Sendeschluss für den eiligen Geist

Bitter Lemmer Logo 2010Radio Paradiso in Berlin ist ein beliebiger Low-Budget-Sender, der sich kirchlich nennt, aber rund um die Uhr ein 08/15-Weichspül-Musikprogramm dudelt und redaktionell auf billigste Art und Weise produziert. Dass der Sender jetzt plötzlich eine medienpolitische Kontroverse entfacht, hat nichts mit seiner programmlichen Relevanz zu tun, sondern damit, dass die evangelische Kirche zu den Gesellschaftern gehört und dass die Medienbehörde MABB seine Lizenz nicht verlängert hat. Im November ist Schluss mit dem Pfaffenradio.

Das ist zu begrüßen. Der Skandal liegt nicht darin, dass Radio Paradiso seine Frequenz räumen muss, sondern er lag darin, dass die Kirche überhaupt eine eigene Frequenz bekommen hat. Sie ist am Rundfunk ohnehin beteiligt, deshalb nämlich, weil die Politik sie entgegen der gesellschaftlichen Realität als „gesellschaftlich relevante Gruppe“ mit Sitz und Stimme in den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Sender ausstattet, wo sie sich folglich zu jedem Thema in den Nachrichten verbreiten darf oder im Wort zum Sonntag ihre Kommentare zu Themen wie Gerechtigkeit, Globalisierung oder gierigen Finanzhaien verbreiten. Als ob an so etwas Mangel herrschte, als ob man dafür eine Kirche bräuchte.

MABB-Direktor Hans Hege hat mir die Entscheidung des Medienrates auf zweierlei Weise begründet. Der eine Grund liege im „redaktionellen Programm“ des Senders. Das ist in der Tat so banal, dass es nicht lohnt, es näher zu beschreiben. Es besteht aus weichgespülten, nichtssagenden Phrasen, die genauso unauffällig herumplätschern wie die einschläfernde Wellness-Musikmischung. Der zweite Grund sei grundsätzlicher Natur. Laut Staatsvertrag sei es nun einmal so, dass nach einer Lizenzperiode eine zweite angehängt werden könne, danach aber die Frequenz neu ausgeschrieben werden müsse. Und die Ausschreibung sei eben offen, da habe der bisherige Lizenzinhaber dieselben Chancen wie jeder andere auch.

Die Frage sei dann gewesen, welchem Bewerber mehr zuzutrauen sei. Der Medienrat, sagt Hege, habe dem Sender Oldiestar eben mehr zugetraut als Radio Paradiso. Dabei spielte wohl auch eine Rolle, dass Oldiestar nun schon geraume Zeit dank magerer Frequenzausstattung nur ein paar Dörfer nördlich von Berlin beschallen oder sein Programm auf irgendwelchen Mittelwellenkanälen ins Nirwana senden darf, aber wirtschaftlich trotzdem über die Runden kommt. Zudem habe der Medienrat einen Ermessensspielraum, und den habe er bei seiner Entscheidung auch ausgeschöpft.

Damit hat er sich freilich den Zorn des Klerus eingehandelt. Berlins Landesbischof Markus Dröge protestierte, das Diakonische Werk schloss sich dem Protest an. Man ahnt schon, dass mal wieder ein paar Funktionäre so tun werden, als würde der Stadt quasi das Herz herausgeschnitten, wie damals, als das völlig überschätzte Radio Multikulti abgeschaltet wurde. Die Mischung aus Unterhaltung und „kirchlichen Inhalten“ sei einzigartig, jammert Diakonie-Chefin Susanne Kahl-Passoth. Natürlich zieht sie auch das immer gern genommene Killerargument mit den Arbeitsplätzen hervor. Nach ihrer Zählung sind es 64 Jobs, die wegfallen würden. Dass die dann anderswo neu entstehen, sagt sie natürlich nicht, weil es ihr darum nämlich gar nicht geht. Tatsächlich geht es ihr nur darum, der Kirchenlobby den eigenen Sender zu erhalten.

Radio Paradiso ist ein typisches Beispiel dafür, wie in Deutschland eine Gesellschaft mit Scheinrealitäten irregeführt wird. In Presseerklärungen und in der Papierform wird ein Popanz aufgebaut, wird so getan, als betreibe man eine geradezu altruistische Nothilfe für die Leidenden dieser Welt. Schaltet man das Programm ein, hört man nichts davon, rein gar nichts. Die eine Realität ist die interne Gremienrealität, die andere ist das, was aus dem Lautsprecher tönt.

Gerade die evangelische Kirche ist darin ohnehin ziemlich gut. Die fröhliche Ex-Bischöfin Margot Käßmann feierte ihr Comeback beim Kirchentag in München typischerweise nicht mit theologischen Einsichten oder besonders gekonnter Verkündung, sondern mit der Aussage, die Pille sei ein „Geschenk Gottes“.  Dem mag man zustimmen oder nicht, aber mit Herrgott, Jesus Christus und dem Heiligen Geist hat das nichts zu tun. Eher mit dem eiligen Zeitgeist, dessen Flachheit sich auch im Paradiso-Programm spiegelt.

Da gefällt mir ein weiterer Satz von MABB-Direktor Hege viel besser: Dass nämlich auch andere mal eine Chance bekommen sollten. Die Entscheidung, Radio Paradiso abzuschalten, traf der Medienrat übrigens einstimmig.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de