An der Arbeit von Radioberatern scheiden sich innerhalb der Branche die Geister – manche Sender lehnen eine Zusammenarbeit prinzipiell ab, viele – vor allem große Stationen – schwören auf die Empfehlungen der Radioberater und nutzen intensiv deren Full-Service-Pakete, andere buchen die Angebote nur partiell, etwa für Musikberatung, Forschung oder Coaching. Diskutiert werden die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit und Ratschläge jedoch regelmäßig. Meist in kleinen Zirkeln und hinter vorgehaltener Hand – unter anderem auch, weil der Wert von Beratungsdiensten nicht immer objektivierbar ablesbar ist. Und ihre nach außen eigentlich lautlose Tätigkeit gelegentlich verzerrt dargestellt wird. Dann, wenn zum Beispiel von frustrierten Mitarbeitern aus den Sendern dringt, „der Berater lässt uns dieses und jenes nicht mehr moderieren“ oder „verbietet den Einsatz bestimmter Musiktitel“. Letzeres ein gern genutztes Argument gegenüber den Promotern der Musikfirmen, wenn eine angebotene Neuerscheinung aus irgendwelchen Gründen nicht auf der Playlist auftauchen soll – man den Gegenüber aber nicht verprellen möchte.
Hin und wieder wird das Thema auch öffentlich ausgefochten. Wie etwa vor wenigen Wochen über das Portal „Radiowoche“. Hier erhielt die Radioberaterin Yvonne Malak für ihre Kolumne „Optimales Teasing – mehr Reichweite“ heftigen Widerspruch durch den langjährigen Moderatoren Frank Dignaß. „Wer ernsthaft wieder behauptet, dass Teasing das A&O des Radios ist, hat immer noch nicht erkannt, dass die Ursachen der exorbitant hohen Hörerverluste wo anders zu suchen sind“, so seine Replik. In seinem Leserbrief übte das baden-württembergische Moderatoren-Urgestein gleichzeitig massive Klage gegenüber dem Beratungswesen in Radiosendern: „Berater – und ich hab die Unfähigsten erlebt – haben versucht uns zu verbiegen, was jedoch nicht gelungen ist. Die Radioberater machten Vorgaben, die allesamt schlichtweg FALSCH waren. Der Hörer ist nun mal nicht ganz emotionsfrei und wird ungern an der Nase herumgeführt. Schlussendlich fühlt er sich gelangweilt. Leider haben Geschäfts- und Programmleitung dies immer wieder zugelassen und wurden zu Marionetten der Berater.“
„Die Radioberater machten Vorgaben, die allesamt schlichtweg FALSCH waren“
Frank Dignaß war einer von drei Pionieren des Privatradios in Baden Württemberg innerhalb der Projektgruppe “Hörfunk” der Tageszeitung Heilbronner Stimme. Dignaß war zuständig für den Bereich Unterhaltung inklusive des Aufbau eines Musikarchives, Programmentwicklung sowie Schulung der Moderatoren. Er moderierte die Morgenshow, später den Vormittag und Nachmittag bei Radio Ton in Heilbronn. Insgesamt war er 14 Jahre lang für den Sender tätig. Bundesweite Bekanntheit erreichte er unter anderem durch die Sat.1 Fernsehsendung Gottschalks Hausparty mit Thomas Gottschalk.
Die Hörer von Radio Ton wählten Frank Dignaß 2013 – rund 10 Jahre nach seinem Abschied vom Radio – anlässlich des 25. Geburtstags zum beliebtesten Moderator der Sendergeschichte. Auch nach seinem Abschied vom Radio verfolgt er die deutsche Radiolandschaft noch immer mit kritischem und wachem Auge.
RADIOSZENE gab Frank Dignaß die Gelegenheit für eine vertiefende Erläuterung seiner Kritikpunkte am aktuellen Radiowesen.
RADIOSZENE: Herr Dignaß, wird im deutschen Radio zu viel Eigenpromotion betrieben? Man kann Teasing auch tatsächlich als Service für die Hörer interpretieren, Programmhinweise können für Hörer ja auch nützlich sein …
Frank Dignaß: Ich finde es nun mal schade, was aus einem einst erfolgreichen Medium geworden ist. Schauen Sie sich zum einen die Radiolandschaft an – und zum anderen die Reaktionen der Konsumenten. Warum suchen denn die Hörer nach Alternativen? Warum fühlen sie sich nicht mehr angesprochen? Warum sind sie gelangweilt? Das sind doch die Fragen, die man sich stellen muss, bevor man pauschale Aussagen tätigt wie „… man muß optimal teasen….“.
Höhepunkte des Programms, Sendungen mit beliebten Moderatoren, DIE andere Musik etc., das sind die Kernpunkte. Wer kann dies denn aufweisen? Zunächst muss ein Programm “teasingfähig“ sein, dann macht Teasen auch Sinn.
RADIOSZENE: Nun steht Radio heute ja in einem extrem harten Wettbewerb um das Zeitbudget der Menschen. Die Online- und sozialen Medien – mit denen die von Ihnen als Beispiele für lebendiges Radio angeführten früheren Erfolgsmoderatoren Elmar Hörig oder Frank Laufenberg noch nicht zu kämpfen hatten – nehmen im Tagesablauf beziehungsweise innerhalb der Freizeitgestaltung der Menschen immer mehr Platz ein. Dazu ändern sich die Hörgewohnheiten seit geraumer Zeit mit der verstärkten Zuwendung hin zum Online-Empfang. Erfordern diese Veränderungen nicht auch besondere Maßnahmen seitens der Sender – wie etwa gezieltes Teasing?
Frank Dignaß: Der Hörer muss sich angesprochen fühlen. Von den Moderatoren sowie durch die Musik. Er will auch gerne überrascht werden. Das hat man in den 80er und den 90er Jahren vor allem bei den Privaten sehr gut gemacht. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben hier sehr schnell reagiert und sind mit dem Erlernten selbst heute noch erfolgreich. Sie überraschen ihre Hörer in den oben genannten Punkten und haben zum Teil echte Typen am Mikrofon.
Sicher ist der Wettbewerb hart, aber das war er “damals“ auch. Heute wird doch jede Kreativität der Mitarbeiter im Keim erstickt. Häufig höre ich von jungen Kollegen „…ihr habt ja früher noch gedurft…“. Dies sollte jedem Geschäftsführer doch zu denken geben.
„Zunächst muss ein Programm “teasingfähig“ sein, dann macht Teasen auch Sinn“
RADIOSZENE: Unstrittig ist, dass der Radiolandschaft in der Breite heute Moderatoren mit der Strahlkraft früherer Tage fehlen. Was würden Sie den Sendern hier empfehlen? Kommt die Ausbildung junger Talente zu kurz und/oder werden sie zu stark durch Formatvorgaben reglementiert?
Frank Dignaß: Wichtig ist aus meiner Sicht die Kreativität jedes Mitarbeiters zu wecken. Ihn bei der Programmgestaltung einbeziehen. Nur so wird sich der Moderator/Mitarbeiter mit dem Sender identifizieren. Fehler auch mal zulassen, dem Kollegen Vertrauen entgegenbringen.
Dabei ist natürlich die Auswahl der Mitarbeiter entscheidend. Jetzt mal ehrlich: Was will mir ein Moderator mit 25 oder 30 Jahren denn aus den 1980ern erzählen, die er überhaupt nicht erlebt hat? Einfach mal drüber nachdenken. Man kann nicht alles und jeden ausbilden. Besser ist ein Gespür für Talente, die sich dann auch entwickeln dürfen.
RADIOSZENE: Ist es für einen jungen Menschen überhaupt noch erstrebenswert, sich auf eine Karriere als Radiomoderator einzulassen? Früher war es das Sprungbrett zum Fernsehen, heute suchen junge Leute hier ihre Chance eher über YouTube…
Frank Dignaß: Unter den momentanen Voraussetzungen ein klares NEIN. Ich weiss von vielen Jung-Moderatoren, dass es keinen Spaß mehr macht. Und: man kann diesen Job auf Dauer nicht arbeiten – man muss ihn leben.
RADIOSZENE: Auch werden bei vielen Programmen die harten Sendeinhalte immer dürftiger. Special-Interest ist kaum mehr im Angebot. Die meisten Programme konzentrieren voll sich auf ihre Morningshow, danach folgen durchgehende Magazinstrecken ohne wesentliche Unterscheidungsmerkmale, ohne Highlights. Dabei ist Radio doch ein TAGESBEGLEITmedium (wie man immer so gerne betont) – will heißen, soll den ganzen Tag für die Hörer da sein. Wird der Morningshow im Programm allgemein nicht zu viel Aufmerksamkeit entgegengebracht?
Frank Dignaß: Zunächst mal muss ich mich mit den Hörern in den jeweiligen Sendegebieten beschäftigen. Wie ticken die? Was bewegt sie? Was interessiert sie wirklich? Nehmt Hörer on air! Zeigt wirklich, dass ihr nur für sie da seid. Gratuliert ihnen zum Geburtstag etc. Das Radio hat hier so viel Potenzial! Wichtig, veräppelt sie nicht!
Den Verantwortlichen kann ich nur raten: „Lasst Eure Leute mal MACHEN“! Bremsen ist leichter als ständig anzuschieben.
RADIOSZENE: In Zuge Ihrer Kritik beanstanden Sie auch die Musikprogramme der Sender. Bei 300 bis 400 Songs in den Titelpools einiger Stationen sicher ein berechtigter Vorwurf. Vielfalt sieht anders aus. Was läuft hier verkehrt?
Frank Dignaß: Ein heikles Thema! Rechnen Sie mal rund 10 bis 13 Titeln pro Stunde, dann wissen Sie, wie lange sie mit 300 bis 400 Titeln kommen. Dann immer wieder Superlative wie “Die größte Abwechslung“, “Der beste Mix“ oder “Noch mehr Abwechslung“. Ja für wie bescheuert hält man denn die Hörer? Stammhörer bekommt man so jedenfalls nicht. Der Hörer ist ein Mensch – und nicht blöd. Auch wenn manche Radioberater das immer glauben.
Ein guter Musikchef mit dem entsprechenden Gefühl muss die Möglichkeit haben, dem Sender eine Musikfarbe zu verleihen. Sicher testen Tina Turner, Phil Collins und Abba gut, aber das schon seit Jahrzehnten. Irgendwann sind die schönsten Titel totgespielt. Mein CD-Wechsler im Auto bietet mehr Abwechslung als die meisten Radiosender.
RADIOSZENE: Dabei geben die Sender doch sehr viel Geld für Musikforschung und Titeltests aus, um hier den Geschmack der Hörer möglichst genau zu ergründen. Das erscheint doch auf den ersten Blick ein vernünftiger Ansatz…
Frank Dignaß: Die Vorgehensweise ist seit rund 30 Jahren die Gleiche. Das Geld schmeißt man besser in den Brunnen, dann hört man es wenigstens noch platschen.
Aber im Ernst, dieses Geld gehört in erfahrene Radioleute mit einem hohen Maß an sozialer Kompetenz investiert – und es geht ein motivierender Ruck durch die Mannschaft, der garantiert Erfolg bringt. Davon bin ich fest überzeugt.
„Mein CD-Wechsler im Auto bietet mehr Abwechslung als die meisten Radiosender“
RADIOSZENE: Radio hatte lange Zeit die führende Rolle, wenn es um die Empfehlungen von neuer Musik und Künstler an die Hörer ging. Dieses Privileg ist passé. Heute orientieren sich die Musikinteressierten bei Streaming-Diensten wie Spotify oder bei YouTube. Müssten sich die Sender diese Musikkompetenz nicht wieder schleunigst zurückerobern?
Frank Dignaß: Es reicht meiner Meinung nach schon aus, wenn Hörer vermehrt sich beim Sender melden, um zu fragen, was das gerade für ein toller Titel war. So fängt zum Beispiel Hörerbindung an. Das sind für mich Ziele, die man verfolgen sollte.
RADIOSZENE: Als ein großes Problem innerhalb der Branche haben Sie die Radioberater ausgemacht. Welche Erfahrungen haben Sie denn mit den Radio Consultants gemacht?
Frank Dignaß: Ich habe damals mit 25 Jahren gute Erfahrungen gemacht, weil wir zum Sendestart einen sehr erfahrenen Trainer mit einer ganz großen Portion sozialer Kompetenz hatten. Er konnte die Leute begeistern, mitreißen und motivieren. Er hat uns machen lassen und uns akzeptiert. Er brachte uns Vertrauen entgegen, das war schon beeindruckend. Sein Name ist übrigens Mike Haas von BCI.
Zu den Beratern danach möchte ich mich nicht groß äußern, vielleicht nur eins: diese Radioberater haben dafür gesorgt, dass ich nach deren antiquierter Vorgehensweise kein Radio mehr machen wollte… und Radio war mein Leben.
RADIOSZENE: Gegen hilfreiche Ratschläge und Hinweise durch erfahrene Experten ist also nichts einzuwenden, wie Sie sagen. Was aber machen die Radioberater falsch?
Frank Dignaß: Wir haben jahrelang keine Radioberater benötigt und hatten Erfolg. Danach kamen verschiedene Berater und die Zahlen gingen zurück. Auch, weil es dadurch im Team nicht mehr harmonisierte.
RADIOSZENE: Wird Ihrer Meinung nach die Forschung beim Radio überbewertet?
Frank Dignaß: Ein ganz klares JA.
RADIOSZENE: Nun dienen Formatierungen, Radioberater oder Musiktests in den Augen der Verantwortlichen der Optimierung der Hörerreichweite – und bei werbebasierten Angeboten letztlich der Wahrung beziehungsweise Verbesserung der Einnahmen. Eigentlich doch ein legitimer und nachvollziehbarer Ansatz. Glauben Sie, dass heute ein Sendebetrieb ohne – oder mit deutlich weniger – Unterstützung dieser Hilfsmittel überhaupt noch möglich ist?
Frank Dignaß: Auch hier ein klares JA. Dies setzt aber voraus, dass man ein qualifiziertes Team um sich hat.
„Radio ist wie eine alte Wanduhr. Sie tickt vor sich hin und stört nicht weiter … bis sie einmal aufhört zu ticken“
RADIOSZENE: Wie sehen Sie die Zukunft des Radios und was wünschen Sie dem Medium?
Frank Dignaß: Wenn Radio wieder die Leute anspricht sehe ich nicht ganz so schwarz. Allein, dass dieses Berater-Thema so ausgiebig diskutiert wird, zeigt doch, dass hier etwas seit langer Zeit nicht richtig läuft.
Radio ist so ein tolles Medium, das durch Emotionen lebt. Da es diese im Moment nicht gibt, ist Radio eher wie eine alte Wanduhr. Sie tickt vor sich hin und stört nicht weiter … bis sie mal aufhört zu ticken.
Ich wünsche mir, dass ich bei Moderatoren lauter drehe, weil mich interessiert, was da gesagt wird. Ich wünsche mir, dass ich bei verschiedenen Songs das Radio wieder laut drehe, weil ich den Song so toll finde – und ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen wieder mehr Mut haben und nicht vergessen, wie wichtig ein motiviertes, zufriedenes und anerkannt gutes Team ist. Das nämlich ist das “Herz“ jedes Senders.
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