Von Michael Radomski
Als der niedersächsische Landtag im Juni diesen Jahres einen Antrag einer Regierungspartei einstimmig zusammen mit der Opposition verabschiedet hat, horchten Politikexperten kurz auf. So eine klare Stimmungslage deutet auf fast schon übermächtig einende Kräfte im Hintergrund hin, denn Anträge der Regierung werden in deutschen Parlamenten von der Gegenseite gerne abgelehnt um grundsätzlich die Unfähigkeit der Exekutive zu dokumentieren.
Es ging dabei um die Frage, welche Technologie zukünftig das UKW-Radio ablösen soll oder eben auch nicht. Der digitale Standard DAB+ soll nun nach der Entscheidung in Niedersachsen nicht mehr gefördert werden, um unnötige Investitionen zu vermeiden. Grund dafür seien bereits in den Startlöchern stehende neue Rundfunktechnologien wie der Mobilfunkstandard 5G und die nach wie vor ungebrochene Vormacht der UKW-Verbreitung, dem nach Nutzern und Nutzungszeit stärkstem deutschen Informationsmedium überhaupt. Und am Ende solle doch sowieso der Markt bzw. der Hörer entscheiden, für welchen Empfangsweg er sich zukünftig zuhause, am Arbeitsplatz und vor allem im Auto entscheiden wolle. DAB+ würde auch ziemlich sicher selbst bei einer Abschaltung der UKW-Verbreitung niemals den Stellenwert seines Vorgängers einnehmen, zu tief ist die historische und regionale Bindung der Hörer an „ihre“ UKW-Frequenzen und zu groß die bereits heute zur Verfügung stehenden alternativen Inhalte und Verbreitungswege.
Auf europäischer Ebene ist DAB+ als Nachfolger von UKW durchaus anerkannt, eine echte Etablierung erfolgt in den national sehr unterschiedlichen Märkten praktisch aber nur auf Basis einer Abschaltung der UKW-Verbreitung. Das „D“ in DAB+ steht zwar für „Digital“, der große Vorteil von Online-Verbindungen, der Kommunikation in zwei Richtungen, fehlt aber. Der Weg des Rundfunks soll ja auch genau hier seine Stärke ausspielen, nämlich mit einer Aussendung theoretisch unendlich viele Nutzer gleichzeitig versorgen. Zu gering sind damit aber die echten technischen Vorteile von DAB+ im direkten Vergleich zu UKW als dass der Hörer in einer Parallelphase sich ein neues Radiogerät kaufen würde um praktisch dieselben Inhalte wie zuvor zu empfangen.
Hier lauert nun auch das große Missverständnis der Diskussion um die Rundfunkverbreitung: Jede Rundfunktechnologie, sei es UKW, DAB+ oder die Möglichkeiten des Mobilfunks, besitzt nämlich charakteristische Vor- und Nachteile in Bezug auf die darüber verbreiteten Inhalte und ist damit gegeneinander nicht vergleichbar. Vereinfacht gesagt ist die bestehende UKW-Struktur in Deutschland ideal für bestehende lokale und regionale Inhalte während DAB+ seine Stärken eher in möglichst großen Gebieten mit identischem Programm ausspielen kann. Das kleine Stadtradio baut auf einer einzelnen, in der Einzelbetrachtung durchaus technisch aufwändigen UKW-Frequenz auf, ein bundes- oder zumindest landesweit identisch verbreitetes Programm ist ideal für ein aufgrund der Größe effizient zu betreibendes, flächendeckendes Netz von DAB+ Sendern.
Die in größeren Strukturen denkenden öffentlich-rechtlichen Veranstalter tendieren in dieser Frage eher zu DAB+, haben aber ein Problem mit der kostenträchtigen Parallelverbreitung über UKW und DAB+. Der gesetzliche Qualitäts- und Verbreitungsauftrag steht dabei in der Betrachtung über den Hörerzahlen und den sowieso geringen Werbeeinnahmen. Auf Grund des Kostendrucks bei den ARD-Anstalten wird dadurch die Forderungen nach einem Totalumstieg auf DAB+ durchaus nachvollziehbar.
Berücksichtigt man dagegen aber, dass der private Radiomarkt durch sehr unterschiedliche Landesmediengesetze föderal strukturiert, aber fast ausschließlich durch Werbung finanziert wird, besitzen kleine Anbieter den Vorteil, gleichzeitig nationale als auch sehr lokale Werbung ausstrahlen zu können, was praktisch nur mit UKW geht. Gleichzeitig können sie ebenso lokale oder regionale Inhalte aussenden, die zu einer starken Hörerbindung vor Ort führen. Da es praktisch keine neuen UKW-Frequenzen mehr gibt, hat sich hier ein durchaus abgeschotteter und bislang stabiler Nischenmarkt etabliert, der aber schon heute den Herausforderungen der echten Digitalisierung durch das Internet stellen muss.
Dass dieses bislang erfolgreiche Geschäftsmodell von einer starken UKW-Interessensvertretung verteidigt wird, liegt auf der Hand. Vielleicht wundert die einstimmige Entscheidung des niedersächsischen Landtags gegen den Ausbau von DAB+ bei dieser Betrachtung auch schon viel weniger. Dies dann auch vor dem Hintergrund, dass es im Gegenzug vehemente Unterstützer der Durchsetzung von DAB+ in Politik und Wirtschaft gibt, deren Argumentation sich allerdings allzu oft im direkten Vergleich der Vor- und Nachteile von UKW und DAB+ verliert. Manche Radioanbieter, die vehement für DAB+ kämpfen, kennen den Radiomarkt zwar gut, ihr Anteil an den UKW-Werbemärkten ist aber eher gering. Mit einem Umstieg von UKW auf DAB+ würden die (Werbe-) Märkte neu gemischt und kleine und mittlere Radiounternehmen ohne Wachstumspotential im UKW-Markt könnten mit der richtigen Strategie bei der DAB+ Verbreitung stark auftrumpfen.
Es würde der laufenden Diskussion wahrscheinlich guttun, wenn sie weniger ideologisch auf dem Vergleich von UKW und DAB+ aufsetzen, sondern technologieneutral die übergeordneten, langfristigen Fragen der Rundfunkverbreitung in Deutschland in den Fokus rücken würde. Denn vieles spricht dafür, dass Online-Anwendungen (über welche Wege auch immer) Mitte der 30er Jahre der Hauptverbreitungsweg für die Audionutzung sein werden. Es wird noch etwas dauern, aber die Anbieter von mobilen Apps, Google Home und Amazon Alexa – quasi als die neuen Küchenradios – hätten dann die Versorgung der Bevölkerung mit allen Vorteilen der digitalen Welt und allen Nachteilen der Steuerung durch globale Konzerne in ihrer Hand. Die Politik auf Landes- und Bundesebene steht vor der völlig offenen Herausforderung, dieser aus dem Ausland dirigierten Entwicklung regulatorisch entgegenzusteuern, da sonst bald Google, Amazon oder Facebook entscheiden werden, welche Inhalte wir auf unseren Endgeräten finden und hören werden.
Der UKW-Rundfunk ist auf Grund der Verbreitung in der Bevölkerung heute dagegen eine stabile und damit unersetzliche Infrastruktur für die Kommunikation in Katastrophen- und Krisenfällen, die durch konsequente Regulierung und Eigenbetrieb der ARD-Anstalten an neuralgischen Punkten im direkten öffentlichen Zugriff liegt.
Ein bundesweites DAB+ Netz – wie es tatsächlich auch schon existiert – könnte diesen Zugang zur Bevölkerung als Nachfolgetechnologie zumindest teilweise für viele Jahrzehnte sicherstellen und uns unabhängig machen von den Launen ausländischer Technologiekonzerne. Ob dann zukünftig überhaupt eine kritische Masse an DAB+ Hörern erreicht würde, wäre die eigentliche Herausforderung, denn die Wege der Mediennutzung werden immer vielfältiger. Die bestehende Medienlandschaft nur deshalb umzubrechen, um DAB+ attraktiver zu machen und die Hörerzahlen zu erhöhen, dürfte aber der falsche Weg sein und wird auch niemals in Einklang mit der föderalen Struktur des Medienrechts zu vereinbaren sein – das zeigt uns die Entscheidung in Niedersachsen sehr deutlich.
Wünschenswert wäre dagegen eine transparente, nachvollziehbare und zwischen Bund und Ländern abgestimmte Infrastrukturpolitik, fern von kurz gedachten kommerziellen Beweggründen und auch nicht zu Lasten der etablierten UKW-Verbreitung und den Hörgewohnheiten der Bevölkerung.
Dieser Text erschien zuerst als Gastkommentar auf Ruhrbarone.de