mit ungefähr 500 Bewerbern auf zehn Ausbildungsplätze. Darunter auch Profis wie Schauspielschüler und so.

Mir war klar: keine Chance für mich. Allerdings hatte ich nicht mit meiner Schwester gerechnet, die mich noch in der Drehtür am Kragen packte und sagte: „Wir gehen jetzt da rein und warten so lange, bis Du drankommst!“

Völlige Schnapsidee … aber nach Stunden kam ich dran, absolvierte ein paar knifflige Aufgaben und bekam etliche Wochen später einen Brief, dass man mich zu einem zweiten Vorsprechen einladen wolle.

Nach dem dritten Vorsprechen hatte ich einen der begehrten Plätze im Sprecherseminar und 300 Mark im Monat, mit denen ich mir ein Zimmer in der Studentenstadt leisten konnte. Womit ich die strenge Jury überzeugt habe? Keine Ahnung!

RADIOSZENE: Durch welche Sender und Musik wurden Sie vor Ihrer Zeit beim Hörfunk beeinflusst?

Sabine Sauer: Wie die meisten meiner Generation, habe ich auf einem klapprigen Transistorradio vor allem Radio Free Europe und AFN gehört. Das war jedes Mal, als würde man ins Weltall horchen und aus fernen Galaxien bisher ungehörte Klänge empfangen. Es war eine eigene Welt, die nur uns jungen Leuten gehörte und zu der die Erwachsenen keinen Zugang hatten.

Wenig später kam bei mir dann auch der „Zündfunk“ dazu. Damals noch mit Ado Schlier und Rüdiger Stolze. Toll, dass es den „Zündfunk“ immer noch gibt. Ein großartiges Format mir großartigen Moderatoren. Ich hör die Sendung heute noch und sie inspiriert mich immer wieder neu!

 

„Neben der Vielseitigkeit hab‘ ich beim Radio auch die strenge journalistische Schule gelernt“

 

RADIOSZENE: Die Sendung „Gute Nacht Freunde“ war die erste Station beim Radio, welche weiteren Sendungen haben Sie beim BR moderiert?

Sabine Sauer: Meine erste Station nach dem Sprecherseminar war eigentlich der sogenannte „Stationsdienst“. Der war in drei Schichten eingeteilt, von morgens um sechs bis Mitternacht, oder auch länger. Man wurde also für ein Programm und eine Schicht eingeteilt und dann musste man alles ansagen, was nicht von jemand anderem moderiert wurde. So war ich zum Beispiel oft abends als „Stationssprecherin“ im BAYERN 3 Studio, wenn Thomas Gottschalk kam und „Pop nach 8“ moderierte. Wenn man so will, habe ich damals die Geburtsstunde eines Stars miterlebt. In jedem Fall war es immer sehr lustig, wenn er da war.

Thomas Gottschalk (Bild: rbb/BR/Sessner)
Thomas Gottschalk (Bild: rbb/BR/Sessner)

Eine Aufgabe des Stationssprechers während der Frühschicht war auch das Verlesen der „Auflasszeiten für Brieftauben“ (kein Witz!) oder der Pegelstände für die Binnenschifffahrt. Das hab‘ ich immer besonders liebevoll zelebriert.

Nach einem Jahr Stationsdienst fragte mich Peter Machac (1978), ob ich ihn während seines Urlaubs bei „Gute Nacht Freunde“ auf BAYERN 1 vertreten wolle. Klar wollte ich, und ich bin Peter heute noch dankbar für diese Chance!

Ich habe dieses nächtliche musikalische Kammerspiel geliebt und sechs Jahre lang moderiert.

RADIOSZENE: Wie sehen Sie im Rückblick die Zeit bei BAYERN 3, als Sie ja noch viel freie Hand bei Musikauswahl und Programmgestaltung hatten?

Sabine Sauer: Schon bei „Gute Nacht Freunde“ konnte ich ja die Musik selber aussuchen und auflegen, und ich habe mein ganzes Herzblut da reingesteckt. Es war einfach fantastisch. Aber als dann 1984 das Angebot kam, auch noch eine eigene Musiksendung auf BAYERN 3 zu machen, da hatte ich das Gefühl im Olymp angekommen zu sein: Da, wo der musikalische Puls der Zeit schlug.

Mit Kollege Thorsten Otto vor dem BAYERN 3-Logo (Bild: ©BR Markus Konvalin)
Mit Kollege Thorsten Otto vor dem BAYERN 3-Logo (Bild: ©BR Markus Konvalin)

Als Titel für meine „eigene“ Sendung wählte ich „Montags Mix“ und das Konzept war, interessante Künstler mit ganz eigenen neuen Sounds zu spielen. Natürlich immer im Rahmen der „Sendefähigkeit“ für BAYERN 3. Aus England hatte ich die angesagte Musikzeitschrift „The Face“ abonniert und mir dann irgendwie die Musik organisiert, die es in unserem Archiv oft noch gar nicht gab. Viele Namen waren damals noch Geheimtipps.

Später bin ich hin und wieder von Fans der Sendung angesprochen worden, die mir sagten, dass sie immer versucht haben, keinen „Montags Mix“ zu verpassen.

RADIOSZENE: Bereits ab den frühen 1980er-Jahren waren Sie auch beim Fernsehen aktiv, moderierten regelmäßige Show-, Reise und Kino-Sendungen. Aber auch Musik- und Talkformate. Wie sehr haben Sie beim Einstieg ins TV von Ihren Radioerfahrungen profitiert?

Sabine Sauer: Radio ist einfach die beste Schule, weil man trotz aller Vorbereitung immer spontan sein muss und mit so vielen verschiedenen Themen in Berührung kommt. Beim Fernsehen ist man sehr schnell mehr oder weniger festgelegt: entweder Politik oder Sport oder Unterhaltung und so weiter. Beim Radio hab ich all das oft in einer Sendung gemacht. Und beim Fernsehen kann man bei weitem nicht so selbstbestimmt arbeiten. Da sind einfach zu viele Menschen beteiligt.

Das Morgentelegramm-Team mit Sabine Sauer in der Mitte und dem heutigen BR-Hörfunkdirektor Martin Wagner ganz rechts (Bild: ©BR Sessner)
Das Morgentelegramm-Team mit Sabine Sauer in der Mitte und dem heutigen BR-Hörfunkdirektor Martin Wagner ganz rechts (Bild: ©BR Sessner)

Aber neben der Vielseitigkeit hab‘ ich beim Radio auch die strenge journalistische Schule gelernt, als ich neun Jahre lang beim Zeitfunk das „Morgentelegramm“ moderieren durfte. Der Zeitfunk gehörte zur Hauptabteilung Politik und war DIE Instanz für journalistisches Arbeiten. Da waren die besten Korrespondent/-innen und Redakteur/-innen versammelt und haben jede meiner dreistündigen Morgensendungen mit „Argus-Ohren“ verfolgt. Danach gab’s immer Manöverkritik. Da hab ich richtig viel gelernt. Und ich glaube, mit meiner dort eingeübten journalistischen Pingeligkeit kann ich viele Kolleg/-innen auch heute noch ganz schön nerven!

 

„Beim Fernsehen ist man sehr schnell mehr oder weniger festgelegt“

 

RADIOSZENE: Seit den 2000ern scheint auch die Klassik eines Ihrer Spezialgebiete geworden zu sein. Neben Moderationen einschlägiger TV-Sendungen, gestalten Sie seit 1998 regelmäßig die „Wunsch: Musik“ auf BR-KLASSIK. Wie haben Sie zur klassischen Musik gefunden?

Sabine Sauer: In dieser Hinsicht bin ich immer schon zweigleisig gefahren. Mein Vater konnte recht gut Geige spielen und war ein großer Musikliebhaber und -kenner. Aber er war auch offen für Jazz und Popmusik und legte meiner Schwester und mir jedes Jahr zu Weihnachten das neueste Beatles-Album unter den Weihnachtsbaum mit der Bemerkung „Gute Musik!“

Sabine Sauer in der Weihnachtsdecko der Sendung Wir in Bayern (Bild: ©BR/Martina Bogdahn)
Sabine Sauer in der Weihnachtsdecko der Sendung Wir in Bayern (Bild: ©BR/Martina Bogdahn)

Bei uns zuhause lief also eigentlich alles. Aber meine Schwester und ich haben ganz klassisch Geige gelernt, und unser Vater hat uns viel über klassische Musik erzählt.

Auf das, was ich damals mit auf den Weg bekommen habe, kann ich heute noch zurückgreifen. Und, dass ich seit 1998 auf BR-KLASSIK moderieren kann, ist für mich ein Geschenk!

RADIOSZENE: Neben Ihrer aktiven Moderatorentätigkeit sind Sie Dozentin an der „Deutschen Journalistenschule“ in München. Steht hier auch das Fach „Hörfunkjournalismus“ auf den Lehrplänen?

Sabine Sauer: Ja, selbstverständlich. Die besten Radioleute geben da ihr Wissen und ihre Erfahrung weiter. Ich selbst unterrichte dort aber „Präsentation vor der Kamera“. Vor der Kamera frei zu reden, ist für die Student/-innen immer eine überraschende und aufregende Selbsterfahrung. Sie merken, dass man schnell ins Schlingern kommt, wenn man nicht gut vorbereitet und konzentriert ist. Aber am Ende des Kurses machen alle das richtig, richtig gut!

Mit der CSU-Politikerin Barbara Stamm in der Sendung Unter vier Augen (Bild: ©BR/Julia Müller)
Mit der CSU-Politikerin Barbara Stamm in der Sendung Unter vier Augen (Bild: ©BR/Julia Müller)

RADIOSZENE: Wie ist es heute um Ihren persönlichen Medienkonsum bestellt? Eher Radio, TV oder Online-Medien?

Sabine Sauer: Da bin ich noch sehr „Old School“. Ich höre vor allem im Auto immer BR-Radio. Es gibt da so viele interessante Sendungen und gute Musik, dass ich oft noch lange sitzen bleibe, bevor ich aussteige.

Zuhause schaue ich dann fern. Gern und viel. Getreu dem Motto: „Fernsehen macht schlaue Leute schlauer und dumme Leute dümmer.“ Kommt drauf an, was man guckt! Online-Medien nutze ich wenig, außer für schnelle Nachrichten-Updates.

RADIOSZENE: Wie sehr hat sich aus Ihrer Sicht das Radio über die Jahre verändert? Was macht es heute besser, was vermissen Sie?

Sabine Sauer: Bei allen schönen nostalgischen Erinnerungen … ich finde es gut, dass das Radio schneller und dynamischer geworden ist. Früher war vieles doch sehr langatmig und betulich. Der BR hat meiner Meinung nach die Transformation ins Hier und Heute super hinbekommen. Modernes Musikradio, und auf der anderen Seite ein fantastisches Angebot an hochkarätigen Features, Interview-Formaten und Hintergrundberichten. Ich bin immer noch ein großer Fan des BR.

Nur Musiksendungen, in denen der DJ seine eigene Musik spielen kann – jenseits von „Rotation“ – davon könnte es noch ein paar mehr geben. Da bin ich dann doch wieder bisschen altmodisch.

 

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