Martin Jones: „Country Music ist sehr wohl angesagt“

country music unsplash C27F4A31 7236 4232 8E07 8A1AC0FF1EA5Country Music und das deutsche Radio – eine heute schwierig gewordene Beziehung. Während die Bauer Media in Großbritannien gerade mit der Einrichtung des landesweiten Country Hits Radio auf den dortigen Country-Boom reagiert, kommt das Genre hierzulande über Antenne eher schlecht daher: eine Handvoll einschlägiger Klassiker in den Rotationen der Oldie- und Landeswellen, ein paar Spezialsendungen wie bei Deutschlandfunk Kultur oder kleinen bayerischen Lokalsendern – das war es aber auch schon. Country Music ist in den Programmen deutscher Sender kaum mehr wahrnehmbar. 

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Viele Specials bei öffentlich-rechtlichen und privaten Wellen dagegen, die in den 2000er-Jahren dort noch zu hören waren, sind inzwischen eingestellt. Wie zuletzt bei WDR oder SWR. Einige sicher auch wegen eines fehlenden Verständnisses bei den Verantwortlichen um das Genre – und eines Mangels an qualifiziertem Personal mit Sachverstand. Über den etwa die 84-jährige Radiolegende Walter Fuchs (SWF, RPR) verfügt, der in seinem 50. aktiven Jahr als Topexperte beim Hörfunk noch immer jede Woche seinen vielbeachteten „Country Club“ beim bundesweiten Schwarzwaldradio moderiert. Oder Martin Jones, dessen „Countryabend“ seit 27 Jahren bei der reichweitenstarken Landeswelle MDR SACHSEN-ANHALT zu hören ist. Unter dem Strich aber zu wenig für eine Musikkategorie, die bei Befragungen eigentlich selten schlecht bewertet wird. 

In Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich gibt Martin Jones Einblicke in die Welt der Country Music und berichtet über seinen wöchentlichen Dauerbrenner beim Mitteldeutschen Rundfunk.

MDR Country Show mit Martin Jones (Bild: ©MDR SACHSEN-ANHALT-Moderator Martin Jones (Foto ©MDR/Andreas Lander
MDR Country Show mit Martin Jones (Bild: ©MDR SACHSEN-ANHALT-Moderator Martin Jones (Foto ©MDR/Andreas Lander

RADIOSZENE: Herr Jones, Sie gestalten eine der letzten verbliebenen Country-Shows im öffentlich-rechtlichen Radio. Vor nicht allzu vielen Jahren waren es noch einige mehr. Ist Country Music nicht mehr angesagt? Bei Ihrem Sender wohl schon, denn die Sendung läuft ja schon viele Jahre…

Martin Jones: Erst einmal bin ich MDR SACHSEN-ANHALT sehr dankbar, dass der Sender eine Plattform für die Country-Musik bietet. Seit Bestehen des MDR, also seit 1992, gibt es diese Sendung, die sich im Laufe der Jahre immer weiter entwickeln konnte. Die Sendezeit wurde immer weiter verlängert. Inzwischen sind es vier Stunden, in denen ich für alle Hörerinnen und Hörer – die mehr von dieser Musik möchten als die Country-Hits, die im Tagesprogramm laufen – neue oder selten gehörte Titel spiele. Hören kann man den “Countryabend“ dienstags ab 19.00 Uhr live und anschließend auch jederzeit im Internet unter https://www.mdr.de/mdr-sachsen-anhalt/musik/countryabend100.html

Und Country-Music ist sehr wohl angesagt, wenn sich auch deutsche Interpreten sehr rar damit machen. Jetzt kommen immer mehr Country-Stars aus den USA zu uns herüber: Vertreter des New-Country wie Brad Paisley und Maren Morris, aber auch die alten Haudegen wie Kris Kristofferson sind regelmäßig in Deutschland zu Gast.

RADIOSZENE: Wie wurden Sie zum Freund des Genres, welche Interpreten haben Sie beeinflusst?

Martin Jones: Das muss so 1971 gewesen sein, da sah ich im Fernsehen eine Doku über Gefängnisse in den USA. Es wurde darin eine Sequenz gezeigt mit Johnny Cash, der im Folsom Prison ein Konzert gab und bei dem die Leute total ausgeflippt sind. In der Doku war auch Bob Dylan zu sehen, wie er mit Cash in einem Studio Musik einspielte. Das war der Moment, bei dem ich anfing, mich für diese Musik zu interessieren. Auch hörten wir zu Hause immer die alliierten Soldatensender und da wurde regelmäßig Country-Music gespielt. Aber richtig involviert wurde ich, als der Sound dieser Musik sich zu erneuern begann – Ende der 1980er, Anfang 1990er Jahre mit den Songs von Garth Brooks, Tim McGraw, George Strait, Chris LeDoux und so weiter.

RADIOSZENE: Ihr absoluter Hero?

Martin Jones: … schwer zu sagen … Hank Williams, der Country Pionier auf alle Fälle.

Martin Jones mit Lance Harrison (Bild: ©MDR/Gaby Conrad)
Martin Jones mit Lance Harrison (Bild: ©MDR/Gaby Conrad)

RADIOSZENE: Wann und wie wurden Sie als Programmgestalter für das Radio entdeckt?

Martin Jones: Ich saß zur Wende 1989/90 quasi auf der Straße, als ich in der Zeitung eine Anzeige las: Radio-Sachsen-Anhalt, Mitarbeiter gesucht. Ich rief an und wurde daraufhin zu einem Gespräch eingeladen. „Was möchten Sie denn gerne machen?“ wurde ich beim Bewerbungsgespräch gefragt. Ich antwortete: „Na – Country!“ Und ab da war ich dabei.

RADIOSZENE: Nun ist Country für den Experten ein großes Feld: es reicht von den vom Folk geprägten Ursprüngen, über Bluegrass, Western Swing, Country Pop bis hin zum jüngsten Genre-Ableger Americana. Welche Formen an Country Music präsentieren Sie in Ihrer Sendung? Gibt es Inhalte, die bei Ihren Hörern besonders gut ankommen?

Martin Jones: Ich denke, die Mischung macht’s. Es ist von allem etwas dabei. Es muss natürlich entsprechend angeboten und erklärt werden, ohne schulmeisterhaft zu wirken. Ich stelle mir immer vor, wie es wäre, wenn ich jetzt am Radio säße und unterhalten werden möchte. Das Feedback, das ich bekomme, scheint mir jedenfalls Recht zu geben.

RADIOSZENE: Welche weiteren redaktionellen Inhalte finden sich in Ihrer Show?

Martin Jones: Heutzutage ist es ja kein Problem mehr, an Originaltöne und Neuerscheinungen heranzukommen. Die Probleme liegen eher bei den Urheberrechten. Ich werde regelmäßig von den Plattenfirmen bemustert – es hat sich schon herumgesprochen, dass es da in Germany einen Sender gibt, der Country-Music spielt. Ich schaue auch regelmäßig, was es denn so Neues gibt in der Country-Szene: Wer mit wem, wer tourt wo, welche Neuerscheinungen gibt es, wer ist in den Country-Charts …

RADIOSZENE: Welche Trends innerhalb der US-amerikanischen Country-Szene sind derzeit besonders angesagt?

Martin Jones: Die Grenzen sind da fließend – wie bei allen Musikrichtungen. Die Country-Music ist zum Teil sehr poppig geworden mit LeAnn Rimes oder Carry Underwood, Taylor Swift, Gretchen Wilson. Aber es hat sich mit “Americana“ auch eine neue Stilrichtung etabliert …

 

„Ein Song, in dem keine Geschichte erzählt wird, ist keine Country-Music!“

 

RADIOSZENE: …was genau versteckt sich eigentlich konkret hinter dem Kunstbegriff “Americana“?

Martin Jones: Es ist eine Mischung aus Folk, Country, Blues, Rhythm and Blues, Rock’n’Roll, Gospel und anderen ethnischen Musikrichtungen der USA. Der Begriff wurde 1984 „geboren“, als ein Radio-DJ namens Mark Humpprey bei KCSN in Northridge, California, seine wöchentliche Sendung mit eben dieser Mischung ausstrahlte und zwar unter dem Namen “Honky Tonk Amnesia“. Dem Sender war der Name etwas zu lang und die Sendung wurde in “Americana“ umfirmiert. Mitte der 1990er wurde die Show dann abgesetzt und die Hörer begannen diese Stilrichtung zu vermissen. Die wurde dann von einem Medienkonzern aufgegriffen und seitdem unter dem Namen “Americana“ vermarktet. “Americana“ läuft aber etwas außerhalb des Mainstream-Formats. Allison Krauss und John Prine sind zwei bekannte Vertreter dieser Richtung.

RADIOSZENE: Für viele Europäer steht Country zu allererst für Trucker- Romantik. Ein Klischee?

Martin Jones: Ja, natürlich, angefeuert auch durch Fernsehen und Kino. Auch Hollywood hat seinen Anteil daran. Seit den 1930er-Jahren waren die Hauptdarsteller auch gleichzeitig Musikstars, siehe Gene Autry, Dean Martin und so weiter. Man schaue sich nur das Roadmovie “Convoy“ mit Kris Kristofferson an. Ich persönlich interessiere mich jedoch nur für die Musik.

RADIOSZENE: Welche Entwicklung nimmt derzeit die europäische Countryszene? Es gibt Experten, die viele europäische Countrymusiker künstlerisch mittlerweile auf Augenhöhe mit ihren US-Kollegen sehen?

Martin Jones: Absolut, jedenfalls was die musikalischen Fähigkeiten betrifft. Gerade in der Folkszene und im akustischen Bereich hat Europa einiges zu bieten. Hier sei nur das “Rudolstadt-Festival“ erwähnt. Es heißt nicht umsonst “Germanys Big World Music Festival“.

RADIOSZENE: Haben Sie einen Überblick, aus welchen Bevölkerungsschichten sich Ihre Hörerschaft zusammensetzt?

Martin Jones: Ich habe einen sehr lebhaften Kontakt zu meinen Hörerinnen und Hörern, per Mail und Facebook. Das geht durch alle Schichten, da gibt es die Busfahrerin, die sich ihren Dienst immer so legt, dass sie meine Sendung während ihrer Schicht im Bus verfolgen kann.

Trucker, die sich ihre Tour so einplanen, dass sie auf dem Rastplatz Kasseler Berge meine Sendung verfolgen können und dabei gleichzeitig ihre Ruhepause einlegen können. Aber die Sendung wird auch über den Onlinestream zum Beispiel in Kanada gehört. Auf meine Frage, was denn so Besonderes an meiner Sendung sei, zumal man ja in Kanada auch viele Country-Sender empfangen kann, bekam ich die Antwort: „Ja, aber nicht in dieser Mischung“.

RADIOSZENE: Sie sind selbst Musiker. Wie sehr hilft Ihnen das bei der Gestaltung der Sendung?

Martin Jones: Es ist schon sehr hilfreich, wenn man auf musikalische Besonderheiten hinweisen kann und die Sendung so fährt, dass die Songs nicht aneinander crushen. Auch achte ich darauf, dass ein Anschlusssong, wenn er auch nicht in der gleichen Tonart ist, doch zumindest als harmonisch empfunden wird.

RADIOSZENE: Wird Country in den deutschen Medien und auch durch die hiesigen Musiklabels unterbewertet?

Martin Jones: Ja, leider. Ich sprach neulich mit einem Promoter über dieses Problem. Er sagte, dass Country-Music von vielen Labels als eine Sparte und Nische angesehen wird, so ähnlich wie Jazz.

Martin Jones (re.) bei einem Auftritt als Musiker bei den Nashville-Days in Magdeburg (Bild: ©Martin Jones)
Martin Jones (re.) bei einem Auftritt als Musiker bei den Nashville-Days in Magdeburg (Bild: ©Martin Jones)

RADIOSZENE: Müssten sich die großen US-Stars der Szene nicht öfter hier bei Konzerten zeigen?

Martin Jones: Ich war neulich in Hamburg bei einem Shania-Twain-Konzert. Es war restlos ausverkauft, und der Vorverkauf für das “Country-To-Country-Festival“ in Berlin läuft sehr gut! Also, der Bedarf ist da! 

RADIOSZENE: Wie wird sich Ihrer Meinung nach das Genre mittelfristig in Deutschland entwickeln?

Martin Jones: Da Magdeburg die Partnerstadt von Nashville ist und hier in der „Festung Mark“ jährlich die “Nashville-Days“ stattfinden, komme ich mit dem Publikum auch persönlich in Kontakt. Ich stelle immer wieder fest, wie dankbar die Leute sind, dass es so eine Veranstaltung mit viel Country-Music und Gästen auch aus Nashville gibt. Im Grunde genommen bin ich aber zufrieden, dass auf MDR SACHSEN-ANHALT und anderen Sendern die Country-Music auch im Tagesprogramm läuft. Es reicht, um erst mal den „Tagesbedarf“ abzudecken. Und wer mehr hören möchte, kann sich ja meine Sendung anhören.

RADIOSZENE: Vervollständigen Sie abschließend den Satz: Country Music und Radio ergänzen sich perfekt, weil…

Martin Jones: … es angenehm klingt, Geschichten erzählt werden, zum Beispiel “Lucille“, Kenny Rogers mit “Ruby“… 

Übrigens, ein Song, in dem keine Geschichte erzählt wird, ist keine Country-Music! ALLE Altersklassen sind zugelassen! Das sagt doch alles …