Die Medien der Zukunft – alles nur IP?

James Cridland's Radio Future

„Wir sind davon überzeugt, dass der Tag, an dem alle Medien über das Internet verbreitet werden, schon bald kommen wird.“ 

Diese Worte von Matthew Postgate, seines Zeichens technischer Leiter und Product Officer bei der BBC und – nebenbei bemerkt – ein äußerst sympathischer Mensch, fielen in einer langen Rede, die die BBC auf ihrem Presseportal veröffentlicht hat. Digital TV Europe berichtete daraufhin prompt und eifrig, dass die BBC eine ausschließlich IP-basierte Medienzukunft prognostiziert. 

Ich habe dies in der letzten Woche getweetet und wurde vielfach retweetet, unter anderem von einer Reihe von Radioleuten, die dies kommentierten mit Worten wie „Hab ich es doch gewusst!“ oder „Das sage ich schon seit Jahren!“. Auch einige Online-Radiounternehmen sprangen auf den Zug auf, um sich selbst als Teil dieser IP-basierten Medienzukunft zu profilieren.

Jetzt machen wir aber alle erstmal halblang, OK?

Zunächst kann ich als ehemaliger leitender Manager bei der BBC erst einmal ganz banal Folgendes sagen: Wenn man in einer Rede das Wort „wir“ aus dem Munde eines BBC-Managers hört, dann meint die betreffende Person am ehesten erst einmal „meine Abteilung“, und an zweiter Stelle sprechen sie dann – zumindest in den meisten Fällen – vom Fernsehen. Und tatsächlich erwähnt Matthew in seiner Rede über die IP-basierte Medienzukunft das Wort Radio mit keiner Silbe.

Radio und Fernsehen sind zwei grundsätzlich verschiedene Dinge. Die BBC veröffentlichte bislang Zahlen, die genau auf diesen Aspekt eingingen. In diesen Daten von Januar 2016, sieht man (auf Seite 11),  dass 92% des gesamten Online-TV-Konsums on-demand erfolgt. Beim Radio lag diese Zahl jedoch nur bei 30%. Radio funktioniert am besten als geteilte Erfahrung mit einer menschlichen Connection, und diese geteilte Erfahrung ist stärker, wenn mehrere Leute gleichzeitig dasselbe hören.

Tatsache ist, dass derzeit nur 9.3% des linearen Radiokonsums auf den Online-Bereich entfällt. Nur 9.3%. Verschwindend gering. Der Rest ist nach wie vor Rundfunk. Seit 1998 gibt es Radiostreams – und in den 20 Jahren nur rund 9% Zuwachs? Nach einer ausschließlich IP-basierten Zukunft für das Radio sieht das nicht gerade aus. Zumindest nicht in absehbarer Zeit.

Und wie Matthew selbst in seiner Rede sagt, stehen da noch so einige Probleme im Weg. Zunächst einmal kommt die Netzinfrastruktur gar nicht mit. Auch in Großbritannien hat nicht jeder einen schnellen Breitbandzugang. Überhaupt kann sich noch nicht einmal jeder einen Internet-Zugang leisten. Auch auf der Anbieterseite gibt es Probleme. Ein Beispiel: Die BBC zeigt die WM online in 4K, deckelt jedoch die Anzahl der Zuschauer bei diesen Streams. Die IP-basierte Medienzukunft scheitert also einstweilen an den Größendimensionen.

Es könnte durchaus sein, dass demnächst Fernsehen in erster Linie nur noch on-demand geschaut wird. Diese Entwicklung sehen wir schon seit einiger Zeit. Festplattenrekorder oder Dienste wie Netflix scheinen hier den Weg in die Zukunft zu weisen. Live-TV ist aber immer noch unschlagbar in Bereichen wie Nachrichten, Sport oder königlichen Hochzeiten (drei Dinge, die offenbar immer noch sehr vielen Leuten wichtig sind).

Auf persönlichen, vernetzten Geräten könnte dasselbe auch für das Medium Radio aufgehen. Die BBC-Statistik, die ich soeben zitierte, zeigt seit 2011 keinen Anstieg beim Online-Radiokonsum. Aber die Verbraucher mögen die „Überspringen“-Schaltfläche auf den Geräten, die sie so gerne und so oft in der Hand halten. Musikradio hat somit bereits einen starken Mitbewerber mit Diensten wie Spotify, und Talk-Radio bekommt – bis zu einem gewissen Grad – Gegenwind von Podcasts. Ein linearer Livestream ist daher nicht unbedingt naheliegend bei einem derart hochgradig interaktiven Produkt wie einem Mobiltelefon.

Ich denke, dass man mit dem richtigen Produkt den Online-Radiokonsum beträchtlich steigern könnte. Aber das wäre dann kein lineares Live-Radio mehr. Wenn die Online-Radiozukunft ein Mix aus „near live“ verbreitetem und personalisiertem Content ist – und ich bin davon überzeugt, dass das der Fall ist – dann müssten wir die Art und Weise, in der wir Radiosendungen gestalten, einschneidend ändern. Es wird nicht ausreichen, den Praktikanten anzuweisen, schnell mal einen Zusammenschnitt aus den Live-Shows zu machen, wie es derzeit vielfach Usus ist. Nachlässiges, ungeschliffenes Live-Radio kann es nicht mit den anderen Audio-Formen aufnehmen, die uns derzeit zur Verfügung stehen. In Sachen Radioproduktion müssen wir in Zukunft wirklich radikal umdenken.

Wie Matthew schon sagt: „In der nächsten Zeit wird sich zeigen, welchen Weg die Zukunft einschlägt.“ Ich sage: „Mit nur 9,3% Online-Radiokonsum zurzeit werden wir eine ausschließlich IP-basierte Zukunft für das Radio zu Lebzeiten wohl nicht mehr erleben.“

 


James CridlandDer Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land.

Lokalrundfunktage NürnbergAktueller Hinweis:
James Cridland können Sie übrigens im Juli persönlich treffen, denn er wird auf den Lokalrundfunktagen 2018 in Nürnberg die Keynote halten.

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