Am 17. August 2016 schickte Radio Bremen mit Bremen NEXT sein lange erwartetes junges Programmangebot über UKW, DAB+ und mit einer massiven Präsenz in den sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube, Twitter, Instagram, Snapchat sowie einer App auf Sendung. Zuvor hatte ein Projektteam den eigentlichen Bremen Vier-Ableger ausgiebig via Digitalradio und über diverse Online-Kanäle getestet. Offenbar haben die Strategen des Bremer Senders ihre Hausaufgaben gut erledigt, denn sehr hörbar wendet sich Bremen NEXT – im Gegensatz zu einigen vergleichbaren ARD-Jugendradio – tatsächlich direkt an die Jugend und richtete sein Angebot vom ersten Sendetag an eine sehr junge Zielgruppe zwischen 15 und 25 Jahren, die ihren Medienbedarf vor allem mobil und online konsumiert.
Den musikalischen Kern bilden elektronische Musik und HipHop/Rap – ein Segment, das in dieser geballten Form wie bei keinem anderen jungen ARD-Programm zu hören ist. Die Adressierung und Ansprache ist konsequent an eine urbane Hörerschaft in den Stadtgebieten Bremen und Bremerhaven gerichtet. Das überschaubare Sendegebiet erspart den Machern bei der Programmausrichtung damit komplizierte Kompromisse, die etwa die Kollegen von N-JOY, DASDING oder YOUFM durch die doch sehr divergierenden Nutzungsinteressen junger Menschen in ländlichen Regionen abgerungen werden. Die Bremen NEXT-Sendungen werden von wechselnden Moderatorinnen und Moderatoren präsentiert, die „aktuelle Themen aus dem unmittelbaren Senderaum und den Bereichen Politik, Sport, Gossip/Klatsch, Musik, Film und Lifestyle aus aller Welt vorstellen und kommentieren.“ Daneben präsentiert die junge Welle zahlreiche Partys, Konzerte und andere Veranstaltungen in und um Bremen.
„In der jüngsten Media Analyse haben wir unsere Hörerschaft verdoppelt. Im Altersdurchschnitt sind wir das jüngste Radioprogramm in der ARD und das zweitjüngste in ganz Deutschland“
RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich sprach mit Programmchefin Felicia Reinstädt über ihre Bilanz nach drei Jahren Bremen NEXT.
RADIOSZENE: Frau Reinstädt, Bremen NEXT wurde erstmals in der Frühjahrs-ma 2019 ausgewiesen. Wie zufrieden sind Sie mit den Zahlen der aktuellen Untersuchung, wie interpretieren Sie die Ergebnisse?
Felicia Reinstädt: Wir waren schon sehr zufrieden mit unserem Zahlen in der ma 2019 I, in der jüngsten Media Analyse haben wir unsere Hörerschaft nun nochmal verdoppelt. Das ist wirklich ein schöner Erfolg, der zeigt, dass wir mit unserem Programm und der Art, wie wir Programm machen, bei den Leuten ankommen. Wir liegen jetzt bei einer Tagesreichweite von 24,8 Prozent im jungen Alterssegment der 14-29-Jährigen im Land Bremen und 14,6 Prozent im Sendegebiet. Auch unsere Verweildauerwerte sind sehr erfreulich: Uns hören die Leute in Bremen im Schnitt 197 Minuten pro Tag, gerade für ein junges Programm ist das ein sehr guter Wert. Dabei freut uns natürlich besonders, dass uns so viele junge Hörerinnen und Hörer hören. Mehr als jeder dritte Jugendliche in Bremen und Umgebung zwischen 14 und 19 Jahren hört mindestens einmal im Monat Bremen NEXT. Mit einem Altersdurchschnitt von 29,7 Jahren sind wir damit das jüngste Radioprogramm in der ARD und das zweitjüngste in ganz Deutschland.
RADIOSZENE: Wie intensiv ist heute die Hörerbindung der Nutzer zu jungen Radioformaten und zu Bremen NEXT im Besonderen?
Felicia Reinstädt: Wir sprechen bei uns nicht von klassischer Hörerbindung. Wir machen Programm für unsere Community und wir sind gleichzeitig Teil dieser Community. Der direkte Austausch mit unseren Leuten, egal ob im Radio, auf Social Media oder bei einer unserer Veranstaltung, ist uns da extrem wichtig. Viele unsere Formate zielen genau darauf ab, direkt mit unserer Community ins Gespräch zu kommen, über das, was sie bewegt – im positivem wie im negativen Sinne. Wenn uns zum Beispiel eine Userin schreibt, dass ihr Freund nicht in den Club kommt, weil er „südländisch“ aussieht, dann gehen wir dem nach. Wenn man das Lebensgefühl der Leute trifft, aber auch ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Probleme hat, entsteht so etwas wie Nähe zwischen Programmmachern und ihrem Publikum. Das finde ich unglaublich wichtig, aber nicht nur für junge Programme.
„Wenn ich mit meiner biodeutschen Akademikersicht alleine das Agendasetting für unser Programm machen würde, würde ich oft an unserer Zielgruppe vorbeisenden“
RADIOSZENE: Bei vielen jungen Hörfunkformaten werden die Strukturen der Programme, Redaktionen sowie die Profile von Moderatoren dem sich immer rascher drehenden Hörerverhalten und Zeitgeist angepasst. Wie haben Sie Ihre Programm- und Personalstruktur ausgerichtet?
Felicia Reinstädt: Unser Vorteil ist hier ganz klar, dass wir Bremen NEXT von Beginn an crossmedial aufgesetzt haben. Als wir 2016 gestartet sind, haben wir keine klassische Radioredaktion mit einer Onlineabteilung aufgebaut, sondern allen relevanten Ausspielwegen die gleiche Gewichtung zugesprochen. Wir haben überlegt, wie können wir Themen ausspielwegsübergreifend und ausspielwegsgerecht planen und umsetzen, so dass sie unsere Leute draußen auch erreichen – und das mit einem im Vergleich zu anderen Programmen kleinem Team. Natürlich schauen wir da auch regelmäßig drauf und überlegen, was können wir ändern und optimieren. Wir verstehen uns hier als eine Medienredaktion im permanenten Wandel, denn die Medienpräferenzen und die Mediennutzung in der jungen Zielgruppe entwickeln sich stetig weiter. Veränderung als Grundprinzip mag jetzt vielleicht anstrengend klingen und das ist es manchmal auch, aber es bietet uns die Chance, Dinge einfach auszuprobieren. Wenn sie funktionieren, super! Wenn nicht, dann lassen wir sie eben. Genau das ist auch unsere große Stärke.
Bei der Zusammensetzung unseres Teams war uns von Anfang an wichtig, dass sich darin auch unsere Community wiederfindet. Das passiert nicht, wenn wir das Programm nur von ausgebildeten und ambitionierten Jungjournalisten machen lassen. Klar, die braucht es auch, aber um die Realität von unseren Leuten da draußen wirklich zu verstehen und abbilden zu können, braucht es eben auch Leute, die aus anderen Ecken der Gesellschaft kommen. Diversity ist ein großes und wichtiges Thema für den gesamten Journalismus. Wir leben das bei Bremen NEXT im Kleinen. Eine gute Durchmischung in der Redaktion befruchtet das journalistische Arbeiten unglaublich. Wenn ich mit meiner biodeutschen Akademikersicht alleine das Agendasetting für unser Programm machen würde, würde ich oft an unserer Zielgruppe vorbeisenden. Deshalb ist eine bunte Redaktion mit einer lebhaften Diskussionskultur so wichtig. Jeder in unserem Team hat eine Stimme und ist eingeladen sich einzubringen – egal in welcher Funktion er oder sie gerade unterwegs sind. Ich würde mir wünschen, dass dieser Spirit in viel mehr Redaktionen einzieht.
RADIOSZENE: Zuletzt klagte die Branche generell über Probleme bei der Findung neuer Mitarbeiter. Können Sie dies bestätigen?
Felicia Reinstädt: Ich sehe das Problem liegt hier eher in unserer eigenen Anspruchshaltung. Viele wünschen sich topausgebildetes Personal, das jung ist, aber schon ordentlich Berufserfahrung aufweisen kann, das professionell ist und gleichzeitig mit viel Personality daherkommt. Wie soll das alles auf einmal gehen? Bei Bremen NEXT haben wir viele junge Mitarbeitende, die hier ihren ersten Schritt in der Medienbranche machen. Manche haben vorher was komplett anderes gemacht, haben im Einzelhandel oder in einer Bar gejobbt, andere sind Musiker und hatten über die Musik den Zugang zu uns. Aber sie alle haben spezielle Talente, die es zu entdecken und zu fördern gilt. Unsere Moderatorinnen und Moderatoren haben sich bei uns per Video und via Whatsapp beworben. Keiner von ihnen stand vor Bremen NEXT schon mal am Mikrofon, aber sie alle hatten etwas zu erzählen. Unser Job ist es, diese Leute gut auszubilden und ihnen den Zugang zu den Redaktionen überhaupt erst zu ermöglichen. Dass dann mal etwas nicht so perfekt klingt oder aussieht, gehört dann auch dazu, das muss man aushalten. Denn am Ende lohnt sich diese Form von Nachwuchsarbeit ungemein.
„Unsere Moderatorinnen und Moderatoren haben sich bei uns per Video und via Whatsapp beworben. Keiner von ihnen stand vor Bremen NEXT schon mal am Mikrofon, aber sie alle hatten etwas zu erzählen“
RADIOSZENE: Bremen NEXT ist zur Hörerbindung mit vielen Veranstaltung wie Club Partys im Sendegebiet aktiv. Reicht dies heute zur Communitybildung? Welche weiteren Formen nutzen Sie zum Markenaufbau?
Felicia Reinstädt: Ich hab vorhin ja schon kurz über das Thema Community gesprochen. Es wäre etwas eindimensional gedacht, dass man nur mit coolen Veranstaltungen bei der Zielgruppe punkten kann, aber natürlich spielen die auch eine wichtige Rolle bei uns. Das Konzept von Bremen NEXT war deshalb immer schon so ausgelegt, dass wir auch „Neues“ im off Air Bereich schaffen wollten. Mit unserer Clubnacht, der „Bremen NEXT Night“, haben wir für Bremen einen Clubnacht mit elektronischer und urbaner Musik ins Leben gerufen, die es vorher noch nicht gab. Darüber hinaus schaffen wir es durch Bookings immer wieder Künstler in die Region zu bringen, die sonst vielleicht nicht kommen würden. Auf der anderen Seite nutzen wir gerade große Veranstaltungen auch gerne, um den musikalischen Nachwuchs in der Region eine Plattform zu bieten. Was das Thema Markenaufbau betrifft, da ist es einfach unglaublich wichtig, dass das, was man im off Air Bereich macht, im Radio und auf Social Media ineinandergreift.
RADIOSZENE: Als einer der ganz wenigen deutschen UKW-Sender spielt Bremen NEXT einen sehr hörbaren Anteil an Rap und HipHop. Genres, die laut Aussage von Kollegen, im Radio sonst eher stark polarisieren. Wie beliebt sind Rap und HipHop tatsächlich bei Ihren Hörern?
Felicia Reinstädt: Deutschrap ist gerade der angesagte Musikstil bei den Jungen – und das millieuübergreifend. Die Charts, ob jetzt klassisch oder auf Spotify, werden dominiert von diesem Genre. Natürlich muss man manche Verkaufs- und Klickzahlen mit Vorsicht genießen, aber trotzdem ist HipHop gerade die dominierende Jugendkultur. Hier mischt sich auch die Akzeptanz von deutschen und US Rap immer mehr. In Clubs, in denen vor einiger Zeit mehr oder weniger ausschließlich US Rap gespielt wurde, läuft mittlerweile auch Deutschrap. Auf der anderen Seite feiert ein Teil der Deutschrap-Fans auch internationalen Rap.
RADIOSZENE: Wie beliebt sind bei den Hörern die derzeit immer zahlreicher werdenden deutschen Rapperinnen? Werden diese auch von männlichen Fans der Szene angenommen?
Felicia Reinstädt: Ich persönlich freu mich sehr, dass mit Künstlerinnen wie Nura, Juju, Eunique und Hayiti es mittlerweile einige weibliche MCs gibt, die großen Erfolg haben. Sie sind eine unglaubliche Bereicherung für die doch noch sehr männlich dominierte Szene, denn sie rappen über weibliche Lebensrealitäten, andere Rollenvorstellungen und female Empowerment. Gerade für die vielen weiblichen Rapfans nehmen diese Künstlerinnen eine wichtige Vorbildfunktion ein. Ihr Erfolg zeigt aber auch, dass sie unabhängig vom Geschlecht in der Rap-Community ankommen, weil das, was sie machen einfach qualitativ gut ist. Für meinen Geschmack könnten es natürlich noch mehr Frauen in der Szene sein, deshalb achten wir bei Bremen NEXT auch sehr genau darauf, dass weibliche Künstlerinnen bei uns im Programm stattfinden und wir diese auch auf unsere Veranstaltungen buchen.
„Rapperinnen sind eine unglaubliche Bereicherung für die doch noch sehr männlich dominierte Szene, denn sie rappen über weibliche Lebensrealitäten, andere Rollenvorstellungen und female Empowerment“
RADIOSZENE: Welche weiteren Musik-Genres sind aktuell bei ihren Hörern angesagt?
Felicia Reinstädt: Neben Deutschrap funktionieren unter anderem HipHop/R’n‘B Hybriden wie Khalid oder Post Malone, aber auch nach wie vor clubbigere Sachen, angefangen bei leichteren Sounds von Jax Jones oder Vize bis zu credibilieren Sachen wie zum Beispiel Fisher! Am Ende sind natürlich auch viele aktuelle Popsongs von den Strömungen im HipHop, R’n’B und EDM beeinflusst und passen deshalb auch gut in unser Programm.
RADIOSZENE: Wie sehr hat sich seit Sendestart die redaktionelle Themengewichtung bei Bremen NEXT verändert? Wo liegen heute hier Ihre Schwerpunkte?
Felicia Reinstädt: Wir wollten von Anfang an unserer Community einen guten Mix aus Unterhaltung und Orientierung anbieten und uns mit unseren Themen in der Region verankern. Natürlich spielt bei uns Musik immer eine große Rolle, aber auch ernstere Themen werden abgefragt. Insbesondere alles, was in Richtung Lebenshilfe geht. Dafür haben wir mit NEXT Help ein Instagram-Format entwickelt, bei dem User ihre Fragen einwerfen können, die wir dann wiederum von Experten beantworten lassen. Das können Fragen zum Thema Ausbildung oder Jobsuche sein, aber auch welche Rechte habe ich gegenüber dem Vermieter oder der Polizei. Zur Europawahl und der Bremer Bürgerschaftswahl im Mai hatten wir eigene Programmschwerpunkte zum Thema Wohnen, Bildung oder Klimaschutz, die auf große Resonanz in der Zielgruppe gestoßen sind. Leider ist unsere Zielgruppe auch oft von Alltagsrassismen und Diskriminierung betroffen, hier Missstände aufzudecken und aufzuklären ist ganz klar auch ein Schwerpunkt in unserer Berichterstattung.
RADIOSZENE: Laut JIM-Studie ist das Vertrauen der Jugendlichen in die öffentlich-rechtlichen Radiosender überdurchschnittlich stark ausgeprägt. Die jungen Menschen vertrauen Ihnen sogar mehr als der Nachrichtensendung „Heute“ beim ZDF und dem „Heute Journal“. Ist es in Zeiten von Fake News somit – gerade bei einer jungen Welle – nicht eine besondere Herausforderung diesen Standard zu halten?
Felicia Reinstädt: Junge Leute mit validen und qualitativ gut gemachten Informationsinhalten zu versorgen, ist genau unser Auftrag. Das Vertrauen, was uns da entgegengebracht wird, ist eine gute Ausgangsbasis, aber es ist auch nicht immer einfach, gerade in den sozialen Netzwerken Leute mit vermeintlich „harten“ Themen zu erreichen. Ein Meme kann schnell viral gehen, bei einem infolastigen Post ist das schon etwas schwieriger, aber genau das ist unser Job! Unsere Arbeit ist nicht damit getan, dass wir Nachrichten senden oder produzieren, sondern erst wenn sie auch beim Empfänger ankommen und idealerweise zu einem Diskurs führen. Hier engagieren wir uns als Bremen NEXT auch verstärkt im Bereich Medienpädagogik. Wir haben ein Workshop gestartet, in dem wir innerhalb einer Projektwoche mit einer Schulklasse die Grundlagen journalistischer Medienproduktion erarbeiten und sie sich selbst an Kamera, Handy und Mikrophon ausprobieren können. Wenn junge Leute verstehen, wie wir arbeiten, wie wir recherchieren und Nachrichten auswählen, schafft das nicht nur Transparenz und Vertrauen, sondern hilft ihnen auch in ihrem eigenen Medienkonsum Informationen besser einzuordnen und zu bewerten.
„Unsere Arbeit ist nicht damit getan, dass wir Nachrichten senden oder produzieren, sondern erst wenn sie auch beim Empfänger ankommen und idealerweise zu einem Diskurs führen“
RADIOSZENE: Bremen NEXT feiert bald dritten Geburtstag. Die Programmstruktur ist seit Sendebeginn weitgehend stabil. Sind Neuerungen, Veränderungen oder Erweiterungen der Sendezeiten geplant?
Felicia Reinstädt: Wenn ich unser Programm heute mit dem vor knapp drei Jahren vergleiche, hat sich schon eine Menge verändert. Unsere Sendezeiten zu den Radiopeakzeiten sind gleich geblieben, im Programm setzen wir aber noch stärker auf Communityinteraktion und Live-Specials direkt von unseren Events und Aktionen. Die Ausrichtung unsere sozialen Kanäle hat sich in den letzten drei Jahren hingegen komplett verändert. Facebook hat an Relevanz verloren, auf Instagram sind einige neue Features wie IGTV dazugekommen, für die wir spezielle Formate entwickelt haben, auf Youtube setzen wir mittlerweile neben musikalischen Inhalten auch auf Reportageformate und gerade probieren uns auch auf TikTok aus, einer Plattform die bei unserer jüngsten Zielgruppe sehr populär ist. Genau hier am Puls der Zeit sein, auf die Bedürfnisse unserer Zielgruppe zu achten und dabei sich selbst als Bremen NEXT treu zu bleiben, ist die große Herausforderung. Wie wir in das in drei Jahren managen, kann ich heute noch nicht sagen. Aber genau das macht es auch so spannend!