Während bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogrammen sowohl Sendeplätze als auch Produktionsmöglichkeiten für Hörspiele zurückgefahren werden, entdecken die überwiegend musikorientierten Privatradios dieses angesichts der Spielfilm-Übermacht im Fernsehen über viele Jahre fast vergessene Genre nun immer mehr für sich – als Podcast oder auch richtig „on air“, im linearen Programm.
Die Hörgewohnheiten ändern sich. Ebenso wie beim Fernsehen ist auch beim Radio der nonlineare Medienkonsum auf dem Vormarsch: Das Radio läuft längst nicht mehr nur „live“, meist als Begleitmedium, in Küche, Büro und Auto, sondern der Hörer holt sich auch gezielt einzelne Beiträge via Internet aus den Mediatheken, um diese gezielt zum Feierabend oder bei langen Auto- oder Zugfahrten anzuhören.
Radio wird immer mehr als Podcast genossen
Musiksendungen sind hier aufgrund der rechtlichen Problematik kaum vertreten und bei Wortsendungen werden die „Zwischenmusiken“ für die Mediatheken und Podcasts herausgeschnitten, was aber nur von Vorteil ist: So wenig, wie mancher Musikhörer es leiden kann, wenn diese durch nur zum Erreichen der vorgeschriebenen Wortquote dienendes ständiges Gequassel über Fußball oder die Kaffeetrinkgewohnheiten der Moderatoren unterbrochen wird, mag der Wort-Hörer das unterbrechende Gedudel alle 10 Minuten – zumal, wenn es nicht seinem persönlichen Musikgeschmack entspricht. Eine „Pinkelpause“ wird im Podcast nicht benötigt, bei Bedarf kann der Hörer den Podcast anhalten.
Viele Wortsendungen der öffentlich-rechtlichen Anbieter werden deshalb inzwischen über die Podcasts intensiv genutzt – allerdings dringen diese Zahlen bislang kaum ins Bewußtsein der Marktforscher. Der Vorteil der Radio-Mediatheken und Podcasts ist, dass diese im Gegensatz zu den Fernseh-Beiträgen nicht nur über Streaming, sondern tatsächlich heruntergeladen und dann offline gehört werden können. Dies ist beim Hören in Auto oder Zug wegen der Funklöcher und Mobilfunktarife unverzichtbar.
Gewinner des Podcast- und Hörbuch-Trends: Radio-Hörspiele
Das Hörspiel war über die Jahre im öffentlichen Bewusstsein zum „Spielfilm für Arme“ degradiert worden – schließlich lockte das Fernsehen mit Hollywood-Blockbustern und jeder Menge Krimis als vermeintlich attraktivere Konkurrenz. Doch gibt es bei der ARD neben dem Fernseh-Tatort seit 10 Jahren auch einen Radio-Tatort, und der spielt bei den Podcast-Download-Zahlen ganz vorne mit, denn im Gegensatz zum großen Fernseh-Bruder kann er unterwegs angehört werden.
Tatsächlich sind die Hörer über Podcasts und Hörbücher inzwischen daran gewöhnt, sich Audio-Titel aus dem Internet zu laden und unterwegs zu hören – das totgeglaubte Hörspiel erlebt so einen zweiten Frühling. Damit wird es auch für die kommerziellen Sender interessant: Mit Kooperationen können sie Produktionen von Hörbuch-Verlagen in ihr Programm nehmen, doch werden auch eigene Hörspiele produziert. Das steigert die Beliebtheit beim Hörer – und wenn die Hörspiele auch über den Sender ausgestrahlt werden, hebt es den Wortanteil, was natürlich hilfreich ist. Um nicht mit dem Tagesprogramm zu kollidieren, sind diese Ausstrahlungen meist nachts.
Privatradios senden und produzieren zunehmend Hörspiele
Die Rockantenne, das zweite Programm von Antenne Bayern, macht dies schon seit vielen Jahren. So laufen nachts auch mal längere Interviews mit Musikern, aber eben auch Hörspiele: Krimis und Gruselstücke. Auch tagsüber liefen auf der Rockantenne bereits Fortsetzungs-Krimis und weitere sind geplant:
Die Rockantenne Krimi-Stunde, immer donnerstags um Mitternacht und die Wiederholung am darauffolgenden Montag um Mitternacht, wird auch 2018 fortgesetzt. Die Rockantenne-Hörer dürfen sich auf neue spannende Krimi- und Thriller-Hörbücher freuen.
Konrad Schwarz, Leiter Programmgestaltung ROCK ANTENNE
Die 89.0-RTL-Hörspielnacht ist ebenfalls ein Klassiker. Andere kommerzielle Anbieter sind ebenso seit gut 10 Jahren aktiv. Und auch nichtkommerzielle lokale Stationen und Free Radio-Stationen aus dem Musik– und Wortbereich jagen des Nächtens Verbrecher: Die Nachfrage bei den Hörern ist da.
Auch das Hauptprogramm von Antenne Bayern bietet inzwischen nach dem Erfolg des US-Podcasts „Serial“ einen Krimi-Podcast – „Dunkle Heimat“ arbeitet echte Fälle aus Deutschland auf. Die erste Staffel erzählt die Geschichte eines vor 100 Jahren geschehenen und bis heute nicht aufgeklärten Mehrfachmordes an einer Bauernfamilie aus Hinterkaifeck, einem ehemaligen Einödhof bei Schrobenhausen in Oberbayern. Die nächste Staffel ist bereits in Auftrag gegeben.
Hier ist bislang nur der Podcast geplant, der bereits refinanziert ist. Ob eine Ausstrahlung im Rundfunk folgt, ist noch offen – den gut eingeführten Sendeplatz auf der Rockantenne hätte man hierfür ja bereits. Doch ist es offensichtlich auch von Bedeutung, reine Internet-Podcast-Konsumenten so auf Antenne Bayern aufmerksam zu machen:
Der Podcast-Markt wächst. Entsprechend ist es interessant für Antenne Bayern, dort mit Content vertreten zu sein. Dunkle Heimat macht den Anfang. Weitere Produktionen sind geplant. Der Kunde ‘happybrush‘ ist Sponsor der ersten Staffel Dunkle Heimat – Hinterkaifeck.
Sven Rühlicke, Geschäftsleiter Digital ANTENNE BAYERN
Auch Hitradio Antenne 1 macht neu Podcasts. Demgegenüber scheinen die öffentlich-rechtlichen Sender, deren angestammte Heimat die Hörspiele einst waren, trotz der großen Podcast-Erfolge das Interesse teilweise zu verlieren: Der Norddeutsche Rundfunk will mit True-Crime-Formaten weiter machen und auch fiktive Formate aus Romanen produzieren. Der Bayrische Rundfunk hat in Nürnberg sogar ein Studio für Mundarthörspiele. Ebenso ist der Hessische Rundfunk aktiv und produziert Podcasts.
Öffentlich-Rechtliche ziehen sich teilweise aus dem Hörspiel-Markt zurück
Doch beim Mitteldeutschen Rundfunk, offiziell ziemlich aktiv in Sachen Hörspiel und Kinder (Produzent des Kinder-Fernsehkanals Kika), wurden ausgerechnet die Kinderhörspielproduktion samt zugehörigem Sendeplatz abgeschafft und die Sendeplätze für Erwachsenenhörspiele halbiert. Beim Südwestrundfunk und Westdeutschen Rundfunk wurde der Etat für Hörspielkunst gekürzt, beim Südwestrundfunk ein Hörspielsendeplatz als Podcast ausgelagert. Und bald ganz außen vor ist der Saarländische Rundfunk: Das Hörspielstudio wurde schon 2014 geschlossen und der Etat für Hörspiele weiter gekürzt. Immerhin: Dort scheint es sehr ernst zu sein, denn selbst im Justiziariat wurde gekürzt. Doch ist es wirklich der richtige Moment, sich aus dem Hörspielbereich jetzt zurückzuziehen, wo dieser gerade neu aufblüht?