Lena-Gewinner und Lena-Verlierer

Bitter Lemmer Logo 2010Als Guildo Horn zum Eurovision Song Contest antrat, gab es nicht viel zu fragen: Sein Song lief natürlich auch im Radio rauf und runter. Wäre ja auch dämlich gewesen, wenn nicht. Der Bekanntheitsgrad war immens, jeder summte, sang oder gröhlte mit, und der unerhörte Vorgang, den mega-uncoolen Schlagerwettbewerb mit einer Spaßnummer aufzumischen, machte Spaß und war populär.

Bei Lena Meyer-Landrut ist das irgendwie anders. Als ihr Song Satellite nominiert war, hatten die Radiosender irgendwie alle keine rechte Lust darauf. Dabei konnten sie deutlicher als damals bei Guildo sehen, dass der Song und das ganze Arrangement bestens funktionierte. Als Guildo groß war, da gab es noch kein iTunes, jetzt, bei Lena, dagegen schon. Und dass Lena sich besser verkaufte alles sonst im deutschen Musikbusiness, hätte den Radioleuten die Entscheidung noch leichter machen können als sie es ohnehin war.

Trotzdem taten sie sich schwer. Bei den Privaten dürfte das daran gelegen haben, dass Raab und der NDR sie aus der USFO-Show aussperrten. Das war in der Tat ein bisschen bitter. Da hatte man sich jahrelang auf Raabs Seite daran beteiligt, den Bundesvision Song Contest zum Erfolg zu senden, und jetzt, wo die Nummer auf das nächste größere Level kam, durfte man nicht mehr mitspielen.

Dass die öffentlich-rechtlichen Pop- und „Jugendwellen“ sich mit Lena schwer taten, liegt dagegen an der unübertrefflichen öffentlich-rechtlichen Arroganz. Ein Song, in dem es einfach um den Liebsten geht, in den sich eine Teeny-Maus verknallt hat, ihm zuliebe einen blauen Schlüpfer trägt und sich die Fußnägel lackiert, dass ist einem von seinem Auftrag zur Weltverbesserung und Volkserziehung beseelten und sowieso sooo wiiichtigen öffentlich-rechtlichen Musikredakteur natürlich ein Graus. Raab und ARD – das sind zwei nicht kompatible Kulturen.

Insofern war es eine ziemliche Frechheit, als der NDR-Beauftragte für den Song-Contest, Thomas Schreiber, den ARD-“Jugendwellen“ für ihren Beitrag am Erfolg dankte, weil sie in Wahrheit keinen Erfolgsbeitrag geleistet, sondern nur von Stefan Raabs Hartnäckigkeit profitiert hatten, und zwar gegen ihren Willen.

Dass der NDR überhaupt die Macht besaß, den Vorentscheid den hauseigenen Programmen zuzuschanzen, verdankt er ebenfalls allein der Papierform, keineswegs aber der eigenen Leistung. Als öffentlich-rechtlicher Verbund ist die ARD nun einmal der deutsche Vertreter in der veranstaltenden EBU. Nur dank dieser politisch festgeschriebenen Gesetzmäßigkeit durfte die ARD sich und dieses Land regelmäßig bis auf die Knochen blamieren.

Es ist schon ziemlich einmalig, wie sich dann Stefan Raab aufmachte, den grauen Herrschaften derart einzuheizen, dass sie ihn auch mal machen ließen. Denn machen wir uns nichts vor: freiwillig taten die das nicht. Kooperation mit einem Privatfernsehen auf gleicher Augenhöhe, der Strippenzieher nicht in einem grauen ARD-Büro, sondern bei Raab und Brainpool – so etwas tut die ARD sonst einfach nicht, weil sie um ihren herausgehobenen öffentlich-rechtlichen Status weiß. Um all diese Parteienvertreter, Ministerpräsidenten und Verfassungsrichter, die ihnen schon immer die fettesten Tröge reservierten.

Dass die ARD beim Song Contest 2010 anders handelte, hatte mit purer Not zu tun. Vielleicht fürchtete sie eine Art Volkserhebung oder ein massenhaftes Volksauslachen. Vielleicht ein Flashmob, der plötzlich zehntausende Menschen vor das NDR-Haus gezogen hätte, wo sie dann gemeinschaftlich ein hämisches Auslachen angestimmt hätten. Die ARD war an ihre letzte Grenze gestoßen. Sie drohte Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Einfluss im Musikgeschäft zu verlieren. Auch mit politischer Unterstützung war da nichts mehr zu machen. Nur darum ließ sie Raab aufs Podium. Den Funktionären ging der Arsch auf Grundeis, wie man so sagt.

Und da steckt er bis heute. Es wird verdammt spaßig werden, zu beobachten, wie Raab seine Forderungen für den Grand Prix 2011 an den Mann bringt und wie die grauen Funktionärsherrschaften vor stiller Wut in ihre Stuhlbeine beißen werden.

Die privaten Radiosender sollten derweil cool bleiben und das tun, was sie zu jeder Zeit sowieso tun sollten: Die Titel spielen, die ihnen nützen, ohne groß darüber nachzudenken, wie ungerecht die Welt manchmal sein kann. Und sich still darüber freuen, dass die öffentlich-rechtlichen Konkurrenten sogar zu arrogant sind, ihre Trümpfe zu spielen.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de