COSMO-Musikchef Francis Gay: Popkultur ist unsere DNA

COSMOInterkulturell, jung, urban, spannend … so in etwa kann man in Kürze das Musikprogramm der internationalen Radiowelle COSMO beschreiben, die vom Westdeutschen Rundfunks Köln (WDR) und von Radio Bremen, in Zusammenarbeit mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) produziert wird. Ein gelungener Mix für Neugierige, Globetrotter und Musikfans, die auch gerne einmal „andere Sounds“ jenseits des Tellerrandes der  deutschen Radiolandschaft entdecken möchten. 

Funkhaus EuropaVorläufer von COSMO (so die Firmierung seit Januar 2017) waren Funkhaus Europa und die sogenannten „Gastarbeiterprogramme“, mit denen der WDR und andere Rundfunkanstalten der ARD seit 1961 der wachsenden Zahl von ausländischen Arbeitnehmern in Deutschland gerecht werden wollten. Nachdem diese Sendungen in verschiedenen Muttersprachen über Jahrzehnte an wechselnde deutschsprachige Radiowellen gekoppelt wurden, entschlossen sich die zuständigen Sender in den 1990er Jahren dazu, sie in einem eigenen Programm zusammenzuführen und durch ein deutschsprachiges Angebot zu ergänzen. Anlass dafür war vor allem die Erkenntnis, dass sich „die Idee des ‚Gast‘arbeiters längst überholt hatte und sich in einer Einwanderungsgesellschaft stattdessen die Begleitung und Förderung von kultureller Vielfalt (‚Diversity‘) zu einer Kernaufgabe öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme entwickeln würden.“ 

Nach einer mehrmonatigen Vorbereitungsphase wurde Funkhaus Europa am 30. August 1998 als neue Radiowelle von WDR und Radio Bremen in Nordrhein-Westfalen und Bremen gestartet. Seit dem 1. Januar 2009 ist Funkhaus Europa darüber hinaus in Berlin und Teilen Brandenburgs zu hören, und zwar auf den Frequenzen des zum Jahresende 2008 eingestellten Radio Multikulti (rbb), mit dem Funkhaus Europa zuvor bereits zusammengearbeitet hatte. COSMO hat Redaktionen in Köln, Bremen und Berlin. 

Unter der Leitidee „Global Sounds Radio“ wendet sich die Welle an ein kosmopolitisches, urbanes Publikum im Alter von 30 bis 50 Jahren, das an Internationalität, Vielfalt und einer besonderen Musikfarbe („Global Pop“) interessiert ist. Tagsüber sendet COSMO auf Deutsch. Abends werden Einschaltsendungen in den Muttersprachen der neun größten Zuwanderergruppen in Deutschland angeboten.  

Nach einer einschneidenden Programmkorrektur in 2016 kam Kritik an den Veränderungen auf. Anschließend ging es mit den Reichweiten (nach einem Höchststand in 2017) bergab – bevor die ma 2018 II Audio wieder einen spürbaren Aufschwung auswies. Das Durchschnittsalter der COSMO-Hörer beträgt 41 Jahren.

COSMO Francis Gay mit Rapperin Hayiti und Reporter Keno Mescher (Bild: ©WDR)
COSMO Francis Gay mit Rapperin Hayiti und Reporter Keno Mescher (Bild: ©WDR)

Im Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich gibt COSMO-Musikchef Francis Gay Einblicke in die Musikgestaltung des Senders.

RADIOSZENE: Herr Gay, wie sind Sie zum Radio gekommen?

Francis Gay: Radio hat mich als Kind bereits fasziniert und als ich Journalistik in Bordeaux/Frankreich studiert habe, wurde mir klar, Radio wird zu meinem Beruf. Der aktuelle Podcast-Boom macht mir daher großen Spaß.

RADIOSZENE: Welche Tätigkeitsfelder umfasst Ihr Aufgabengebiet?

Francis Gay: COSMO ist das junge, europäische Kulturradio vom WDR, modern und weltoffen. Als Musikchef gehört es zu meiner Aufgabe Songs, popkulturelle relevante Themen oder Events auszuwählen und zu gestalten, die das dazu passende Lebensgefühl beisteuern. Ebenso leite ich ein großartiges Team von etwa 30 MusikjournalistInnen.

RADIOSZENE: An welche Bevölkerungs- und Altersschichten wendet sich das Musikprogramm von COSMO?

Francis Gay: COSMO richtet sich als Tagesbegleitprogramm an ein urbanes, kosmopolitisches Publikum zwischen 20 und Anfang 50. Die Zielgruppe setzt sich herkunftsübergreifend aus Ausländern, Zuwanderern und Deutschen zusammen.

Fast jeder Vierte in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Unsere Musik spiegelt diese multikulturelle Gesellschaft und wir bezeichnen sie als Global Pop. Sie steht für ein kosmopolitisches, weltoffenes Bewusstsein, am Puls der Zeit. Unser Claim heißt dementsprechend „Der Sound der Welt“. 

 

„Durch die Globalisierung wurde in den letzten Jahren eine völlig neue popkulturelle Weltordnung eingeleitet“

 

RADIOSZENE: Wie definieren Sie das COSMO-Musikkonzept?

Francis Gay: Unsere Musikauswahl soll den Soundtrack für ein junges oder jung gebliebenes Publikum bieten, das neugierig ist auf die zeitgemäßen Spielarten. Damit ist COSMO eine wahre Alternative, abseits der Zwänge des Formatradios. Wer neue Musik entdecken möchte, der ist bei uns richtig!

COSMO Francis Gay Nigerianische Band Bantu bei der COSMO Odyssee 2018 in Mülheim an der Ruhr. (Bild: ©WDR)
COSMO Francis Gay Nigerianische Band Bantu bei der COSMO Odyssee 2018 in Mülheim an der Ruhr. (Bild: ©WDR)

RADIOSZENE: COSMO wird in Berlin/Brandenburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen via UKW verbreiten. Senden Sie in allen Region ein identisches Musikprogramm?

Francis Gay: Die Musikredaktion sitzt in Köln und steuert für alle Sendegebiete das gleiche Angebot. 

RADIOSZENE: Welche Musikgenres sind bei den Hörern derzeit besonders angesagt?

Francis Gay: Schwierig zu sagen, weil wir unser Programm ohne Musiktests gestalten. Rückmeldungen per E-Mail oder Social Media zeigen, dass Afrobeats, Trap, Global HipHop und Elektronische Musik ganz vorne stehen. Generell ist mir aufgefallen, dass die meisten HörerInnen unserer progressiven Musikauswahl sehr offen gegenüberstehen.

RADIOSZENE: Wie hoch ist im Musikprogramm der Anteil der sogenannten Weltmusik? Welche Länder und Regionen der Welt berücksichtigen Sie bei der Musikauswahl?

Francis Gay: Begriffe wie Weltmusik oder World Music, die eurozentrisch und irreführend sind und aus diesem Grund oft missverstanden werden, verwenden wir seit etwa 10 Jahren nicht mehr und haben sie durch Global Pop ersetzt. 

Durch die Globalisierung wurde in den letzten Jahren eine völlig neue popkulturelle Weltordnung eingeleitet und heute kommen die spannendsten Sounds aus der Peripherie: aus Afrika, Lateinamerika, Asien oder dort wo hybride Sounds zwischen allen Kulturen entstehen und oft ethnische Schubladen sprengen. 

Momentan befassen wir uns stark mit den Szenen von Lissabon, Berlin, Marseille, Sao Paulo, Bogotá, Montreal, Kairo, Lagos, Nairobi und Durban sowie mit dem neuen arabischen Underground in Deutschland.

RADIOSZENE: Im Programm findet sich auch eine gute Zahl an Klassikern – von Bill Withers, den Four Tops, Lou Reed bis hin zum Jimi Hendrix Hit „Hey Joe“. Sind dies die Appetizer für die älteren Hörer?

Francis Gay: Solche Vintage-Songs, die meist analog produziert wurden, lösen andere Emotionen aus und sie bilden das popkulturelle Gedächtnis unserer Zeit. Sie werden oft gesampelt und von „unseren“ Künstlern als Einfluss genannt. Wir wollen den Hörern zeigen, dass Popkultur nicht geschichtslos ist.

 

„Wir verzichten auf langwierige und teure Tests mit Fokusgruppen, sondern lassen uns von unserem Wissen und unserer Intuition leiten“

 

RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben Newcomer und Neuheiten sowie deutsche Musik im Programm von COSMO?

Francis Gay: Ich schaue täglich auf das Airplay-Monitoring-Programm Music Trace. Dabei ist mir aufgefallen, dass wir oft einen Song schon im Programm haben, wenn andere Sender ihn für sich entdecken. Ein Beispiel: Wir spielen Daddy Yankee seit 2004 und seinen Welthit „Despacito“ haben wir am Tag nach der Veröffentlichung im Januar 2017 gesendet. Erst Monate später haben ihn andere Sender ins Programm genommen, was uns sehr gefreut hat. 

Unsere Musikredaktion trifft sich regelmäßig, um neue Songs ins Programm zu hieven. Wir verzichten dabei auf langwierige und teure Tests mit Fokusgruppen, sondern lassen uns von unserem Wissen und unserer Intuition leiten. So gelingt es uns, schnell auf neue Trends und Szenen zu reagieren. 

Unser Markenzeichen ist das Diggen, das Graben nach neuen Songs. Ich verlasse nie das Büro, bevor ich einen neuen Titel für die Rotation gefunden habe, auch wenn das manchmal lange dauert. Deshalb haben wir oft Newcomer on air oder bei einem unserer vielen Events auf der Bühne – egal ob sie aus Afrika, Südamerika oder Deutschland kommen. Den Rapper Trettmann und sein Produzenten-Team, die gerade mit dem Song „Standard“ Nummer Eins in den deutschen Charts gewesen sind, spielen wir seit Jahren im Programm und dieses Jahr waren sie schließlich unser Top Act auf der COSMO Stage beim „Juicy Beats Festival“. Live on air! 

Konzert mit Patrice (Bild: ©WDR COSMO)
Konzert mit Patrice (Bild: ©WDR COSMO)

RADIOSZENE: Am Vorabend findet sich mit der Sendeschiene „Soundcheck“ ein ambitioniertes musikredaktionelles Angebot. Welche Inhalte und Musikwelten erwartet hier die Hörer?

Francis Gay: Im Tagesprogramm zwischen 6.00 und 18.00 Uhr senden wir verstreut regelmäßig Musikbeiträge. Am Abend, ab 18.00 Uhr, dreht sich im „Soundcheck“ alles um Musik. Dort können wir unserer Musikbegeisterung freien Lauf lassen und etwa Songs auf ihre Rotationseigenschaften und neue Formate testen.

Diese zwei Stunden geben uns aber auch die Möglichkeit, Themen zu vertiefen und qualifizierter, kritischer und pop-affiner Unterhaltung mehr Raum zu geben. „Soundcheck“ ist für uns ein Bewegungsmelder der Popkultur. Im letzten Herbst haben wir etwa den brasilianischen Wahlkampf aus der Sicht der dortigen Musikszene widergespiegelt. Dank unseres großen, weltweiten JournalistInnennetzwerks haben wir zuletzt auch regelmäßig Themen wie #MeToo in der Musikszene, die Debatte um Musiksponsoring wie die Red Bull Music Academy, oder das Engagement von Musikern gegen den Rechtsruck in Deutschland aufgreifen können.

 

„Ich verlasse nie das Büro, bevor ich einen neuen Titel für die Rotation gefunden habe, auch wenn das manchmal lange dauert“

 

RADIOSZENE: Haben Sie weitere Musikspecials im Programm?

Francis Gay: Jeden Freitag läuft „COSMO mit…“, gestaltet von international bekannten MusikerInnen und DJs: eine Show ohne Vorgaben, ohne Begrenzungen und Formate.

In unserer Wochenreihe „Der Soundtrack von…“ sprechen MusikerInnen, Labelmacher oder andere Künstler über den Soundtrack ihres Lebens. Dort hatten wir schon Samy Deluxe, Kate Tempest, Anderson.Paak oder Fatih Akin zu Gast. „Der Soundtrack von…“ ist auch als Podcast zu hören.

Beim Podcast-Publikum konnten wir dieses Jahr mit unserem Podcast „Cosmo Macchiavelli – Rap und Politik“ einen großen Erfolg feiern. Die Moderatoren Vassili Golod und Jan Kawelke unterhalten sich alle zwei Wochen über Themen wie Kanye West und Donald Trump, Frauen in der deutschen Rapszene und wie HipHop zur Stimme von deutschen Jugendlichen mit Migrationshintergrund wurde. „Cosmo Macchiavelli“ wurde dieses Jahr für den „Goldenen Podcastpreis“ nominiert.

Am Samstagabend zelebriere ich dann in „Selektor“ fünf Stunden lang die globale Vielfalt der Clubsounds.

Ende Januar 2019 startet unser neues digitales Angebot: sechs neue COSMO-Channels mit unterschiedlichen Moods. Damit können wir unser Trüffelschwein-Potenzial ausspielen und noch den nischigsten Musikgeschmack bedienen: mit Afrobeats, Latin, Chill, Trap, Electro und sonstigen COSMO-Favoriten.

RADIOSZENE: Wie wichtig sind musikredaktionelle Inhalte generell im Programm von COSMO?

Francis Gay: Solche Positionen finden über den Tag hinweg regelmäßig statt. Wir haben Rubriken für das „Album der Woche“ oder solche, in denen Musiker die Geschichte hinter ihren Hits erzählen. Unser Pop-Kommentator Linus Volkmann spießt jede Woche ein Thema auf. 

Traditionell gibt es ja bei Radiosendern immer eine Kluft zwischen der Musikredaktion und dem Wortprogramm. Bei Cosmo gibt es die nicht mehr – im Gegenteil. Popkultur ist unsere DNA. 

RADIOSZENE: COSMO ist sehr aktiv bei der Unterstützung und Ausstrahlung von Konzerten. Sind sie Teil der Strategie für den Gesamterfolg des Programms?

Francis Gay: Wir produzieren jedes Jahr Dutzende von Konzerten etwa in der Philharmonie Essen und im Berliner Club Gretchen. Wir kuratieren Bühnen auf Festivals und sind jedes Wochenende mit einer COSMO-Party in unserem Sendegebiet unterwegs. Konzerte sind für mich persönlich das purste Musikerlebnis. Meine Liebe für die Musik Afrikas wurde durch ein Konzerterlebnis geweckt. Im Alter von 15 Jahren habe ich zum ersten Mal Salif Keita aus Mali live erlebt und war restlos begeistert. Ich hoffe, dass unser Publikum bei unseren Konzerten und Festivals die gleiche Leidenschaft spüren kann, wie ich es damals getan habe.