Wenn Lobbyisten zu weit gehen

James Cridland's Radio FuturePünktlich um 20 Uhr war es soweit an die­sem 23. November 1923: Der ers­te Rundfunksender in Australien ging auf Sendung. 2SB hieß er und er war nur zu emp­fan­gen in einem soge­nann­ten „Sealed Set“, einem ver­sie­gel­ten Empfangsgerät. Wer zuhö­ren woll­te, muss­te sich einen sol­chen spe­zi­el­len Empfänger kau­fen und muss­te außer­dem eine Lizenz erwer­ben. Aus den Einnahmen die­ser Lizenz wur­den die Sendungen bezahlt. Der Empfänger emp­fing nur 2SB. Wenn man die wenig spä­ter hin­zu­ge­kom­me­ne Konkurrenz 2FC hören woll­te, muss­te man sich ein ande­res Radio kau­fen und wie­der­um eine Lizenzgebühr zah­len. Die Idee flopp­te auf der gan­zen Linie. In den ers­ten sechs Monaten wur­de gera­de ein­mal knap­pe 1.500 sol­cher Radios ver­kauft, und nach noch nicht ein­mal einem Jahr ließ die Radiobranche die Idee mit den ver­sie­gel­ten Empfängern fallen.

2019 möch­te Commercial Radio Australia, die Lobby-Organisation der aus­tra­li­schen Privatsender, sol­che ver­sie­gel­ten Empfänger am liebs­ten zurück­ha­ben. Wenn auch nur online.

In einem Antrag an die Regierung ersucht die Organisation unter ande­rem um eine gesetz­li­che Vorschrift zur Entfernung von Links auf Radio-Livestreams und Podcasts, die “ohne Genehmigung der Content-Eigner” gesetzt wurden.

Als Grund dafür wird ange­ge­ben, dass Leute, die von anders­wo auf die Livestream- und Podcast-Links kli­cken, über­haupt kei­ne Notwendigkeit mehr sehen, die Websites der Radiostationen zu besu­chen. Den Radio-Unternehmen wür­den dadurch Einnahmen aus der Bannerwerbung auf sol­chen Websites entgehen.

Nun ja…

Zunächst ein­mal besteht über­haupt kei­ne Notwendigkeit, den Staat da mit hin­ein zu zie­hen. Wem nicht gefällt, dass jemand auf sei­nen Livestream linkt, der kann ihn davor schüt­zen. Netflix, Spotify und sogar der Apple-Dienst Beats 1 machen es schließ­lich vor, wie man Links auf erfolg­rei­che Weise schützt, so dass sie nur die Leute errei­chen, die sie auch errei­chen sol­len. Und wer kei­ne Links auf sei­ne Podcasts mehr möch­te, braucht nur den RSS-Feed zu ent­fer­nen und schon kann nie­mand mehr einen Link auf die­sen Podcast set­zen. Die Technologie zum Schutz von Streams und Dateien gibt es schließ­lich schon seit min­des­tens 20 Jahren.

Zweitens: Für eine wer­be­fi­nan­zier­te Plattform ist es genau die fal­sche Strategie, wenn man sein poten­zi­el­les Publikum begrenzt. Die bes­te User-Erfahrung hat man idea­ler­wei­se auf der eige­nen Plattform, aber der Content soll­te über­all sein. Schließlich geht es nicht dar­um, irgend­ein Kleingeld mit die­sen schreck­lich blin­ken­den Bannern auf dei­ner Website zu ver­die­nen, die von 30% aller Besucher ohne­hin geblockt wer­den. Das Hauptziel soll­te in der Gewinnung von mehr Hörern für dei­nen wer­be­fi­nan­zier­ten Content bestehen. Dort liegt das Potenzial. Und alles, was dem im Weg steht, ist die fal­sche Strategie.

Drittens: Das Internet ist durch Links groß gewor­den. Ein recht­li­cher Schutz statt eines Links auf einen Livestream ver­stößt gegen alle Naturgesetze des Internets. Man will doch Beachtung fin­den, also soll­te man sich freu­en, wenn ande­re Links dar­auf set­zen. (Gut, wenn man nicht gese­hen wer­den will, kann man sich natür­lich auch schützen.)

Viertens: Podcasts wer­den zu Podcasts, weil der Podcaster einen RSS-Feed ver­öf­fent­licht. Dieser Feed wird eben mit der erklär­ten Absicht ver­öf­fent­licht, um ande­re Websites und Apps dabei zu unter­stüt­zen, ein­zel­ne Folgen des Podcasts zu fin­den, ohne dabei jeweils um for­mel­le Genehmigung bit­ten zu müs­sen. Podcasts ver­dan­ken ihren Erfolg der Tatsache, dass sie öffent­lich sind. Wer also gegen Leute vor­geht, die auf sei­nen Podcast ver­lin­ken, stellt das gesam­te Medium in Frage.

Fünftens: Was soll das mit der „Genehmigung der Content-Eigner“? Bei vie­len Inhalten, die im Radio gesen­det wer­den, sind nicht die Sender der Eigentümer, son­dern die Plattenfirmen. Die Plattenfirmen haben die Radiosender ohne­hin auf dem Kieker und wer­den sich freu­en, dass man ihnen hier­mit eine recht­li­che Handhabe bie­tet, die es ihnen ermög­licht, auch dei­nen Internet-Streams den Saft abzudrehen.

Der Pressebericht spricht eini­ge Probleme an, ist aber irgend­wie weder Fleisch noch Fisch. So will man bes­se­re Messmöglichkeiten für Werbung, weni­ger staat­li­che Regulierung, dann aber auch wie­der mehr staat­li­che Regulierung, und natür­lich Geld. Aber die recht­li­chen Forderungen („ver­bind­li­che Rechtsnormen“) zu Links auf Streams und ins­be­son­de­re auf Podcasts sind eine gefähr­li­che Fehlentwicklung und zeu­gen von einer abso­lu­ten Unkenntnis über die Funktionsweise die­ses Mediums.

Es ist ent­täu­schend, dass Commercial Radio Australia sich offen­bar die Rückkehr zu den „Sealed Sets“ aus den 1920er Jahren wünscht. Man könn­te fast schon den Verdacht hegen, dass sie sich Anregungen geholt haben aus dem ein­zi­gen Land, in dem es sol­che Empfänger noch gibt: Nordkorea.


James Cridland
James Cridland

Der Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regel­mä­ßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch rele­vant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jähr­li­chen Next Radio con­fe­rence in Großbritannien. Er ver­öf­fent­licht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchent­li­cher Newsletter (in Englisch) beinhal­tet wert­vol­le Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kos­ten­los bestellt wer­den: james.crid.land.