Medientreff NRW 2019: Audio-Content im Netz als Herausforderung für den NRW-Lokalfunk

Neues Organisationsteam, neuer Veranstaltungsort und neues Konzept: Der Medientreff NRW 2019 am 5. Juni im Wissenschaftspark Gelsenkirchen war eine eintägige Veranstaltung ohne den beliebten Grillabend, ohne medienpolitische Diskussion und ohne Panelrunden, nicht mehr im September sondern im Juni. Dafür aber mit bewährten Standards, bewährtem Moderationsteam und treuen Besuchern: Viele der etwa 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren auch schon in den vergangenen Jahren beim Medientreff dabei.

Colleen Sanders, Martin Klostermann und Thorsten Kabitz eröffnen Medientreff NRW 2019 (Bild: ©Philipp Kania)
Colleen Sanders, Martin Klostermann und Thorsten Kabitz eröffnen Medientreff NRW 2019 (Bild: ©Philipp Kania)

„Wir sprechen hier immer über Themen, die für alle Audiomacher wichtig sind. Wir stecken alle in der digitalen Transformation, wissen aber oft nicht, wie, mit wem und wer das bezahlt“, begrüßten die Moderatoren Colleen Sanders und Thorsten Kabitz, im Hauptberuf Chefredakteure bei Radio Lippe Welle Hamm und Radio RSG, die Besucherinnen und Besucher. „Vom Radiosender zum Audio-Content-Anbieter?!“ lautete die Überschrift des Fachforums. Die Audionutzung im Internet boomt, Audio Content on demand wird immer mehr. Das stellt die Lokalfunksender in NRW vor große Herausforderungen, bietet aber auch Chancen, die lokale Nähe auszuspielen. Wie kann die digitale Transformation lokaler Radiomarken gelingen, wie lassen sich lokaljournalistische Inhalte crossmedial aufbereiten und was lässt sich aus anderen Radiomärkten lernen, das waren einige der zentralen Fragen. Die Referenten: Christian Schalt, Chief Digital Content Officer bei der RTL Radio Deutschland GmbH in Berlin, Matthias Leitner, Journalist und Storyteller beim Bayerischen Rundfunk, Marc Krüger, Audio-Redakteur bei t-online/Ströer News Publishing GmbH, Podcastberater und Autor Matthias Milberg sowie Podcastbetreiber und Coach Martin Klostermann. 

Keynote Christian Schalt

„Radio wird smart“ zeigte Christian Schalt in seinem schon klassischen Medientreff-Schalt-Report, dieses Mal als Live-Video-Keynote aus Berlin. Immer mehr Deutsche – auch klassische Radiohörer – nutzen Audio über Smartspeaker. Im Netz bieten viele Radiosender ihr Liveprogramm und web only channels an, so die aktuelle Lage. Die Herausforderung für Radiosender sei, ihr Hauptprogramm „customized“ zu machen, also das Liveprogramm an die unterschiedlichen Nutzer anzupassen, sagte Schalt. 104,6 RTL in Berlin mache mit der Frühsendung vor, wie es geht: „Arno und die Morgencrew“ gibt es auf UKW, aber auch in drei verschiedenen Musikfarben als Stream: „Arno hoch 3!“. Besonders der Stream mit einem Musikangebot für Jüngere sei besonders erfolgreich.

Christian Schalt (Bild: ©RTL Radio)
Christian Schalt (Bild: ©RTL Radio)

Weitere Beispiele aus dem Ausland oder anderen Bundesländern zeigten: „Die Klammer ist der content“, so Schalt. Wichtig sei zu wissen, wer wann wo das Programm nutze, um die Produkte stärker auf die Einzelpersonen zuschneiden zu können. Programmmacher sollten die Grundlage für Datensammlungen legen, in Zielgruppen denken und sich an den Touchpoints orientieren – also an den Orten oder Ausspielwegen, an denen Nutzer mit dem Programm in Berührung kommen. Audio bliebe weiter im Fokus, die Inhalte müssten aber an die jeweiligen Plattformen angepasst werden. Das ginge auch, ohne neue Inhalte zu erstellen. Die Sender müssten technische Möglichkeiten schaffen, Inhalte wie z.B. den Verkehrsservice aus dem Liveprogramm heraus auf anderen Plattformen zu verwenden, nannte Schalt praxistaugliche Ideen für die Lokalfunksender.

Matthias Leitner, Leiter des Storytelling Lab web:first und Digital Storyteller beim Bayerischen Rundfunk, stellte das Projekt #icheisner vor. Bayern 2 hat 2018 über Messenger-Dienste (Whats App, Telegram, Insta) die Bayerische Revolution nach dem Ersten Weltkrieg aus der Sicht des ersten Bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner erzählt. „Wissensvermittlung nah am Publikum“ sei das Ziel gewesen, erklärte Leitner. Erst kam die Idee, dann das Thema, dann die Inhalte. Vier Monate lang waren fünf Leute dafür frei gestellt. Seine Botschaft: Nicht jedes digitale Projekt sollte „korrumpiert“ werden durch Reichweitenziele, man müsse Freiräume schaffen zum probieren. Ein Projekt, das viele aus dem Publikum spannend fanden, sich in der Lokalfunk-Realität mit der geringen Personaldichte aber nicht von einem Sender allein umsetzen lässt.

Moderatorin Colleen Sanders mit Matthias Leitner (Bild: ©Philipp Kania)
Moderatorin Colleen Sanders mit Matthias Leitner (Bild: ©Philipp Kania)

Bei Marc Krüger ging es um „Podcast ist doch auch nur wie Radio und weitere Missverständnisse rund um Audio im Internet“. Podcasts seien kein Radioprogramm. Der Nutzer bestimme, wann er wo Podcasts hört, „der Inhalt bestimmt alles, nicht das Format – Dinge brauchen so viel Platz, wie sie brauchen“, erklärte Krüger. Podcast-Hörer sind jünger als 49 Jahre, haben eine hohe Bildung, hohes Einkommen, sind technikaffin und nutzen Medien intensiv. „Wer jung ist und Podcasts hört, wird nicht damit aufhören, nur weil er älter wird.“ Noch sei UKW der am meisten genutzte Übertragungsweg für Radioprogramme, aber „was bleibt, wenn UKW weg ist?“, fragte Krüger provokativ.

Marc Krüger beim Medientreff NRW 2019
Marc Krüger beim Medientreff NRW 2019

Viele Merkmale des UKW-Radios finde man auch woanders: Musik über Streamingdienste oder Youtube, Wetter über Smartphone-Apps, Interaktion über Social Media etc. Die Anzahl der Spotify-Nutzer in Deutschland sei verschwindend gering gegenüber den Radiohörern, hielt Thomas Rump, Programmchef bei radio NRW dagegen, und: „Spotify wird eher Radio als wir Spotify!“ Der Streamingdienst greife die Radios aber mit mehr Inhalten direkt an, sagte Krüger, die Herausforderung sei da. „Ihr seid die Profis, habt die Technik, die Mitarbeiter und Raum für Ideen. Ihr seid im Vorteil, wenn aber kein Platz ist für neue Ideen, gehen die Radioleute woanders hin“, prophezeite Krüger.

Marc Krüger (Bild: ©Philipp Kania)
Marc Krüger (Bild: ©Philipp Kania)

Matthias Milberg ist einer der Radioprofis, der weggegangen ist vom Radio, weil er keinen Platz für seine Geschichten hatte. Er produziert jetzt Podcasts und vermarktet sie auch. Bei der ams-Radio und MediaSolutions in Bielefeld ist er Projektleiter der Podcastfabrik. Dort entsteht z.B. der Podcast „Verbrechen von nebenan“ mit Philipp Fleiter von Radio Gütersloh und laut Milberg mit 160.000 Hörern im Mai 2019 einer der 100 erfolgreichsten Podcasts bei Spotify. Tim Schmutzler von Radio Lippe produziert bei der Podcastfabrik seinen „HundeTalk“. Podcasts seien „eine feine Ergänzung, um den Moderator näher kennen zu lernen“ und somit profitierten auch die Sender, sagte Milberg. Beide Podcasts liefen gut, weil das Thema über das jeweilige Sendegebiet hinaus interessant sei. Wichtig für die Vermarktung sei auch, dass man dahin gehe, wo die Hörer seien – und das sei momentan Spotify, sagt Milberg.

Matthias Milberg im Workshop (Bild: ©Philipp Kania)
Matthias Milberg im Workshop (Bild: ©Philipp Kania)

In seinem Workshop sollten die Teilnehmer eigentlich eigene Podcasts entwickeln, aber statt einen Fahrradpodcast für Antenne Münster zu kreieren, diskutierten die Teilnehmer dann doch eher grundsätzliche Fragen. Wieso sollten Lokalsender Podcasts fürs Internet produzieren, davon bekämen sie keine neuen Hörer und keine Werbeeinnahmen, fragte Horst Bongardt, Vorsitzender des Verbands Lokaler Rundfunk in NRW e.V. (VLR), dem Verband der Veranstaltergemeinschaften der Lokalfunksender in NRW. Die Antwort: Man müsse sich jetzt damit befassen, um später damit Geld verdienen zu können. Milberg zog einen Vergleich: Die Radiosender verhielten sich momentan so wie die Zeitungen vor 20 Jahren, die sich damals fragten, wozu sie eine Homepage bräuchten, das brächte keine neuen Abonnenten. „Es kann nicht sein, dass sich die Sender jetzt auf ihren UKW-Quoten ausruhen und in 20 Jahren zu machen“ appellierte Milberg an die Verantwortlichen im Lokalfunk, jetzt aktiv zu werden.   

In die selbe Kerbe schlug Matthias Leitner, der Trend dürfe nicht verschlafen werden: „Wer sich jetzt nicht in die Prozesse und in die Kultur im Digitalen einfühlt, hat am Ende Zeit verloren.“ Eigentlich ging es in seinem Workshop um die Unterschiede im Storytelling für Radio oder digitale Formate. So gelte hier – wie auch für die Podcasts – der Inhalt, nicht die Länge definiere das Format. In der Abschlussrunde plädierte er für mehr Engagement: „Der Lokalfunk braucht Geschäftsleitungen mit Zukunftsvisionen, die dann auch überprüft werden.“

Martin Klostermann im Workshop (Bild: ©Philipp Kania)
Martin Klostermann im Workshop (Bild: ©Philipp Kania)

Praxisnah wurde es im Workshop zum Dreh von Videoaufsagern mit Smartphones mit  Martin Klostermann. „Das Handy anschalten und ein Video zu drehen reicht nicht immer, dann sieht es aus, wie von Radioleuten gemacht“, lockte Klostermann die Teilnehmer im Vorfeld. Nach einer kleinen Einführung zu Einstellungsgrößen und Bildgestaltung entstand innerhalb einer Stunde ein ansehnlicher Nachrichten-Videoaufsager mit O-Ton-Geberin. „Die Basics hat man sich in einer Stunde draufgepackt, dann hilft denken!“, so Klostermann bei der abschließenden Präsentation der Workshop-Ergebnisse.

Als vierten Slot im Nachmittagsprogramm hatte das Organisationsteam ein Barcamp angeboten. Einige Lokalfunk-Chefredakteure diskutierten mit einem Vertreter der Landesanstalt für Medien, wie im Lokalfunk-System Freiräume geschaffen werden könnten für innovative digitale Produkte. „Wir kommen immer mit tollen Ideen vom Medientreff nach Hause, nur wie setzen wir die um? Wie kommen wir dieses Mal schneller voran, als wir es im Lokalfunk gewohnt sind, haben wir uns gefragt“ erläuterte Timo Fratz, Chefredakteur von Radio Bielefeld, die Herangehensweise. Die Idee: Ein Start up für Digitales als ein gemeinsames Projekt aller Lokalfunksender. Zusammen könne man fünf Volontäre bezahlen, zusammen wohnen und für zwei Jahre viele Dinge ausprobieren lassen. Eine Förderung durch die LfM NRW konnte Stanley Vitte, Referent Online-Kooperationen und Events bei Vor-Ort-NRW, spontan nicht zusagen. Er lud die Chefredakteure aber ein, sich mit der LfM zusammen zu setzen. Um dieses Mal vielleicht doch eine Idee aus dem Medientreff umzusetzen, die sonst an der Alltagsrealität scheitert. 

Colleen Sanders, Stanley Vitte und Timo Fratz beim Medientreff NRW 2019 (Bild: ©Philipp Kania)
Colleen Sanders, Stanley Vitte und Timo Fratz beim Medientreff NRW 2019 (Bild: ©Philipp Kania)

Das Organisationsteam zog am Ende eine positive Bilanz, auch viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren mit dem Programm zufrieden und freuten sich, dass es wieder einen Medientreff NRW gab. Nach dem Ausstieg der früheren Hauptorganisatoren hatte der Medientreff 2018 eine Pause eingelegt. Zum Planungsteam gehören nach wie vor der VLR, der Verein der Chefredakteure im NRW-Lokalfunk und der DJV-NRW. Neu dabei ist die Medienakademie Ruhr. Kerstin Loos, Mitglied der Geschäftsleitung, wollte den Medientreff erhalten und sieht auch für die Medienakademie einen Gewinn: „Wir erhalten einen Einblick in die aktuellen Trends und Themen innerhalb des Lokalfunks und können so auch unsere Weiterbildungsangebote an die aktuellen Herausforderungen anpassen.“ Für Timo Naumann, Geschäftsführer des VLR, war es keine Frage, sich weiter zu engagieren: „Der informelle Austausch und die Inhalte der Veranstaltung sind sehr wichtig für den Lokalfunk.“ Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW will auch nächstes Jahr dabei sein: „Wir unterstützen den Medientreff, weil der Lokalfunk eine wichtige Säule im NRW-Mediensystem ist und der Medientreff wichtige Themen aufgreift.“

Radio NRW, der Verband der Betriebsgesellschaften NRW, der VLR sowie die Landesanstalt für Medien in NRW haben den Medientreff finanziell unterstützt. Weil er dieses Mal nur eintägig war, konnte er für die Akteure aus dem NRW-Lokalfunk kostenfrei angeboten werden. Sollte es nächstes Jahr wieder – ganz traditionell – eine zweitägige Veranstaltung mit Übernachtungsmöglichkeiten werden, werde man den Medientreff aber nicht mehr gänzlich kostenfrei anbieten können, wagte Naumann einen Blick in die Zukunft: „Ich gehe davon aus, dass es auch im nächsten Jahr einen Medientreff geben wird. Wir werten noch die Teilnehmerbefragung aus und gehen dann schon wieder in die Planung.“

Sascha Fobbe

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Autorin Sascha Fobbe war Mitglied im Vorbereitungsteam des Medientreffs 

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