Die Lokalradios in NRW erfahren durch die Corona-Krise ein enormes Hörerfeedback, sind wichtige Kommunikatoren vor Ort – gleichzeitig sorgen massive Werbeeinbrüche für erhebliche finanzielle Probleme und die Zukunft des Systems scheint ungewisser denn je. Und das alles just am 30. Sende-Geburtstag des Lokalfunks. Kein Grund zum Feiern?
Ein Debattenbeitrag von Thorsten Kabitz
„Mein Dank geht an Euch – für ein tolles Programm, für humorvolle Unterhaltung (auch in schwierigen Zeiten) und natürlich für eine stets aktuelle Berichterstattung. Ihr seid einfach UNSER RADIO!“, schreibt mir der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, der gerade eine Benefizaktion für örtliche Händlerkollegen gestartet hat. Nur eine Mail von vielen, die stellvertretend steht für das enorme Hörerfeedback, das die NRW-Lokalradios dieser Tage erhalten.
Es traf uns alle unverhofft und unfreiwillig, aber: Die Corona-Krise ist eine „Sternstunde“ des NRW-Lokalfunks. Neben den ständigen Updates aus Berlin und Düsseldorf erfahren die Menschen hier, was diese Pandemie mit allen Folgen für ihre Stadt, ihren Kreis bedeutet. Fallzahlen, Schutzmaßnahmen, Solidaritätsaktionen. Die Lokalfunk-Redaktionen sind erste Ansprechpartner der Krisenstäbe, die wissen, dass sie hierüber die Menschen erreichen. Deutlich steigende Zugriffszahlen bei Webradios und Homepages bestätigen das Interesse. Die Lokalsender sind verlässliche und vertraute Vertrauensinstanz der Hörerinnen und Hörer und zugleich erste Anlaufstelle für alle möglichen Fragen, Probleme und Anliegen.
Zugleich transportieren die Stationen auch eine Vielzahl lokaler Hilfs- und Unterstützungsaktionen oder rufen sie selbst ins Leben. Gemeinsam gegen Corona. Die gesellschaftliche Verantwortung, die der Lokalfunk in dieser Krise in und für seine Sendegebiet trägt, ist enorm. Sie treibt uns als Macherinnen und Macher nach vorne, ist aber auch körperlich spürbar. Alle Redaktionen arbeiten am Anschlag oder darüber hinaus, weiten teilweise lokale Sendezeiten sogar aus oder passen sie mit Sondersendungen dem aktuellen Bedarf an und müssen zugleich auch auf ihren eigenen Schutz achten, um weiterhin sendefähig zu bleiben. Denn: Der Lokalfunk wird „gebraucht“, mehr denn je, und das just an einem historischen Datum.
Am 1. April 1990 ging mit Radio DU in Duisburg der erste private Lokalsender in NRW auf Sendung. Heute sorgen insgesamt 44 Lokalradios für eine nahezu flächendeckende Versorgung, organisiert im bis dato deutschlandweit einmaligen Zwei-Säulen-Modell von Veranstaltergemeinschaften (Programm) und Betriebsgesellschaften (Werbung, Finanzierung). Groß gefeiert wird heute zwischen Duisburg, Düren und Dülmen aber nicht. Nicht nur weil in den Redaktionen ohnehin niemand Zeit dafür hätte, sondern vor allem weil die Corona-Krise auch bei den NRW-Lokalradios wirtschaftlich voll durchschlägt und für düstere Prognosen und ungewisse Zukunftsaussichten sorgt. Die Werbeblöcke sind wie leergefegt. Ganze Kampagnen, Aktionen, Gewinnspiele wurden storniert. Selbst bei kleineren Stationen reißt das schnell sechsstellige Löcher in die Umsatzbilanz. Dass sie nach der Krise, wann auch immer das sein wird, wieder aufgeholt werden, erscheint mehr als ungewiss. Prognosen und Stimmung sind im Keller, auch wenn man das den Stimmen on air nicht anhört.
Ohne Schirm im Regen?
In den Betriebsgesellschaften, die mehrheitlich von den Verlagen bzw. Medienhäusern im Land gesteuert werden, hat man bereits flächendeckend Kurzarbeit eingeführt. Mit speziellen Spot-Angeboten an die lokale Kundschaft versucht man ein bisschen was an Umsatz zu retten. Reichen wird es aber weitem nicht, um die Verluste aufzufangen. Doch diese Einnahmen werden benötigt, um die Etats der Veranstaltergemeinschaften und damit der Redaktionen zu finanzieren. Erste Betriebsgesellschaften sind daher bereits auf ihre Säulen-Partner zugegangen mit der Forderung, auch im Programmbereich Personal und Kosten möglichst kurzfristig zu reduzieren. Und das in einer Situation, in der die meisten Redaktionen eher zwei Leute mehr als einen weniger gebrauchen könnten, um ihrer „systemrelevanten“ Funktion ansatzweise gerecht zu werden.
Die Probleme sind dieselben, mit denen Privatsender deutschland- und europaweit derzeit zu kämpfen haben. Der Sonderfall NRW mit der Zwei-Säulen-Trennung zwischen wirtschaftlicher Verantwortung (BG) und Programmverantwortung inklusive Programmpersonal (VG) in zwei verschiedenen „Firmen“ sorgt allerdings dafür, dass selbst die allgemeinen Soforthilfen von Bund und Ländern hier nur bedingt anwendbar sind. Aber noch etwas ist andere: In Bayern, Baden-Württemberg oder Niedersachsen positionieren sich Vertreter von Medienanstalten oder Landesregierungen mit klaren Bekenntnissen und zugesagter Unterstützung für ihre privaten Lokal- und Regionalradios. In NRW hingegen bemüht sich zwar eine „Task Force“ der Landesmedienanstalt in Abstimmung mit der Staatskanzlei im Hintergrund darum, den Hilfebedarf zu eruieren. Ein öffentliches Statement und Signal hierzu gab es aber (noch) nicht. Der Verweis auf das Gebot der Staatsferne und beihilferechtliche Problematiken ist sicher nicht unbegründet. Aber, der NRW-Lokalfunk ist eben kein rein privatwirtschaftliches Unternehmen und kein klassischer Privatfunk, sondern er dient qua Landesmediengesetz NRW einem öffentlichen Auftrag und Interesse: „Lokaler Hörfunk ist dem Gemeinwohl verpflichtet.“ (§ 53 LMG NRW). Er ist, wie man neudeutsch sagen würde, ein „public value“. Ein öffentliches Kultur- und Medien-Gut. Dementsprechend sollte sein Erhalt auch in öffentlichem Interesse liegen.
Übrigens, was im Ländervergleich manchmal vergessen wird: In Bayern gibt es gar keinen Privatfunk. Laut Bayerischem Mediengesetz befinden sich alle „privaten“ Radiostationen von lokal bis landesweit in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Die Bayerische Landesmedienanstalt stattet die Sender mit Produktionsaufträgen aus. Das klingt auf den ersten Blick nicht weniger kompliziert als das NRW-Modell, erleichtert in der Praxis aber mitunter die rechtlichen Hürden öffentlicher Förderung. Vielleicht lässt es sich nicht 1:1 auf NRW übertragen. Aber den Grundgedanken sollte man vielleicht nochmal auf Wiedervorlage legen.
Fehler im System?
Und noch etwas ist an diesem 1. April 2020 passiert: Der Landtag NRW hat mit den Stimmen von CDU, FDP und Grünen einige Änderungen im Landesmediengesetz geschlossen, die auch den Lokalfunk betreffen. Das Wort „Novelle“ wäre zu groß. Denn was als Gesamt- und Zukunftsstrategie „Radio in NRW 2022“ ankündigt wurde, ist im Wesentlichen ein Weiter so in der Maß & Mitte-Tradition der Landesregierung: Das Zwei-Säulen-Modell bleibt letztlich unverändert, obwohl die medienpolitischen Sprecher von CDU und FDP hier noch vor einigen Monaten Korrekturbedarf wegen „verkrusteter Strukturen“ sahen. Auch der Bürgerfunk, für den die Lokalstationen eine Stunde am Tag für von Bürgern produzierte Sendungen vorhalten müssen, bleibt bestehen, nachdem ihn die letzte CDU-/FDP-Landesregierung in der Ära Rüttgers beinahe schon abgeschafft hätte. Außerdem wird die von Rot-Grün beschlossene zweite Stufe der Werbereduzierung beim WDR-Hörfunk zurückgenommen. Mit anderen Worten: Man wollte allen irgendwie gerecht werden und keinem wirklich wehtun. Dass das Medienministerium in der NRW-Staatskanzlei ansiedelt ist, wo man sicher auch schon die Kommunalwahlen im Herbst im Blick hatte, war dem Gesetzentwurf anzusehen. Strategie ja. Mehr Politstrategie, weniger Medienstrategie.
Positive Impulse für den Lokalfunk setzt der Beschluss aus Sicht der Befürworter durch nachjustierte Vergabekriterien für eine neue landesweite UKW-Kette und die DAB+Frequenzen sowie die Schaffung einer Online-Audio-Förderung über die Landemedienanstalt. Die UKW-Kette hat tatsächlich enormes wirtschaftliches Potential, für das man sich auch außerhalb NRWs interessiert. Für das Abenteuer DAB+ hingegen dürfte das ohnehin gespaltene Interesse innerhalb des Lokalfunks angesichts der wirtschaftlichen Nöte nun gar kein Geld mehr da sein. Und die Aussicht, Podcasts und andere crossmediale Projekte über die LfM fördern zu können, ist zwar schön. Aber die Sorgen und Bedürfnisse dieser Tage sind andere. Lokalfunkerinnen und Lokalfunker bangen um ihre Jobs und den Fortbestand ihrer Programme. Darauf liefern Gesetzgeber und Regierungsfraktionen keine Antwort. Vielmehr beweist es, dass die bestehenden Rahmenbedingungen eben nicht krisenfest und nur bedingt geeignet sind, den Lokalfunk wirtschaftlich tragfähig zu halten und zukunftsfähig zu machen. Die Haltbarkeit dieses „Novellchens“ dürfte daher begrenzt sein. Aber wie in vielen Bereichen gilt auch hier: In der Krise liegt eine Chance. Die Chance, die Radiostrategie 2022 nachzubessern. Nicht hektisch und aktionistisch, sondern sorgfältig und gründlich. Damit es „UNSER RADIO“ 2022 noch gibt. In diesem Sinne: Wir hören uns.
Thorsten Kabitz (42) ist bereits seit 1993 im bzw. für den Lokalfunk in unterschiedlichen Funktionen tätig. Seit 2002 ist er Chefredakteur von Radio RSG (Remscheid/Solingen), außerdem Vorstandsmitglied im Verein der Chefredakteure im NRW-Lokalfunk (VdC NRW).
Der veröffentlichte Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.