In unserer Serie „Radiolegenden“ steht heute mit Lutz Ackermann eine der beliebtesten norddeutschen Hörfunkpersönlichkeiten im Mittelpunkt. Bekannt wurde er als Moderator bei NDR 2. Zunächst durch „NDR 2 Der Club“, „Plattenkiste“, „NDR 2 am Vormittag“, „Meckerecke“ und „Espresso“, dann ab 1993 durch viele Sendereihen bei NDR 1 Niedersachsen. Die Kult-Show „Sweet, Soft & Lazy“ gestaltete Ackermann fast 30 Jahre lang – anfangs auf NDR 2, dann auf NDR 1 Niedersachsen und schließlich bis Mai 2016 beim Hamburger Stadtradio NDR 90,3. Von 1989 bis 1993 war er Musikchef bei NDR 2, anschließend 16 Jahre in gleicher Funktion bei NDR 1 Niedersachsen. Dort prägte er mit einer besonderen Klangfarbe eine äußerst erfolgreiche Zeit des niedersächsischen NDR-Landesprogramms.
Seit 1998 moderiert Lutz Ackermann regelmäßig die beliebte TV-Musiksendung „Das große Wunschkonzert“ im NDR-Fernsehen.
Im Gespräch mit RADIOSZENE spricht Lutz Ackermann über die lange Zeit beim Radio und seine heutige Sichtweise auf das Medium.
RADIOSZENE: Auf welchen Wegen haben Sie zum Radio gefunden?
Lutz Ackermann: Studiert habe ich Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte und fürchtete, Lehrer werden zu müssen. Durch einen Freund, dem ich einige Auszüge aus meinen Tagebuch vorgelesen hatte, bekam ich Kontakt zur Redaktion einer Studentenzeitung, begann Artikel zu schreiben, wurde stellvertretender Chefredakteur und hatte damit meinen Traumberuf gefunden: Journalist.
Zum Radio wollte ich eigentlich nicht, sondern lieber zur Zeitung; aber als der NDR-Leute für sein „Nachwuchsstudio“ suchte, bewarb ich mich – eher aus Langeweile als aus Leidenschaft. Überraschenderweise wurde ich ausgewählt – zusammen mit sechs anderen – und als ich erfuhr, dass sich Hunderte beworben hatten, dachte ich: okay, so eine Chance bekommst Du vielleicht nie wieder, sagte zu und hängte kurz vorm Examen das Studium an den Nagel. Ich habe es nie bereut.
RADIOSZENE: Welche Sender und welche Musik haben Sie in Ihren junge Jahren geprägt?
Lutz Ackermann: Vor allem der amerikanische Soldaten-Sender AFN Bremerhaven. Ich habe ihn 1957 entdeckt, als ich 12 Jahre alt war, er wurde mein Favorit. Aber auch den NDR und Radio Bremen habe ich regelmäßig gehört. Auf Mittelwelle habe ich abends auch gern den britischen Soldatensender BFBS und Radio Luxemburg eingeschaltet, beide waren erst nach Sonnenuntergang sauber zu empfangen.
Rock ‘n Roll und Country waren in jenen Jahren meine Lieblingsmusiken, aber im Grunde habe ich jede Art von Musik geliebt: von Schlager bis Klassik, von Rock bis Dixieland. Image-Barrieren zwischen den verschiedenen Musik-Stilen gab es damals noch nicht. Alles war akzeptiert, wunderbare Freiheit!
„Ein Programm sollte bei aller Vielfalt ein erkennbares musikalisches Aroma besitzen“
RADIOSZENE: Während Ihrer Zeit beim NDR haben Sie zahllose Interviews geführt. Das Interview Ihres Lebens mit einem Musiker war…?
Lutz Ackermann: Das lange Gespräch mit Paul McCartney Anfang der 80er. Es fand in London statt. Wegen eines verspäteten Fluges kam ich auf die letzte Minute zum Termin, hatte nur noch eine viertel Stunde für das Interview, das Management war ungehalten. Paul nicht, er war die Freundlichkeit selbst, schickte seine Betreuer fort und am Ende haben wir zwei Stunden lang über ihn, die Beatles, über das Leben, also über Gott und die Welt geredet. Es war, als hätte man mit einem alten Kumpel geplaudert.
Nie vergessen werde ich auch das Interview mit Louis McKay, dem vierten Ehemann der verstorbenen großen Jazz-Sängerin Billie Holiday. Er war ein Gangster und sah auch so aus. Zu Beginn des Interviews sagte er drohend: „Don’t ask the wrong questions!“ zog einen Colt aus dem Halfter und legte ihn auf den Tisch, Mündung auf mich gerichtet.
RADIOSZENE: Lange haben die Moderatoren die Musikabläufe ihrer Sendungen selbst ausgesucht. Heute ist das eher die Ausnahme. Sollte man – zumindest bei einigen Wellen und Sendestrecken – den Machern nicht mehr freie Hand bei der Musikauswahl gewähren?
Lutz Ackermann: Wenn die Macher von Massenprogrammen den Geschmack der Hörer nicht respektieren und nur das spielen, was ihnen selbst gefällt, kann es dazu führen, dass die Programme für einen großen Teil des Publikums unattraktiv werden. Bis weit in die 80er Jahre hatten wir ständig mit eben diesem Problem zu kämpfen.
Andererseits, wenn man nur die angesagten Hits spielt, führt es zu Uniformität und Eintönigkeit, auch solche Programme werden irgendwann unattraktiv. Die Mischung macht’s. Bekanntes mit Überraschendem mischen. Am besten eingebettet in ein ausgetüfteltes Klang-Design. Das heißt im Idealfall: das Programm sollte bei aller Vielfalt ein erkennbares musikalische Aroma besitzen. Dazu braucht man Macher mit viel Repertoire-Kenntnis und einem feinen Gespür für das klanglich Passende. Freie Hand kann man geben auf abendlichen Spezialstrecken, was ja auch bei vielen Sendern geschieht.
RADIOSZENE: Über viele Jahre haben Musikwirtschaft und Radio von der beständigen Strahlkraft erfolgreicher Superstars gelebt, die über Jahrzehnte attraktive Alben geliefert und Fans gebunden haben. Diese Zeit scheint sich langsam dem Ende zuzuneigen: viele dieser Künstler gehen in Rente oder sind schon tot. Der Trend geht heute eher zu Hits der Marke „Eintagsfliegen“, die sich nach einem Alben bereits kreativ verbraucht haben. Ein Aufbau neuer Stars scheint heute schwerer möglich. Welche Schlüsse muss das Radio aus dieser Entwicklung ziehen?
Lutz Ackermann: Die Songs der Superstars von gestern und heute sollte man mischen mit Titeln von „Eintagsfliegen“, Newcomern und unbekannten Künstler, sofern sie denn ins oben erwähnte Klang-Design passen. Außerdem gibt es Millionen interessanter Album-Tracks – sowohl von den Superstars als auch von den Künstlern aus der zweiten Reihe – die so gut wie nie gespielt werden. Mut zur Mischung! Nur verbohrte Spezialisten bewegen sich in Schubladen, hören nach Genres, die meisten Menschen hören Klänge.
RADIOSZENE: Welche Alben stehen heute in Ihrem Plattenregal griffbereit weit vorne?
Lutz Ackermann: Nicht mehr viele: einige Klavierkonzerte von Mozart, gespielt von Vladimir Ashkenazy, die CD „Slowing Down The World“ von Chris Botti, „The Essential Leonard Cohen (CBS)“, „La Carretera“ von Julio Iglesias, „The Latin Touch“ von Laura Fygi und „City To City“ von Gerry Rafferty. Ansonsten höre ich eigene Playlists auf Spotify.
„Als die Selbstfahrer-Studios eingeführt wurden, wurden die Moderatoren zu Tontechnikern mit Rede-Funktion“
RADIOSZENE: Wie sehr hat sich das Radio während Ihrer beruflichen Laufbahn verändert? Wie hilfreich waren beispielsweise Musikplanungssysteme und Musikforschung …?
Lutz Ackermann: Die folgenreichsten Veränderungen waren die Reaktionen der Öffentlich Rechtlichen (ÖR) auf die private Konkurrenz. In meinen frühen Radio-Jahren waren die ÖR Monopolisten, wir konnten innerhalb eines unendlich weiten Rahmens spielen, was wir wollten. Was – wie erwähnt – oft zu publikumsfernen, elitären Programmen führte. Publikumsforschung gab es nicht.
Sehr folgenreich war auch die Arbeitsverdichtung im Sendebetrieb. Als die Selbstfahrer-Studios eingeführt wurden, wurden die Moderatoren zu Tontechnikern mit Rede-Funktion. Als ich 1970 meine ersten Sendungen moderierte, hatte ich vier Kollegen an meiner Seite: Ton-Ing (fuhr die Sendung, inkl. Zuschaltungen, etc.), Ton-Assistenz (legte die Bänder, bzw. Platten auf), Regie (sorgte fürs Timing und Telefon-Kontakte) und Verkehrsstudio (verwaltete und verlas die Meldungen).
Heute macht das alles der Moderator allein. Es führt bei vielen dazu, dass von der mentalen Energie nicht mehr viel übrig bleibt für spontane Einfälle oder intelligente Formulierungen. Standardisierte Moderationen sind die Folge. Musikplanungssysteme sind so gut oder so schlecht wie die Programmierungen, im besten Fall sind sie enorm hilfreich, im schlechtesten total lähmend.
Von Musik-Forschung halte ich wenig. Ich wusste immer schon vorher, was dabei herauskam: Was bekannt war, fanden die Befragten gut, was fremd war, schlecht. Als ich Musikchef von NDR 1 Niedersachsen wurde, habe ich die Musikforschung drastisch eingeschränkt und mich auf mein Bauchgefühl und das meiner Musik-Redakteure verlassen. Mit dem Erfolg, dass sich unsere Quote innerhalb von vier Jahren verdoppelte.
RADIOSZENE: Der prägendste Moment während Ihrer Radiozeit?
Lutz Ackermann: Einen prägenden Moment gab es nicht, nur eine prägende Zeit. Es war die Volontärszeit im NDR Nachwuchsstudio, das vom legendären Rundfunk-Journalisten Axel Eggebrecht geleitet wurde.
Er hat mich ermuntert, am Mikro authentisch zu sein, das Publikum zu respektieren und eine klare Sprache zu pflegen: „In der Zeitung kann man etwas ein zweites Mal lesen, wenn man es nicht kapiert hat, im Radio geht das nicht!“ Und: „Vorsicht bei Ironie! Sie wird von den meisten Menschen nicht verstanden!“ Vor allem aber: „Nachprüfen, bevor etwas auf Sender geht!“
„Von Musik-Forschung halte ich wenig. Ich wusste immer schon vorher, was dabei herauskam“
RADIOSZENE: Was bedeutet Radio generell für Sie?
Lutz Ackermann: Nach wie vor ist es mein Informationsmedium Nummer eins, früher war es auch meine Musik-Quelle Nummer eins – heute ist es das nicht mehr. Manchmal ist es Spaß-Bereiter, manchmal Ärgernis – vor allem bei manipulativer Berichterstattung, bei marktschreierischer Moderation und bei schlecht gemachter Werbung.
RADIOSZENE: Was macht das Radio heute besser, was würden Sie ändern?
Lutz Ackermann: Besser ist, dass das Radio nicht mehr so langatmig ist wie früher. Damals wurde viel zu viel geredet – „gesabbelt“ wie man hier im Norden sagt. Besser ist auch, dass es nicht mehr so steif und wichtigtuerisch daherkommt wie früher.
Ändern würde ich das Musik-Angebot: im Grunde gibt es heute nur zwei Popular-Musik-Formate: das Oldie-Hit-Format und das aktuelle Hit-Format. Für die Schlager-Fans – immerhin noch zwischen 10 und 20 Prozent der Hörerschaft – gibt es zumindest im Norden nur noch digitale Schlager-Angebote, aber wer in der Schlager-Zielgruppe nutzt schon ein digitales Radio?
Die jungen Leute wandern ab in die Internet-Medien und ich vermute, dass sich dieser Trend auch bei den mittleren und sogar bei den älteren Dekaden durchsetzen wird. Das könnte man vielleicht mit einer abwechslungsreichen und überraschenden Auswahl verhindern. Ob’s klappt? Zumindest würde ich es versuchen.
Ändern würde ich auch die stereotypen Ansagen, würde die Moderatoren ermuntern, freier und ideenreicher zu moderieren. Wenn das aufgrund der Arbeitsverdichtung im Studio kaum möglich ist, würde ich versuchen, die Moderatoren zu entlasten.
Radio muss mehr als eine Abspiel-Station für Musik sein, es muss Spaß machen, überraschen, informieren und verblüffen.
RADIOSZENE: Auf welchen medialen Feldern sind Sie heute noch aktiv?
Lutz Ackermann: Seit 2016 mache ich kein Radio mehr. Nach 7.000 moderierten Sendungen fiel mir der Abschied leicht. Ich hatte das Gefühl, alles schon mal gesagt zu haben, Neues fiel mir nicht mehr ein.
Seit 1998 mache ich Fernsehen: im NDR die Schlager-Sendung „Das große Wunschkonzert“, die von diversen anderen ARD-Sendern übernommen und oft wiederholt wird. Demnächst läuft die 75. Ausgabe. Sie wird vor allem von älteren Zuschauern geschätzt und erzielt beständig gute Einschaltquoten.
Ich präsentiere alte und neue Schlager, plaudere mit Stars und gebe ein paar Ausflugstipps für interessante Ziele im Norden. Auch wenn ich selbst – wie viele Leute – Schlager nur auf Parties höre, moderiere ich diese Sendung mit voller Überzeugung, denn ich finde, auch unser älteres Publikum hat ein Anrecht auf ein entsprechendes Angebot. Ich werde weiter machen, solange der NDR mich noch haben will und ich gesund bleibe.
„Radio muss mehr als eine Abspiel-Station für Musik sein, es muss Spaß machen, überraschen, informieren und verblüffen“
RADIOSZENE: Vervollständigen Sie abschließend den Satz: „Radio wird auch zum 100. Geburtstag des Mediums noch eine bedeutende Rollen in der Lebenswelt der Hörer haben, weil …“
Lutz Ackermann: … man sich nur mit dem Radio sekundär schnell informieren kann, während man primär etwas anders tut und weil durchs Radio Menschen zu einem sprechen.