Stefan Frühbeis: Der Begriff „Heimat“ tümelt nicht (mehr)

BR Heimat (Bild: ©BR)
BR Heimat (Bild: ©BR)

Volksmusik war in den letzten Jahren im Radio über lange Zeit kaum mehr ein großes Thema. Schon gar nicht als durchgängiges Programmangebot. Dabei gab es mit dem 1991 als bundesweit über Kabel und Satellit (sowie in einigen

Radio Melodie

Ballungsräumen Bayerns über UKW) gestarteten Volksmusiksender Radio Melodie tatsächlich einmal einen einschlägigen Spartenkanal. 2008 wurde das Programm, das auch wegen dubioser Call-In-Gewinnspielaktionen in der Kritik stand, wegen wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit eingestellt – die UKW-Frequenzen gingen an das spätere Jugendradio egoFM.

Und sonst? Sicher, es gibt und gab noch einige Inselangebote bei ARD-Wellen wie SWR 4, HR 4 oder SR 3 Saarlandwelle. Auch Volksweisen oder das Chorwesen hat/hatte bei einigen öffentlich-rechtlichen Programmen noch seine Sendeplätze. Diese Sendungen wurden jedoch im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen über die Jahre hörbar zurückgefahren. Traditionell am meisten tat sich beim Bayerischen Rundfunk. Dort waren über Jahrzehnte diverse Volks- und Heimatmusiksendungen auf BAYERN 1 ein gern gesehener Reichweitengarant. Auch das DAB+ Programm Bayern plus sendete Volksmusik-, Blas- und Laienmusiksendungen.

BR Heimat (Bild: ©BR)
BR Heimat (Bild: ©BR)

Dann der große Wurf: ab 2015 bündelte der BR die gesamten Volksmusikaktivitäten in seinem neu gegründeten Spartenformat BR Heimat, das seinen Schwerpunkt konsequent auf alpenländischer Volksmusik legt und im Tagesverlauf das Genre in einer Vielzahl an Spezialsendungen beleuchtet. Die Umsiedelung der Volksmusik und die Aufgabe liebgewonnener Hörgewohnheiten verliefen in der Anfangsphase zunächst wenig harmonisch. Eine Allianz aus Stars der Szene wie Hansi Hinterseer oder Heino sowie verschiedene Politiker wie die Freien Wähler und der damalige Heimatminister Markus Söder (CSU) protestierten vehement gegen die Abwanderung der Volksmusik aus BAYERN 1. Gut, dass der BR so entschieden hat: Das neue Konzept von BAYERN 1 hat auch ohne die Volksmusiksendungen gegriffen und BR Heimat entwickelt sich stetig zum Erfolgsmodell: nach einer dreijährigen Anlaufphase wurde das Programm im Juli mit 124.000 Hörern (Tagesreichweite, Montag bis Sonntag) als eines der wenigen reinen DAB+ Angebote erstmals in der ma 2018 Audio II aufgeführt. 


Im Gespräch mit RADIOSZENE berichtet Programmchef Stefan Frühbeis unter anderem  über das BR Heimat Musikkonzept und seine Erfahrungen mit dem digitalen Sendestandard DAB+. 

RADIOSZENE: Herr Frühbeis, BR Heimat ist im Juli erstmals in MA Audio 2018 II aufgetaucht. Und dies als ein Angebot, das terrestrisch nur via DAB+ empfangbar ist. Setzt sich das digitale Radio nun doch durch?

Stefan Frühbeis 2017 (Bild: BR Heimat)
Stefan Frühbeis 2017 (Bild: BR Heimat)

Stefan Frühbeis: Es scheint ganz so – und in Bayern ist das ganz offenkundig. Unsere digitale Volksmusikwelle BR Heimat hat hierzu einen erheblichen Beitrag geleistet. Der gerade veröffentlichte Digitalisierungsbericht 2018 zeigt, dass in Bayern mittlerweile fast jede vierte Person ein DAB+-Gerät besitzt. Von den im 2. Quartal 2018 neu gekauften Radiogeräten sind bereits 40 Prozent DAB+-Empfänger.

 

„Hörer für DAB+ zu gewinnen, gelingt meiner Ansicht nach am besten mit Angeboten, die ein Alleinstellungsmerkmal haben und nicht über UKW ausstrahlen“

 

RADIOSZENE: Aus welchen Bevölkerungsgruppen setzt sich Ihr Publikum im Kern zusammen?

Stefan Frühbeis: Aus allen Menschen, die sich für bayrische Volksmusik, für Blasmusik und/oder für bayerische Themen und Belange interessieren. Dieses Publikum ist vielschichtig und gehört keiner bestimmten Bevölkerungsgruppe an.

RADIOSZENE: Woher kommen die Hörer? Bisherige Nichthörer, von den Privaten oder Abwanderungen von anderen Programmen des Bayerischen Rundfunks? Der BR hat alle Volksmusikangebote nun auch BR-Heimat gebündelt…

Stefan Frühbeis: Das Publikum von BR Heimat speist sich vor allem aus zwei Quellen: Zum einen sind dies Hörer von Bayern 1, die mit den Volksmusik-Angeboten des erfolgreichsten Radioprogramms Bayerns zu BR Heimat gewechselt sind. Zum anderen sind dies aber auch Hörer, die ausschließlich BR Heimat und keine weiteren Radioprogramme einschalten.

Treffpunkt Volksmusik (Bild: ©BR Heimat)
Treffpunkt Volksmusik (Bild: ©BR Heimat)

RADIOSZENE: Dennoch hat es drei Jahre bis zur ma-Ausweisung gedauert. Auch bei anderen DAB+ Programmen wie Radio Schlagerparadies oder Absolut Radio verging eine lange Zeit, um in der Media Analyse gelistet zu werden. Ist die Gewinnung von Aufmerksamkeit bei den Hörern für DAB+-Angebote ein Langstreckenlauf?

Stefan Frühbeis: Ja, ist es. UKW-Radios sind unverwüstlich, und die Gewohnheiten von Radio-Hörern ebenfalls. Hörer für DAB+ zu gewinnen, gelingt meiner Ansicht nach am besten mit Angeboten, die ein Alleinstellungsmerkmal haben und nicht über UKW ausstrahlen.

RADIOSZENE: Wie machen Sie im Sendegebiet zur Gewinnung neuer Hörer auf BR Heimat aufmerksam?

Stefan Frühbeis: Anzeigen helfen, Cross-Promotion hilft. Am meisten aber hilft „weitersagen“. Musikanten zum Beispiel sind stark vernetzt. Hat uns eine(r) einmal gehört, wissen es morgen Hunderte neue Hörerinnen und Hörer. Scheint zu funktionieren – einer unserer Slogans in der Anfangszeit war „…sagts es weida!“. Ich erkenne keinen Grund, warum es in Bayern nicht ebenso viele Volksmusik-Interessierte wie Klassik-Interessierte geben sollte. Dass wir die Zahlen der Massenprogramme nicht erreichen werden, ist ebenso klar. BR Heimat ist ein Spartenprogramm.

Stefan Frühbeis 2017 (Bild: BR Heimat)
Stefan Frühbeis 2017 (Bild: BR Heimat)

RADIOSZENE: Laut ma Audio verfügt die Hörerschaft derzeit über ein hohes Durchschnittsalter. Besteht hier nicht die Gefahr, dass sich ältere Menschen grundsätzlich nicht mehr mit der neuen Technik anfreunden möchten oder können?

Stefan Frühbeis: Unserer Erfahrung nach nicht. Warum sollten ältere Menschen, die gekonnt mit Smartphones und Tablets hantieren, nicht imstande sein, ein Digitalradio einzuschalten? Wir haben DAB+ Radios bauen lassen, auf denen BR Heimat mit einem einzigen Knopfdruck zu empfangen ist. Die schenken die Enkel ihren Omas und Opas, die begeistert sind. Und: Warten wir mal weitere Ergebnisse der ma Audio ab, wie sich das Durchschnittsalter entwickelt. Unsere internen Erhebungen zeigen, dass BR Heimat durchaus auch jüngere Hörer anspricht. Volks- und Blasmusik sind bei den Jungen sehr beliebt.

 

„Unsere internen Erhebungen zeigen, dass BR Heimat durchaus auch jüngere Hörer anspricht. Volks- und Blasmusik sind bei den Jungen sehr beliebt

 

RADIOSZENE: Wie definieren Sie für Ihr Programm den Begriff Heimat?

Stefan Frühbeis: Für BR Heimat ist Bayern die Heimat – mit all seinen Themen und Facetten. Bayern ist bunt und beliebt, Bayern ist traditionsbewusst und modern, Bayern ist frisch und lebendig. Heimat ist vielfältig – wie die Menschen, die in unserm Land wohnen. Der Begriff „Heimat“ tümelt nicht (mehr) und hat auch die historische Belastung der Zeitgeschichte abgelegt. All diesen Aspekten versucht BR Heimat gerecht zu werden und sie abzubilden. 

Treffpunkt Volksmusik (Bild: ©BR Heimat)
Treffpunkt Volksmusik (Bild: ©BR Heimat)

RADIOSZENE: Das Markenzeichen Ihres Senders ist die Volksmusik. Erläutern Sie doch einmal, welche Musikformen die Hörer bei BR Heimat erwartet.

Stefan Frühbeis: Wir senden Volks- und Blasmusik aus allen Landesteilen des Freistaats und gern auch aus den benachbarten Alpenländern. Wir orientieren uns bei der traditionellen Volksmusik an den Quellen des Singens und Musizierens in Bayern und verfolgen den Weg von Musik und Gesang durch die Jahrzehnte bis in die Gegenwart. Wir haben aktuelle Strömungen aufgenommen – Stichwort „Tradimix“ -, und auch „Oberkrainer“-Klänge oder Schrammelmusik sind mit dem Musik-Angebot von BR Heimat kompatibel. 

RADIOSZENE: Volkstümlicher Schlager finden eher keine auf den Playlisten. Überlassen Sie diese Musikform den Kollegen von Bayern Plus?

Stefan Frühbeis: Ja, gerne!

RADIOSZENE: Im Programm läuft nahezu ausschließlich Musik aus dem alpenländischen Raum. Wie hoch ist der Anteil an Musik aus dem direkten Sendegebiet Bayern?

Stefan Frühbeis: Das erfassen wir nicht. Grob geschätzt: 85 Prozent.

RADIOSZENE: Beim Abhören fällt ein sehr hoher Anteil an instrumentalen Stücken auf, wie hoch schätzen Sie den Anteil instrumentaler Stücke?

Stefan Frühbeis: Für bestimmte Sendungs-Typen sind Lieder ungeeignet. In den Sendungen, in denen wir Musik und Gesang mischen, dürfte etwa ein Viertel der Titel gesungen sein. 

Treffpunkt Volksmusik (Bild: ©BR Heimat)
Treffpunkt Volksmusik (Bild: ©BR Heimat)

RADIOSZENE: Welche Musikangebote haben Sie für die jüngeren Hörer. Auf dem Sendeplan stehen auch „Tradimix & Liedermacher“, was versteckt sich dahinter?

Stefan Frühbeis: Jungen Hörerinnen und Hörern machen wir dasselbe Musikangebot wie älteren Hörerinnen und Hörern. Es ist ein Irrtum zu glauben, traditionelle Musik sei die Klangfarbe für die „Alten“, sogenannte „moderne“ Volksmusik, in der traditionelle Volksmusik mit modernen Musik-Elementen gemischt wird („Tradimix“), sei ein Angebot für jüngere Schichten. Es gibt allein in Bayern Hundertausende junger Musikantinnen und Musikanten im Bereich der traditionellen Volks- und Blasmusik.

RADIOSZENE: Liefert ihnen die Volksmusikszene ausreichenden Nachschub an neuer Musik und Nachwuchsinterpreten? Wie hoch ist der Anteil an Neuheiten im Programm?

Stefan Frühbeis: Das ist unter anderem das Schöne an der Volksmusik: Der Nachschub muss nicht „ausreichen“. Wir nehmen gute Neuerscheinungen, die uns ins Programm passen, mit Freude auf. Alte Stücke werden aber nicht unmodern oder ausgesondert, nur weil sie das Haltbarkeitsdatum überschritten haben. Der Bayerische Rundfunk verfügt über das vermutlich größte Volksmusikarchiv der Welt, und dieses Archiv mit seinen Schätzen ist für das Programm-Angebot und die Programm-Vielfalt auf BR Heimat ein unschätzbarer Grundstock, ohne den es BR Heimat nicht gäbe. 

 

„Es gibt allein in Bayern Hundertausende junger Musikantinnen und Musikanten im Bereich der traditionellen Volks- und Blasmusik“

 

RADIOSZENE: Sie sind selbst Musiker, wie sehr hilft Ihnen dieser Hintergrund bei Leitung Ihres Programms?

Stefan Frühbeis: Sehr. Es schadet tatsächlich nicht, wenn man von der Materie, mit der man sich tagtäglich beschäftigt, auch ein bissl was versteht …

RADIOSZENE: Für Ihre Hörer, aber auch für Musiker stellen Sie mit der BR-Volksmusikplattform gezielt ein eigenes Forum bereit. Wie rege wird dieses Angebot genutzt?

Stefan Frühbeis: Die BR-Volksmusikplattform ist ein Volksmusik-Angebot des Bayerischen Rundfunks im Internet, das nicht die Redaktion von BR Heimat bestückt (sehr wohl aber kuratiert!), sondern die Volksmusikgruppen selber. Gruppen präsentieren sich und ihre Musik, Nutzer können sich mit wenigen Klicks ein Programm nach dem eigenen Geschmack zusammenstellen und auch speichern.

RADIOSZENE: Wie viel Live-Musik steckt in BR Heimat?

Stefan Frühbeis: Wir besuchen mit unseren Übertragungswagen passende Veranstaltungen in allen Landesteilen, und wir veranstalten im Münchner Funkhaus monatlich eigene Volksmusik-Veranstaltungen, die wir natürlich auch auf BR Heimat senden. Der Schwerpunkt in unserem Programm sind aber trotzdem „Konserven“.

Treffpunkt Volksmusik (Bild: ©BR Heimat)
Treffpunkt Volksmusik (Bild: ©BR Heimat)

RADIOSZENE: Neben Musik bietet das Programm ein Paket mit Frühsendung, Regionalberichterstattung und Sendungen mit Literatur, Heimatkultur, Reiseführer oder ein Serviceangebot für Bergsteiger. Eigentlich schon ein rundes Vollprogramm. Welche Erweiterungen und Neuerungen stehen auf Ihrer To-Do-Liste?

Stefan Frühbeis: Sind aktuell noch Betriebsgeheimnisse. Am Wellengeburtstag, am Lichtmesstag, am 2. Februar, können Sies hören … J

RADIOSZENE: Welche Anstrengungen müssten allgemein erfolgen, um das digitale Radio noch weiter voranzubringen?

Stefan Frühbeis: Neben einem konsequenten Netzausbau, wie ihn der BR systematisch und mit hohem Aufwand betreibt, halte ich es für sinnvoll, Programminhalte anzubieten, die auf UKW niemand mehr leisten kann oder will. 

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