Stellen wir uns doch mal vor, wir gingen in ein Restaurant und der Kellner legt uns eine Rechnung hin, dafür, dass wir in die Karte gucken dürfen, um dann festzustellen, eigentlich alles nicht das, worauf wir Hunger haben. Wir würden nicht nochmal hingehen und lieber selber kochen! Oder?
Habe wie viele von Euch in der Süddeutschen Zeitung ein interessantes Interview mit Jochen Rausch, stellvertretender Hörfunkdirektor des WDR, zum Thema Jugendradio gelesen. Titel: „Auf die Freundschaft“. Tenor: Junge Leute hören immer weniger Radio. Schuld: Die digitalen Medien Spotify, Youtube und Co. Klar, der Mann hat Recht – teilweise. Woher weiß er das mit den renitenten Kids, die kein Radio mehr hören? Sein WDR hat den Versuch, wirklich Jugendradio zu machen, aufgegeben. „Moment“ werden jetzt viele sagen „was ist mit „unserem Jugendradio“ 1 Live?“ Beim NDR wird man sich auf „N-JOY“ berufen und beim HR auf „youfm“. Glänzend gemachte Programme und lebte ich in Hamburg, „NJoy“ wäre mein Programm. Professionell moderiert, informativ, kreativ, witzig und ja, jünger als NDR 2. Wenn ich das sage, hat das Ganze einen kleinen Hacken mit dem ich leben muß: Ich bin Mitte 50.
Frage ich meine Kids, die längst keine mehr sind weil 20 plus und behaupte ich , das sei ein Jugendradio, dann verdrehen sie die Augen. „Weißt Du eigentlich, was wir hören?“, „Kennst Du unsere Musik?“ Und siehe da, ein Blick auf die verfügbaren Zahlen belegen es: Durchschnittsalter des „jungen Radios“ 1 Live: 35 Jahre. An anderer Stelle, in der taz, hebt Kollege Rausch darauf ab: „Ja, wir sind 8 Jahre älter geworden, aber wir wollen auch nicht, dass unsere Hörer, wenn sie 30 sind, den Sender wechseln“. Und genau da liegt der Irrtum! Jugendradio muß sich alle paar Jahre erneuern, sonst ist es kein Jugendradio mehr! Wenn es denn eine Aufgabe für die Öffentlich-Rechtlichen gibt, junge Menschen zum Radio zu bringen, dann wäre 1 Live die Chance – wäre! Klar, ich meine ein echtes junges Radio! Das hätte nicht so viele Hörer aber eben die, die morgen Gebühren zahlen sollen und es vielleicht gerne täten, würden sie jetzt nicht einfach links liegen gelassen. Im Südwesten gibt es „Das Ding“ vom SWR, in Bayern „Puls“ des Bayerischen Rundfunks. Die kommen dem, was man Jugendradio nennen könnte, schon deutlich näher. Leider jedoch nur im digitalen Ghetto und käme z.B. der BR wieder auf die Idee, die ja zunächst verschoben wurde „Puls“ auf DAB und UKW zu legen, dann dürfte man gespannt sein, wann diese Programme plötzlich auch herhalten müssten, die Türe für die mehr oder weniger erfolgreiche private Konkurrenz zu schließen. Und das wär` sauschade! Max Giesinger und „Sunrise Avenue“ lassen grüßen! Natürlich ist dies der Alptraum von Antenne Bayern und der rund 40 bayerischen Lokalprogramme.
Da gibt es ein paar junge Beispiele in unserer Radiorepublik, Radio, das wirklich anders klingt und für mich natürlich fremd. Höre ich Jam oder KISS in Berlin, big fm im Südwesten, dann merke ich, dass ich keine 30 mehr bin und das belegt, da wird was richtig gemacht. Da machen wirklich junge Menschen, die sich ausprobieren, ein anderes Programm und siehe da, die Kids hören es. Klar, für ein wirtschaftlich abhängiges Privatradio ein schmaler Grad und oft am Rande des Existenzminimums und von daher auch teilweise handwerklich fragwürdig. Aber was soll`s? Wenigstens wird hier etwas versucht und siehe da, das Durchschnittsalter der Hörer liegt zumindest schon mal deutlich 10 Jahre unter dem der öffentlich-rechtlichen „jungen Programme“. Wie wär ́s denn mal mit einem echten (öffentlich-rechtlichen) Jugendradio, indem sich junge, gut ausgebildete Moderatoren und Redakteure austoben dürfen. Wie wär`s denn mal, wenn sich ein Hörfunkdirektor oder Intendant monatlich beim Rundfunkrat erklären müsste, weil`s eben nicht politisch korrekt, stattdessen provokant und eckig ist. Will sagen, der Satz „Junge Leute hören kein Radio mehr!“ wenn ich es nicht (mehr) wirklich versuche, für diese Zielgruppe zu programmieren, ist wohlfeil aber eher Vermutung als Tatsache! Und die Gegenfrage zwingend: „Was tun sie dagegen? Sie sind doch Direktor!“
Ich glaube an die Zukunft des Radios als gemeinschafts- und sinnstiftendes Medium und deshalb bin ich Fan des dualen Systems-öffentlich-rechtlich und privat. Mein ganzes Berufsleben war ich ein „Wanderer zwischen diesen Welten“.
Ich sehe das Bedürfnis gerade junger Menschen in diesen unübersichtlichen und teilweise beängstigenden Zeiten nach Orientierung. Aber dann müssen wir die Kids gut ausbilden und auch machen lassen und Jugend nicht mehr bei 30 plus ansiedeln.
Traut Euch was, denn sonst wird der Ruf nach der Legitimierung der Gebühr immer lauter. Ich hör es schon bei meinen „Wir gucken NETFLIX und Amazon, wir hören Podcasts und bigFM, NRJ oder KISS, wofür zahlen wir da eigentlich?“
Liebe ARD, macht wirklich Jugendradio! Ihr müsst damit nicht Quote machen, sondern neugierig!
Das Problem haben die Öffentlich-Rechtlichen, die ich nicht missen möchte, übrigens genauso im Fernsehen. Da gab`s mal ein junges Programm des ZDF auf dem wird heute gefühlt rund um die Uhr „Bares für Rares“ mit „Jungmoderator“ Horst Lichter wiederholt.
Über den Autor
Viktor Worms moderierte die ZDF Hitparade, war Programmdirektor bei ANTENNE BAYERN und ZDF-Unterhaltungschef. Er war in den vergangenen Jahren als Strategie- und Moderationscoach u.a. tätig für REGIOCAST, ZDF und das Bayerische Fernsehen, DRadio Wissen, bigFM, ROCK ANTENNE sowie die ARD.ZDF Medienakademie. Er ist seit 2015 Jurymitglied des Deutschen Radiopreises. Neben seiner Tätigkeit als TV Producer ist er Vorstand der Hugo-Tempelman-Stiftung sowie Beirat der Tabaluga Kinderstiftung.