Der Aufbau junger Hörfunkmarken wie Fritz oder 1LIVE war in den 1990er-Jahren eine Antwort der ARD auf den seinerzeit grandiosen Siegeszug der TV-Musiksender MTV und Viva. Doch während der Höhenflug der Videoclip-Formate (verhältnismäßig) rasch wieder sein Ende fand, behaupten sich die inzwischen im fortgeschrittenen Twenalter angekommenen Juniorprogramme der Öffentlich-Rechtlichen weiter mit konstant stabilen Reichweiten. Zwar müssen im Radiokosmos gerade die jungen Wellen (der Begriff „Jugendradios“ wirkt heute eher anachronistisch) sich wohl am intensivsten mit grundlegend gewandelten Hörgewohnheiten und ständig neuen medialen Konkurrenzangeboten wie den Streamingdiensten auseinandersetzen, doch scheint ihnen dies bei der Hörerbindung zumindest bis heute recht ordentlich zu gelingen.
Trotz gelegentlich aufkommender Kritik an der Zielgruppenansprache erreicht beispielsweise das junge norddeutsche Programm N-JOY „heute mehr Hörerinnen und Hörer als vor 20 Jahren“, wie Programmchef Norbert Grundei anmerkt. Das Vierländer-Angebot des Norddeutschen Rundfunks für Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg feierte am 4. April gerade seinen 25. Geburtstag.
Norbert Grundei kam bereits zum Sendestart in 1994 als freier Mitarbeiter zu N-JOY. 1997 wurde er als Redakteur beim NDR angestellt und arbeitete in der Programmplanung, der Layout-Redaktion sowie als Leiter und Moderator der „N-JOY Morningshow“. Seit Januar 2002 ist er Programmchef.
In Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich spricht Norbert Grundei unter anderem über die N-JOY Musik und das veränderte Nutzungsverhalten junger Hörer.
„Ich glaube nicht, dass man heute noch trennscharf nach Altersgruppen programmieren kann“
RADIOSZENE: Herr Grundei, N-JOY feierte im April 25. Geburtstag. Sie sind als Mitarbeiter der ersten Stunde und langjähriger Programmchef kundiger Zeitzeuge. Wie sind Sie damals zum Sender gestoßen?
Norbert Grundei: Noch sehr analog: Ich habe damals von dem Projekt gelesen, beim NDR angerufen und mich beworben.
RADIOSZENE: Wie zufrieden sind Sie mit der Reichweitenentwicklung des Programms on air und online?
Norbert Grundei: Ich bin nie ganz zufrieden. Aber wenn man bedenkt, wie radikal sich der Medienmarkt für junge Zielgruppen seit Sendestart 1994 verändert hat, ist es schon bemerkenswert, wie sich N-JOY im linearen Programm entwickelt hat. Gleichzeitig treiben wir unsere digitale Distribution weiter voran und haben mit der N-JOY App einen erfolgreichen eigenen Channel etabliert.
RADIOSZENE: Zuletzt gab es ja Diskussionen über die Zielgruppenansprache von jungen Radios. An welche Personen ist N-JOY adressiert und welche Hörerschaft erreichen Sie als Kerngruppen tatsächlich?
Norbert Grundei: N-JOY macht ein junges Programm. Im Kern sind das die 14 bis 29Jährigen. Auch bei 30 bis 39 sind wir noch gut vertreten – da sind sicher viele Hörerinnen und Hörer dabei, die schon eine lange N-JOY Historie haben.
RADIOSZENE: Wie gehen Sie in der Ansprache mit den Hörern am Rande um – also mit Kindern unter 14 Jahren oder jungen Erwachsenen jenseits der 35 Jahre, die den Sender aus liebgewonnener Gewohnheit weiter hören: Ausgrenzen oder inhaltlich zumindest gelegentlich mit adäquaten Angeboten mitnehmen?
Norbert Grundei: Ich glaube nicht, dass man heute noch trennscharf nach Altersgruppen programmieren kann. N-JOY steht für Jugendlichkeit, in Bewegung sein, Offenheit für Neues. Natürlich erreichen wir damit vor allem junge Menschen. Aber es gibt auch junge Menschen die im Kopf schon älter sind und umgekehrt. Da es im Radio keine „Türsteher“ gibt, hören uns auch Menschen, die nicht qua Zielgruppendefinition jung sind.
RADIOSZENE: Kommt die Planung eines jungen Programmformats heute nicht per se schon einer schwer lösbaren Aufgabe gleich? Wie heterogen und tolerant sind die Erwartungshaltungen der Generationen Y und Z an ein heutiges Hörfunkformat?
Norbert Grundei: Mir liegt dieses Denken in Generation Y oder Generation Z nicht so sehr, weil es meines Erachtens die Dinge zu stark vereinfacht. Ja, wir haben unterschiedliche Mediensozialisationen. Ja, die Mediennutzung hat sich verändert. Ja, auch die Erwartungshaltung verändert sich. Das alles macht die Planung nicht einfacher.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Konstanten: Einzigartiger, für eine Zielgruppe professionell und konsequent produzierter Content funktioniert. Persönlichkeiten sind wichtige Treiber für den Erfolg von Formaten. Entscheidend ist, dass wir nicht stehenbleiben, sondern uns frühzeitig fragen: Was verändert sich in der Mediennutzung und wie können wir diese Entwicklung mit Inhalten und Persönlichkeiten mitgestalten.
RADIOSZENE: N-JOY ist in einem sehr großen sowie kulturell und sozio-demografisch heterogen auseinander driftenden Sendegebiet zu hören. Wie sehr bestimmen diese Voraussetzungen die Programminhalte?
Norbert Grundei: Wir wollen als öffentlich-rechtliches Programm ein integrierender Faktor sein. Wir erreichen sehr unterschiedliche Hörergruppen, in Metropolen und der Region, in Ost und West. All diese Hörerinnen und Hörer sollen Teil der Community sein.
„Pop-Musik, die sich immer neu erfindet, ist und bleibt prägend für N-JOY“
RADIOSZENE: Ein wichtiger Programmbaustein ist die Musik. Welche Trends stehen bei Ihren Hörern derzeit besonders hoch im Kurs? Gibt es dennoch fixe Konstanten, die Ihr Programm dauerhaft prägen?
Norbert Grundei: Pop-Musik, die sich immer neu erfindet, ist und bleibt prägend für N-JOY: Momentan zeigt sie sich sehr DJ-lastig, aber auch das wird sich wieder ändern.
RADIOSZENE: Der Blick in die Single-Charts zeigt dort einen sehr hohen Anteil an Rap und HipHop. Wie stark berücksichtigen Sie das Genre bei N-JOY?
Norbert Grundei: Weil Streaming-Plays sehr stark in die Charts einfließen, sehen wir dort aktuell eine Dominanz von einer bestimmten Form des deutschen HipHops. Hätte man in den 90er auch das Abspielen von CDs in die Charts miteinberechnet – vielleicht hätten die Top 100 damals auch anders ausgesehen. Wir spielen sehr wenig deutschen HipHop, weil er einerseits bei unserem Publikum sehr polarisiert und andererseits viele Texte aus unserer Sicht nicht zu N-JOY passen.
RADIOSZENE: Ist die Musikgestaltung im Tagesprogramm bei den jungen Wellen über die Jahre schwieriger geworden? Wie sehr wirkt sich beispielsweise die sich immer schneller drehende Rotation bei den Veröffentlichungen und die kürzer werdende Haltbarkeit an Künstlerpersönlichkeiten und Trends aus?
Norbert Grundei: Früher ging es um Alben, später eher um Künstler und heute vor allem um Tracks. Wenn die erste Single funktioniert hat, ist die Zweite kein Selbstläufer mehr. Das macht die Auswahl neuer Titel komplizierter. Man braucht exzellente Leute in der Musikredaktion. Ich freue mich, dass wir mit Axel vom Bruch und seinem Team die richtigen Mitarbeiter am richtigen Platz haben.
RADIOSZENE: Das Programm von N-JOY enthält von Beginn einen sehr hohen Anteil an musikredaktionellen Elementen. Welchen Stellenwert haben diese Angebote für das Gesamtprogramm, an welche musikalische Vorlieben wenden sich diese Specials?
Norbert Grundei: Am Abend möchten wir den Hörerinnen und Hörern unseres Tagesprogramms die Möglichkeit geben, noch mehr neue Musik zu entdecken. Auch hier bildet Pop den Kern. Genre-Specials bieten wir aktuell zu HipHop mit DJ Mad von den „Beginnern“ und Dance an, dazu kommen Konzert-Sendungen und der Musik-Talk „Music Meeting“. Die Abendsendungen „N-JOY Pop“ und „N-JOY Neu“ geben unserem Publikum dazu einen breiten Überblick über Neuheiten. Ich bin der Überzeugung, dass es für das Radio in Zukunft noch wichtiger werden wird, Musik journalistisch vorzustellen und zu kuratieren.
„Ich bin der Überzeugung, dass es für das Radio in Zukunft noch wichtiger werden wird, Musik journalistisch vorzustellen und zu kuratieren“
RADIOSZENE: Streaming verfügt heute in den Strategien der Musikwirtschaft über einen alles überragenden Stellenwert. Die digitalen Formate haben die CD und Schallplatte als meist genutzte Formate längst abgelöst. Diverse Songproduktionen sind bereits auf die Vermarktungsabläufe der Streamingdienste angepasst. Bei den Veröffentlichungsterminen neuer Songs heißt es oft: Spotify first! Wie schmecken Ihnen diese Veränderungen?
Norbert Grundei: Radio ist ein sehr wichtiges Medium für Pop-Musik. Wir legen Wert darauf, dass wir bei Veröffentlichungsterminen nicht benachteiligt werden. Wenn es doch zu häufig passiert, müssen wir reden.
RADIOSZENE: N-JOY setzt sehr intensiv auf die Schwerpunkte Konzerte und eine intensive Nutzung der Online-Kanäle. Sind diese Instrumente heute elementar für ein junges Radio? Welche Rolle spielen hier Audiotheken und Podcasts?
Norbert Grundei: Lineare Ausstrahlung über UKW und DAB+ ist nach wie vor der reichweitenstärkste, aber längst nicht mehr der einzige Weg: Wir sind über die N-JOY App, Podcast-Plattformen, Radio-Aggregatoren und Social Media Profile erreichbar. Wir bieten Live-Radio, zeitsouverän nutzbare Podcasts und auch Videos an. Wir legen großen Wert auf den Aufbau eigener digitaler Plattformen, bei denen wir die Hoheit über unsere Verbindung zu den Nutzerinnen und Nutzern haben. Deshalb sind die „N-JOY App“ und auch die „ARD Audiothek“ so wichtige Angebote für uns. Den neuen Podcast „Deutschland3000 – ’ne gute Stunde mit Eva Schulz“, den wir federführend für die jungen ARD-Radios produzieren, veröffentlichen wir daher exklusiv bereits am Dienstagabend in der „ARD Audiothek“, bevor er am Mittwoch auf den anderen gängigen Plattformen verfügbar ist.
Podcasts werden immer wichtiger: Mit „Deutschland3000“, „Was wollen wissen – mit Fettes Brot“, „Talk ohne Gast“ (mit Fritz vom rbb) und „War noch was – mit Kuhlage und Hardeland“ haben wir bereits ein schönes Portfolio in diesem Segment aufgebaut, dass wir künftig noch erweitern werden.
RADIOSZENE: Mit welchen redaktionellen Angeboten grenzen Sie sich von Ihren Mitbewerbern im Sendegebiet ab? Wo liegen hier Ihre Schwerpunkte?
Norbert Grundei: Relevante Themen in hoher öffentlich-rechtlicher Qualität kompakt für unsere jungen Hörerinnen und Hörer aufbereiten. Das ist unser Ziel. Caren Miosga, die früher bei N-JOY war, hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass sie genau das bei uns gelernt hat und es bei ihrer Arbeit für die „Tagesthemen“ immer noch einsetzen kann.
Ob in den N-JOY News, in unseren aktuellen Interviews oder in Spezialformaten wie „Eine Stunde, ein Leben“ bei Nina Zimmermann und Christian Haacke am Nachmittag – wir denken immer sehr viel darüber nach, wie wir ein Thema so verständlich wie möglich umsetzen können.
Zu unseren Schwerpunkten gehören auch Spezialwochen, die wir zum Beispiel zu Umwelt-Themen wie „Plastik“ oder „Pappbechern“ machen. Auch eine Social Responsibility-Aktion wie „Kopf hoch. Das Handy kann warten.“ ist ein klares Differenzierungsmerkmal für N-JOY.
RADIOSZENE: Erste Privatsender wie der niedersächsischer Marktteilnehmer Antenne Niedersachsen experimentieren bereits mit personalisiertem Radio, bauen ihre Sub-Marken im Internet gezielt aus. Sind dies bereits Entwicklungen, die schon bald Auswirkungen auf die Hörgewohnheiten und die allgemeine Konkurrenzsituation haben können?
Norbert Grundei: Wir beobachten sehr genau, was in den Bereichen Personalisierung, Streaming, Voice Assistants und Podcast passiert. Wir experimentieren, beteiligen uns an Forschungsprojekten von Hochschulen und sind im engen Austausch mit allen relevanten Akteuren.
Es ist völlig klar, dass sich die Hörgewohnheiten verändern und neue Wettbewerber auf der Bildfläche erscheinen werden. Unser Ziel ist es, auf alle Zukunftsthemen möglichst gut vorbereitet zu sein und zugleich unser heute wichtiges lineares Programm so hochwertig wie möglich anzubieten.
RADIOSZENE: Lassen Sie uns ein wenig nach vorne blicken: wie müssen junge Radiowellen und N-JOY im Besonderen aufgestellt sein, um die Menschen auch in Zukunft an das Radio zu binden?
Norbert Grundei: Einzigartiger Content ist der Schlüssel zum Erfolg: Besondere Moderatorenpersönlichkeiten wie „Kuhlage und Hardeland“, exklusive Events wie die „N-JOY Geheimkonzerte“, eine großartige Interviewerin wie „Eva Schulz“ in ihrem Podcast „Deutschland3000“, die Radionachrichten der beliebten Satireseite „Postillon“ bei N-JOY, eine Aktion wie „Kopf hoch. Das Handy kann warten“ oder ein tiefgehendes Format wie „Eine Stunde ein Leben mit Nina Zimmermann und Christian Haacke“. Davon werden wir in Zukunft mehr brauchen. Und – wir kommen um das Buzzword nicht herum – wir sollten bei der Entwicklung von Formaten „agiler“ werden. Wir müssen unsere neuen Programm-Elemente näher an den Hörerinnen und Hörern entwickeln, mehr interdisziplinäre Teams haben, schneller damit on air sein und – wenn es mal nicht funktioniert – sie früher auch wieder off air nehmen.
„Hätten wir uns nicht verändert, gäbe es uns nicht mehr“
RADIOSZENE: Wie sehr haben sich N-JOY und die Radiowelt im Laufe der letzten 25 Jahre verändert?
Norbert Grundei: Hätten wir uns nicht verändert, gäbe es uns nicht mehr. Seit den 90ern hat sich die Zahl der Audio-Angebote für die junge Zielgruppe vervielfacht. Trotzdem erreichen wir heute mehr Hörerinnen und Hörer als vor 20 Jahren. Das funktioniert nur, weil wir N-JOY kontinuierlich weiterentwickelt haben. Die Veränderung der Radiowelt hat allerdings gerade erst begonnen. Ich bin sehr glücklich, mit einem Team zusammenzuarbeiten, das diese Zeiten spannend findet und die Zukunft selbst gestalten will.
RADIOSZENE: Mit welchen Highlights feiern Sie das besondere Jubiläum Ihres Programms?
Norbert Grundei: Wir haben vor allem sehr viele Aktionen für unsere Hörerinnen und Hörer im Programm. Ein Highlight war das N-JOY Geheimkonzert mit „Bosse“ auf der „MS Stubnitz“ im Hamburger Hafen. Das NDR Fernsehen hat eine Doku zu „25 Jahre N-JOY“ produziert, die in der NDR Mediathek abrufbar ist. Und wir schauen im Rahmen eines kleinen Mediensymposiums in die Zukunft und diskutieren die Themen Podcast, Künstliche Intelligenz und Sprachassistenten.
Michael Schmich