Kaum ein Tag an dem uns nicht neue Erfolgsmeldung zum weltweit anhaltenden Podcast-Boom erreichen. Vor allem in Nordamerika scheint die Nutzung der angesagten Mediendateien die allgemeine Audio-Euphorie weiter zu befeuern.
In Deutschland hat laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 mehr als ein Viertel (28%) der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren bereits Podcasts oder zeitversetzte Radiosendungen im Internet gehört. Bei den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar fast 50 Prozent, die angeben, Podcasts zu hören. Bei der Hälfte der Podcasthörer gehört die Podcastnutzung zur wöchentlichen Routine – 14 Prozent der Gesamtbevölkerung beziehungsweise 25 Prozent der 14- bis 29-Jährigen hören mindestens einmal pro Woche Podcasts.
Mit diesen ermutigenden Zahlen im Rücken hat die Vorwärtsentwicklung beim Thema Podcast innerhalb der deutschen Radiolandschaft in 2019 nochmals vehement an Fahrt gewonnen. Die Branche drückt aufs Tempo und bringt täglich neue Formate in den Markt. Offensichtlich wissen die Entscheider den Mehrwert dieser Angebote für ihre Radioprogramme, Media-/Audiotheken und Umsätze zu schätzen. Antenne Bayern-Chef Felix Kovac beispielsweise hat gerade angekündigt, „noch stärker in die Kreation und Produktion von innovativem digitalem Content wie den Podcasts“ investieren zu wollen.
Die öffentlich-rechtlichen Mitbewerber haben die facettenreiche Podcast-Welt schon seit längerer Zeit für sich entdeckt. SWR-Medienforscher Christian Schröter: „Podcasts sind sicher eine der bemerkenswerten Audioentwicklungen, wir haben schon vor über 10 Jahren als Forscher hier unser ‚Ohrenmerk‘ auf diesen ‚audible turn‘ gelegt. Die ARD zählt in Europa nach der BBC zu den stärksten Anbietern, auf dem Kontinent ganz sicher. Aber auch Privatleute und natürlich die Printhäuser haben hier kräftig aufgeholt und enorm ausgebaut, wie zum Beispiel das Podcast-Angebot des SPIEGEL nach seinem Relaunch im Januar 2020. Podcasts lassen sich auch offline nutzen und in den Tagesablauf integrieren, vor allem in mobilen Situationen im Bus oder in der Bahn, im Auto, zum Entspannen in der Freizeit aber auch in Alltagssituationen wie zum Beispiel bei der Hausarbeit.“
Im Interview mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich berichtet Philipp Grammes, Digitalchef von Bayern 2 und BR-Podcast-Beauftragter, über die Entwicklung der Mediendateien und ihren Einsatz im täglichen Programmbetrieb.
„Es wäre verkürzt, beim aktuellen Podcast-Boom immer nur das junge Publikum in den Blick zu nehmen“
RADIOSZENE: Die Nutzung von Podcasts ist im vergangenen Jahr offenbar markant gestiegen. Wie stark ist das Nutzungsverhalten im Sendegebiet des Bayerischen Rundfunks?
Philipp Grammes: Generell ist es ziemlich schwierig, die Podcast-Nutzung zu messen. Laut ARD-ZDF-Onlinestudie hören 18 Prozent der Bayern mindestens einmal pro Woche Podcasts, das ist mehr als im Bundesdurchschnitt und gegenüber 2017 eine Steigerung um sechs Prozentpunkte. Auch bei den Abrufen haben wir im letzten Jahr ein gutes Wachstum feststellen können: Inzwischen werden die Podcasts des Bayerischen Rundfunks monatlich über neun Millionen Mal abgerufen. Und wir merken natürlich auch, dass immer mehr Menschen Podcasts als interessantes Medium für sich entdecken, weshalb wir an verschiedenen Stellen im Programm Podcast-Tipps geben. Wir empfehlen dabei nicht nur unsere eigenen Angebote, sondern Hörenswertes aus dem gesamten Markt.
RADIOSZENE: Welche Hörergruppen nutzen die Mediendateien Ihres Senders besonders intensiv?
Philipp Grammes: Grundsätzlich kann man sagen: Je jünger die Leute sind, desto häufiger hören sie Podcasts. Die „Generation Plugged-in“, die ihre Kopfhörer und ihr Smartphone sowieso immer dabei hat, ist natürlich auch leichter für dieses Medium erreichbar. Allerdings macht der Bayerische Rundfunk einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Podcast-Reichweite immer noch mit Radio-Sendungen, die wir „on demand“ zum Nachhören anbieten. Auch älteres Publikum hat gelernt, dass es hier hochwertige Inhalte jederzeit hören kann – vielleicht sogar ohne genau zu wissen, dass sie damit „Podcasts“ nutzen. Also wäre es verkürzt, beim aktuellen Podcast-Boom immer nur das junge Publikum in den Blick zu nehmen.
RADIOSZENE: Sind Podcasts somit auch Angebote um Hörer dauerhaft an das Radio zu binden – oder sogar Nichthörer zum Medium zurückzuholen?
Philipp Grammes: Im zweiten Schritt vielleicht. Im ersten Schritt muss es darum gehen, Menschen zu erreichen, die kein klassisches, lineares Radio (mehr) hören, aber trotzdem Audio nutzen – und das auf Plattformen wie Deezer oder Spotify, wo wir mit linearen Angeboten nicht durchdringen. Hier möchten wir zusätzliche Reichweite erzielen und den Bayerischen Rundfunk mit seinen starken Radiomarken als kompetenten, modernen und interessanten Anbieter positionieren.
RADIOSZENE: Gibt es Erkenntnisse über welche technischen Kanäle die Angebote genutzt werden? Wie stellen Sie die Podcasts zum Abruf breit?
Philipp Grammes: Klassischerweise werden Podcasts über RSS-Feeds verbreitet, die man mit Feedreadern beziehungsweise Podcatchern auslesen und nutzen kann. Deshalb gehen auch bei uns alle Podcasts über diesen Weg raus. Allerdings beobachten wir, wie sich auch im Podcast-Markt immer stärker „Walled Gardens“ durchsetzen, die ihren Nutzer*innen geschlossene Ökosysteme bieten, zum Beispiel Spotify. Wie das die technische Distribution von Podcasts verändert, müssen wir beobachten. Als öffentlich-rechtlicher Rundfunk haben wir die Aufgabe, unsere digitalen Angebote barrierefrei und ohne Bevorzugung einzelner Plattformen an unser Publikum zu bringen. Das gilt selbstverständlich auch für unsere Podcasts. Um unsere Unabhängigkeit zu wahren und unser attraktives Angebot an hochwertigen Formaten zu bündeln, gibt es außerdem die ARD Audiothek – als App, im Web und für Voice-Plattformen.
„Wenn es gut läuft, entstehen um Podcasts herum Gemeinschaften aus eingefleischten Fans mit viel Interaktion“
RADIOSZENE: Worauf führen Sie diese „neue Lust“ am Hören von Podcasts zurück?
Philipp Grammes: Neben der Tatsache, dass bessere Übertragungsraten und Smartphone-Apps die Podcast-Nutzung deutlich vereinfacht haben, passen Podcasts perfekt zur modernen Mediengesellschaft: Die Nutzer*innen können selbst entscheiden, was sie wann hören, und sie können Podcasts ideal mobil nebenbei nutzen – beim Sport, beim Pendeln, bei der Hausarbeit. Auch das Angebot hat sich entwickelt: Für jedes Interesse und jede Community gibt es inzwischen eigene, hochwertige Podcast-Formate. Außerdem tummeln sich viele neue Anbieter im Markt – Verlage, Streamingplattformen etcetera. Sie sorgen dafür, dass ein wachsendes Publikum Podcasts als spannendes Medium für sich entdeckt. Was ich wirklich interessant finde: Immer mehr Medienschaffende und Marketing-Leute scheinen jetzt das zu sehen, was wir Radio-Leute schon länger wissen: Dass Menschen über den Weg des Hörens ganz anders erreichbar sind und die Bindekraft an die Podcast-Hosts sehr hoch ist. Wenn es gut läuft, entstehen um Podcasts herum Gemeinschaften aus eingefleischten Fans mit viel Interaktion.
RADIOSZENE: Gibt es ein Ranking von Themen, die besonders intensiv genutzt werden?
Philipp Grammes: Wenn man den Podcast-Markt anschaut, sind es vor allem die Gesprächsformate, vulgo: „Laber-Podcasts“, die besonders gut gehen – gerne mit prominenten Hosts. „Fest und Flauschig“ mit Jan Böhmermann und Olli Schulz war im deutschsprachigen Markt einer der Vorreiter, inzwischen gibt es kaum einen Promi, der oder die keinen eigenen Podcast hat. Daneben boomt True Crime, meist seriell erzählt. Aber auch Wissensformate werden intensiv genutzt, und in den letzten Jahren auch News-Podcasts.
RADIOSZENE: Sie sind Koordinator des Podcasts-Sortiments des Bayerischen Rundfunks. Was genau ist hier Ihre Aufgabe?
Philipp Grammes: Zum einen das bestehende Podcast-Portfolio zu optimieren, zum anderen aber auch die Redaktionen dabei zu beraten, neue, innovative Formate nutzerorientiert zu entwickeln und damit neue Zielgruppen für den Bayerischen Rundfunk zu erschließen.
RADIOSZENE: Welchen Umfang an Podcast-Angeboten und Themenbreite stellt der BR seinen Hörern derzeit zur Verfügung?
Philipp Grammes: Der Bayerische Rundfunk ist stark im Bereich Wissen („radioWissen“ ist zahlenmäßig unser stärkster Podcast), im Bereich Talk-Formate und im Bereich hochwertiges Storytelling beziehungsweise Hörspiel, wenn auch historisch bedingt eher als Zweitverwertung linearer Sendungen. Seit einigen Jahren haben wir aber auch reine Podcast-Formate im Angebot – vor allem unser junges Content-Netzwerk PULS war hier Vorreiter, zum Beispiel mit dem Sex-Podcast „Im Namen der Hose“. Inzwischen decken wir ein ganz schönes Spektrum ab: „Tagesticket“ ist ein News-Podcast für junge Pendler, „Freundschaft plus“ ein Laber-Podcast über Beziehungsthemen, „Eltern ohne Filter“ bedient die Working-Mums und -Dads mit ihren Themen, der Storytelling-Podcast „Transformer“ hat letztes Jahr den Deutschen Hörbuchpreis in der Kategorie Podcast gewonnen und mit „Igor Levit – 32 x Beethoven“ beweisen wir aktuell, dass sogar klassische Musik im Podcast funktioniert.
RADIOSZENE: Bietet der Sender weitere Podcasts zum Thema Musik?
Philipp Grammes: Neben dem genannten Beethoven-Podcast haben wir mit „Schacht und Wasabi“ einen der wichtigsten Deutschrap-Podcasts im Angebot, der zudem zu unseren Reichweiten-stärksten Formaten im jungen Segment bei Spotify gehört.
Daneben haben wir mit dem Retro-Podcast „Radio-DJs“ unsere Archivschätze gehoben und für die On-Demand-Nutzung aufbereitet. Ein weiterer Musik-Podcast ist bei PULS in der Entwicklung, und auch BR-Klassik arbeitet an einem neuen Format.
„Es geht nicht mehr darum, Dinge aus den Hörfunkprogrammen als Podcast zweitzuverwerten. Stattdessen entwickeln wir Web-first originäre Podcasts, die jeweils die Bedürfnisse bestimmter Zielgruppen bedienen, die wir für den BR neu erschließen wollen“
RADIOSZENE: Ihre Hörfunkprogramme produzieren täglich eine Vielzahl und Vielfalt an Beiträgen. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, welche Angebote den Hörern als Podcasts zur Verfügung gestellt werden?
Philipp Grammes: Wir entscheiden das weniger auf der Ebene von einzelnen Beiträgen, sondern nach Sendereihen. Neben rechtlichen Erwägungen spielt vor allem eine Rolle, ob das entsprechende Format ohne Anbindung ans Radioprogramm funktioniert: Verstehen Podcast-Nutzer*innen, was sie hier kriegen? Gibt es ein klares Produktversprechen und einen gewissen Wiedererkennungswert? Können wir die Abo-Funktion sinnvoll damit bedienen? Nach solchen Kriterien haben wir unser bestehendes Portfolio überarbeitet und optimieren es weiter.
Allerdings muss ich dazu sagen, dass es bei allem, was wir zuletzt im Bereich Podcast gemacht haben und zukünftig machen werden, nicht mehr darum geht, Dinge aus den Hörfunkprogrammen als Podcast zweitzuverwerten. Stattdessen entwickeln wir Web-first originäre Podcasts, die jeweils die Bedürfnisse bestimmter Zielgruppen bedienen, die wir für den BR neu erschließen wollen. Der Weg läuft dann andersherum: erst als Podcast konzipiert und produziert, dann im Radio-Programm zweitverwertet – auch aus Ressourcen-Gründen natürlich.
RADIOSZENE: Über welche Wege machen Sie die Hörer auf Podcast-Angebote aufmerksam?
Philipp Grammes: Der beste Weg ist die Vernetzung unseres Podcast-Angebots untereinander, also indem wir in den Podcast-Folgen auf ein anderes Podcast-Format hinweisen, das zur jeweiligen Zielgruppe passt. Da haben die Kolleg*innen von PULS vorgemacht, wie es geht: Der Psychologie-Podcast „Die Lösung“ ist auch deswegen so schnell erfolgreich gewesen, weil er in einigen Folgen von „Im Namen der Hose“ erwähnt wurde und sich auch die Hosts gegenseitig besucht haben.
Was wir momentan auch verstärkt angehen, ist, neben dem Podcast gleich eine Social-Media-Community aufzubauen – das ist zum Beispiel bei unserem Format „Eltern ohne Filter“ der Fall, das es als Podcast und bei Instagram gibt.
Daneben nutzen wir aber auch die klassische Crosspromotion im linearen Radioprogramm, um auf unsere Podcasts aufmerksam zu machen. Wie erwähnt, gibt es inzwischen Sendungen oder Beiträge, die Podcasts als Mediengattung zum Thema machen: BAYERN 3 hat eine eigene Podcast-Show im Programm, B5 aktuell strahlt Podcast-Tipps aus und Bayern 2 bietet neben einem Radio-Format den E-Mail-Newsletter „Die Podcast-Entdecker“ an. Damit zeigen wir, dass wir nicht nur als Produzent über Podcast-Kompetenz verfügen, sondern uns auch im Markt auskennen und Empfehlungen und Einschätzungen geben können.
„Unsere privaten Mitbewerber und die Streaming-Dienste würden nicht massiv in den Podcast-Markt investieren, wenn sie nicht an steigende Nutzung glauben würden“
RADIOSZENE: Wie bewerten Sie den derzeitigen Trend hin zu Podcasts? Sehen Sie auch in diesem Jahr eine Fortsetzung der zuletzt stürmischen Entwicklung?
Philipp Grammes: Ich sehe derzeit keine Hinweise darauf, dass sich der Podcast-Boom abschwächen könnte – im Gegenteil. Unsere privaten Mitbewerber und die Streaming-Dienste würden nicht massiv in den Podcast-Markt investieren, wenn sie nicht an steigende Nutzung glauben würden. Allerdings wird sich der Markt deutlich wandeln: Wir werden immer mehr „Originals“ sehen, also Podcast-Formate, die es nur auf einer Plattform gibt und mit denen Anbieter ihr Publikum exklusiv an sich binden wollen. Damit wird ein Stück der Offenheit und Verfügbarkeit, die Podcasts traditionell kennzeichnen, verloren gehen. Inhaltlich werden wir eine Popularisierung der Formate erleben – mehr große Marken, mehr Spin-offs von TV- und Serien-Formaten, mehr Promis – und parallel eine stärkere Segmentierung in Angebote, die sich an Communities in einzelnen Nischen richten. Für den Bayerischen Rundfunk kann ich jedenfalls sagen, dass wir an dieses spannende Medium glauben und in den kommenden Monaten noch einige tolle Podcast-Formate an den Start bringen werden.