Beförderung beim Saarländischen Rundfunk: der Leitungsposten der Programmgruppe Musik und Unterhaltung des Bereichs SR 1 und Junge Angebote wurde zum 1. November 2018 mit dem gebürtigen Saarländer Thomas Rosch besetzt. Er verantwortet damit als Chef des Programm-Managements und Marketing-Beauftragter unter anderem nun die Musikausrichtung der Wellen SR1 und UNSERDING.
Das Traditionsprogramm SR 1, das seit geraumer Zeit ohne den Zusatz „Europawelle“ firmiert, hat zuletzt bei der ma 2018 Audio wieder deutlich in der Gunst der Hörerschaft zulegen können.
Vielleicht auch wegen der unmittelbaren Nähe zum (vermeintlich) übermächtigen Radio Luxemburg gingen die pfiffigen Saarländer bei der Ausrichtung ihrer Programminhalte schon ab den 1960er- und 1970er-Jahren (notgedrungen) immer ganz eigene Wege. Die Macher der reichweitenstarken „Europawelle“ waren damals bei der Radiounterhaltung ihren anderen öffentlich-rechtlichen Kollegen im Bundesgebiet meist einen Schritt voraus, vollzogen die Öffnung der Playlisten für die Popmusik früher und konsequenter als andere ARD-Sender und bewiesen ein glückliches Händchen bei der Findung ihrer Moderatoren und Programmstrategen. Auch der Bedeutung von öffentlichen Radioveranstaltungen trug der SR (trotz vergleichsweise bescheidener Mittel) früh Rechnung. Klein, aber fein – so lautete die Devise im Funkhaus auf dem Saarbrücker Halberg.
Im Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich spricht Thomas Rosch über die Musikausrichtung bei SR 1 und UNSERDING.
RADIOSZENE: Herr Rosch, Sie sind seit November 2018 neuer Leiter der Programmgruppe Musik des Programmbereichs SR 1 / Junge Angebote. Wie sind Sie zum Radio gekommen, welche Aufgaben hatten Sie bisher inne?
Thomas Rosch: Ursprünglich wollte ich in die Fußstapfen meines Vaters treten und Steuerberater/Wirtschaftsprüfer werden. Als Jugendlicher habe ich allerdings schon mit dem Kassettenrekorder bewaffnet Interviews in der Fußgängerzone geführt und mit den Schallplatten meines Vaters „Radio gespielt“. Diese heimliche Leidenschaft blühte 1988 so richtig auf, als im Saarland der Offene Kanal Saarland an den Start ging. 1989 gehörte ich zur Gründungsmannschaft von Radio Salü, wo ich im Bereich Moderation, Produktion und als Promotion- und Marketingleiter im Einsatz war. 1994 wechselte ich zum SR, wo ich bei SR 1 als Moderator, Reporter, Redakteur und Producer tätig war. Bei Delta Radio in Kiel machte ich 1996/97 Station, bevor ich im Herbst 1997 wieder an meine alte Wirkungsstätte SR 1 zurückkehrte.
RADIOSZENE: SR 1 liegt mit seinem Konzept heute nahezu Kopf an Kopf mit dem wichtigsten Konkurrenten Radio Salü. Wie grenzen Sie sich inhaltlich von der Konkurrenz ab?
Thomas Rosch: Im Gegensatz zu unserem privaten Mitbewerber Radio Salü haben die Programme des Saarländischen Rundfunks einen öffentlich-rechtlichen Auftrag. Dazu gehört auch, einen Überblick über das internationale, nationale und regionale Geschehen zu geben, und damit die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland zu fördern.
Die SR 1 Hörerinnen und Hörer stehen dabei immer im Mittelpunkt der täglichen Programmarbeit. Intelligente Comedyserien, interessante Reportagen aus dem Saarland, Deutschland und – dank des ARD-Korrespondentennetzes – aus aller Welt sowie musikjournalistische Angebote runden das Unterhaltungsangebot ab. Hierbei spielt auch die crossmediale Ausrichtung eine bedeutende Rolle.
RADIOSZENE: In welche Richtung entwickelt sich derzeit die Radiomusik, welche Trends zeichnen sich aktuell ab?
Thomas Rosch: Der wichtigste Trend ist nach wie vor EDM, daneben vielleicht noch moderner Pop.
RADIOSZENE: Zuletzt hatte man den Eindruck, dass die Vorlieben der Radiohörer immer weiter von den Verkaufs- und Nutzungsbarometern wie Top 100 oder Spotify-Charts auseinanderdriften. Ist das auch so im Saarland?
Thomas Rosch: Hier haben wir eher den Eindruck, dass die Hörer zweigleisig fahren. Es gibt die eigenen Spotify-Listen – die vielfach aber auch Vieles von dem enthalten, was im Radio zu hören ist. Die Hörer goutieren aber auch das Radioprogramm. Die Top 100 werden gerade von Deutsch-Rap dominiert, da muss man sich aber auch die Zahlen anschauen.
„Deutschsprachige Musik hat für SR 1 eine große Bedeutung“
RADIOSZENE: Dance-Pop hält sich seit einigen Jahren – zumindest bundesweit -erstaunlich lange und robust. Ist für dieses Genre noch kein Ende in Sicht?
Thomas Rosch: Im Moment noch nicht.
RADIOSZENE: Welche Bedeutung hat die deutschsprachige Musik im Programm von SR 1? Und wie wichtig sind die vom Saarländischen Rundfunk – wegen der Grenznähe – traditionell sehr gepflegten französischen Titel?
Thomas Rosch: Deutschsprachige Musik hat für SR 1 eine große Bedeutung. Künstler wie Andreas Bourani, Tim Bendzko, Mark Forster, Max Giesinger etc. sind feste Bestandteile des SR 1 Musikprogramms. Deutsch-Pop ist seit einigen Jahren im Aufwind. Auch französischsprachige Künstler wie Zaz oder Stromae haben ihren Platz im Programm von SR 1. Die französischen Chansons findet man aber eher auf SR 3 Saarlandwelle.
RADIOSZENE: Die Hits der 80er und 90er Jahre verschwinden bei vielen Sendern oder werden auf „ältere“ Programmangebote umgesiedelt. Wie gehen Sie mit diesen Dekaden um?
Thomas Rosch: Die Musik der 80er und 90er bleibt weiterhin ein wichtiger Bestandteil der SR 1 Musikplanung. Nicht nur die älteren, sondern auch viele junge Hörerinnen und Hörer unserer Zielgruppe bewerten die Musik aus dieser Zeit positiv. Das Publikum der 80er- und 90er-Partys im Saarland besteht überwiegend aus jungen Erwachsenen.
RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben Musiktests bei der Justierung Ihre Musikabläufe, wie sehr beeinflussen sie heute die Arbeit der Musikredaktion?
Thomas Rosch: Nirgendwo sonst wie in der Gestaltung des Musikangebots ist Medienforschung für SR 1 so wichtig. In vielen permanenten Telefoninterviews (Callouts) im Saarland werden Poptitel getestet. Der Hörer entscheidet, die Musikredaktion arbeitet mit den Testergebnissen und richtet danach das Programm aus. Flankiert werden die Telefoninterviews durch das Online-Tool „Like-O-Mat“. Mehrere tausend Menschen bringen hier Woche für Woche über die SR 1-App auf dem Smartphone orts- und zeitunabhängig ihren Musikgeschmack zum Ausdruck. Bei der Musikplanung ist tagtäglich Fingerspitzengefühl, aber auch das Bauchgefühl der Musikredakteure gefragt.
RADIOSZENE: Auch SR 1 hat inzwischen großflächige Magazinabläufe, Musikspezialsendungen wie früher sind nur noch wenige vorhanden. Wie viel Platz räumen die den musikredaktionellen Themen im Programm ein?
Thomas Rosch: Musikjournalistische Themen finden dienstags- bis freitagsabends beziehungsweise sonntagsmittags in der täglichen Sendung „Absolut Musik“ statt. SR 1 erfüllt Musikwünsche der Hörer, stellt die SR 1 CD der Woche und viele weitere CD-Tipps aus verschiedenen Genres vor, auch jenseits des Mainstreams. Die Sendung präsentiert Künstlerinterviews, Konzertberichte, den SR 1 Like-O-Mat (dienstags 21.00 bis 22.00 Uhr), Songtext-Übersetzungen ins Saarländische, Konzert-Highlights in „SR 1 Live“ (unregelmäßig donnerstags 21.00 bis 22.00 Uhr). Musikjournalistische Inhalte haben aber auch im Tagesprogramm ihren Platz.
„Der Saarländische Rundfunk begreift sich nicht nur als Medium, sondern auch als Faktor und Kulturförderer im Saarland“
RADIOSZENE: Radiokonzerte und Veranstaltungen mit Künstlern hatten bei der Europawelle bereits seit den 1970er-Jahren stets eine hohe Bedeutung. Wie halten Sie es heute dieser Tradition, wie wichtig sind diese Events generell für ein modernes Hörfunkprogramm?
Radiokonzerte im Funkhaus finden regelmäßig statt. Die Konzertreihe „SR 1 Unplugged“ gibt es seit 2002. Seitdem konnten wir in den SR-Musikstudios viele nationale und internationale Künstler und Bands präsentieren, die ihre Songs in speziellen Akustiksets, in verkleinerter Bandbesetzung oder sogar solo gespielt haben, oft auch schon vor der offiziellen Veröffentlichung der Songs auf Tonträger. Karten zu den „SR 1 Unplugged“-Konzerten kann man nirgendwo kaufen, sondern nur bei SR 1 gewinnen: im Programm oder online über SR1.de. Das „SR Ferien Open Air St. Wendel“ hat 2018 das „UNSERDING Halberg Open Air“ (früher „Schülerferienfest“) abgelöst. Rund 10.000 junge Hörerinnen und Hörer feierten hier gemeinsam den Start in die Sommerferien. Der Saarländische Rundfunk begreift sich nicht nur als Medium, sondern auch als Faktor und Kulturförderer im Saarland.
RADIOSZENE: Bei den jungen Formaten im Verbreitungsgebiet stehen Sie mit Ihrem Angebot UNSERDING in Wettbewerb mit BigFM Saarland. Wer hat bei den Reichweiten die Nase vorne?
Thomas Rosch: Laut ma Audio 2018 II liegt UNSERDING sowohl bei der Tagesreichweite als auch beim Marktanteil vorne.
RADIOSZENE: Beide jungen Programme verfügen jeweils über sehr hohe Anteile an aktueller Musik mit einer mutmaßlich hohen Titelüberschneidungsrate, da beide Formate naturgemäß die jeweils gerade angesagten Hits in hoher Rotation spielen. Über welche Nuancen bei der Musikauswahl unterschieden Sie sich dennoch von ihrem Mitbewerber?
Thomas Rosch: Natürlich gibt es eine hohe Überscheidungsrate, da beide Programme das abbilden, was bei den jungen Hörern gerade angesagt ist. Jedes Programm ist aber auch daran interessiert, eigene Akzente zu setzen. Diese Akzente tragen – trotz einer gewissen Überschneidungsrate – zum Gesamtcharakter des jeweiligen Radioprogramms bei. UNSERDING setzt beispielsweise mit dem jährlichen „SR Ferien Open Air“ zudem noch einen Schwerpunkt für die ganz junge Zielgruppe. Dort treten auch Youtuber auf, die Millionen Follower haben und bei den Kids sehr angesagt sind und sonst im Radio eher selten stattfinden. Auch bietet UNSERDING viele verschiedene Musikstile und versucht so für jeden Musikgeschmack was zu liefern.
RADIOSZENE: Sind junge Musikformate generell nicht zu stark auf Trendmusik ausgerichtet? Oder kann losgelöst davon trotzdem ein eigenes (hörbares) Musikprofil aufbauen?
Thomas Rosch: Wenn man sich die jungen Programme der ARD anschaut, ist schon festzustellen, dass sie in ihren jeweiligen Märkten ihr spezielles Profil haben. Durch eine gezielte Programmierung der Uhren kann man durchaus ein eigenes Musikprofil aufbauen und sich von anderen Sendern unterscheiden. Junge Sender sollten die Musik spielen, die bei der jungen Zielgruppe angesagt ist; und das ist eben trendige Musik. Durch unsere wöchentlichen Musikbefragungen kann man gut einschätzen, was die jungen Leute im Saarland cool finden. Ziel ist es, eine hohe Reichweite insbesondere im jungen Hörersegment zu erzielen. Das gelingt uns mit der aktuellen Musikmischung sehr gut.
„Crossmediale Strategien bieten die Möglichkeit, neben dem klassischen Programm alte Zielgruppen zu halten und neue zu erschließen“
RADIOSZENE: Am Abend verfügt UNSERDING über einen guten Anteil vielfältiger Musikspecials, die teilweise auch vom Partnerprogramm DASDING des Südwestrundfunks übernommen werden. Wie wichtig sind diese Angebote für das Gesamtprogramm und wie intensiv werden sie genutzt?
Thomas Rosch: Mit einer Musik-Spezialsendung können wir es natürlich nicht jedem recht machen – aber das wissen wir. Trotzdem sind diese Sendungen wichtig, weil wir hier musikjournalistisch in die Tiefe gehen und auch einfach mal Musik ausprobieren können. Wenn jemand behauptet, dass man neue Musik abseits des Mainstreams nur noch im Netz entdecken kann – dann liegt das wahrscheinlich daran, dass er noch nie zum Beispiel das „ClubDing“ gehört hat.
RADIOSZENE: Über die Bedeutung des Internets für die Musikredaktion wurde zuletzt viel diskutiert. Wie stark hat die Onlinewelt Ihre Arbeitsweise über die Jahre beeinflusst beziehungsweise verändert?
Thomas Rosch: Immer mehr junge Künstler vermarkten sich selbst – mit Hilfe von YouTube. Sie haben teilweise Millionen Fans und ihre Konzerte sind ausverkauft. Das alles geht auch ohne Plattenvertrag und Management. Die Künstler machen alles selbst: sie produzieren, sie werben für ihre Alben. Und sie drehen Musikvideos, die richtig professionell aussehen. Das geht heute dank moderner Technik ohne großen Aufwand.
Musikredaktionen müssen auch diese Künstler im Focus haben, um den Bedürfnissen des Zielpublikums gerecht zu werden. Beim „UNSERDING Halberg Open Air“ beziehungsweise „SR Ferien Open Air St. Wendel” sind regelmäßig auch immer wieder YouTube-Stars am Start.
Aber auch losgelöst davon: In einer sich immer schneller drehenden multimedialen Welt wandelt sich auch die Rolle des Rundfunks. Neue Medien und deren unterschiedliche Ausprägungen machen auch vor den klassischen Medienformen nicht halt. Crossmediale Strategien bieten die Möglichkeit, neben dem klassischen Programm alte Zielgruppen zu halten und neue zu erschließen. Das gilt auch für die Arbeit einer Musikredaktion. Der SR hat das Thema für sich erkannt und entwickelt sich zu einem crossmedial ausgerichteten Medienhaus.
RADIOSZENE: Bitte ergänzen Sie abschließend den Satz „Radio wird auch an seinem 100. Geburtstag in 2023 für die Menschen sehr wichtig sein, weil…
Thomas Rosch: …nur Radio im Gegensatz zu Streaming-Diensten noch überraschende Inhalte bieten kann und durch die Moderation noch eine menschliche Komponente hat.