Rücksturz in das Baden-Württemberg der 1980er Jahre. Der Südweststaat hat sich unter der CDU-Regentschaft von Ministerpräsident Lothar Späth mit seinem zupackenden Regierungsstil prächtig entwickelt. Der bisweilen etwas hemdsärmlig agierende Späth hatte vor allem die Wirtschaft in Schwung gebracht, verkrustete Strukturen aufgebrochen. Die Sympathiewerte für das „Cleverle“ steigen bei Badenern und Württembergern auf ein Allzeit-Hoch, die Bundespolitik lockt. Also alles paletti im Ländle der Tüftler und Häuslebauer? Nicht ganz, so wurde unter der Späth-Ägide neben zahlreichen erfolgreichen Projekten aber auch die unter dilettantischen Umständen einhergehende Einführung des Privatfunks vollzogen.
„Freies Radio“ sollte kommen, hieß es plötzlich. Die Bürger waren gespannt, potentielle Radiomacher ob mancher Versprechungen in freudiger Hochstimmung. Angeheizt wurde die Euphorie durch das im Stuttgarter Parlament wie selbstverständlich durchgewunkene neue Landesmediengesetz (LMedienG). Dieses sah die Möglichkeit vor, UKW-Frequenzen nicht nur an den öffentlich-rechtlichen Hörfunk, sondern auch an private Veranstalter zu vergeben.
Hintergründiger Auslöser dieser Veränderungen war nicht nur der allgemeine Liberalisierungsdrang des umtriebigen Späth und seiner Regierungspartei, sondern eher die Absicht mit dem Privatfunk ein publizistisches Gegengewicht zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufzubauen. Zu oft hatten die damaligen Landessender Süddeutscher Rundfunk und Südwestfunk die Politik des Landesvaters und Visionärs auch mit kritischen Beiträgen begleitet. Dies nagte – und sollte nun anders werden. Allerdings endeten manche Träumereien von bürgernahen Lokalradios und einer blühenden Privathörfunklandschaft bereits früh als krachende Flops. Ohne ausreichende Expertisen und auf dem für sie unbekanntem Terrain, waren die verantwortlichen Medienpolitiker und -aufseher in das Hörfunk-Abenteuer gestolpert – und hatten dabei teils irreparable Schäden anrichtet.
Die kurz zuvor als Lizenz- und Aufsichtsbehörde für den privaten Rundfunk ins Leben gerufene Landesanstalt für Kommunikation (LFK) schrieb Ende des Jahres 1986 die ersten Frequenzen für privates Radio aus, die in den Folgejahren zugewiesen wurden. Bei der Lizenzvergabe wurden möglichst mehrere Veranstalter in einem Verbreitungsgebiet zugelassen, die sich die Programmzeit per Sendezeitensplitting teilen sollten. Mit dieser Regelung wollte man den Vorgaben des LMedienG im Hinblick auf außenplurale Vielfalt Rechnung tragen. Naturgemäß führte die Frequenzvergabepraxis zu einer extrem beengten Hörfunklandschaft, in der sich mehr als 30 Regionalsender und annähernd 40 Lokalsender auf die Füße traten. Zudem hatte man bei der Architektur der wirtschaftlichen Ertragskraft und den geografischen Zuschnitten der Sendegebiete in vielen Fällen offensichtlich keinerlei Bedeutung beigemessen.
Diese ausufernde Vielfalt an Veranstaltern erwies sich als fatales Fehlkonstrukut: Immerhin bemerkte man bald, dass ein Sendezeitensplitting bei kommerziellen Sendern nicht sinnvoll war; teilweise wurden völlig unterschiedliche Radioformate innerhalb von 24 Stunden über ein und dieselbe Frequenz gesendet, was einen uneinheitlichen Programmfluss und damit eine fehlende Durchhörbarkeit einer Frequenz zur Folge hatte. Für manchen Anbieter dennoch viel zu spät wurde das Sendezeitensplitting wieder beendet. Wie viel Geld mit diesem Trugschluss verbrannt wurde lässt sich im Rückblick nur erahnen.
„Wir glaubten an einen großen Vorteil, der erste Start eines Privatsenders in Baden-Württemberg zu sein. Das Gegenteil war letztlich der Fall“
Als naive Einschätzung erwies sich zudem die Vorstellung der Staatskanzlei, die neuen Sender könnten als ernsthafte Mitbewerber die seinerzeit starken öffentlich-rechtlichen Radiomarken wie SWF1, SDR1, SWF3 oder SDR3 ad hoc aus dem Wettbewerb kegeln.Auch zeigte sich recht bald, dass die kleinen Verbreitungsgebiete mit mehreren Veranstaltern von Lokal- beziehungsweise Regionalsendern zu einer erheblichen Konkurrenzsituation führten, die in wirtschaftlicher Hinsicht einen auf 24 Stunden angelegten Betrieb eines Hörfunksenders außerordentlich schwierig machte. Hinzu traten noch fernmeldetechnische und -rechtliche Probleme. Eine wenig rühmliche Rolle spielt die seinerzeit für diese Aufgabe noch zuständige Deutsche Bundespost, die ihrem Auftrag zur Bereitstellung eines einwandfreien Sendebetriebes in vielen Fällen nur unzureichend nachkam. In der Folge beschloss man für die zweite Lizenzierungsperiode (1994 bis 2002) die Anzahl der Lokal- und Regionalsender zu Gunsten von größeren Verbreitungsgebieten erheblich zu reduzieren. Nur wenige Sender wie Hitradio OHR haben diese prüfungsreiche Zeit bis heute unbeschadet überstanden.
Die chaotische Einführung von privatem Hörfunk in Baden-Württemberg hat – mit allen ihren Auswüchsen – vielen redlichen Radiomachern das Rückgrat gebrochen. Als Zeitzeuge sprach RADIOSZENE Mitarbeiter Michael Schmich mit Radiopionier Gusty Hufschmid, der am 1. April 1987 mit seinem Hochrhein Radio Antenne 3 als erster privater Hörfunksender in Baden-Württemberg an den Start ging.Der unabhängige Medienunternehmer hatte zuvor einschlägige Erfahrungen als Radiomacher gesammelt. Als Erfinder der „mobilen Diskothek“ in Deutschland tourte Hufschmid in den 1970ern zunächst über 2000 Mal für die Sparkasse durch die Lande und produzierte für diese „nebenbei“ 12 Langspielplatten mit einer Gesamtauflage von rund 250.000 Stück.
Dann der Sprung zum Hörfunk: ab 1983 betrieb er den Feriensender „Radio Antenne 3“ am Gardasee, ehe er ab 1987, angetreten mit großen Hoffnungen, in seiner heimatlichen Region mit der harten Realität einer verkorksten Medienpolitik konfrontiert wurde.
Heute produziert Hufschmid erfolgreiche Filmreihen über die Städte und Landschaften am Hochrhein in seiner Heimat.
RADIOSZENE: Herr Hufschmid, Sie waren gleich mehrfach als Pionier dabei, wenn es um Unterhaltung und Radio ging. Wie zum Beispiel schon in den frühen 1970er-Jahren, als Sie mit Ihrer rollenden Discothek „Gusty’s Pop Shop“ im Dauereinsatz standen. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Gusty Hufschmid: Die Anfänge waren sogar noch ein paar Jahre früher. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre gründete ich meine erste Band „The Generation“, die im südbadischen Raum recht bekannt und erfolgreich war, und damals auch im Vorprogramm der Lords, Joy Unlimited und Petards spielten. Anfang der 70er sprießen überall die Discotheken aus dem Boden und ich überlegte mir dann nach Auflösung der Band 1971 mit einem Teil der Anlage eine „rollende Discothek“ auf die Räder zu stellen und über die Lande zu reisen.Der Faktor Zufall spielte eine große Rolle, denn als ein Mitarbeiter der PR-Abteilung des Sparkassen- und Giroverbandes eine Veranstaltung von „Gusty’s Pop Shop“ besuchte, entstand daraus die „Sparkassen-Disco“. Das einstige Hobby wurde zur Erfolgsgeschichte. Die Sache nahm immer größere Formen an. Zwischen 1975 und 1987 wurde ich mit meinem Team für annähernd 2.000 Jugend-PR-Veranstaltungen in Deutschland und Österreich gebucht mit einer Gesamtbesucherzahl von mehr als einer Million.
„Die damalige Politik und die Deutsche Bundespost glaubten, das Rad neu erfinden zu müssen und wir waren ganz einfach der Spielball für die beiden, quasi ein Versuchskaninchen“
RADIOSZENE: Wie hilfreich waren diese Events für die spätere Tätigkeit als Radiomacher?
Gusty Hufschmid: In dieser Zeit lernte ich die verschiedenen Musikepochen „hautnah“ kennen – fast täglich ein neues Publikum, eine andere Stadt, verschiedene Altersklassen des Publikums. Und vor allem natürlich viele wichtige Personen, vor allem auch bekannte Moderatoren aus Funk und Fernsehen. Durch die vielen Veranstaltungen lernte man natürlich auch die Menschen kennen und fand heraus, wie man diese begeistern und „entertainen“ kann – diese Gabe sollte jeder gute DJ im Gepäck habe. Er ist für das Publikum da und nicht das Publikum für ihn.
RADIOSZENE: Ab Anfang der 1980er-Jahre machten Sie dann Radio am Gardasee für deutsche Urlauber …
Gusty Hufschmid: Das war Abenteuer pur. Ich war mit meiner Familie am Gardasee und fand in meinem Kofferradio, wie die Dinger damals hießen, einen deutschsprachigen Urlaubersender namens Radio Gloria. Ich selbst, noch ohne Ahnung vom Radiomachen, fand die Sendungen nicht unbedingt professionell. Ich rief dort spontan den Betreiber des Senders an und der lud mich ins Studio ein. Ich informierte ihn über meine Kenntnisse in puncto Musik, Unterhaltung und Publikum, worauf er meinte, ich könne es bei ihm ja mal versuchen. 10 Minuten später, nach einer kleinen Einweisung, saß ich hinter dem Mischpult und moderierte die Vormittagssendung.
Der „Sendeleiter“ hatte plötzlich etwas in der Stadt Peschiera, dem Standort des Radios, zu tun und ließ mich alleine. Wie ich die Platten damals auf die Plattenspieler brachte, weiß ich heute nicht mehr. Andere sagen „Flattermann“ dazu. Ein Jahr später übernahm ich Studio und Frequenzen und so war 1984 Radio Antenne 3 am Gardasee geboren. Gesendet wurden tagsüber die stündlichen Nachrichten und ansonsten Unterhaltung pur für den gestressten Gardasee-Urlauber.
RADIOSZENE: War es damals für einen Ausländer nicht schwierig eine Sendelizenz zu erhalten, wie haben Sie das Unternehmen finanziert?
Gusty Hufschmid: Auch das war in Italien abenteuerlich. Eine offizielle Sendelizenz kannte damals wohl niemand. In jener Zeit, Anfang der 1980er-Jahre, gab es in Italien über 5.000 Radiostationen. Wurde eine Sendefrequenz aus irgendwelchen Gründen von einer anderen überlagert, wurde sie beziehungsweise deren Sendestandort (wenn er weit genug entfernt) war einfach „gekapert“ und von einem anderen Programm ausgeblendet – vielleicht kommt daher auch der Begriff „Piratenradio“ … Ich hatte das Gefühl, dass sich keiner für diese Zustände interessierte. Mit diesem Frequenzgerangel hatte ich Gott sei Dank nichts zu tun. Das Urlauberradio befand sich in den Räumen eines Lokalsenders in Peschiera und der Besitzer sorgte sich für viele Lira um die „freien Frequenzen“ rund um den Gardasee.
RADIOSZENE: 1987 starten Sie in Ihrer Heimatstadt Bad Säckingen mit Hochrhein Radio Antenne 3 das erste Privatradio in Baden-Württemberg. Mit welchen Programmkonzepten und Erwartungen gingen Sie damals an den Start?
Gusty Hufschmid: Die Erwartungen waren groß. Fast alle Moderatoren, die zum Sendestart-Team gehörten waren zuvor im „italienischen Trainings-Camp“ am Gardasee. Wir alle waren durch den Italiensender hoch motiviert und erfolgsverwöhnt. Aber Urlaubersender in Italien und Lokalradio in Baden-Württemberg waren nun mal zwei Paar Stiefel. In Italien wurde so Radio gemacht, dass es dem Hörer gefiel, also viel seichte Information über seine Urlaubsregion. Hinzu kam, es war wirklich ein Radio zum Anfassen. Man konnte ständig beim Sender anrufen und seine Anliegen mitteilen. Lokales Privatradio kannte man anfangs in Deutschland noch gar nicht wirklich. In Baden-Württemberg war Hochrhein Radio Antenne 3 der erste Sender, der am 1. April 1987 auf Sendung ging.
Hochrhein Radio Antenne 3: Aircheck vom Sendestart am 1. April 1987
Wir glaubten an einen großen Vorteil, der Erste zu sein. Das Gegenteil war letztlich der Fall. Die damalige Politik und die Deutsche Bundespost glaubten, das Rad neu erfinden zu müssen und wir waren ganz einfach der Spielball für die beiden, quasi ein Versuchskaninchen. Da machten Leute Gesetze über Radioinhalte und Sendestärken in einer topographischen schwierigen Gegend, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hatten. Sie versprachen einem das Blaue vom Himmel und alles war später wieder Makulatur.
„Das Landesmediengesetz schrieb vor, dass Verlage kein Radio machen dürfen, da sie ja ein funktionierendes Printmedium haben. Nach ein paar Monaten interessierte diese Zusicherung niemanden mehr“
RADIOSZENE: Harte Vorwürfe. Wie äußerte sich dieses Versagen?
Gusty Hufschmid: Nur zwei Beispiele: Erstens, wir hatten zwei Frequenzen, eine mit 100 und eine noch schwächere mit nur 50 Watt. Im Auto verloren sich die Sender hinter jeder zweiten Kurve. Die 100-Watt-Frequenz wurde zudem noch von einem sogenannten Eurosignal (Trägerfrequenz) aus der Schweiz überlagert, sodass man zwischendurch immer wieder einen Pfeifton hörte. Zweitens, das Landesmediengesetz schrieb vor, dass Verlage kein Radio machen dürfen, da sie ja ein funktionierendes Printmedium haben. Nach ein paar Monaten interessierte diese Zusicherung niemanden mehr. Begründung: „Was haben Sie denn? Sie wollten doch Radio machen und Sie haben die Möglichkeit dazu bekommen“. Dass man sich als echter, unabhängiger Radiobetreiber schwer tat gegen eine solche wirtschaftliche Übermacht, hinter der Millionen stehen, lag auf der Hand. Nur das wusste bei der Antragsstellung der Bewerbung niemand. Hierbei fehlten einem nun mal die Mittel. Die Dummen waren wieder, wie im richtigen Leben, die Kleinen. Die Konsequenz: Die großen Verlage kassierten anschließend deren Frequenzen und bauten ihre eigenen Sendegebiete aus.
RADIOSZENE: Wie stand es um die Hörerresonanz? Wie kamen Sie ohne die heute gängigen Vermarktungsspezialisten an Werbeeinnahmen?
Gusty Hufschmid: Die Hörerresonanz war sehr gut. Hochrhein Radio Antenne 3 wurde bei den Hörern in der Region vom Sendestart an angenommen. Auch hier wieder ein Radio zum Anfassen, was man von den öffentlich-Rechtlichen Anstalten in dieser Form ja bis heute kaum erwarten darf. Werbeeinnahmen – sehr schlecht. Der Grund erschließt sich aus der beschriebenen Misere um die unzureichende Sendestärkenversorgung beziehungsweise -qualität. Wer wollte sein Werbebudget bei einem Sender buchen, der über eine solch schwache Reichweite verfügt? Eine Situation, die vorab nicht ausprobiert oder eingeschätzt werden konnte.
Meine persönliche Bewertung war, dass man die „kleinen Anbieter“ mit jenen Vorgaben zur Aufgabe bewegt hatte, damit für die Verlegerradios „freie Fahrt“ sichergestellt werden konnte. Die nächsten Wahlen kommen bestimmt und da möchte man schließlich in Print und Funk prominent dargestellt werden☺. Da lobe ich das Konzept der Schweizer Medienpolitik, die damals schon wusste, wie „der Hase zu laufen hatte“. Aber nein, das Rad musste, wie ich schon sagte, neu erfunden werden: mit viel gepriesener „deutschen Gründlichkeit“ – und man brauchte ja schließlich auch einen Existenznachweis am grünen Tisch!
RADIOSZENE: Zwei Jahre nach Programmstart haben Sie den Sender verkauft, 1991 wurde er eingestellt. Mit welchen Gefühlen betrachten Sie heute die Sendelandschaft in Ihrer Region?
Gusty Hufschmid: Abgesehen vom Verlegerprogramm, das schließlich für seine Sendekette heute unsere Frequenzen bekommen hat, hat sich nicht viel getan. Hinzu stelle ich fest, dass unsere unmittelbare Region selten erwähnt wird. Interessantes läuft über die ehemaligen Frequenzen von HRA3 hauptsächlich aus der östlichen Region. Und dies ist von unserem Standort weit entfernt. Sehr viele Hörer sind auch wieder zu den öffentlich-rechtlichen Programmen wie SWR 4 zurückgekehrt oder hören Privatsender der unmittelbar angrenzenden Schweiz.
RADIOSZENE: Sie leben grenznah zur Schweiz, wo es ja auch eine vielfältige lokale Radioszene gibt. Gibt es etwas, was beim Schweizer Privatfunk besser lief und läuft?
Gusty Hufschmid: Die Beantwortung dieser Frage bedarf einer eigenen Rubrik. Prinzipiell ist zu sagen: Dort funktioniert der Lokalfunk mehrheitlich erfolgreich und alle können davon profitieren, beziehungsweise werden auch durch die Behörden quersubventioniert. Die Programmlandschaft besteht aus klar ausgewiesenen, kantonalen Sendegebieten mit entsprechend ausreichender Sendeleistung.
RADIOSZENE: Was nehmen Sie mit aus Ihrer Zeit als Radiopionier und -macher?
Gusty Hufschmid: Eigentlich wenig, außer: Traue keinem Politiker…!